Das regenerierende Feuer

Für Heraklit erschafft sich das Universum in jeder Ära durch das Feuer neu. Die größte Vertrautheit mit dem Feuer scheint Empedokles gehabt zu haben, der sich, vielleicht um sich zu vergöttlichen oder seine Anhänger von seiner Göttlichkeit zu überzeugen, in den Ätna gestürzt haben soll. Diese finale Reinigung, diese freiwillige Vernichtung im Feuer hat die Dichter seit jeher fasziniert, denken wir nur an Hölderlin:

… Siehest du denn nicht? Es kehrt

Die schöne Zeit von meinem Leben heute

Noch einmal wieder und das Größre steht

Bevor; hinauf, o Sohn, zum Gipfel

Des alten heilgen Aetna wollen wir.

Denn gegenwärtger sind die Götter auf den Höhn –

Da will ich heute noch mit diesen Augen

Die Ströme sehn und Inseln und das Meer.

Da seegne zögernd über goldenen

Gewässern mich das Sonnenlicht beim Scheiden

Das herrlich jugendliche, das ich einst

Zuerst geliebt. Dann glänzt um uns und schweigt

Das ewige Gestirn, indeß herauf

Der Erde Glut aus Bergestiefen quillt

Und zärtlich rührt der Allbewegende,

Der Geist, der Aether uns an, o dann!14

Zwischen Heraklit und Empedokles zeichnet sich jedoch ein weiterer Aspekt des Feuers ab: das Feuer nicht nur als schöpferisches Element, sondern auch als zerstörerisches und zugleich erneuerndes Element. Die Stoiker sprachen von der Ekpyrosis als dem universalen Weltenbrand, durch den alle Dinge, aus dem Feuer geboren, am Ende ihrer Entwicklung zyklisch ins Feuer zurückkehren. An sich legt die Idee der Ekpyrosis keineswegs nahe, dass die Reinigung durch Feuer als Projekt und Werk des Menschen erreicht werden kann. Aber gewiss unterliegt vielen auf Feuer beruhenden Opfern eine Vorstellung, der zufolge das Feuer beim Zerstören gleichzeitig reinigt und regeneriert. Daher die Heiligkeit des Scheiterhaufens.

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Der hl. Domenikus verbrennt die Bücher der Albigenser, Miniatur von Vincent de Beauvais im Manuskript Le miroir historial, 15. Jahrhundert
Chantilly, Musée Condé

Die früheren Jahrhunderte sind voller Scheiterhaufen. Verbrannt wurden nicht nur die Ketzer im Mittelalter, sondern auch die Hexen in der Neuzeit, zumindest bis ins 18. Jahrhundert. Und erst der Ästhetizismus D’Annunzios lässt eine zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilte Person wie Mila di Codra am Ende seiner Tragödie La Figlia di Iorio sagen, die Flamme sei schön. Die Scheiterhaufen der vielen Ketzer waren entsetzlich, auch weil ihnen andere Foltern vorausgegangen waren, man lese nur einmal in der Storia di Fra Dolcino eresiarca, was für Qualen Fra Dolcino zu erleiden hatte, als er im März des Jahres 1307, am Karsamstag, zusammen mit seiner Frau Margherita dem weltlichen Arm übergeben worden war. Während die Glocken der Stadt Sturm läuteten, wurden die Verurteilten auf einen Karren gesetzt, umgeben von Henkern und gefolgt von der Miliz, der durch die ganze Stadt fuhr, und an jeder Ecke wurden ihnen mit glühenden Zangen Gliedmaßen abgezwackt. Margherita wurde zuerst verbrannt, vor Dolcinos Augen, der keinen Gesichtsmuskel verzog, so wie er auch keinen Laut von sich gab, als ihm die glühenden Zangen ins Fleisch fuhren. Dann setzte der Karren seinen Weg fort, während die Henker ihre Eisen in Schalen voll brennender Fackeln hielten. Dolcino erlitt weitere Qualen und blieb weiter stumm, nur als sie ihm die Nase amputierten, fuhr er ein bisschen zusammen, und als sie ihm das männliche Glied abrissen, stieß er einen langen Seufzer aus, der wie ein Wimmern klang. Die letzten Worte, die er sagte, klangen nach Unbußfertigkeit, und er verkündete, dass er am dritten Tage auferstehen werde. Dann wurde er verbrannt und seine Asche in den Wind gestreut.

Für die Inquisitoren aller Zeiten, Rassen und Religionen tilgt das Feuer nicht nur die Sünden der Menschen, sondern auch die der Bücher. Zahlreich sind die Geschichten von Bücherverbrennungen, von solchen aus Unachtsamkeit oder Dummheit, aber auch von absichtlich veranstalteten wie denen der Nazis, um die Welt zu reinigen und die Zeugen einer entarteten Kunst zu beseitigen.

Aus Gründen der Moral und der geistigen Gesundheit verbrennen empörte Freunde die Romanbibliothek des Don Quijote. In Elias Canettis Roman Die Blendung geht die Bibliothek in einem Brand auf, der an das Opfer des Empedokles erinnert (»Als ihn die Flammen endlich erreichen, lacht er so laut, wie er in seinem ganzen Leben nie gelacht hat«). In Ray Bradburys Fahrenheit 451 verbrennen die zum Verschwinden verurteilten Bücher. In meinem Namen der Rose verbrennt die Bibliothek der Abtei zwar durch ein Missgeschick, aber infolge einer zuvor geübten Zensur.

Fernando Báez fragt sich in seiner Universalgeschichte der Bücherzerstörung, aus welchen Gründen das Feuer ein so dominanter Faktor beim Zerstören von Büchern ist. Und er antwortet:

Das Feuer ist ein heilbringendes Element, weshalb es fast alle Religionen benutzen, um ihre jeweiligen Gottheiten zu ehren. Diese das Leben schützende Macht ist jedoch, vergessen wir das nicht, auch eine zerstörerische Macht. Indem der Mensch durch Feuer zerstört, tut er, als wäre er Gott, als wäre er durch das Feuer Herr über Leben und Tod. Auf diese Weise identifiziert er sich mit einem purifizierenden Sonnenkult und mit dem großen Mythos der Zerstörung, die fast immer durch Verbrennung erfolgt. Der Grund für den Gebrauch des Feuers liegt auf der Hand: Es reduziert den Geist eines Werkes auf bloße Materie.15