{DREI}
Wachstum
Am Anfang, als der blütenlose Farnwald
seine Schatten über die dämmrigen Lagunen
der Frühzeit warf, war da Unruhe,
undeutlich, anhaltend, unbewusst, und
brachte die großen Wedel, die grüngoldenen,
zum Schwingen.
Charles G. D. Roberts, »Autochthon«
Das Feuer liegt jetzt 16 Jahre zurück. Die Brandstelle ist kein schwarzes Loch im Wald mehr, sondern ein Streifen frisches Grün, niedriger gewachsen als die unverbrannten Gebiete, aber ganz offensichtlich wieder voller Lebenskraft. Schon seit Langem ist der Geruch nach verkohltem Holz aus der Luft verschwunden. Nach einem ungewöhnlich feuchten Frühling mit mehr als 150 Zentimetern Regen pro Quadratmeter war dann der Sommer heiß und trocken, der Wald ist kräftig gewachsen. Jetzt ist es früher Herbst. Vom Bergrücken aus kann man den Bach nicht sehen, man kann ihn aber ahnen, als glänzend grünes Band, wie er zwischen dunklen Stämmen und sich über den Waldboden schlängelnden Wurzeln dahinfließt. Im Wald ist es noch ruhig. Es ist aber keine Totenstille, wie nach dem Feuer, sondern eine Stille der Ruhe, des Wartens.
Auf der Brandstelle sind westliche Riesen-Lebensbäume und ein paar Exemplare vom Großblättrigen Ahorn sowie vom Wein-Ahorn gewachsen und bilden nun einen Teil der Waldgemeinschaft. An den Bachufern erkennt man über eine kurze Strecke Amerikanische Roterlen (Alnus rubra) als Streifen mit dunklerem Glanz, der sich in Windungen durch den Nadelwald zieht. Ausgewachsene vierzigjährige Amerikanische Roterlen können auf freiem Feld bis zu 24 Meter hoch wachsen. Aber ebenso wie die Douglasien, die ihnen nun das Licht nehmen, können sie Schatten nicht vertragen und werden deshalb in diesem Wald nur kurze Zeit überleben. Lange bevor sie ihre volle Größe erreicht haben, werden die älteren absterben; der Waldboden, den sie hinterlassen, ist leer, dunkel und irgendwie eintönig. Vorläufig aber wirken ihre glatten, fast weißen Stämme unten im dämmrigen Unterholz wie gedämpfte Lichtstrahlen. Was das Angebot an Insekten, Spinnen und Samen betrifft, sind sie für Mönchswaldsänger, Graukopfvireos sowie im Winter für Junkos eine zuverlässige Quelle.
Sie werden Amerikanische Roterlen genannt, weil ihre innere Rinde ein rotes Pigment enthält. Jedes Jahr steigt eine Familie der Küsten-Salish zu der alten Brandstelle hoch und schlägt am Bachbett für ein oder zwei Nächte ein Lager auf. Die Salish nennen die Amerikanische Roterle yuhsáwi. Den Tag über schälen sie die Rinde in dreieckigen Streifen ab, wobei sie darauf achten, den Stamm des Baumes nicht zu ringeln und die lebendige Kambiumschicht nicht zu beschädigen. Dann wickeln sie die Dreiecke zu festen Rollen und bringen sie, nachdem sie ihr Lager abgebrochen haben, ins Dorf an der Küste hinunter. Dort zerstoßen sie die Innenrinde, damit die Farbe austritt, und vermischen diese mit Fischöl. Mit dieser Mixtur dekorieren sie dann ihre Kleidung aus der Rinde des Riesen-Lebensbaumes und die Decken aus Hundehaar.
Die Küstenleute wissen, dass sich ihr Leben in einem wohl ausgewogenen Gleichgewicht zwischen zwei Bereichen abspielt, von denen ihre Ernährung abhängt – vor ihnen das Meer und im Rücken der Wald. Oben und unten, Himmel und Erde, das spielt für sie keine große Rolle; was aber die Küste und den Wald betrifft, da sind sie kenntnisreich und erfahren.
Am Abend, im Roterlenlager, hält der Anführer des Hauses eine Lehrstunde über die Namen und Eigenschaften der Bäume. Die Rinde der Westamerikanischen Hemlocktanne, skwúpuhc, ergibt eine graubraune Paste, mit der man Fischernetze färbt, damit der Lachs sie nicht sehen kann. Das Holz des Riesen-Lebensbaumes, xpáy’uhc, verwendet man für Kanus, Langhäuser, Werkzeuge und Arzneien. Die großen Blätter des Großblättrigen Ahorns, ê’ólhac, ergeben hervorragende Beerenkörbe. Pappelblätter, q’wuh, eignen sich gut für Verbände, weil sie, wenn man sie zerdrückt, auf der Haut haften bleiben. Die Douglasie, êuhbídac, ist leicht, aber sehr stark, ein Baum, der sich als Brennholz eignet; die Rinde brennt besonders gut, wenn sie auch viel Funken versprüht, und die grünen Äste werden in Schwitzhütten verbrannt, um Seelen und Herzen der Menschen zu reinigen. Der Anführer erzählt auch Geschichten – zum Beispiel vom Sintflutbaum, qwutl’uhc, dem heiligen Amerikanischen Erdbeerbaum oder Arbutus, in dem die Menschen des Anfangs, als sie während der Großen Flut hilflos in ihrem Einbaum dahintrieben, Zuflucht fanden und gerettet wurden. Alle Geschichten verknüpfen das Land und das Meer, so wie auch die Menschen dies tun.
Der Baum und seine Knospen
Unser Baum ist jetzt acht Meter hoch und besitzt Äste in 16 Etagen, die sternförmig von dem sich nach oben verjüngenden Stamm abstehen. Die unteren acht sind bereits abgefallen. Am Fuß misst er 35 Zentimeter im Durchmesser. Die neuen Triebe an den Spitzen der Zweige haben eine hellere Farbe als die reifen Nadeln. Am unteren Ende befinden sich neue Knospen.
Im unteren Bereich des Baumes gibt es allerdings keine Äste. Denn das Wachstum des Baumes ist dort am stärksten, wo es am meisten nützt: weiter oben in der vollen Sonne sowie unter der Erde.
Wie viele andere Koniferen, zum Beispiel Drehkiefer und Gelbkiefer, schickt die Douglasie dort, wo es die Bodentiefe erlaubt, eine zentrale Pfahlwurzel weit hinunter, um den enormen Überbau, der sich irgendwann hoch über die Erde erheben wird, zu verankern. Immergrüne Pflanzen haben zudem ein Netz von Seitenwurzeln, die sich ausbreiten, um so die Plattform zu erzeugen, auf der der Baum ruht. Einige dickere Seitenwurzeln bilden Höcker über der Erde, wie Rücken tauchender Grauwale, die in die Buchten hereinkommen, um Hering zu fressen. Wo diese Wurzeln dem Sonnenlicht ausgesetzt sind, geben sie Chlorophyll an die innere Rinde weiter. Diese produziert dann an dieser Stelle Wachstumshormone, welche den Transport von Nährstoffen durch das Xylem hinauf erleichtern. Wenn die Seitenwurzeln auf die Wurzeln einer benachbarten Douglasie treffen, verwachsen die beiden Wurzelstämme miteinander, manchmal längs, manchmal auch rechtwinklig, um eine einzige Gefäßeinheit zu bilden. So hilft ein Baum dem andern, indem er durch das vereinte Phloem Hormone und Stärke mit dem andern teilt.
Amerikanische Zitterpappeln oder Espen in einer Gruppe verfügen über eine andere Methode, ihre Wurzeln zu verbinden. Espenstämme sind eigentlich Klone, die aus einem einzigen Wurzelsystem herauswachsen. Durch diese Form der Anpassung wurde es einem einzelnen Organismus möglich, unterschiedliche Nischen zu nutzen, vom hochgelegenen, trockenen Boden in voller praller Sonne bis zu niedrig gelegenen nassen Talsohlen und Flussufern. Auf diese Weise erhalten die auf ungünstigem Boden stehenden Espen von denen, die auf besserem Boden stehen, durch die Wurzelverbindung Nährstoffe. Geklonte Espenkolonien dieser Art erreichen riesige Ausmaße und erstrecken sich über enorme Flächen. Im Staat Utah gibt es eine solche Kolonie, die 43 Hektar einnimmt, mit einer Gesamtmasse von mehr als 6.000 Tonnen, fast dreimal so viel wie die Masse eines einzigen Riesenmammutbaums, was sie zu einem der größten lebenden Organismen auf dem Planeten macht. Der größte einzelne Organismus auf der Welt ist vermutlich ein Dunkler Hallimasch (Armillaria ostoyae), ein Pilz, den man in einem gemischten Nadelwald in den Blue Mountains von Nordost-Oregon entdeckt hat. Er ist 8.500 Jahre alt und bedeckt fast zehn Quadratkilometer.
