Exemplarisch für den Erfolg einer Lehre, die sich als Geheimlehre präsentiert, mag die Geschichte der Rosenkreuzer stehen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, gerade als in Europa nationale Konflikte und religiöser Hass aufflammten, griff die Vorstellung von einem Goldenen Zeitalter um sich. Ein Klima der Erwartung durchdrang in verschiedenen Ausprägungen sowohl die katholischen als auch die protestantischen Gebiete. Es entwickelten sich Projekte idealer Republiken, und es gab Bestrebungen nach einer universalen oder Welt-Monarchie, nach einer allgemeinen Erneuerung der Sitten und des religiösen Empfindens. 1614 erschien in Deutschland ein anonymes Manifest mit dem Titel Fama Fraternitatis, gefolgt im Jahr darauf von einer zweiten Schrift mit dem Titel Confessio fraternitatis Roseae crucis. Ad eruditos Europae. In diesen Manifesten enthüllte die mysteriöse Bruderschaft der Rosenkreuzer ihre Existenz, informierte über ihren mythischen Gründer Christian Rosenkreutz und äußerte den Wunsch, dass in Europa eine Geheimgesellschaft entstehen möge, die Gold, Silber und Edelsteine im Überfluss besitzt und an die Könige verteilt, damit diese ihren Pflichten und legitimen Zielen nachkommen können. Die Manifeste beharren auf dem geheimen Charakter der Bruderschaft und auf dem Umstand, dass ihre Mitglieder nichts über sich und ihr Wesen verraten dürfen (»es soll auch wohl unser Gebäw [Gebäude], da es auch hundert tausendt Menschen hetten von nahem gesehen, der gottlosen Welt in Ewigkeit ohnberühret, ohnzerstöret, unbesichtigt und wohl gar verborgen bleiben«). Dennoch appelliert man an alle Gelehrten Europas, sie möchten sich mit den Adepten der Gesellschaft in Verbindung setzen: »dann ob wol weder wir noch unsere Versamblung dieser zeit benennet, solle uns doch gewißlichen eines jeden (was Sprach das auch ist) Judicium zukommen: Es soll auch keinem, der seinen Nahmen wird angeben, fählen, daß er nicht mit unser einem entweder Mündlich, oder da er es je bedenckens hette, Schrifftlich solle zu Sprach kommen.«2
Bankett der Rosenkreuzer, Druck von Leo Taxil
Geheimnisse des französischen Freimaurertums, 1887
Privatsammlung
Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen,
aus Geheimzeichen der Rosenkreuzer, 1785
Paris, Bibliothèque Nationale de France
Fast augenblicklich beginnt man überall in Europa, schriftliche Appelle an die Rosenkreuzer zu verfassen, angefangen bei einem einflussreichen Okkultisten wie Robert Fludd. Niemand behauptet, sie zu kennen, niemand bekennt, selbst einer zu sein, aber alle versuchen irgendwie zu verstehen zu geben, dass sie sich in absolutem Einklang mit dem Programm befinden. Michael Maier, der Leibarzt Kaiser Rudolfs II., versichert in Themis aurea (1618), die Bruderschaft existiere wirklich, auch wenn er als Person zu bedeutungslos sei, um jemals in sie aufgenommen zu werden. Alle erkennen an, dass die Gruppe geheim ist, und aus diesem Grund gilt, dass wer immer behauptet, Rosenkreuzer zu sein (und also gegen die den Adepten auferlegte Schweigepflicht verstößt), mit Sicherheit keiner ist: »Das normale Verhalten eines rosenkreuzerischen Schriftstellers ist es zu sagen, daß er selbst kein Rosenkreuzer sei und niemals einen solchen gesehen habe«, hält Frances Yates fest (1972).3 Und dasselbe gilt auch noch heute, glaubt man zumindest René Guénon, einem Autor, der die Idee der Rosenkreuzer sehr ernst nimmt: »Es ist wahrscheinlich, dass die Mehrheit der vorgeblichen [echten und alten] Rosenkreuzer, die gemeinhin als solche bezeichnet werden, in Wahrheit bloß [späte und falsche] Rosenkreuzer waren. […] Man kann sogar sicher sein, dass sie in keiner Weise echt waren, aus dem einfachen Grunde, dass sie zu solchen Assoziationen gehörten, was auf den ersten Blick paradox erscheinen mag, aber dennoch leicht zu verstehen ist.«4
