Die Stadtbibliothek von Lakeport

20. Februar 2020, 19:02 Uhr

Zeno

Der Junge lässt seine Pistole sinken. Das Telefon im Rucksack klingelt ein zweites Mal. Da, an der Empfangstheke, die die Tür blockiert, vorbei, hinaus über die Veranda vorn, wartet die nächste Welt. Hat er die Kraft?

Er durchquert den Raum Richtung Eingang, lehnt sich kurz an die Theke. Energie fließt ihm in die Beine, als würde sie ihm von Athene geschickt werden. Die Theke gleitet hinter ihn, er hält den Rucksack an sich gepresst, reißt die Tür auf und läuft in das Gleißen der Polizeischeinwerfer.

Die fünf Granitstufen hinunter, den Weg entlang, durch den unberührten Schnee in das Netz der Sirenen, in das Schussfeld von einem Dutzend Gewehre, eine Stimme ruft: «Nicht schießen, nicht schießen!», eine andere, vielleicht seine eigene, schreit etwas jenseits von Sprache.

Das Telefon klingelt ein drittes Mal.

So viel Schnee fällt vom Himmel, dass die Luft nur aus ihm zu bestehen scheint. Hinunter durch den Tunnel der Wacholderbüsche rennt Zeno, bewegt sich so schnell, wie es ein sechsundachtzigjähriger Mann mit einer schlechten Hüfte, in Klettverschlussstiefeln und zwei Paar Wollsocken vermag, den Rucksack an seine Pinguinkrawatte gedrückt. Er trägt die Bombe an den gelben Eulenaugen der Buchrückgabekiste vorbei, vorbei an einem Van mit der Aufschrift Sprengmittelbeseitigung, an Männern mit Panzerwesten. Er ist Aethon, der der Unsterblichkeit den Rücken kehrt, glücklich, wieder ein Narr zu sein, die Schäfer tanzen im Regen, spielen auf ihren Flöten und zupfen ihre Leiern, die Lämmer blöken, die Welt ist nass und schlammig und grün.

Aus dem Rucksack erschallt das vierte Klingeln. Eines noch zum Leben. Eine Viertelsekunde lang sieht er Marian hinter einem Polizeiwagen geduckt, die liebe Marian in ihrem kirschroten Mantel mit ihren Mandelaugen und den mit Farbe bekleckerten Jeans. Sie sieht ihn vorbeilaufen, die Hand auf den Mund gedrückt, Marian, die Bibliothekarin, deren Gesicht in jedem Sommer einen Sommersprossensturm erlebt.

Die Park Street hinunter, weg von den Polizeiwagen, die Bibliothek im Rücken. Stell dir vor, sagt Rex, wie es sich angefühlt haben muss, die alten Lieder von der Rückkehr der Helden zu hören. Links, in ein paar Hundert Metern Entfernung, steht Mrs Boydstuns altes Haus, keine Vorhänge an den Fenstern, der Esstisch voll mit Übersetzungen, fünf Playwood-Plastiksoldaten in einer Blechschachtel oben neben dem kleinen Messingbett, und Nestor, der Herrscher von Pylos, döst auf der Küchenmatte. Jemand wird ihn herauslassen müssen.

Vor ihm der See, zugefroren und weiß.

«Oh», sagt die Bibliothekarin, «du siehst aus, als wäre dir kalt.»

«Wo», sagt die andere, «ist deine Mutter?»

Er rennt durch den Schnee, und zum fünften Mal klingelt das Telef