Von den Wurzeln anderer Bäume profitiert unser Baum auch auf dem Wege über seine ektomykorrhizalen Pilzpartnerschaften. Die Amerikanischen Roterlen können zum Beispiel besonders gut Stickstoff aus der Luft entnehmen und im Boden fixieren – man hat Größenordnungen von bis zu 300 Kilogramm pro Hektar und Jahr dokumentiert; das reicht aus, um den Wald für die nächsten 200 Jahre zu versorgen. Im Boden wird der Stickstoff von Bakterien abgebaut und von Pilzen in die Wurzeln anderer Bäume – so auch unseres Baumes – weitergeleitet. Als Gegenleistung erhalten die Wurzeln der Roterlen bis zu zehn Prozent der gespeicherten Stärke von ihren Nachbarn. Indem er sich sowohl innerhalb seiner Art als auch mit anderen Arten zusammenschließt, profitiert unser Baum, weil er am Ökosystem Wald teilhat. Auf diese Weise erhöht er seine Überlebenschancen. Obwohl die Amerikanische Roterle den Stickstoff so wirksam binden kann, wird dieser doch auf steilen Abhängen und dünnem Boden von den Regenfluten großenteils in die Flüsse und ins Meer hinausgespült. Der Stickstoffgehalt ist oft der Faktor, der das Wachstum begrenzt, und das gilt für alle Wälder.
Anfang April fingen bei unserem Baum die Zellen in den Meristemen entlang des Stamms und der Äste an, sich zu teilen, um eine zwischen äußere Rinde und äußeres Splintholz gezwängte neue Kambiumschicht zu bilden; das ist die Art und Weise, wie der Baum wächst. Auf die Schicht vom letzten Jahr legt er eine neue aus lebenden Zellen. Die alten Zellen sterben ab und verwandeln sich in den äußersten Ring des Kernholzes. Das neue Splintholz übernimmt im Wesentlichen die Aufgaben des Wassertransfers. Jedes Jahr legt der Baum einen neuen Ring um seine Achse. Wo die vitale Krone beginnt, sind die Ringe etwas dicker als oben an der Spitze, dafür gibt es sie am Fuß des Baumes in größerer Anzahl. Dies führt dazu, dass der Baum sich kontinuierlich in Kegelform entwickelt. Der Kegel verjüngt sich im Kronenbereich, also zwischen den untersten Ästen und der Baumspitze, stärker als zwischen Krone und Fuß.
Im Frühjahr, wenn die Temperatur auf über 5 °C steigt, produzieren Zellen in den Meristemen des Kronenabschnitts Auxine, die das Kambiumwachstum fördern, während sie sich stammabwärts mit einer Geschwindigkeit von fünf bis zehn Zentimetern pro Stunde verbreiten. Dort, wo sich in früheren Jahren Knospen gebildet haben, sammeln sich die Auxine und die Zellen teilen sich schneller, um das Wachstum voranzutreiben. Daraus entstehen dann irgendwann neue Äste. Mitte Mai sprießen die Knospen oder brechen auf. Winzige Nadeln, wie in grüne Farbe getauchte Pinsel, kommen hervor. Aus einigen dieser Knospen werden neue Triebe, andere entwickeln sich in diesem Jahr aber zu Zapfen. Damit ist der 17-Monatszyklus von Produktion der Pollen, Befruchtung der Eier und Verbreitung der Samen in Gang gekommen.
Diejenigen Knospen, aus denen Zapfen werden, sitzen überwiegend in der Nähe der Baumspitze, in den einjährigen Trieben. Davon entwickeln sich einige, und zwar die am unteren Ende der Triebe, zu männlichen beziehungsweise Pollenzapfen, während andere, weiter draußen an den Spitzen der Triebe, weibliche beziehungsweise Samenzapfen werden. Bis Mitte Juli bleibt offen, welche Knospen sich zu Trieben und welche sich zu Zapfen entwickeln. Bis sie zehn Wochen alt sind, sehen sie alle aus, als wollten sie Triebe bilden, aber dann machen sich allmählich die Unterschiede der drei Arten von Knospenwachstum – Triebe, Samenzapfen und Pollenzapfen – bemerkbar. Im Herbst haben dann diejenigen, die Triebe werden sollen, eine spiralförmige Reihe von Blatt-Primordien, sogenannte Bildungszentren, angelegt; künftige Pollenzapfen dagegen lassen eine spiralförmige Reihe von Strukturen erkennen, die wie im Entstehen begriffene Blätter aussehen, dann aber irgendwann doch Pollensäcke werden. Die Samenzapfen-Knospen schließlich entwickeln spiralförmige Primordien, aus denen später die für die Samenzapfen der Douglasien charakteristischen mausschwanzähnlichen Tragblätter werden.
Jetzt ist es September und alle drei Knospenarten scheinen im Schlummer zu liegen. In ihrem Innern findet jedoch Zellteilung statt, auch den Winter über wird es weiterhin physiologische Aktivitäten geben, wenn auch in reduzierter Geschwindigkeit. In den als Zapfen vorgesehenen Knospen gibt es im Winter mehr Aktivität als in denen, die demnächst Triebe werden sollen. In den weiblichen Zapfen findet mehr als in den männlichen statt. Diese Aktivität wird teilweise von Photosynthese angetrieben. Um seinen Wintervorrat an Stärke noch etwas aufzustocken, setzt der Baum die Photosynthese fort, solange die Temperatur bei über 5 oder 6 °C bleibt. Die meiste Zeit aber schläft er und vertraut darauf, dass die während des Sommers in Splintholz und Blättern gespeicherte Energie ihn durch den Winter bringt und auch noch für den ersten Start in den Frühling reicht. Dieser Vorgang wiederholt sich nun bei unserem Baum in jedem zweiten Jahr für den Rest seines langen Lebens.
Vom Wind getragen
Eine Konifere sieht aus, als wachse sie wie ein aus der Erde ragender Pfosten kerzengerade nach oben. In Wirklichkeit aber windet sie sich aus der Erde wie ein Geschoss, das die Luft durchpflügt. Der mathematische Begriff für dieses Wachstumsschema ist die »dynamische Spirale«. Sie erklärt auch die konische Form von Stamm und Ästen sowie die Pfeilspitzenform der Krone. Unter der Rinde wächst die Faser im Holz spiralförmig nach oben. Die Gestalt des Stammes spiegelt sich auf diese Weise in der Gestalt des Baumes, da beide das Ergebnis eines logarithmisch zunehmenden Wachstums sind. Jedes Jahr kommt nicht nur beim Umfang, sondern auch bei der Höhe des Baumes neues Wachstum hinzu. Dieses Spiralmuster wiederholt sich bei vielen Objekten in der Natur, die dergestalt wachsen, dass beides, der Umfang am Fuß wie auch die Gesamtlänge, zunehmen. Dazu gehören die Muscheln der meisten Mollusken, die gedrehten Stoßzähne der Narwale und Elefanten, das überlappende Schema der Blätter um den Mittelpunkt einer Rose. Es erscheint in den Spiralgalaxien des gesamten Sonnensystems ebenso wie in den Windungen der Doppelhelix der in den menschlichen Zellen gebundenen DNA. Bei einer Konifere ist die Spirale auch in der Zapfenstruktur erkennbar.
Wenn auch die äußeren Merkmale und Übertragungssysteme von Grund auf verschieden erscheinen, so gibt es doch kaum einen Unterschied zwischen Sex bei Pflanzen und bei Tieren. Beide, Pflanzen wie Tiere, verbinden genetisches Material von zwei Eltern, um einen Nachkommen zu produzieren. Bei einer Konifere trägt der weibliche Zapfen die Samenanlagen, von denen jede ein Ei enthält. Wird es durch eine männliche Keimzelle aus dem Pollenzapfen befruchtet, entwickelt sich aus dem Ei der Samen. Dieser besteht aus einem Baumembryo und dazu einem Vorrat an Nährstoffen.
Statt Blättern besitzen Tannenzapfen Schuppen, die spiralförmig um eine zentrale Achse angeordnet sind, sodass keine Schuppe unmittelbar auf die andere zu liegen kommt. Außerdem lässt sich die ganze Anlage mit Wachs und Harz versiegeln. So kann der Baum das Wasser im Frühling abfließen lassen, im Sommer bei Dürre dagegen aufbewahren und im Herbst kann er abwarten, bis die Bedingungen für das Verbreiten der Samen geeignet sind. Die unten an den kleinen Zweigen sitzenden männlichen Zapfen sind die Pollenzapfen. Sie sind kleiner als die Samenzapfen und entwickeln sich auch langsamer. Fast das ganze erste Jahr und den Winter hindurch bleiben sie in Knospenschuppen eingeschlossen, während ihre Zellen sich in aller Ruhe teilen, um fünfzellige Körner zu bilden, die dann im Februar in jedem der Pollensäcke allmählich zur Reife kommen. Die Zapfen öffnen sich, kurz bevor im Frühling der Pollen freigesetzt werden soll. Sie sind Pollenspender im Wartestand wie Drohnen in einem Bienenstock, augenscheinlich vor sich hindösend, bis man ihnen befiehlt, das Weibchen zu bedienen und dann zu sterben, was nach Erfüllung ihrer Pflicht auch geschieht. Jeder männliche Zapfen besteht aus einer zentralen Achse und Schuppen; am Fuß einer jeden Schuppe sitzen zwei Pollensäcke. Die männlichen Zapfen sind reichlicher auf den unteren Zweigen vorhanden, die Samenzapfen befinden sich weiter oben. Wenn dann im April von männlichen Zapfen Pollen freigesetzt wird, ist es weniger wahrscheinlich, dass er die Samenzapfen auf dem gleichen Baum befruchtet. Vielmehr wird der Wind den Pollen aufnehmen und zu den weiblichen Zapfen eines Nachbarbaumes hinüberwehen.