Infolgedessen gibt es nicht nur keine historischen Beweise für die Existenz der Rosenkreuzer, sondern handfeste historische Beweise höchstens für die Existenz späterer Vereinigungen, die sich in wechselseitiger Polemik als einzige und echte Erben der ursprünglichen Rosenkreuzer verstehen, wie zum Beispiel AMORC, der Antiquus Mysticus Ordo Rosae Crucis, dessen reich mit ägyptischer Ikonografie geschmückten Tempel man noch im kalifornischen San José besichtigen kann. Doch eine rosenkreuzerische Organisation, die sich auf eine tausendjährige Tradition beruft, wird hierauf als Erste erwidern, dass die Dokumente dieser Tradition eben nicht zugänglich sind: »Sie werden natürlich verstehen«, heißt es noch heute in einem Manuel Rosicrucien (1984), »dass die Große Bruderschaft und die Große Weiße Loge keine sichtbaren Organisationen sind.« Und in den offiziellen Verlautbarungen des Antiquus Mysticus Ordo Rosae Crucis steht, dass die originalen Dokumente, die den Orden legitimieren, zwar vorhanden seien, aber aus verständlichen Gründen geheim und in unzugänglichen Archiven eingeschlossen bleiben müssten.
Versammlung der Carbonari
Radierung, 1864
1623 tauchten in Paris anonyme Plakate auf, die verkündeten, dass die Rosenkreuzer ihren Sitz in die Stadt verlegt hätten, und diese Mitteilung entfesselte wütende Polemiken, einschließlich des Gerüchts, die Rosenkreuzer seien Teufelsanbeter. Sogar Descartes, der während einer Deutschlandreise angeblich (und offensichtlich erfolglos) versucht hatte, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, wurde bei seiner Rückkehr nach Paris verdächtigt, ein Mitglied der Bruderschaft zu sein, und rettete sich mit einem Meisterstreich: Da die Rosenkreuzer allgemein als unsichtbar galten, ließ er sich, wie Adrien Baillet in seiner Vie de Monsieur Descartes (1691) erzählt, bei möglichst vielen öffentlichen Gelegenheiten sehen und entkräftete so das Gerede.
Die rettende Idee des armen Descartes sagt uns dasselbe, was Georg Simmel in seinem Essay über das Geheimnis wiederholen sollte, nämlich dass Unsichtbarkeit das typische Merkmal jeder Geheimgesellschaft ist – und genau genommen musste es immer unsichtbare geheime Vereinigungen wie die der Carbonari geben, damit, wie es bei den mysteriösen Illuminaten Bayerns der Fall war (und wie es noch heute für einige Terroristengruppen gilt), jede kleine Adeptengruppe nur ihren Gruppenleiter kennt, aber nicht die Mitglieder der höheren Ränge.
Dass viele der Carbonari später unter der Guillotine oder vor einem Erschießungskommando endeten, lag weniger daran, dass ihr Geheimnis durchgesickert wäre, als an der Tatsache, dass bei einer Geheimgesellschaft, die den Zweck hat, einen Aufstand anzuzetteln, nach dem Ausbruch dieses Aufstands das Geheimnis keines mehr ist. Es gibt Geheimnisse wie das einer Gruppe, die eine Aktion zur Übernahme eines Aktienpakets plant, die keine Geheimnisse mehr sind, sobald der Übernahmeversuch gelungen oder krachend gescheitert ist. Die Geheimnisse von Gruppen, die einen bestimmten Zweck verfolgen, müssen kurzlebig sein, andernfalls sind die Gruppenmitglieder Luschen, die nichts zuwege bringen.
