47 ICH HOFFE, DU LERNST, wie du sanft NEU ANFÄNGST

Dein Leben wird eine Abfolge von Ein- und Ausatmen sein, und ich meine damit nicht, wie dein Körper Sauerstoff zu sich nimmt und Kohlenstoff ausscheidet.

Ich meine, dass der Prozess der Selbstwerdung eine Abfolge von Aufbauen und Niederreißen, Versuchen und Scheitern, Sich-Zeigen und manchmal Sich-Abwenden ist.

Denn wenn wir nicht wissen, wie wir sanft von Neuem beginnen, dann wissen wir überhaupt nicht, wie wir leben können.

Für niemanden ist nur ein Weg vorgesehen.

Es geht nur darum, wie wir auf den Moment reagieren, wie wir uns einstimmen, wie wir näher an unser wahres Selbst heranrücken – nur so können wir jemals das Gefühl bekommen, auch nur annähernd zu wissen, warum wir hier sind.

Ich hoffe, dass du lernst, wie du auf sanfte Weise neu beginnen kannst.

Ich hoffe, du lernst, auf dich selbst zu blicken und zu wissen, dass du nicht ganz der Mensch bist, der du sein möchtest, ohne den Menschen zu verurteilen, der du gerade jetzt bist. Ich hoffe, du lernst, deine Entfaltung nicht als linearen Aufstieg in die Perfektion zu sehen, sondern als Enthüllung der Antwort auf die Frage, warum du eine solche Perfektion überhaupt willst. Was fühlt sich so unperfekt an? Und wer hat dir beigebracht, es wäre so?

Ich hoffe, du lernst, dass es sich bei Erfolg weniger um eine Vision handelt als um Beständigkeit, denn Ideen zu haben ist einfach, schließlich haben alle welche. Aber bei dem, woran du konsequent arbeitest, siehst du auch die Umsetzungsmöglichkeiten. Durch das, was du die ganze Zeit tust, lernst du zu wachsen. Du sollst nicht gleich beim ersten Mal alles richtig machen, du sollst es nur weiter versuchen, bis es richtig ist.

Ich hoffe, du lernst, dass zu lieben sehr ähnlich ist wie das Leben – es braucht deinen ganzen Einsatz und gibt dir genauso viel zurück. Dein Leben mit dem eines anderen Menschen zu vereinigen ist die größte Ehre, die dir zuteilwerden kann. Also hoffe ich, dass du lernst, dich zu beugen und nicht zu brechen, Kompromisse einzugehen und nicht nur zu nehmen, wertzuschätzen und nicht vorauszusetzen.

Ich hoffe, du lernst, dass du selbst auch dein eigenes Projekt bist, deine eigene Muse und deine eigene Liebesaffäre.

Ich hoffe, du lernst, dass du dir selbst gehörst.

Ich hoffe, du lernst, dass du nicht dafür vorgesehen bist, ein einziges Mal zu wachsen und dann nie wieder, sondern dafür, dich in den Prozess des Aufbauens und Niederreißens und Wiederaufbauens zu verlieben.

Das Leben fordert uns auf, uns zu verschiedenen Zeitpunkten zu häuten.

Wir können nichts dagegen tun – kein Dogma, keine Religion, kein Glaube, keine Besitzansammlung kann diese Aufforderung von uns nehmen.

Wir sind nicht hier, um nur eine Person zu sein, auch nicht eine ganze Reihe unseres Selbst aufeinandergestapelt, die sich um ihre Bedeutung streiten, um ihr Vorrecht und ihren Raum.

Wir sterben und werden oft wiedergeboren.

Statt dich daran festzuhalten, was dir einen Platz sichert, hoffe ich, du lernst, dass Wachstum im Grunde darin besteht, einfach zu lernen, das zu lieben, was du jetzt hast; dort zu sein, wo du gerade bist, und dich in dem Wissen, dass du noch unfertig bist, nicht total verrückt zu machen.

Es gibt keinen Punkt, an dem du fertig sein sollst.

Der einzige Endpunkt ist der Tod.

Dein Leben heißt, sanft neu anzufangen, jeden Tag, jede Stunde, auf vorsichtige wie auch ganz spontane Weise, freudestrahlend und auch voller Wehmut, mit großem Aufsehen und dann wieder wie erwartet.

Ich hoffe, du lernst, wie du dir sanft den Staub abklopfst und neu anfängst, weil das Leben zu kurz ist, um zu stagnieren, und zu reich gefüllt, um nur ein Viertel des Glases auszutrinken.