Die weiblichen Zapfen sind viel komplizierter als die männlichen. Ihr Wachstum, das im Februar beginnt, ergibt sich aus der Verlängerung der zentralen Achse ebenso wie aus der Vergrößerung der Knospenschuppen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Zapfen horizontal am Zweig angeordnet. Da aber in der unteren Hälfte des Zapfens, wo sich mehr Auxine ansammeln, das Wachstum schneller voranschreitet, werden sich die Zap-fen nach oben biegen und dann im April, wenn die Knospen aufbrechen, senkrecht stehen. Am Fuß eines jeden Tragblatts befindet sich eine Schuppe, und am Fuß jeder Schuppe sind zwei Samenanlagen angebracht. An dem zur Zentralachse zeigenden Ende der Samenanlage gibt es eine winzig kleine Öffnung, die Mikropyle, durch die später die junge Wurzel heraustreten wird. Bald werden Pollenkörner aus dem männlichen Zapfen durch diese Öffnung hereinkommen und die Reise zur Befruchtung antreten.
Die männlichen Zapfen beginnen, sich im März zu vergrößern, wenn die Pollenkörner voll ausgebildet sind. Während ihre Achsen sich verlängern, schiebt das neue Wachstum die Knospenschuppen auf. Wenn dann die Knospen im April aufbrechen, wird der Pollen aus den abgelösten Säcken freigesetzt. Die Luft ist vom Pollenregen gesättigt. Die weiblichen Zapfen, die jetzt aufrecht auf den Zweigen stehen, die Tragblätter weit aufgespannt wie lauter winzige geöffnete Schirme, befinden sich in perfekter Position, um die Schwaden staubähnlicher Pollenkörner zu empfangen, die der Wind zu ihnen herüberträgt.
Bestäubung durch Wind ist ein ebenso verwegenes wie ungewisses Abenteuer und wird bei Pflanzen als ziemlich primitiv angesehen, weil es keine Möglichkeit gibt zu beeinflussen, wo der Pollen landet. Wird die Bestäubung dagegen durch ein Insekt ausgeführt, gibt es eine realistische Wahrscheinlichkeit, dass der an einem Insekt klebende Pollen den Weg zu einer weiteren Blüte der gleichen Art finden wird. Viele Arten entwickeln sogar eigens für diesen Zweck Blüten, die ganz bestimmte Insekten anziehen. Koniferen haben allerdings ihre Bestäubungsmethoden entwickelt, bevor es fliegende Insekten gab. Die bedecktsamigen Pflanzen oder Angiospermen entwickelten sich erst in der Kreidezeit, die vor 65 Millionen Jahren zu Ende ging. Zu der Zeit hat es die Nacktsamer – Koniferen, Palmfarne und Ginkgos – bereits seit mindestens 300 Millionen Jahren gegeben.
Im Perm, als Bäume sich von Farnen zu unterscheiden begannen, standen, was die Verbreitung von Pollen betrifft, nicht viele Mechanismen zur Auswahl. Es gab Wasser, aber das war unten auf dem Boden. Es gab Landtiere, aber auch sie konnten den Boden nicht verlassen. Die Geschlechtsorgane der Bäume befanden sich aber hoch oben in der Luft und was sonst gab es außer dem Wind, der die Pollenkörner des Baumes forttragen konnte, irgendwohin oder nirgendwohin? Erfolgreich waren solche Bäume, die ihre Pollenkörner klein und voneinander getrennt produzierten, sodass sie auf der leichtesten Brise dahinschweben konnten, und die zudem Pollenkörner in derart großer Zahl verteilten, dass die Chance, eins von ihnen könnte auf den weiblichen Zapfen eines anderen Baumes fallen, signifikant größer als null war. Windbestäubte Pflanzen produzieren im Allgemeinen astronomische Mengen an Pollen. Sie füllen die Luft mit feinem Nebel und legen sich auf die Oberfläche der Bergseen. Blühende Bäume wie Birke und Haselnussstrauch, die sich ebenfalls auf den Wind verlassen, produzieren bis zu fünf Millionen Pollenkörner pro Kätzchen und an jedem Baum finden sich Tausende solcher Kätzchen. Das ist Sex nach der Schrotflintenmethode, aber es scheint zu funktionieren.
Auf jeden Fall ist es besser als Selbstbestäubung, eine Option, die einige spätere Pflanzen gewählt haben, so zum Beispiel die meisten der heutigen einjährigen Unkräuter. Darwin merkte an, dass »die Natur (…) andauernde Selbstbestäubung verabscheut«, vielleicht weil er erkannte, dass Selbstbestäubung im Lauf der Zeit die Art schwächt, so wie Inzucht bei Tieren. Die Abscheu gegenüber Selbstbestäubung war nicht einfach nur eine seltsame viktorianische Vorstellung. In den meisten menschlichen Kulturen hat es Tabus gegen Inzucht gegeben, insbesondere gegen Inzest ersten Grades zwischen Bruder und Schwester oder Eltern und Kindern. Manche Kulturen – zum Beispiel die Inuit, bevor sie in Kontakt mit den Europäern kamen – untersagten Ehen zwischen Verwandten bis hinunter zu Cousinen und Cousins sechsten Grades. Mag auch vielen gesellschaftlichen Moralvorstellungen eine glaubhafte wissenschaftliche Erklärung oder Grundlage fehlen – für dieses gesellschaftliche Tabu jedenfalls gibt es eine gute genetische Begründung.

Rötelmaus und Douglasienzapfen
Organismen, die sich geschlechtlich fortpflanzen, weisen in der Regel zwei Chromosomensätze auf; der eine stammt vom männlichen, der andere vom weiblichen Elternteil. Einen solchen Organismus bezeichnet man als diploid; der einzelne Chromosomensatz in jeweils einem Spermium und einem Ei heißt haploid. Jedes Chromosom trägt Hunderte von Genen, die entlang des Chromosoms wie Perlen auf einer Kette aufgereiht sind. Diese Gene finden sich auch auf dem anderen, entsprechenden (homologen) Chromosom. Diejenigen Gene, die auf homologen Chromosomen die gleiche Position innehaben, bezeichnet man als Allele; sie können identisch oder unterschiedlich sein. Es gibt zum Beispiel zwei unterschiedliche Formen eines Gens, das die Farbe von Erbsensamen bestimmt; das eine legt einen gelben Samen fest, das andere einen grünen. In einer beliebigen Erbsenpflanze könnten beide Allele für gelb sein oder für grün, oder eines könnte gelb, das andere grün sein. Eine Pflanze, die ein Gen für gelb und eins für grün trägt, hat gelbe Samen; deshalb sagen wir, das Gen für gelb ist dominant gegenüber dem Gen für grün, und das Gen für grün ist rezessiv gegenüber dem Gen für gelb. Wie andere Tiere trägt auch jeder Mensch rezessive Allele von Genen, die, gäbe es zwei gleiche davon, zu Tod, Missbildung oder anderen Defekten führen würden. Wenn Leute, die nicht verwandt sind, Kinder bekommen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie für irgendein Merkmal die gleichen rezessiven Allele tragen, wohl ziemlich gering. Je enger die Verwandtschaft bei einem Paar ist, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass beide die gleichen rezessiven Allele tragen, und in einer hochinzestuösen Linie schnellen die Chancen astronomisch in die Höhe – bei einigen genetisch vererbten Krankheiten von eins zu 10.000 auf eins zu 20. Über Generationen hin fortgesetzte Inzucht erhöht die Wahrscheinlichkeit zusätzlich. So wird sehr schnell eine Gruppe entstehen, in der es ebenso wahrscheinlich ist, das rezessive Merkmal zu erben, wie ohne dieses auf die Welt zu kommen. Wenn nun diese spezielle ererbte Variation bewirkt, dass Individuen in ihrer Umgebung schlechter überleben können, dann führt sie im Ergebnis zum Aussterben. Wenn sie aber die Fähigkeit erhöht, sich an eine neue oder veränderte Umgebung anzupassen, ist sie ein Gewinn und bietet sogar einen erhöhten Selektionsvorteil. Darwin bemerkte allerdings, dass andauernde Inzucht selten zu vorteilhaften Anpassungen führt.