Bei den Rosenkreuzern lag der Fall jedoch anders, denn sie nahmen sich nicht vor, etwas sofort in die Tat umzusetzen. Er lag so anders, dass ein gewisser Heinrich Neuhaus, um zu erklären, weshalb ihre Unsichtbarkeit nicht gegen ihre Existenz sprach, 1623 ein Advertissement pieux et très utile des Frères de la Rosée Croix veröffentlichte, in dem er sich fragte, ob es die Rosenkreuzer gebe, wer sie seien, woher sie ihren Namen genommen und zu welchem Zweck sie ihre Existenz öffentlich bekannt gemacht hätten; und er schloss mit dem außerordentlichen Argument: »Gerade dass sie ihre Namen wechseln und verbergen, dass sie ihr Alter verschleiern, dass sie nach eigenem Bekunden daherkommen, ohne sich kenntlich zu machen, erlaubt keinem Logiker zu verneinen, dass sie notwendig in natura existieren müssen.«5
Joseph Constantine Stadler
Einzug in der Freimaurerhalle in der Queen Street, anlässlich eines Jahresfestmahls der vom Orden unterstützten Mädchen
Radierung aus Rudolph Ackermann, Microcosm of London
Lithografie, 1808, Privatsammlung
Der Grund für die große Popularität der Rosenkreuzer war, dass sie zwar ein Geheimnis verkündeten, aber von allem Möglichen sprachen, nur nicht von der Natur dieses Geheimnisses.
Im Anschluss an die Tradition der Rosenkreuzer entstand dann im 18. Jahrhundert die symbolische Freimaurerei, die sich mit Andersons Konstitutionen zu legitimieren versuchte, indem sie ihren Ursprung auf die Erbauer des Salomonischen Tempels zurückführte. Mit der einige Jahre später erfolgten Gründung der sogenannten »schottischen« Freimaurerei bereicherte sich dieser Ursprungsmythos um die Beziehung zwischen den Erbauern des Tempels und den Tempelrittern, deren geheime Traditionen angeblich durch Vermittlung der Rosenkreuzer in die Freimaurerei eingebracht worden waren. Um solche Thesen zu stützen, suchten oder schufen sich viele Freimaurerorganisationen – fast immer in Konflikt mit der Großloge von London – Symbole und Rituale, die ihren Bezug zur Tradition der Templer und der Rosenkreuzer verdeutlichen sollten. So kam es zu einer Zunahme der Initiationsstufen (die den Stufen der Erkenntnis des Geheimnisses entsprachen und ursprünglich drei waren) bis auf die Zahl 33, alle benannt mit fantastischen Namen, hier zum Beispiel die oberen Ränge des von Cagliostro begründeten Alten und Primitiven Ritus von Memphis-Misraïm:
Ritter der Weltkugeln, Prinz des Tierkreises, Erhabener Hermetischer Philosoph, Oberkommandeur der Gestirne, Erhabener Priester der Isis, Prinz des Heiligen Hügels, Philosoph von Samothrakien, Titan des Kaukasus, Knabe der Goldenen Lyra, Ritter des Wahren Phönix, Ritter der Sphinx, Erhabener Weiser des Labyrinthes, Erster Brahmane, Mystischer Wächter des Heiligtums, Architekt des Mysteriösen Turmes, Erhabener Prinz des Heiligen Vorhangs, Deuter der Hieroglyphen, Orphischer Doktor, Wächter der Drei Feuer, Hüter des Unnennbaren Namens, Erhabener Ödipus der Großen Geheimnisse, Geliebter Hirte der Oase der Mysterien, Doktor des Heiligen Feuers, Ritter des Leuchtenden Dreiecks.
Die Ränge repräsentieren die jeweiligen Phasen der Initiation ins Geheimnis der Freimaurer. Eine der schönsten Definitionen dieses Geheimnisses stammt übrigens von Giacomo Casanova:
Wer sich nur unter die Freimaurer aufnehmen läßt, um das Geheimnis der Loge zu ergründen, der hat sehr zu befürchten, dass er unter der Kelle alt werden wird, ohne jemals in das Geheimnis dieser Bruderschaft einzudringen. Das Geheimnis der Freimaurerei ist durch seine eigene Natur unverletzlich. Wer das Geheimnis der Freimaurerei errät – denn man erfährt es nur, wenn man es selbst errät –, […] hütet er es streng und vertraut es selbst seinem besten Freund in der Freimaurerei nicht an, denn er weiß, daß es keinen Zweck haben würde, es ihm ins Ohr zu flüstern, weil jener doch nicht das Talent haben würde, Vorteil daraus zu ziehen, wenn er es von einem anderen zugeflüstert bekäme. Er schweigt, und das Geheimnis bleibt stets Geheimnis.
