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18.

Eine aufregende Nacht im Schulhaus

Als wir nach dem Abendessen aufbrachen, war eine weitere Zeugin dabei, mit der Flori nicht gerechnet hatte. Berta Obermeier war bei Erna Grill gewesen, als Rosi und Bobby Floris Nachricht überbracht hatten. Sie bestand darauf mitzukommen. Schließlich sei sie schuld an allem, weil sie den Kugelschreiber auf dem Schreibtisch hatte liegen lassen!

Um kein Aufsehen zu erregen, wählte Flori den Weg durch ein abgelegenes Hintergässchen. Wir hatten Glück. Kein neugieriger Kirchhausner begegnete uns. Wie immer stand Ivo auf der Straße vorm Wirtshaus. Wir nickten ihm freundlich zu.

Etliche der Katzenbande verschmolzen mit den Schatten an den Hausmauern. Andere spazierten umher, als sei es ein ganz gewöhnlicher abendlicher Katzenausflug. Wieder andere kletterten auf Bäume, um von oben zu beobachten, was geschah. Mama Mau legte sich auf die Türschwelle vom Hirschen. Als Katze der pensionierten Köchin hatte sie sozusagen Hausrecht. Sehr zum Missfallen von Dolly und Dotty und Maunzer, die im Gastgarten lauerten.

Rosi und Bobby warteten mit Schnoferl schon vor der Schule. Herr Haberzettl öffnete uns die Tür und wir traten ein.

Es ist immer seltsam, in einer Schule zu sein, wenn alle Kinder nach Hause gegangen sind. Eine ungewohnte Stille herrschte, selbst der leiseste Schritt schien in dem großen Gebäude widerzuhallen. Flori gab flüsternd Anweisungen.

Großonkel Theo und Großtante Amelie sollten sich in der Portierloge verstecken. Auch Schnoferl wurde dorthin verbannt.

„Kein Laut, Schnoferl!“, zischte ich ihm zu. „Kein Winseln! Kein Schnaufen!“

Er drückte sich auf den Boden, sah mich mit seinen Hundeaugen treuherzig an und wedelte mit dem Schwanz.

Herr Haberzettl, Großtante Annabel und Berta Obermeier verteilten sich im Parterre und im ersten Stock. Flori ging mit Erna Grill, Rosi und Bobby und uns Katzen in die Garderobe.

Das einzige Versteck dort war die Umkleidekabine des Kirchhausner Turnvereins, der die Turnhalle der Schule benützen durfte. Die Kabine – groß genug für uns alle – hatte statt einer Tür nur einen Vorhang. Wenn wir ihn ein wenig zurückzogen, konnten wir die Garderobe überblicken, ohne selber gesehen zu werden.

Wir warteten, wie so oft an diesem Tag. Rosi und Bobby kauerten auf dem Boden. Sternchen hatte es sich auf Rosis Schoß bequem gemacht. Pip hatte Bobby als Kissen auserwählt. Flori und Erna Grill setzten sich auf die Bank in der Kabine.

Das sanfte graue Licht der Dämmerung machte die Stille in der Schule noch tiefer. Nur manchmal vernahmen meine Ohren einen Atemzug oder eine leise Bewegung der gut verborgenen Beobachter und künftigen Zeugen.

Die Schatten in den Winkeln und Ecken wuchsen. Weil wir so angespannt warteten, verging selbst mir, der Katze, die Zeit zu langsam. Zweifel überfielen mich. Wenn wir vergeblich warteten? Wenn Augustus nicht kam? Nur wir Katzen wussten, dass er den goldenen Kugelschreiber nicht hatte. Oder hatte er ihn doch? Bloß wo anders versteckt und nicht in seinem Zimmer? Flori schien so sicher zu sein, dass alles aufgeklärt würde.

Ich wünschte ganz fest, er sollte recht haben, und blickte zu ihm auf. Er lächelte mich an. Ich stieß ein fast unhörbares Mauzen aus.

Im selben Augenblick zuckten meine Ohren und stellten sich auf. Auch Sternchens und Pips Ohren spielten. Flori und Erna Grill standen auf und teilten vorsichtig den Vorhang.

Jemand hatte die Hintertür geöffnet!

Das Tappen leiser Schritte war zu vernehmen. Jemand kam in die Garderobe!

Es war Augustus.

Er blieb stehen, lauschte und schaute um sich. Die Garderobe lag im dämmrigen Dunkel. Der Spalt, durch den wir lugten, war zu schmal, um uns zu verraten.