Es gab eine Zeit, da glaubte man, Organismen, die an eine bestimmte Umgebung besonders gut angepasst waren, würden alle anderen verdrängen und irgendwann solche Gene, die keine hohe Überlebensrate versprachen, ausmerzen – mit anderen Worten, Individuen würden sich im Lauf der Zeit genetisch immer ähnlicher oder homogener. In den 1960er-Jahren, als anspruchsvolle molekulare Verfahren entwickelt wurden, sahen sich Genetiker die Produkte bestimmter Gene in individuellen Organismen – zum Beispiel bei der Fruchtfliege – genauer an, in der Erwartung, die meisten ihrer Gene seien homogen. Zu ihrer Überraschung erwies sich das Gegenteil als richtig; bei der Untersuchung spezieller Gene fand man eine Fülle unterschiedlicher alleler Formen. Diese Diversität nennt man heute genetischen Polymorphismus; sie ist inzwischen der Inbegriff einer gesunden, gut angepassten Art geworden. Wenn Populationen von Organismen, wie zum Beispiel Bengalische Tiger oder Pandas, auf eine kleine Zahl von Individuen reduziert sind, dann verfügen sie nicht mehr über ausreichend genetische Diversität, um die Gesundheit der Art sicherzustellen. Irgendwann sind alle Mitglieder der Art untereinander genetisch verwandt; dann bedeutet jede Vermehrung zugleich Inzucht.
Wenn Arten mit einer großen Zahl an Individuen in einem begrenzten Gebiet konzentriert sind, auf einer Insel etwa oder in einer sehr kleinen ökologischen Nische, mag es wenig eingängig erscheinen, genetischen Polymorphismus aufrechtzuerhalten. Warum eine Auswahl in Richtung großer Vielfalt betreiben, anstatt sich auf die beste Allel-Kombination für eine bestimmte Umgebung zu konzentrieren? Würden Umweltbedingungen sich niemals ändern, könnte das funktionieren. Legt man aber geologische Zeitmaßstäbe an, dann ist Veränderung die Norm. Heute ist die Sonne um fast 30 Prozent wärmer als damals, als das erste Leben entstand. Bergketten sind aufgetaucht und wurden wieder abgetragen. Meere haben sich gefüllt und geleert. Eiszeiten sind gekommen und gegangen. Während der ganzen Zeit aber hat das Leben überlebt und war sogar erfolgreich. Genetischer Polymorphismus stellt sicher, dass es innerhalb einer bestimmten Art immer einen heterogenen Genpool gibt, der eine Vielfalt von Kombinationen liefert. Manche davon passen vielleicht besser zu den sich wandelnden Bedingungen als die der Eltern.
Diversität bietet Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Die Natur ist offenbar auf einer Reihe von ineinander verschachtelten Variationsmöglichkeiten aufgebaut. Es gibt die Gendiversität des Individuums innerhalb jeder Art, es gibt viele unterschiedliche Arten innerhalb der Habitate, eine Vielfalt der Habitate innerhalb der Ökosysteme und ein weites Spektrum unterschiedlicher Ökosysteme rund um den Planeten. So sieht die Diversität aus, die dem Leben innerhalb der Biosphäre seine Widerstandskraft gegeben hat. Wie der Anthropologe Wade Davis hervorhebt, gibt es noch eine andere Sphäre, in der Diversität ebenfalls große Bedeutung hat für das Überleben durch Anpassung: die Sphäre des Menschen. Menschliche Kulturen auf der ganzen Welt – von den Inuit in der Arktis bis zu den Kayapo im Amazonasbecken, den Aborigines in Australien und den !San in der Kalahari Wüste – haben allesamt über Hunderte von Generationen Wissen angesammelt, das sie in die Lage versetzt hat, innerhalb einer erstaunlich großen Bandbreite unterschiedlicher Umweltbedingungen zu gedeihen. In jedem Fall ist die Grundlage dieses Wissens tief im Verständnis für den Ort verwurzelt, den wir Heimat nennen könnten. Nimmt man alle diese Kulturen zusammen, ergibt das darin enthaltene Wissen die »Ethnosphäre«, also die Summe all der Arten und Weisen, wie Menschen sich die Welt vorgestellt haben, wie sie funktioniert und wo unser Platz darin ist. Genau so wie alle Ebenen biologischer Diversität in der Biosphäre für die Fortexistenz des Lebens auf der Erde unverzichtbar sind, so sichert die Diversität innerhalb der Ethnosphäre einen fortdauernden Korpus gemeinsamen Wissens, der entscheidend dazu beigetragen hat, dass unsere Art in einer überraschend großen Vielfalt von Ökosystemen überleben konnte.
Monokultur, also die Verbreitung einer einzigen Art oder eines genetischen Stammes über ein großes Gebiet unter Ausschluss anderer Stämme oder Arten, stellt die Antithese zur Diversität dar und macht eine Art oder ein Ökosystem anfällig gegenüber veränderten Klimabedingungen, Räubern, Schädlingen oder Krankheiten. Das haben wir aus unseren Erfahrungen im Bereich Landwirtschaft, Fischerei und Forstwirtschaft gelernt und dafür teures Lehrgeld bezahlt. Ein Douglasienwald kann nicht gepflanzt werden, indem man Individuen auswählt oder im Labor nach Gesichtspunkten wie Wachstumsrate, Größe und Holzqualität genetisch manipuliert, ohne dabei die Umgebung der Bäume zu berücksichtigen und auch die anderen Arten, mit denen sie sich gemeinsam entwickelt haben. Der Biologe E. O. Wilson sieht in nicht allzu ferner Zukunft eine Zeit kommen, in der alle erntefähigen Bäume auf »Baumfarmen« angepflanzt werden, genauso wie der gesamte Lachs für den menschlichen Verzehr aus Fischfarmen stammen wird, Hühnchen aus Geflügelfarmen und so weiter. Der sich daraus ergebende Verlust an genetischem Polymorphismus und Artenvielfalt wird die gesamte genetische Struktur des Planeten gegenüber unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Kräften anfällig machen. Es war schon einmal fast so weit, als in den 1970er-Jahren überall in den südlichen Vereinigten Staaten riesige Flächen einer kommerziellen Variante von hybridem Mais angebaut wurden. Auf einmal trat eine durch Mutation entstandene Pilzkrankheit auf und vernichtete innerhalb von Monaten Hunderttausende von Hektar.
Samenverbreitung durch Wind mag primitiv sein, sie macht es aber immerhin möglich, den genetischen Polymorphismus aufrechtzuerhalten. Außerdem hat sie gewisse Vorteile gegenüber einigen anderen Methoden, etwa gegenüber der Verbreitung durch Säugetiere oder Vögel. Zum Ersten gibt es über einem Wald fast immer Wind. Auf höheren Erhebungen, wo das Wetter im Frühling meist kühl und feucht ist, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass im April wenig Säugetiere oder Vögel unterwegs sind, als dass kein Wind weht. Ein zweiter Vorteil besteht darin, dass der Baum keine große Energie dafür verschwenden muss, seine Geschlechtsorgane für bestäubende Insekten attraktiv zu machen. Die ausladende prächtige Zurschaustellung auf Blütenpflanzen ist aufwendig in der Herstellung und benötigt Energie beim Unterhalt. Ein Zapfen ist ein Organ, das vergleichsweise wenig Unterhalt braucht. Er hält länger als eine Blüte, weil er aus haltbareren Materialien gemacht ist. Und dann muss er auch nicht ständig mit zuckriger Belohnung für die Insekten, die zu Besuch kommen, aufgefüllt werden. Ein dritter Vorteil ist die Entfernung. Man hat durch Wind übertragenen Pollen bis zu 5.000 Kilometer entfernt von der nächstmöglichen als Produzent in Frage kommenden Pflanze gefunden, also viel weiter weg, als eine Biene, ein Moskito oder ein vorbeilaufendes Tier ihn je tragen könnte. Diese Art der Verbreitung erhöht die genetische Diversität ebenso wie die Chance, dass weibliche Zapfen selbst auf den allereinsamsten Tannen bestäubt werden und Samen hervorbringen. Es sollte auch allen Befürwortern genetisch manipulierter Organismen als Warnung dienen, die behaupten, die Pollenverbreitung könne bei derartigem Getreide auf ein bestimmtes Gebiet begrenzt werden.
Die Pollenkörner der Douglasien sind noch dichter mit gespeicherten Nährstoffen bepackt als die der meisten anderen Koniferen. Weil sie größer und schwerer sind, verbreiten sie sich nicht ganz so weit; in einem Wald, der überwiegend aus Douglasien besteht, ist das aber auch gar nicht nötig. Forscher, die einige Kilometer von der nächsten Douglasie entfernt die Pollenkörner auf der Erde zählten, fanden durchschnittlich 123 Körner pro Quadratzentimeter. In einer Entfernung von einem dreiviertel Kilometer stieg die Zahl auf 320 Körner pro Quadratzentimeter. Und unmittelbar unter einer Douglasie waren es 800 Körner pro Quadratzentimeter. Nach ihren Erkenntnissen erzielte die Windbestäubung den besten Erfolg in einer Entfernung von bis zum Zehnfachen der Höhe des Baumes, was im Falle unseres Baumes bedeutet, dass sein Pollen bei der Bestäubung von Bäumen im Umkreis von 100 Metern am erfolgreichsten ist. Dieses Gebiet umfasst die meisten Bäume innerhalb der ehemaligen Brandstelle und dazu noch ein paar ältere Bäume an deren Rand.
