Ivo mit dem unaussprechlichen Namen Zbigniescek ist erst vor einem Jahr nach Kirchhausen gekommen. Woher, das weiß niemand. Er hat keinen festen Arbeitsplatz. Er macht Botengänge oder man holt ihn ins Haus, wenn es etwas zu reparieren gibt, einen tropfenden Wasserhahn zum Beispiel oder einen Sessel, der wackelt. Er hat geschickte Hände und tut alles, was man ihm aufträgt. All die Arbeiten, die gemacht werden müssen, für die man aber nicht viel Geld ausgeben will.
Wir Katzen lieben Ivo. Aber nicht nur wir. Selbst die bissigsten Hunde begrüßen ihn schweifwedelnd. Vögel lassen sich auf seiner Hand nieder, kein Getier ergreift vor ihm die Flucht. Auch bei den Kindern ist er beliebt.
Aber er ist kein Kirchhausner! Schon allein sein ausländischer Name wird ihn verdächtig machen. Wie Berta Obermeier es soeben bewiesen hat. Ich musste mich beherrschen, sie nicht mit ausgefahrenen Krallen anzuspringen.
Herr Haberzettl schien sie nicht einmal gehört zu haben.
„Da war noch was“, fuhr er fort, bedrückt, aber allem Anschein nach erleichtert, dass er alles gestehen durfte. „Hat aber bestimmt nichts mit dem Kugelschreiber zu tun. Hab mich bloß darüber gewundert.“
„Worüber?“, fragte Flori.
Herr Haberzettl fuhr sich wieder durch den Haarschopf, der schon ganz zerzaust war. „Am Abend bin ich noch einmal in den Hirschen gegangen. Um ein Glas Bier vorm Schlafengehen zu trinken. Vor dem Schulhaus ist jemand gestanden. Ist bloß dagestanden und hat sich nicht gerührt.“
„Wer ist dagestanden?“
„Ivo! Hab mir nichts dabei gedacht. Als ich heimgegangen bin, war’s schon dunkel. Da ist er noch immer da gestanden.“
„Und als niemand mehr auf der Straße war, ist er ins Schulhaus eingestiegen!“, rief Berta Obermeier. „Durch ein Fenster!“
„Die alle zu waren!“, wies Erna Grill sie zurecht. „Was Herr Haberzettl beschwören kann.“
„Und Ivo ist ein so lieber Mensch“, sagte Großtante Amelie.
„Ein harmloser Mensch!“, verbesserte sie Großtante Annabel. „Wenn auch etwas einfältig.“
„Aber …“, begann Berta Obermeier. Was sie sagen wollte, erfuhren wir nicht.
Erna Grill unterbrach sie in einem Ton, der keine Widerrede duldete. „Florian wird alles aufklären! Überlassen wir es ihm. Er wird niemanden grundlos beschuldigen. Und jetzt gehe ich heim. Was ich brauche, ist Ruhe nach all der Aufregung. Du solltest auch heimgehen, Berta. Leg dich hin und denk nicht mehr an den Kugelschreiber!“
Wir verließen das Schulhaus. Herr Haberzettl sperrte zu und ging in den Goldenen Hirschen auf ein Glas Bier. Erna Grill und Berta Obermeier verabschiedeten sich.
Großtante Amelie, die das Detektivfieber gepackt hatte, forderte Großonkel Theo und Großtante Annabel auf, mit ihr die zahllosen Freundinnen in Kirchhausen zu besuchen. „Nichts ist aufschlussreicher als ein kleiner Tratsch“, sagte sie. „Was man da alles erfahren kann!“
„Reine Zeitverschwendung“, erklärte Großtante Annabel, war aber nur zu gern bereit, die anderen zu begleiten.
Flori und ich blieben allein zurück. Ich wusste, was als Nächstes zu tun war. Flori musste mit Rosi reden, der Tochter von Frau Huber.
Rosi geht wie Max und Augustus in die vierte Klasse. Bei einigen früheren Fällen, die Flori aufklärte, hat sie schon mitgeholfen. Rosi besitzt die bei Menschen eher seltene Fähigkeit, Botschaften von uns Katzen zu empfangen und zu verstehen. Auch Flori besitzt diese Fähigkeit. Tante Annabel zum Beispiel aber nicht.
Ich strich um Floris Beine und miaute leise. „Geh zu Rosi!“, hieß das. „Geh zu ihr!“
Der Weg zur Bäckerei führte an der Blumenhandlung vorbei. Rosen dufteten, blauer Rittersporn und weiße Margeriten nickten an langen Stängeln. An so einer Pracht kann Flori nicht vorübergehen. Er blieb stehen und betrachtete verträumt einen Strauß roter Rosen.
Ich miaute, kratzte ihn am Hosenbein, stellte den Schwanz auf und marschierte los. Geradewegs auf die Bäckerei zu.
Flori folgte mir.