Alles, was in der Loge geschieht, muß geheim sein. Diejenigen aber, die mit einer unehrenhaften Indiskretion sich kein Gewissen daraus gemacht haben, die Vorgänge in den Logen zu enthüllen – die haben das Wesentlichste nicht enthüllt: Sie kannten es nicht; denn wenn sie es gekannt hätten, so würden sie sicherlich das Zeremoniell nicht verraten haben.6
Das Geheimnis der Initiation lässt sich also nicht enthüllen und daher auch nicht verraten.
Mit dem Geheimnis der Freimaurerei hat sich Giuliano Di Bernardo beschäftigt, ein ehemaliger Großmeister der Gran Loggia Regolare d’Italia, der als Fachmann für Logik wenig zu okkultistischen Interpretationen der Logensymbolik neigte. In seiner Filosofia della massoneria (1987) schreibt er:
Aber es gibt andere, welche in den Symbolen ganz im Gegenteil verborgene, esoterische Wahrheiten suchen, alte Weisheiten, alchemistische Geheimnisse, den Stein der Weisen; dafür aber sind die Symbole zu arm und erwecken kaum den Anschein, daß sie tiefe Inhalte des esoterischen Lebens in Menschen ausdrücken. Alle diese Interpretationen der freimaurerischen Symbolik sind völlig falsch und begreifen ihr wahres Wesen nicht. Dieses läßt sich wie folgt umschreiben: In der Freimaurerei drücken die Symbole nur ein einziges Geheimnis aus, das Geheimnis der Initiation […] Wer dies nicht versteht, der wird sich immer in der gleichen Lage befinden wie ein Außenstehender, der einen Freimaurertempel betritt und da die Gegenstände betrachtet, die er zwar kennt, wie Zirkel, Winkelmaß, Hammer, Buch, deren symbolische Bedeutung ihm aber entgeht. Um zu verstehen, was er »liest«, benötigt er das maurerische Licht, und dieses kann er nur durch die Initiation erlangen. Dann und nur dann wird er das maurerische Geheimnis verstehen. […] Wenn das Geheimnis verletzt und seiner Symbolik entkleidet wird, so wird sogleich auch das Fundament der Freimaurerei zerstört. Eine Freimaurerei ohne das Fundament der Initiation unterscheidet sich in nichts von irgendeiner sonstigen Vereinigung mit philanthropischen Zielen.7
Es klingt, als wäre (ich interpretiere) eine Freimaurerloge ohne Geheimnis nur ein Rotary Club. Natürlich, aus naheliegenden Gründen, verrät Di Bernardos Buch nicht, was das Geheimnis der Freimaurerei ist.
Als Konsequenz aus der Verborgenheit des Geheimnisses und der Unsichtbarkeit der Geheimgesellschaft entstand dann im späten 18. Jahrhundert der Mythos von den »Unbekannten Oberen«, die die Geschicke der Welt lenkten. 1789 warnte ein gewisser Marquis de Luchet (in seinem Essai sur la secte des illuminés), es habe sich »inmitten der dichtesten Finsternis eine Gesellschaft von neuen Wesen gebildet, die sich kennen, ohne sich je gesehen zu haben […] Diese Gesellschaft übernimmt vom Jesuitenregime den blinden Gehorsam, von der Freimaurerei die Prüfungen und die äußeren Zeremonien, von den Templern die Evokationen der Untergründe und die unglaubliche Kühnheit.«
In den Jahren 1797/98, als Antwort auf die Französische Revolution, schrieb der Abbé Barruel seine Mémoires pour servir à l’histoire du jacobinisme, ein dem Anschein nach historisches Werk, in dem erzählt wurde, wie sich die Templer, nachdem ihr Orden von Philipp dem Schönen zerschlagen worden war, in eine Geheimgesellschaft zum Sturz der Monarchie und des Papsttums verwandelt hatten. Im 18. Jahrhundert bemächtigen sie sich dann der Freimaurerei und gründen eine Art Akademie, deren teuflische Mitglieder Voltaire, Turgot, Condorcet, Diderot und d’Alembert sind – und aus diesem Zirkel gehen die Jakobiner hervor. Doch die Jakobiner werden ihrerseits von einer noch geheimeren Gesellschaft kontrolliert, nämlich den Bayerischen Illuminaten, die Tag und Nacht nur auf Königsmord sinnen. Die Französische Revolution war das Endergebnis dieses Komplotts.