Pflanzen in der Renaissance
Am Ausgang des Mittelalters, als unser Baum in sein 15. Lebensjahr trat, begann die Welt ganz allgemein Pflanzen bewusster wahrzunehmen. In der Architektur wurden Steinbögen in größeren Gebäuden durch Holzbalken ersetzt, wie etwa in Kathedralen, wo halbkreisförmige Zentrierungen aus Holz es nun erlaubten, über Kirchenschiffen ohne Stützen hohe Gewölbedecken zu bauen. Bei der Kleidung bekamen Wolle und Leder Konkurrenz durch leichtere, billigere und elegantere Materialien, die aus Pflanzen hergestellt wurden. Als Kolumbus 1492 auf den Westindischen Inseln ankam, boten ihm die Taino kein Gold zum Tausch an, sondern Früchte, Gemüse und Baumwollgarn in Strängen. Dies war einer der Gründe, warum er glaubte, er sei in Ostindien gelandet. Sechs Jahre später kehrte Vasco da Gama von seiner Indienreise mit Ballen gesponnener Baumwolle aus Kalikut zurück. In den folgenden zwei Jahrhunderten wurden viele Entdeckungsreisen auch durch den Bedarf an neuen Bezugsquellen für Baumwollgarne angeregt. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts hatte dann Leinenpapier, nachdem seine Haltbarkeit erwiesen war, Velin oder auch Pergament bei der Buchproduktion mehr oder weniger abgelöst. Leinenpapier wurde aus Flachs hergestellt und aus China (wo man es schon seit dem ersten Jahrhundert verwendete) nach Europa importiert. Gerade in diesem Bereich wirkten Pflanzen am stärksten auf die neue gesellschaftliche Ordnung ein, weil sie die rasche Ausbreitung des Buchdrucks ermöglichten.
Als Johannes Gutenberg in Mainz zwischen 1447 und 1455 die Druckerpresse erfand, konnten Bücher schnell und billig gedruckt werden, weil Leinenpapier bereits zur Verfügung stand. Für eine einzige Kopie einer Gutenberg-Bibel, wäre sie von einem Mönch von Hand auf Pergament geschrieben worden, anstatt auf Leinenpapier gedruckt, hätte man 20 Jahre Zeit und die Häute von 200 Schafen gebraucht.
Gutenbergs Genie bestand darin, aus der ungeheuren Nachfrage nach Texten Kapital zu schlagen. Was die Nachfrage in die Höhe trieb, waren die steigenden Immatrikulationszahlen an den Universitäten. Diese wiederum waren auf die Neuentdeckung der Texte der alten Griechen und der arabischen Naturphilosophen zurückzuführen. Gutenbergs Erfindung ebnete den Weg für die Massenproduktion von Büchern. Die Druckerpressen spuckten neue Ausgaben von Aristoteles, Euklid, Dioscuorides und Theophrast aus; so wurde es nicht nur möglich, sondern geradezu unvermeidlich, dass man Bedeutung, aber auch Schwächen dieser klassischen Autoren nun umfassender diskutierte. Lesen und bald auch Bildung wurde die Leidenschaft der Massen und war nicht länger allein ein Zeitvertreib der Reichen. Der neue Wissensdurst spiegelte sich in der außergewöhnlichen Geschwindigkeit wider, mit der sich der Buchdruck durch Europa verbreitete. Bereits 50 Jahre nach der Gutenberg-Bibel gab es Druckerpressen in 60 deutschen Städten, dazu weitere in Italien, Spanien, Ungarn, Dänemark, Schweden und England und alle waren fleißig dabei, Bücher für den öffentlichen Gebrauch zu produzieren. Man schätzt, dass am Ende des 15. Jahrhunderts bereits mehr als 20 Millionen Exemplare gedruckt waren. Geht man von einer durchschnittlichen Druckauflage von weniger als 500 Exemplaren aus, dann wurden dem einfachen Leser mehr als 40.000 Titel in die begierigen Hände gelegt.
Ein beträchtlicher Teil dieser neuen Titel befasste sich mit Pflanzen. Der lateinische Herbarius wurde 1484 gedruckt, 1485 gefolgt vom deutschen Herbarius, und obwohl beide Bücher Kompendien von Pflanzenbeschreibungen klassischer Autoren darstellten, meist aus der Feder des Dioscuorides, wurden diese doch erstmals durch Beschreibungen von Pflanzen ergänzt, die man vor Ort gefunden hatte. Die von der Wissenschaft erforschten Pflanzen nahmen an Zahl schnell und dramatisch zu, insbesondere nachdem Kolumbus aus der Neuen Welt zurückkehrte mit Exemplaren im Gepäck, die mit dem, was die Griechen oder selbst Marco Polo beschrieben hatten, keinerlei Ähnlichkeit aufwiesen. Die Flut von neuen Pflanzen hatte auf die Botanik des 15. Jahrhunderts eine ähnliche Wirkung wie die Erfindung des Teleskops auf die Astronomie des 16. Jahrhunderts. Die Augen wurden geöffnet. Zwangsläufig ergab sich eine neue Weltsicht; man schaute nicht mehr ständig über die Schulter zurück in die Vergangenheit, sondern wandte den Kopf nach vorne, um mit größerer Gewissheit die Gegenwart zu betrachten und sogar einen Blick in die Zukunft zu tun.
Am 10. Mai 1534 erreichten die zwei Schiffe von Jacques Cartier »das neu gefundene Land«. Im Lauf der folgenden Wochen, während er im Sankt-Lorenz-Golf segelte, traf Cartier auf zahlreiche kleine, von seltsamen Pflanzen, Tieren und Vögeln bevölkerte Inseln. Das Land, berichtete er, war überwiegend unfruchtbar, »man sollte es nicht neues Land nennen, sondern eher Felsen, wilden Bewuchs und einen Platz für wilde Tiere, denn auf der ganzen Nördlichen Insel sah ich nicht eine einzige Wagenladung voll guter Erde.« Auf einer Insel, die er »White Sands« nannte, sah er »nichts als Moos und hier und da ein paar Dornbüsche, verwelkt und trocken.« Eine Inselgruppe jedoch, auf der sie landeten, um Wasser und Holz aufzunehmen, war fruchtbar genug, um Vegetation hervorzubringen, und Cartier hatte sein Vergnügen daran, die Üppigkeit der Inseln zu beschreiben. »Sie haben den besten Boden, den wir je gesehen haben, sodass also eines der Felder hier mehr wert ist als das ganze neue Land zusammen. Wir fanden prächtige Bäume vor, Wiesen, Landstriche voller wilder Erbsenblüten, so dicht, üppig und schön, wie nur irgendwo in Britannien, sodass es aussieht, als habe man gepflügt und gesät. Es gab auch eine Fülle von Stachelbeeren, Erdbeeren, Damaszenerrosen, Petersilie und weitere sehr liebliche und angenehme Kräuter obendrein.« Schade, dass Cartier keinen Botaniker an Bord hatte, wie das dann bei späteren Expeditionen der Fall war. Seine »wilden Erbsen« können jedes beliebige einheimische Mitglied der Familie der Leguminosae gewesen sein, von der Strand-Platterbse (Lathyrus japonicus) bis zur Purpur-Wicke (Vica americana), und waren in Britannien mit Sicherheit unbekannt. Und welches von dem Dutzend Mitgliedern der Rosenfamilie er auch sah, eine Damaszenerrose kann es auf keinen Fall gewesen sein.
Neue Pflanzen brauchen neue Namen. Diese wurden jetzt zunehmend in der Landessprache vergeben und nicht mehr in Griechisch oder Latein. Die Pflanzen wurden von sachkundigen Kräuterkennern und Amateurbotanikern – einem neuen Menschenschlag – gezeichnet und beschrieben. Ein solcher war der deutsche Botaniker Jerome Hieronymus Bock, dessen 1539 veröffentlichtes Neu Kreütterbuch ein Verzeichnis der Pflanzen darstellte, welche Bock auf seinen Exkursionen untersuchte und mit deutschen Namen versah. Die 700 Pflanzen, die er beschrieb und illustrierte, teilte er in die drei Kategorien des Theophrast ein – Kräuter, Sträucher und Bäume. Er beschrieb aber auch ihre besonderen physischen Eigenschaften wie Höhe, Blattwerk, Art des Wurzelsystems und Blütezeit und ordnete sie nicht nach alphabetischen oder medizinischen Gesichtspunkten, sondern nach Ähnlichkeit von Form, Aussehen der Blumenkrone, Farbe sowie Ausbildung der Samenkapseln. Es war so etwas wie ein frühes Was blüht denn da? und brachte Bock den Titel eines Vaters der deutschen Botanik ein.
