44 Wir SEHNEN UNS nach PERFEKTION, weil wir uns SICHER FÜHLEN wollen

Bei Perfektion geht es eigentlich darum: Wir wollen sie nur, damit uns andere nicht angreifen können, weil wir nicht perfekt sind.

Wir sehnen uns nicht nach Perfektion, weil sie ein authentischer Ausdruck unserer selbst wäre. Wir benutzen sie als Verteidigung nicht nur gegen eine mögliche Kritik von anderen, sondern auch gegen das, von dem wir tief im Innern wissen, dass es nicht in Einklang mit unserem eigenen Leben ist. Es ist beruhigend, die Dinge nach außen hin richtig aussehen zu lassen, wenn du weißt, dass sie direkt darunter falsch sind.

Glaubst du wirklich, du müsstest dir darüber Gedanken machen, was jemand anderes über die kleinen Details deines Lebens denken mag, oder solltest du auf eine Weise leben, die dir tatsächlich ein lebendigeres Gefühl verleiht? Willst du wirklich deine Selbstachtung davon abhängig machen, wie andere dich deiner Meinung nach wahrnehmen, oder möchtest du eine Möglichkeit finden, am Ende des Tages stolz auf dich zu sein? Willst du dein Leben so gestalten, dass es für niemanden möglich ist, etwas Negatives darüber zu sagen, oder willst du mit so viel Freude aus dem Innern leben, dass sie nach außen überschwappt – und solche Meinungen einfach ohne Bedeutung sind?

Perfektion loszulassen heißt nicht, dass du die Kontrolle über dich verlierst. Zunächst einmal ist Perfektion eine falsche Form der Kontrolle, und sie loszulassen bedeutet im Grunde, dass du dich wieder in deinem eigenen Leben in den Mittelpunkt stellst. Das wird dich nicht davon abhalten, dem nachzugehen, was dich ruft, denn was wir als Belege für ein unfehlbares Genie empfinden, sind in Wahrheit Momente tiefster und ungeschönter Authentizität – ein Künstler, ein Mensch, ein Partner, ein Liebhaber, jeder, der es wagt, etwas zu erschaffen oder etwas zu sein, was ihn fühlen lässt. Das geschieht nicht durch eine gnadenlose Verfolgung von dem, was uns gegenüber der Welt unberührbar macht, sondern am Ende lebendig in ihr.

Perfektion und herausragende Leistungen sind nicht das Gleiche.

Das eine wird mit der Intention gesucht, wie etwas erscheinen wird, und das andere wird mit der Intention geschaffen, wie es wirklich sein wird.

Es gibt einen Grund, warum wir Bergketten so überwältigend und faszinierend finden. Es gibt einen Grund, warum wir von einem kraftvollen Gesangsauftritt, einem besonders beeindruckenden Kunstwerk zu Tränen gerührt sind, warum wir oft ehrfürchtig vor der Natur oder der Menschheit selbst stehen.

Schöne Dinge geben uns ein Gefühl des Friedens und des Wohlbehagens.

Visuell erschaffen sie Ordnung und Sinn.

Und auch ohne diese fühlt es sich allein durch die gewaltige Größenordnung so an, als bräuchte es für dieses Außergewöhnliche keinen perfekten Sinn.

Wir versuchen, die gleiche Logik auf unser Leben anzuwenden: Wenn wir etwas so aussehen lassen könnten, als würde es einen Sinn ergeben, dann wird es das auch. Doch wir gehen nicht von der richtigen Seite an die Sache heran. Tatsächlich ist es nicht ein Bild, das nur in unserem Kopf existieren könnte, um uns ein Wohlgefühl zu vermitteln – es muss konkret sein, real, reine Schönheit.

Das ist häufig ganz unperfekt.

Was wir dabei nicht bedenken: Welche Kraft auch immer diese Bergketten geschaffen hat, tat dies nicht, damit wir bei ihrer Betrachtung etwas empfinden. Und die Musiker mussten über die Angst hinausgehen, was wir, das Publikum, denken mögen, und sich in den Songs verlieren. Das Wichtige ist, dass nichts von dem tatsächlich perfekt ist, es darf einfach nur sein.

Ich hoffe, du findest den Mut, ein nicht perfektes Leben zu führen.

Ich hoffe, du kannst langsam begreifen, dass es nicht die Perfektion war, die du gesucht hast; Perfektion war die Antwort auf eine Frage, vor der du zu viel Angst hattest, um sie zu stellen. Perfektion bot immer einen einfachen Ausweg, ein Mittel, dich davon zu überzeugen, dass du dir selbst genügst.