Freimaureremblem
Wandteppich, 20. Jahrhundert
Mailand, Museo del Risorgimento
Hexagramm, Salomonssiegel, Sechszackiger Stern, Davidstern, Davidschild, Doppeldreieck, Talisman des Saturn, Symbol der Kabbalah, wie es in der Freimaurerei benutzt wurde
Radierung, 19. Jahrhundert, Privatsammlung
Tempelritter in der Temple Church,
12. Jahrhundert, London
Das Buch von Barruel enthielt noch keinerlei Anspielung auf die Juden. Aber 1806 bekam Barruel einen Brief von einem gewissen Hauptmann Simonini, der ihm eindringlich schilderte, wie die Freimaurerei von Juden gegründet und sämtliche existierenden Geheimgesellschaften von Juden infiltriert worden seien. Dies war – aber das ist eine andere Geschichte, mit der wir uns hier nicht beschäftigen können – die Geburt jenes Mythos von der jüdischen Weltverschwörung, der schließlich zu den berüchtigten Protokollen der Weisen von Zion geführt hat und von dem man auch auf vielen heutigen Internetseiten schändlicherweise noch reichlich Spuren findet.
Die Idee, dass geheime Gruppen im Verborgenen den Gang des Weltgeschehens bestimmen, findet auch heute immer noch Anhänger, und man braucht nur ins Internet zu gehen, um allerlei Diskussionen über die Trilaterale Kommission, die Bilderberg-Konferenzen oder die jährlichen Treffen in Davos zu finden, als ob Politiker, Industrielle und Banker sich nicht privat treffen könnten, wann immer sie wollen, um über ökonomische Strategien zu entscheiden, die sich unheilvoll vor aller Augen vollziehen – und als ob die Spekulation mit Derivaten nicht als Erklärung für den Ruin unzähliger Kleinsparer genügte und man dahinter unbedingt einen geheimeren Plan aufdecken müsste.
Doch im Internet lassen sich auch Hinweise auf andere beunruhigende Geheimnisse finden, etwa die Unterstellung, Papst Franziskus stehe, unterstützt von Kardinal Martini, mit Freimaurergruppen in Verbindung.
Die ärgsten Blüten hat die Verschwörungstheorie über die Zerstörung der Twin Towers getrieben, die abwechselnd den Geheimplänen von Bush, den Juden und vielen anderen zugeschrieben wird.
Suchen Sie einmal im Internet danach. Sie werden zu Ihrer Überraschung entdecken: »New York City« hat 11 Buchstaben, »Afghanistan« hat 11 Buchstaben, »Ramsin Yuseb«, der Name des Terroristen, der mit der Zerstörung der Türme gedroht hatte, hat 11 Buchstaben, »George W. Bush« hat 11 Buchstaben, die beiden Zwillingstürme bildeten eine 11, New York ist der elfte Staat der USA, das erste Flugzeug, das an den Türmen zerschellte, hatte die Flugnummer 11, der Flug beförderte 92 Passagiere, und 9+2=11, der Flug 77, der ebenfalls zerschellte, beförderte 65 Passagiere, und 6+5=11, das Datum 9/11 stimmt mit der amerikanischen Notrufnummer 911 überein, deren Quersumme 11 ist. Die Gesamtzahl der Opfer aller gekaperten Flugzeuge betrug 254, die Quersumme daraus ergibt wiederum 11, der 11. September ist der 254. Tag des Jahres, also auch wieder Quersumme 11. Und so wird munter immer weiter kabbalisiert.
Was lässt sich gegen diese vermeintlich wundersamen Koinzidenzen einwenden?