Das wachsende Interesse an exotischen Pflanzen führte wiederum zu einem anderen neuen Phänomen, dem öffentlichen Botanischen Garten. Schon seit langem hatten Klöster, Konvente, Universitäten und Königshäuser private Heilkräutergärten unterhalten, von Mauern eingefriedete Anlagen oder sogar umfangreiche Anpflanzungen. Dort wurden Pflanzen für die Ernährung oder wegen ihrer medizinischen Bedeutung gezogen, sie wurden erforscht und zu Demonstrationszwecken in Vorlesungen benutzt. Oder man unterhielt die Gärten ganz einfach als schöne, der Gesundheit zuträgliche Aufenthaltsorte, wohin sich die privilegierte Schicht, ermüdet durch das Leben in den zunehmend überfüllten und pestgeplagten Städten, zurückziehen konnte. Die neuen Botanischen Gärten stellten Pflanzen aus der ganzen Welt zur Schau; dabei ging es nicht nur um die Nützlichkeit der Pflanzen, sondern auch um ihre Schönheit und das wissenschaftliche Interesse, das sie erweckten. Mit dem Bau des berühmten Boboli-Gartens in Florenz begann man im Jahr 1550, als Cosimo I de’ Medici den Palazzo Pitti kaufte und erweiterte. Von Niccolò Pericoli entworfen, umfasste der Garten 320 Hektar mit den üppigsten und exotischsten Pflanzen der damals bekannten Welt, gestaltet zur alleinigen Freude der Familie Medici. Zu diesem Zeitpunkt war in Padua schon der erste öffentliche Botanische Garten eröffnet worden. Das geschah im Jahr 1545, unter der Leitung von Luigi Anguillara. Im Jahr 1567 wurden die Botanischen Gärten von Bologna angelegt, und zwar von Ullise Aldrovandi, der in seine Vorlesungen zur Naturgeschichte an der Universität Bologna als erster Professor auch Pflanzen einbezog, die keinen bekannten medizinischen Wert hatten und daher einfach deshalb wertgeschätzt wurden, weil es sie gab.
Der vielleicht einflussreichste Botaniker seiner Zeit war der Italiener Prospero Alpini, der 1553 geboren wurde und folglich fast zeitgleich mit Shakespeare lebte. Er studierte Medizin an der Universität von Padua und kannte die dortigen botanischen Gärten sehr genau. Später reiste er nach Ägypten, lebte drei Jahre in Kairo und kehrte dann auf die Universität von Venedig zurück, um dort ein lettore dei semplici, ein Lehrender für Heilpflanzenkunde, zu werden. Sein 1592 veröffentlichtes Werk De Plantis Aegypti stellte seinen neugierigen Lesern eine Unzahl von exotischen Pflanzen vor. Darunter waren viele, die die Zukunft des europäischen Handels stark beeinflussen sollten, wie zum Beispiel die Bananenstaude (Musa sapientum) und der Kaffeestrauch (Coffea arabica). Der Kaffee und die Bananen, die heute in Südamerika in so großen Mengen angebaut werden, stammen beide von Stauden und Sträuchern, die dort ursprünglich von europäischen Kaufleuten gepflanzt wurden. Und die hatten sie aus Afrika mitgebracht. Obwohl er den genauen Mechanismus noch nicht kannte, kam auch Alpini zu dem Schluss, dass die Befruchtung eines Baumes, in diesem Fall der Dattelpalme (Phoenix dactylifera), ein geschlechtlicher Vorgang war. Damit bekräftigte er die Glaubensvorstellungen der Assyrer, die 4.000 Jahre früher aufwendige Rituale zelebrierten, worin Priester an Dattelpalmen Fremdbestäubung vornahmen. Über Jahrhunderte hatten Gärtner Pflanzen immer bestäubt und fremdbestäubt, das heißt, Sorten miteinander gekreuzt. Alpini aber war einer der ersten Botaniker, der wissen wollte, wie die Bestäubung selbst tatsächlich ablief. Er beschrieb die lichtinduzierte Bewegung der Blätter des Tamarindenbaums (Tamarindus indica), ohne allerdings zu begreifen, dass ihre Bewegung der Bewegung der Sonne folgte – so wie er sich die Sache erklärte, schnappten die Blätter vielleicht nach Luft. Sein Interesse für Pflanzen war weder ein mystisches noch ein akademisches. Er betrachtete sie mit Staunen und Neugier, das heißt eher mit den Augen eines Wissenschaftlers als eines Magiers oder Kräuterkenners. Beide, Alpini wie Shakespeare, starben im Jahr 1616. In dem Augenblick, als jener andere Prospero, der Held aus Shakespeares letztem Stück, Der Sturm, sein Zauberbuch endgültig zur Seite legte, war das Ende des magischen Zeitalters gekommen.
Eine Welt aus Farnen
Die Fächer feingliedriger Schwertfarne (Polystichum scopulinum) wachsen immer noch am Fuß unseres Baumes, obwohl der Salamander längst weitergezogen ist. Es ist etwas Archaisches um die Farne; ihre Schönheit ist eine mathematische, wie die der Schneeflocken oder Kristalle. Sie sehen aus wie eine Pflanze, die ein auf die Veranschaulichung der Chaostheorie programmierter Computer entworfen hat. Sie haben die gleiche Grundstruktur wie unser Baum, aber nur in zwei Dimensionen. Während die Äste eines Baumes vom zentralen Stamm aus sternförmig in alle Richtungen wachsen, sind die Wedel des Schwertfarns paarweise aufgebaut und flach, wie der Schatten eines Baumes. Wie alle Farne ist der Schwertfarn eine filigrane, elegante Pflanze. Aus dem Wirbel erhebt sich jedes Blatt bis zu einer Höhe von eineinhalb Metern, wobei sich 30 Zentimeter lange blassgrüne Finger wie Messerklingen von der Achse abspreizen. Diese sind beidseitig gleichmäßig angeordnet und verjüngen sich zur Spitze hin im klassischen Muster. Direkt über dem in der Erde verborgenen, schwertgriffähnlichen Wurzelstock ist der Fuß des Farns mit knusprigen, harten, braunen Schuppen bedeckt.
In fast jedem Habitat auf der Erde wachsen Farne in reichem Maße. Der Schwertfarn gehört zu der Dutzende von Mitgliedern umfassenden Gruppe – auch Schachtelhalm und Bärlapp zählen dazu –, die im Unterholz des Douglasienwaldes zu Hause ist. Dort weist das Vorkommen von Farnen und Salamandern auf ein gesundes Ökosystem hin. Der Rippenfarn (Blechnum spicant), als einziges Mitglied seiner tropischen Gattung in Nordamerika zu finden, ähnelt dem Schwertfarn, ist aber kürzer und seine Wedel wachsen flächiger, weniger aufgeteilt, eher wie die Schneide eines Rasenmähers als ein Stoß Messerklingen. Er wächst in sumpfigen Gebieten, wo der Riesen-Lebensbaum eher heimisch ist. Schwertfarne wie Rippenfarne sind immergrün; der Eichenfarn (Gymnocarpium dryopteris) dagegen wirft im Herbst seine dreiköpfigen Wedel ab; er bevorzugt die sauren Böden, wie man sie auf Abhängen und Felsplatten findet. Der Lakritz-Farn (Polypodium glycyrrhiza) ist ein Epiphyt; er wächst auf den moosigen Stämmen des Großblättrigen Ahorns.
Farne sehen wie primitive Bäume aus – weil sie genau das sind. Als Meerespflanzen, die Meeresalgen, sich aufs Land bewegten, entwickelten sie sich zu Bryophyten (Lebermoos und anderen Moosen); als dann der Wettlauf ums Licht heftiger wurde, erhoben sie sich höher vom Boden und wurden Pteridophyten (also Pflanzen mit Wurzeln, Stängeln und Blättern, aber ohne Blüten oder Samen). Schachtelhalme waren am erfolgreichsten; zu den unterschiedlichen Arten in unseren Wäldern gehören Acker-Schachtelhalm, Teich-Schachtelhalm, Glatter Schachtelhalm und die unterschiedlichen Winter-Schachtelhalme. Diese heißen im Amerikanischen scouringrush, also Scheuerbinsen, weil sie wie Flaschenbürsten aussehen. Sie wurden auch tatsächlich in gemahlenem Zustand von Ureinwohnern zum Scheuern von Küchengeräten benutzt. Zur Versteifung enthalten ihre Stängel Kieselerde und Zellulose.
Schachtelhalmblätter ähneln eher abgewandelten Knospenschuppen. Ihre Stängel sind hohl und gegliedert, etwa wie Bambus, und beinhart; sie schieben ohne Weiteres Betonplatten beiseite und wachsen durch Asphalt.
Viele Millionen Jahre lang beherrschten Farne, Schachtelhalme und Bärlapp die Pflanzenwelt. Ihren Höhepunkt erreichten sie im Karbon; da hatten sie Stämme so dick wie Bäume und legten mit ihren riesigen Wedeln Schatten über die sumpfigen Landmassen. Am Ende des Karbons jedoch, als das Klima zunehmend trockener wurde, starben die Farne massenweise ab. Die riesigen Kohle- und Erdölvorräte aus dem Karbon, die wir seit zwei Jahrhunderten ausbeuten, bestehen zur Gänze aus fossilen Pteridophyten. Bärlapp ist heute eine winzige Pflanze. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde jedoch in England im Kohleflöz von Bensham ein fossiler Bärlapp aus dem Karbon freigelegt, der eine derart erstaunliche Größe hatte, dass die Bergwerksleitung Wissenschaftler für eine Untersuchung hinzuzog. Unterhalb der Stelle, wo die Äste begannen, war der Stamm zwölf Meter lang und am Fuß einen Meter breit. Niemand hatte so etwas je gesehen und auch bis heute gibt es nur wenige derartige Fälle. Man brach ihn auseinander und verkaufte ihn als Kohle – vielleicht hat der Bärlapp sogar die Lokomotive des Zuges beheizt, der die Wissenschaftler zurück nach Oxford brachte –, aber die Sache war nun ein für allemal geklärt. Die Wärmeenergie, die mit jedem Stück Kohle, das verbrennt, freigesetzt wird, hat vor 300 Millionen Jahren ein Pteridophyt aus Sonnenlicht gewonnen und gespeichert.