Ich hoffe, du lernst, dich für das zu entscheiden, von dem du bereits weißt, dass es richtig ist.

Nicht für das, was die Geschichte deines Lebens möglichst nahtlos erzählt; nicht für das, was andere deiner Ansicht nach feiern und befeuern würden, wenn sie ohne dein Beisein darüber sprechen; nicht für das, was du dir als netten Post vorstellst, die beste Art, deine Erfahrungen zusammenzufassen, Rache an allen zu üben, die jemals an dir gezweifelt haben, und glücklich, wenn auch eindimensional, für den Rest der Zeit zu leben, die dir bleibt.

Ich hoffe, du beginnst langsam zu sehen, dass du anstelle der Perfektion auch Wahrheit suchen könntest.

Wahrheit hat Höhen und Tiefen, sie ist chaotisch und grandios. Sie ist alles, was jemals zählte. Wahrheit heißt, in Übereinstimmung mit deinen wahren Werten zu leben und deine tiefsten Bedürfnisse zu erfüllen. Wahrheit bedeutet, sich mehr darauf zu konzentrieren, wie die Dinge wirklich aussehen, als wie sie nur erscheinen.

Das heißt nicht, einfach eines Tages aufzuwachen und dich zu entschließen, dass es dir in Zukunft nicht mehr wichtig ist, was alle anderen denken, sondern auszuwählen, wessen Meinung du wertschätzt und wessen Meinung wirklich zählt. Es heißt nicht, eines Tages aufzuwachen und den Entschluss zu fassen, gänzlich unbekümmert zu leben, ohne die Wechselwirkungen der eigenen Handlungen zu bedenken, sondern es heißt, dich zu entschließen, dich bewusster nach deinen eigenen Werten zu strecken, als auf das Niveau deiner Reaktionen abzufallen. Es heißt nicht zu glauben, dass dich alle, denen du begegnest, gut verstehen werden, wenn du diesen großen Übergang in ein Leben vollziehst, das mehr dein eigenes ist. Ob sie das tun oder nicht, hängt von ihrer eigenen Wahrnehmung ab, doch deine Lebensqualität ist deine eigene Sache.

Wir sind Wesen, die Verbundenheit brauchen. Wir sehnen uns nicht nur danach, um uns sicher zu fühlen, sondern weil sie die fundamentalste Realität des Lebens ist: dass wir, wie alles, etwas Gemeinsames miteinander teilen, eine Gleichheit, die leicht übersehen werden kann, wenn man nur auf die Oberfläche blickt. Wir schneiden diese Verbindung ab, wenn wir versuchen, andere davon zu überzeugen, wie sehr wir ihrer Zeit, ihrer Aufmerksamkeit und ihrer Liebe würdig sind.

Das, was wir suchen, kann erst dann zu uns kommen, wenn wir uns zuerst mit uns selbst verbinden. Es kann in unserem Leben nur insoweit existieren, als wir realisieren, dass unser größter Wert in unserer Präsenz liegt – es gibt absolut nichts weiter, was du tun musst, um diejenigen aus deinem Umfeld, die dafür bestimmt sind, dich zu lieben, zum Bleiben zu überzeugen. Verbundenheit ist selbstverständlich, wenn du sie bei jenen suchst, die sie dir ebenfalls geben wollen.

Wir verirren uns, weil wir versuchen, Menschen, die nicht die Absicht haben, uns zu lieben, davon zu überzeugen, dass sie es tun sollten.

Statt nach einigen Dingen, die von Bedeutung sind, suchen wir häufig nach vielen, die es nicht sind. Statt der Dinge, auf die es ankommt, verlangen wir nach Großem. Ohne die Liebe eines einzigen Menschen, der uns wichtig war, wollen wir zum Ausgleich die Liebe von vielen. Aus dieser Wurzel erwächst jeder Perfektionismus.

Du siehst dir nicht den Sonnenaufgang an und fragst dich, ob jeder Strahl sich nach seinen besten Möglichkeiten ausdrückt. Du kritisierst den Regenguss nicht dafür, dass er nicht jeden Tropfen über die trockensten Böden ergießt. Du charakterisierst andere Menschen nicht, indem du beschreibst, wie perfekt sie jede kleine Sache in ihrem Leben tun. Es ist einfach nur ihre Präsenz, die all das wundervoll und wertvoll macht.

Könntest du lernen, dich auf die gleiche Weise zu betrachten?