New York hat nur dann 11 Buchstaben, wenn man »City« hinzufügt; Afghanistan hat zwar 11 Buchstaben, aber die Flugzeugentführer waren keine Afghanen, sondern kamen aus Saudi-Arabien, aus Ägypten, aus dem Libanon und aus den Arabischen Emiraten; Ramsin Yuseb hat nur dann 11 Buchstaben, wenn man den Namen absichtlich so transkribiert, hätte man »Yussef« geschrieben, dann hätte das Spiel nicht funktioniert; George W. Bush hat nur dann 11 Buchstaben, wenn man den middle initial hinzufügt; die Zwillingstürme bilden eine 11, aber auch – und eher noch – eine römische II; der Flug 77 ist nicht an einem der Türme zerschellt, sondern im Pentagon, und er beförderte nicht 65 Passagiere, sondern 59; die Gesamtzahl der Opfer war nicht 254, sondern 265 und so weiter.
Gleichfalls im Internet wird erklärt, dass man, wenn man den Namen des ersten Flugzeugs schreibt, das in den ersten Turm geflogen ist, nämlich Q33NY, die Abkürzung NYC für New York hinzufügt, die Formel markiert und vom Computer nicht in einer der üblichen Schriften wie Times oder Garamond formatieren lässt, sondern in jenen mehr oder minder kabbalistischen Zeichen namens Wingdings, erstaunliche Geheimbotschaften erhält.
Das einzige Problem ist, dass keines der Flugzeuge, das an den Türmen zerschellt ist, den Namen Q33 hatte und man diese Chiffre erfinden musste, um die angeblichen Geheimbotschaften zu erhalten.
Es gibt auch vermeintliche Geheimnisse, die sich bei der Enthüllung als sehr enttäuschend herausstellen. Zum Beispiel im Fall des dritten Geheimnisses von Fatima, das 1944 von der Schwester Lucia in einem versiegelten Umschlag überbracht wurde, der erst nach 1960 geöffnet werden sollte. Doch Papst Johannes XXIII. und seine Nachfolger hielten es auch dann nicht für opportun, den Inhalt zu enthüllen, bis er schließlich im Jahr 2000 auf Wunsch von Johannes Paul II. veröffentlicht wurde. Offenbar kannte damals nur Kardinal Ratzinger die Botschaft und hatte mit einem gewissen gesunden Menschenverstand dazu geraten, sie zu lassen, wo sie war, da sie nichts Interessantes enthielt. Aber der Reiz des Geheimnisses war auf diese Weise enorm gewachsen. Als die Botschaft geöffnet wurde, sah man, dass sie zwar einige tragische Beschreibungen enthielt, die aber von Bildern iberischer Apokalypsen inspiriert waren, und wenn sie überhaupt irgendeine prophetische Kraft hatte, dann die, vorauszusagen, dass in den folgenden Jahren (aber auch schon in den Jahren vor ihrer Abfassung, und nur wenige Schritte von Schwester Lucia entfernt, in Spanien) ziemlich schreckliche Dinge passieren würden – was man jedoch schon wusste oder sich vorstellen konnte, auch ohne die Madonna gesehen zu haben.
Im Unterschied zu vielen Kryptophilen, die versucht hätten, in der Botschaft verborgene Bedeutungen zu finden, etwa Beziehungen zwischen den Geheimnissen von Fatima und denen von Medjugorje, erkannte Kardinal Ratzinger, damals Präfekt der Glaubenskongregation – nachdem er sofort die Hände gehoben und darauf hingewiesen hatte, dass eine Privatoffenbarung kein Glaubensinhalt und eine Allegorie keine Prophetie ist –, sehr klar die Ähnlichkeiten mit der Apokalypse und merkte an: »Der Schluß des Geheimnisses erinnert an Bilder, die Lucia in frommen Büchern gesehen haben mag und deren Inhalt aus frühen Einsichten des Glaubens geschöpft ist.« Und so schloss er in einem Kapitel mit der bezeichnenden Überschrift »Die anthropologische Struktur der Privatoffenbarungen«: »Der Schauende … sieht mit seinen Möglichkeiten, mit den für ihn zugänglichen Weisen des Vorstellens und Erkennens.«8 Was schlicht gesagt hieß, dass Schwester Lucia in der Ekstase gesehen hatte, was sie in den Büchern ihres Konvents und in zweitausend Jahre alten Texten gelesen hatte. Was im dritten Geheimnis von Fatima stand, war schon seit langer Zeit in den Buchhandlungen der Pia Società San Paolo käuflich zu erwerben.