Farne sind Kryptogame (nach den griechischen Wörtern für »heimlich« und »Hochzeit«); sie vermehren sich mittels Sporen, die als Fortpflanzungsmethode gegenüber der Zellteilung eine erste Verbesserung waren. Sporen scheinen eine Art Übergangsphase zwischen Zellteilung und offenkundigem Sex zu sein. Farne reproduzieren sich durch Generationswechsel, ein Phänomen, das erstmals von dem deutschen Botaniker Wilhelm Hofmeister im Jahr 1851 beschrieben wurde. Dessen Interesse an Zellteilung und Pollenbildung kam vielleicht daher, dass er unter starker Kurzsichtigkeit litt; mit Vorliebe betrachtete er alles aus nächster Nähe. Er erwarb Erfahrung im Umgang mit einem Präpariermikroskop und war der erste Botaniker, der Chromosomen innerhalb eines Zellkerns betrachtete, obwohl er keine Ahnung hatte, worum es sich bei diesen Strukturen handelte.
Der reife Farn verbreitet Tausende von Sporen. Diejenigen, die auf feuchten, schattigen Boden fallen, fangen sofort an zu wachsen, aber nicht in einer Form, die als Farn erkennbar wäre; sie entwickeln sich zu niedrigen, flachen Pflanzen, sogenannten Gametophyten, von nur ein paar Zentimetern Durchmesser. An der Unterseite der Blätter tragen sie Organe, die keine Sporen, sondern normale pflanzliche Geschlechtsorgane produzieren – männliche Antheridien und weibliche Archegonien –, die eher so aussehen wie die, die man heute bei Koniferen findet. Diese »verborgenen« Geschlechtsorgane »vermählen sich«, um einen Samen zu produzieren, der sich nach der Befruchtung zu einem Farn auswächst. Diese komplizierte und indirekte Methode der Reproduktion ist vielleicht mit dem Ziel entstanden, der Pflanzenfamilie eine Rückfallposition zu sichern, falls sich die klimatischen Bedingungen plötzlich zuungunsten einer der beiden Strategien, nämlich Sporenproduktion oder Samenverbreitung, verändern sollten.

Douglasienwald
Obwohl sich am Ende des Karbons die klimatischen Bedingungen tatsächlich drastisch veränderten und die ganz großen Pflanzen ausstarben, hat sich die Linie der Farnfamilie praktisch ununterbrochen bis heute fortgesetzt. Deshalb haben wir heute so viele Farne. Weltweit gibt es über 20.000 Arten, darunter zumindest ein lebendes Fossil, den Ackerschachtelhalm. Er ist kleiner als seine monströsen Vorfahren, zählt aber zu denen seiner Art, die am weitesten verbreitet sind. Einige heutige Farne sind gar nicht so klein: Die schönen Farnbäume der Tropen erreichen oft eine Höhe von 30 Metern oder mehr und der Riesenschachtelhalm (Equisetum giganteum) wächst bis auf zehn Meter heran. Die meisten jedoch bleiben unter einem Meter und sind damit zur der Größe zurückgekehrt, die ihre Ahnen vor dem Karbon besaßen. Pilze vermehren sich immer noch ausschließlich über Sporen; Gymnospermen wie unser Baum, die alle von Farnen abstammen, wählten aber den Weg der Reproduktion über Samen. Hofmeister führte den schlüssigen Beweis, dass Koniferen das evolutionäre Bindeglied zwischen Farnen und Bedecktsamern darstellten.
Gymnosperm bedeutet »nackter Samen«, von griechisch gymnoso, »nackt« (griechische Athleten traten im Gymnasium nackt auf), und sperma, »Samen«. (Pottwale werden im Englischen sperm whale genannt, weil man früher einmal glaubte, die weiße, fettige Substanz im Kopf des Wales sei Sperma). In den Gymnospermen liegen die Samenanlagen, innerhalb derer sich die Samen entwickeln, offen auf den Zapfenschuppen und sind nicht durch schützende Fruchtblätter bedeckt wie bei den Bedecktsamern oder Angiospermen (»eingeschlossene Samen«), die später kamen. Die samenproduzierenden Organe der Koniferen werden nach wie vor Sporophyten genannt, ein Begriff, der noch auf die sporenproduzierenden Organe der Farne zurückgeht. Bei Schachtelhalmen und Bärlapp wiederum sind die Sporen in Strobili aufbewahrt, was auf Lateinisch »Zapfen« bedeutet.
Gymnospermen entwickelten sich aus Farnen weiter, indem sie sich ein Kambium zulegten. Sie verbesserten auch die Festigkeit des Stammes, erhöhten die Menge der versteifenden Substanzen Zellulose und Lignin und füllten die hohle Mitte mit totem Holz. Warum sie das alles taten, darüber kann man nur spekulieren. Die Anpassung war vielleicht eine Reaktion auf das dem Karbon folgende, trockene Klima; eine harte äußere Rinde und eine effizientere Methode des Wassertransports aus den Wurzeln in das Kronendach hoch oben konnten mit Sicherheit als klare evolutionäre Vorteile gelten. Und ausgefeilte Wurzelsysteme zu entwickeln muss sicher ein besserer Weg gewesen sein, als sich beim Sammeln des immer knapper werdenden Grundwassers auf Rhizome zu verlassen. Vielleicht war die Strategie auch eine direkte Folge des Wechsels von Sporen auf Samenproduktion: Als die Samen- und Pollenzapfen größer und schwerer wurden, bedurfte es kräftigerer Stämme, sie zu tragen. Cycadeen (Palmfarne) – palmähnliche tropische Bäume – haben zum Beispiel gigantische Reproduktionsorgane. Während man die Samenanlagen der Douglasie in Millimetern misst, sind sie bei manchen Cycadeen sechs Zentimeter lang und die Zapfen, die sie tragen, können bis zu 45 Kilogramm wiegen. Nicht einmal die baumgleichen Schachtelhalme des Karbons wären in der Lage gewesen, mit ihren schwachen, hohlen Stämmen und ganz ohne Zweige, Hunderte Zapfen von so kolossalem Gewicht aufrecht zu tragen. Die Antwort war Kernholz.
Koniferen haben jedoch die schlanke Gestalt ihrer Vorfahren, der Farne, behalten; die Stämme sind hoch und verjüngen sich nach oben, allerdings ohne mächtig zu sein. Die Douglasie mag riesig aussehen; was die Proportionen betrifft, ist sie im Verhältnis zur Höhe aber einer der schlankesten Bäume auf der ganzen Welt. Die Fahnenstange in den Kew Gardens in England wurde aus einer 371 Jahre alten Douglasie gefertigt; sie maß 82 Meter in der Höhe, war aber am Fuß nur 82 Zentimeter breit. Verkleinert man diese Maße mathematisch, erhält man einen Farnbaum.
Sex im Wald
Der weibliche Samenzapfen der Douglasie bleibt 20 Tage lang, bis gegen Ende April, für die männlichen Pollenkörner aufnahmebereit. Sobald ein Pollenkorn im Samenzapfen die glatte Oberfläche der Tragblätter hinuntergeglitten ist, verstrickt er sich in den kleinen klebrigen Haaren an der Spitze der weiblichen Samenanlage. Zwei Monate lang lebt das Korn in Freuden auf diesem Venushügel, während die Labien der Samenanlage rund herum anschwellen; nach und nach verschlingt die Samenanlage das Korn, das in ihr versinkt wie ein Krocketball in einem weichen seidenen Kissen. Anfang Mai entwickelt sich eine Öffnung und die Samenanlage wird zur Vulva; die klebrigen Haare ziehen sich in den geheimen Eingang hinein zu einem Korridor zusammen, dem MikropylKanal. Das Pollenkorn wird mit hineingezogen und beginnt seinen Aufstieg zum Nucellus der Samenanlage, beziehungsweise zu dem Teil, der den weiblichen Gametophyten umschließt. Bei seiner Reise verlängert sich das Pollenkorn zu einem steifen Stab, dem Pollenschlauch, dessen Wände aus Zellulose und Pektin bestehen. An diesem Punkt keimt das Korn innerhalb des Schlauches und produziert zwei Gameten, also die männlichen Samenzellen; erst dann nimmt der Pollenschlauch mit dem Nucellus Kontakt auf. Die vordere Spitze des Pollenschlauchs trifft auf den Nucellus, stupst ihn sanft an und penetriert ihn schließlich.
Bei Kiefern schwimmt der Pollenschlauch Richtung Nucellus in einer süßen, perlmuttfarbenen Flüssigkeit innerhalb der Samenanlage, einem sogenannten Bestäubungstropfen. Douglasien besitzen aber keine solche Flüssigkeit; der Pollen wird durch eine Art Zusammenklappen wie durch einen Muskel von der Spitze der Narbe zum Nucellus transportiert. In der Küstenzone haben wir allerdings gerade Mai, was Regen bedeutet, und vielleicht gelangt etwas Regenwasser in die Samenanlage. Ist dies der Fall, dann stellt sich der Mechanismus um und funktioniert so ähnlich wie bei den Kiefern. Wasser manövriert das Korn durch den Samenkanal bis zum Nucellus, der dann die Wassermoleküle abtrennt und den gekeimten Pollen empfängt. Jahrtausende hindurch hat sich die Douglasie an die Möglichkeit, dass es beim Aufbrechen der Knospen Regen geben könnte, angepasst und die Bestäubung vollzieht sich mit oder ohne dessen Gleithilfe ohne Probleme.