Augustus war gekommen – aber ohne die Jacke vom Max. Und die sollte der Beweis sein, den Flori brauchte. Ich musste mich beherrschen, nicht enttäuscht zu miauen.

Die Kirchturmuhr schlug die halbe Stunde.

Noch immer stand Augustus still da. Wieder horchte er, wieder schaute er um sich. Dann schlich er zu einem der Garderobekästchen und öffnete es. Die Tür quietschte. Er bückte sich und holte aus der untersten Lade die vermisste Jacke heraus. Ging auf Zehenspitzen zu den Kleiderständern und hängte sie auf einen der Haken. Holte etwas aus seiner Hosentasche und ließ es in die rechte Jackentasche gleiten. Was es war, konnten wir nicht erkennen. Nachdem er nochmals kurz gelauscht hatte, schlich er aus der Garderobe.

Wir hörten seine verstohlenen Schritte auf dem Gang. Wir hörten, wie die Hintertür geschlossen wurde. Nur Sternchen, Pip und ich hatten Lilly und Motzer wahrgenommen. Sie waren Augustus gefolgt und mit ihm verschwunden.

„Florian“, wisperte Erna Grill, „warum haben wir ihn gehen lassen? Wär’s nicht besser gewesen, ihn gleich zu stellen? Damit er nichts abstreiten kann?“

Flori schüttelte den Kopf. „Max hat das Recht dabei zu sein, wenn alles aufgeklärt wird. Wir gehen mit ihm zur Frau Präsidentin. Augustus kann nichts abstreiten. Wir sind vier Zeugen.“

„Sieben Zeugen!“, dachte ich. „Da sind ja auch wir Katzen.“

„Vier Zeugen“, wiederholte Flori, „denen man glauben wird. Vor allem Ihnen, Frau Direktor!“

Rosi zupfte Flori am Rockärmel. „Schau nach, was der Gustl in die Tasche gesteckt hat!“

„Ich wette, es ist der Kugelschreiber!“, rief Bobby.

Ich hoffte das auch, obwohl ich daran denken musste, was Lilly und Motzer vom Marillenbaum aus beobachtet hatten.

Wir gingen zu den Kleiderständern. Flori nahm die Jacke vom Haken. Als er in die Tasche greifen wollte, hielt ihn Erna Grill zurück.

„Florian“, sagte sie, „wir können schwören, dass Augustus die Jacke aus dem Kästchen geholt und etwas in die rechte Tasche gesteckt hat. Wir sollten aber auch Zeugen haben, die dabei sind, wenn du dieses Etwas herausnimmst.“

Flori war einverstanden und wir gingen mit ihm in die Vorhalle hinaus. Großtante Annabel, Berta Obermeier und Herr Haberzettl hatten ihre Verstecke verlassen. Herr Haberzettl stürzte förmlich die Treppe herunter. Berta Obermeier war atemlos und bibberte vor Aufregung. Großtante Annabel schritt so gelassen daher wie immer.

Schnoferl begrüßte uns schweifwedelnd. Großtante Amelie schob den Rollstuhl mit Großonkel Theo aus der Portierloge. „Wir haben gehört, wie sich jemand eingeschlichen hat. War’s der Augustus?“

„Ja“, antwortete Flori, „es war Augustus.“

„Und was hat er getan?“

„Die Jacke vom Max war in einem der Kästchen. Augustus hat sie in der Garderobe aufgehängt und etwas in die rechte Tasche gesteckt.“

„Was dieses Etwas ist, wissen wir noch nicht“, erklärte Erna Grill. „Ihr sollt Zeugen sein, wenn Florian es herausholt.“

Wie an allen Sommerabenden verdämmerte das Tageslicht nur langsam. Durch die Fensterscheiben fiel das Licht einer Straßenlaterne, ein geheimnisvolles Halbdunkel erfüllte die Vorhalle. Von draußen hörten wir einen schrillen Katzenschrei. Ich glaubte, Flops Stimme zu erkennen. Wahrscheinlich tanzte er aufgeregt vor der Schule herum.

Aller Augen waren auf Flori gerichtet. Sternchen drückte sich an Pip. Schnoferl schnaufte. Rosi hatte Bobby an der Hand gefasst und hielt sie fest umklammert. Berta Obermeier hielt sich an Erna Grill fest. Großonkel Theo tätschelte die nur für ihn sichtbare Fliegende Maus.

Ich muss gestehen, dass auch ich die Spannung fast nicht mehr aushielt. Jedes Haar in meinem Fell hatte sich aufgestellt.

Flori holte das Etwas aus der Jackentasche und zeigte es uns auf der flachen Hand. Es war – ein Schlüssel.