Wir hatten uns in Floris Arbeitszimmer versammelt. Ich saß auf dem Schreibtisch, Sternchen lag auf Großtante Amelies Schoß. Pip hopste aufgeregt herum. Eine Amsel flötete ihr Abendlied.
„Heute hätte Ivo beim Optiker den Rasen mähen sollen“, sagte Großtante Annabel, „Man hat ihn weggeschickt und gesagt, er brauche nie wieder zu kommen.“
„Und beim Baumeister hätte er eine Lampe reparieren sollen“, fiel Großtante Amelie ein. „Die Ilse hat ihm aber verboten, das Haus zu betreten. Wer weiß, was alles verschwindet, wenn so einer wie er drinnen ist. Das hat sie gesagt.“
Ich fauchte. Pip miaute schrill, als hätte ihn jemand auf den Schwanz getreten. Sternchen fiepte.
„Von Ilse habe ich nie viel gehalten“, erklärte Großtante Annabel. „Sie ist eine dumme, beschränkte Person.“
„Aber angesehen in Kirchhausen“, sagte Großtante Amelie und seufzte. „Weil sie die Baumeistersgattin ist.“
„Flori!“, rief Großtante Annabel. „wir waren im Blumenladen, in der Konditorei, in der Buchhandlung, im Schuhgeschäft. In ganz Kirchhausen waren wir. Überall das Gleiche. Wovon soll aber Ivo leben, wenn ihm keiner mehr Arbeit gibt?“.
Mein Fell sträubte sich. Wir Katzen wissen – auch wenn wir es nicht verstehen –, wie wichtig Geld in der Menschenwelt ist. Von uns Katzen wie auch von den Hunden verlangt man kein Kostgeld. Sonst aber bekommt man nichts ohne Geld. Nicht einmal ein Stück Brot.
Großtante Amelie seufzte wieder. „Nie hätte ich das von den Kirchhausnern gedacht! Sind doch alle nette Leute.“
Flori, der bis jetzt schweigend dagesessen war, hob den Kopf. „Ich habe gehofft, dass es nicht dazu kommen würde. Befürchtet habe ich es aber!“
„Alle sind nicht so“, verteidigte Großonkel Theo die Kirchhausner. „In der Huber-Bäckerei ist Ivo noch immer willkommen. Und Frau Altmann hat ihn heute zum Mittagessen eingeladen.“
„Das ist zwar anständig, löst das Problem aber nicht“, sagte Großtante Annabel. „Außerdem ist da noch die Mutter vom Max! Der Hirschenwirt hat ihr zum Monatsende gekündigt. Weil auch der Max der Dieb sein könnte.“
„Die arme Ida!“, murmelte Großtante Amelie und streichelte Sternchen. „Beim Friseur sagten sie, sollte Ida es wagen, den Salon zu betreten, würden sie ihr nicht einmal einen einzigen Lockenwickler ins Haar drehen.“
„Flori“, rief Großtante Annabel, „jetzt kommt es auf dich an! Finde den Täter und mach diesem Spuk ein Ende.“
Flori schwieg. Im Zimmer wurde es still. Auch die Amsel im Garten war verstummt.
Großonkel Theo tätschelte ein unsichtbares Etwas auf seiner Schulter. Sternchen schaute ihn gebannt an. Mir war, als sähe ich ein Flirren wie von zitternden Flügeln. Aber das konnte nicht sein!
„Josefine meint, wir sollten uns keine Sorgen machen“, sagte Großonkel Theo. „Flori wird den Täter finden. Wenn er ihn nicht schon gefunden hat.“
Ich miaute aufmunternd in Floris Ohr. Er kraulte mich zwischen den Ohren. „Ich habe einen Hinweis, einen winzigen“, gestand er zögernd.
„Nein, nein!“, wehrte er gleich danach ab, weil alle auf ihn einzureden begannen. Nicht nur die Großtanten und der Großonkel. Auch wir Katzen auf unsere Art. „Ich kann noch nichts darüber sagen. Es ist nur – so ein Gefühl. Kein Beweis. Und vielleicht irre ich mich. Lasst mich jetzt allein, bitte! Ich möchte nachdenken. In aller Ruhe.“
„Gehen wir!“, befahl Großtante Annabel. „Flori muss nachdenken und für uns ist es Zeit, dass wir ins Bett kommen. Ich bin todmüde und ihr gewiss auch. All dieses Herumlaufen und Tratschen! Hätte nie gedacht, dass Detektivarbeit so anstrengend sein kann.“
Als die Großtanten und der Großonkel das Zimmer verlassen hatten, trat Flori ans Fenster. Ich sprang aufs Fensterbrett. Die Sonne hatte sich gesenkt. Die Farben des Tages verblassten.
„Ist es Augustus?“, miaute ich. „Macht es ihn verdächtig, weil er wusste, dass der Kugelschreiber auf dem Schreibtisch lag?“
Flori gab keine Antwort, schaute in den dämmrigen Garten hinaus und streichelte mich wie in Gedanken verloren. Als der erste Stern am Himmel blinkte, kraulte er mich zwischen den Ohren und sagte, ich sei eine kluge Katze und hätte ihm wie immer geholfen. Dann ging er in sein Schlafzimmer.
Ich verstand zwar nicht, wie ich ihm geholfen hatte, aber es war schön, daran zu glauben.
Sternchen, Pip und ich konnten nicht einschlafen. Unter unserem Fell kribbelte es zu sehr. Als der Mond aufging, glitten wir in den Garten hinaus.
Von überall her kamen Katzen auf lautlosen Pfoten dahergehuscht. Beim Gasthof zum Hirschen, im Schatten des Schulhauses, stand Ivo. Bald war er von einer Schar Katzen umringt, die ihre Köpfe an ihm rieben. Er erwiderte wortlos die Zärtlichkeiten. Er redet nie viel. Trotzdem! Das war nicht jener Ivo, den wir so gut kannten. Er war anders als sonst. Wie einer, der nicht verstand, warum man ihn plötzlich von der Tür wies. Warum Menschen, die freundlich zu ihm gewesen waren, nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. Mit all meinen Katzensinnen spürte ich, wie verwirrt er war.
„Du hast Freunde!“, miauten wir im Chor.
Einen Augenblick wurde mir schwer ums Herz. War es möglich, dass Ivo, verführt von der Liebe zu Ida, den Kugelschreiber vom Schreibtisch genommen hatte? Nein!, dachte ich. Flori verdächtigt Augustus.
Ich leckte Ivo zum Abschied die Hand.