Nachdem er das Oberflächengewebe des Nucellus durchstoßen hat, ruht der Pollenschlauch bis zu drei Wochen, bevor er seine Reise zum Hals des Archegoniums in der Samenanlage fortsetzt. Er tritt dann in das Archegonium ein und nähert sich dabei immer mehr dem Ei. An diesem Punkt verschmilzt der gesamte Inhalt des Pollenschlauchs – das Zytoplasma, das den Nucleus enthält, die Körperzelle mit den zwei männlichen Gameten und die Stielzelle – in eine Zylinderform und wandert zur vorderen Spitze des Pollenschlauchs. Die Membran, die die Samenzellen vom Zytoplasma trennt, reißt und die Zellen ergießen sich aus dem Pollenschlauch, um sich mit dem Ei zu vereinigen.
Es kann sein, dass ein weiblicher Zapfen mehr als ein Pollenkorn aufnimmt. Zusätzliche Pollenkörner lösen sich auf und leisten ihren Beitrag zum Nahrungsvorrat des Samens.
Als im Sommer 1633 der neue Botanische Garten in Paris, der Jardin des Plantes in der Faubourg Saint-Victor, vollendet wurde, bestellte man Guy de La Brosse zum ersten Direktor. Zehn Jahre lang hatte er für eine Einrichtung dieser Art Lobbyarbeit betrieben. Er sah darin in erster Linie einen öffentlichen Garten, aber auch ein Labor für die Herstellung von Pflanzenarzneien und eine Lehranstalt für die neue Wissenschaft von der Chemie. In seinem ersten Jahr als Direktor baute La Brosse 1.500 Pflanzen an und lehrte seine Studenten die Merkmale ihres »Äußeren«, womit er Form und Beziehungen meinte, wie auch ihres »Inneren«, nämlich die medizinischen Eigenschaften.
Als einer der weitsichtigsten Wissenschaftler seiner Zeit war La Brosse verblüfft über das Ausmaß, in dem Pflanzen genau so wie Tiere funktionierten. Bei beiden, so seine Argumentation, gibt es Generationen, Wachstum, Bewegung; beide brauchen Nahrung, Schlaf (Überwinterung) und sogar Sex; er stellte als Erster die These auf, dass sich Pflanzen ebenso wie Tiere durch geschlechtliche Vereinigung von Männchen und Weibchen fortpflanzten. Er machte sich sogar Gedanken über die Frage, ob Pflanzen eine Seele hatten. Leben war Leben, so lautete seine Überzeugung, ob es sich nun in pflanzlicher oder in tierischer Form manifestierte, und beides, Leben und Tod, wurden nicht durch irgendeinen Samen bestimmt, der ihm zum Zeitpunkt der Entstehung eingepflanzt wurde, sondern durch andere, durch die Umwelt beigesteuerte Faktoren. In seinem neuen Labor ließ La Brosse Pflanzen versuchsweise in Töpfen mit sterilisierter Erde wachsen und goss sie mit destilliertem Wasser; als sie daraufhin eingingen, zog er da-raus den Schluss, dass Pflanzen aus dem Boden Nährstoffe in Form von Salzen und aus dem Wasser in Form von »Manna« bezogen. Er versuchte Pflanzen auch im Vakuum zu züchten, mit ähnlichen Ergebnissen. Luft, esprit, wie er sie nannte, war für Pflanzen ebenso notwendig wie für Tiere. Pflanzen hatten keine Lungen, aber die hatten auch die Insekten nicht, und Insekten konnten ohne Luft nicht leben. In einem Kapitel über Pflanzenchemie war er schon nahe daran, der Photosynthese auf die Spur zu kommen. Chemische Veränderung, schrieb er, bestand im Zusammenkommen zweier Wirkkräfte – der Gestalt der Pflanze, die er »den Kunsthandwerker« nannte, sowie des Feuers, in seinen Worten »das universelle Werkzeug« oder »der Große Künstler«.
Als seine Einrichtung im Jahr 1640 endlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, enthielt sie 1.800 Pflanzen, von denen sich La Brosse viele aus Ostindien und den beiden Amerikas hatte schicken lassen. Nach so viel Vorbereitung und Vorfreude traf es sich sehr unglücklich, dass er schon im folgenden Jahr starb.
Sein Werk wurde jedoch von Rudolph Jakob Camerarius, einem deutschen Physiker, fortgesetzt. Bereits im Jahr 1688, gerade einmal 23 Jahre alt, war er sowohl außerordentlicher Professor für Medizin an der Universität Tübingen als auch Direktor des dortigen Botanischen Gartens. Sein Interesse an der Frage der Pflanzensexualität wurde im Jahr 1691 geweckt, als er im Garten einen weiblichen Maulbeerbaum reichlich Frucht tragen sah, obwohl keine männlichen Bäume in der näheren Umgebung zu finden waren. Bei der Untersuchung der Beeren fand er heraus, dass sie nur verkümmerte oder leere Samen enthielten. Er sah eine Parallele zwischen diesen samenlosen Beeren und den unbefruchteten »Windeiern« bei Hühnern und kam zu dem Schluss, dass – genau wie bei den Hühnern – weibliche Bäume männliche Bäume benötigen, um entwicklungsfähige Samen hervorzubringen. Vorläufig war diese Schlussfolgerung allerdings nichts weiter als eine auf einer einzigen Beobachtung beruhende ungeprüfte Hypothese. Es war Camerarius’ eigentlicher Beitrag zur botanischen Wissenschaft, dass er diese Hypothese dann auch noch in einer Reihe von Experimenten tatsächlich überprüfte.
Er stellte zwei weibliche Bingelkraut-Pflanzen in Töpfen ins Innere eines Gebäudes, von männlichen Pflanzen getrennt, und ließ sie wachsen. Genau wie der Maulbeerbaum wuchsen die Pflanzen gut und produzierten reichlich Beeren; aber schon als die Frucht erst halb reif war, verschrumpelte sie und fiel ab; die Samen, die sie enthielt, hatten sich nicht richtig entwickelt. Camerarius entfernte sodann die männlichen Blütenstände unterhalb der Öffnung der Staubbeutel aus den männlichen Blüten des Ricinus communis; die Pflanze produzierte lediglich »leere Gefäße, die verbraucht zu Boden fielen und vertrockneten«. Er wiederholte das Experiment mit Spinat, Mais und Cannabis sativa (Marihuana). In keinem Fall ergaben sich brauchbare Samen. »Es scheint deshalb gerechtfertigt«, schrieb er in seinem Werk De sexu plantarum, »diesen Apices [den Staubbeuteln] einen edleren Namen zu geben und ihnen die Bedeutung von männlichen Sexualorganen zuzuschreiben. Denn sie sind die Behältnisse, in denen der Samen selbst, nämlich der feinste Teil der Pflanze, der Blütenstaub, abgesondert und gesammelt wird, damit sie diesen dann später zur Verfügung stellen können. Es ist ebenfalls offensichtlich, dass der Fruchtknoten mit dem Griffel das weibliche Sexualorgan in der Pflanze darstellt.«
Im frühen Juni schwillt der Kern des weiblichen Eis an und wandert zum Mittelpunkt des Archegoniums. Das umgebende Zytoplasma verwandelt sich in eine dichte, faserige Flüssigkeit. Der Kern, wie eine Insel in der Mitte eines zähflüssigen Sees, ist das Ziel der männlichen Gameten. Sobald der Pollenschlauch in den Nucellus eindringt, ergießt er seinen gesamten Inhalt ins Archegonium – die Kerne, beide Gameten (von denen nur einer die Insel erreichen wird) und die Stielzelle. Der größere der beiden Gameten stürmt durch das Zytoplasma auf den Ei-Kern in der Mitte des Sees zu. Der kleinere Gamet gibt sich bald geschlagen und löst sich auf, wobei er sein Fortpflanzungsmaterial dem Samen, der sich nun bildet, hinzufügt. Der erfolgreiche Gamet erreicht den Kern, penetriert langsam die Zellwand und befruchtet das Ei. In der zweiten Juniwoche hat unser Baum dann seine geschlechtliche Reife erlangt. Innerhalb der sich entwickelnden Embryonen vervielfältigen sich die Zellen weiter den ganzen Juli und August über. Um diese Jahreszeit etwa sind die Pilgerväter damit beschäftigt, sich um ihr erstes Getreide zu kümmern, auf Feldern, die sie im Wald von Neuengland bereits gerodet und geräumt vorfanden. Im September dann, wenn das Wetter günstig ist, stehen an beiden Küsten von Nordamerika die Samen bereit; auch bei unserem Baum spreizt der weibliche Zapfen die Tragblätter auf und entlässt seine 40.000 geflügelten Samen in die warme, trockene Herbstluft.