In der Dunkelheit ihres ungelüfteten Zimmers, geblendet vom grellen Licht des Displays, wählte Isa mit zusammengekniffenen Augen die Nummer des Taxiunternehmens. War es Zufall oder ein Wink des Schicksals, dass sie wieder dieselbe Telefonistin der Zentrale ans Telefon bekam, mit der sie gestern schon zu tun gehabt hatte?
Isa erkannte sie nicht an ihrem nasalen, beleidigten Tonfall, den gab es in dieser Stadt zwölfmal aufs Dutzend, sondern an der für eine Frau aus der Gegend bemerkenswert tiefen Alt-Stimmlage.
„Guten Tag“, sagte Isa so neutral wie möglich. „Hat Frau Düzen Gülcan Dienst? Fährt sie heute?“
„Wer?“
„ Düzen Gülcan.“
„Ham wer nicht.“
„Ham wer schon“, sagte Isa mit aufschießendem Ärger. „Sehen Sie nach.“
Dann hörte sie, wie die Telefonistin etwas in den Raum rief, sie glaubte so etwas wie Gülzen zu verstehen, und sie sah vor sich das Achselzucken der Kolleginnen, und dann hörte sie nochmal Gülzen, und diesem Gülzen folgte dann ein „oder Gilzen“. Dann war die Altstimme wieder am Apparat.
„Wie soll die Dame heißen“, sagte die Telefonistin, ohne „die Dame“ ironisch zu betonen.
Isa wiederholte es, langsam und korrekt ausgesprochen.
„Wie schreibt man es?“
Isa buchstabierte es, mit ihrem eigenen Alphabet. „G wie Grant, Ü wie Übersicht, L wie lasch, C wie Chaos, A wie Ammenhai, N wie Nacktbaden.“
„Vorname?“
„Düzen“, sagte Isa. „Auch buchstabieren?“
„Passt schon. Einen Moment Geduld …“
Etwas geschah mit ihrem Telefon, es fühlte sich an, als würde Isas Ohrmuschel verriegelt. Sie schaltete auf Lautsprecher und legte das Handy aufs Fensterbrett, ging zur Tür und hielt ihr Ohr an die Füllung. Carla und Paola waren entweder weggegangen oder in Carlas Zimmer. Oder in der ungemütlichen Küche. Wo immer sie waren, sie waren nicht im Wohnzimmer. Schlimmstenfalls waren sie zusammen unter Dusche, Carlas Lieblingsort für Sex. Aber das war nicht wahrscheinlich, glaubte Isa, ohne genau zu wissen, warum das nicht wahrscheinlich sein sollte. Dann erinnerte sie sich daran, dass Paola jedes Mal, wenn sie in der Stadt war, einen Mietwagen besorgte. Mietwagen hatten Klimaanlagen, und mit Mietwagen konnte man zum Heurigen fahren oder die Stadt verlassen. Wie mit Taxis.
„Wir hamse“, sagte die Telefonistin ohne jede Einleitung. Die zwei Wörter, die eigentlich drei sein sollten, waren geschwollen von Überheblichkeit. Isa stellte sich vor, wie sie ihr eine mit dem flachen Handrücken servierte.
„Das freut mich“, sagte sie ironisch. „Ist sie frei?“
„Nein“, sagte die Telefonistin. „Sie arbeitet für uns.“
Isa langte ihr im Geist noch eine. Diesmal in der Art, wie ein Zuhälter in einem deutschen Film seine Hure schlägt. Die rechte Hand von links unten heraufgeschleudert, so dass die Knöchel genau auf ihrem rechten Wangenknochen auftrafen. Das dürfte genügen. Da erübrigte sich jedes weitere Wort.
„Sie soll mich in einer halben Stunde hier abholen“, sagte Isa knapp und nannte ihre Adresse. „Wenn sie hier ist, soll sie mich kurz anrufen. Meine Nummer haben Sie ja.“
Sie wartete, bis die Telefonistin alles korrekt wiederholt hatte, dann drückte sie den roten Knopf und sah, dass ein Anruf hereingekommen war. Er war von Penelope. Isa merkte, dass sie in der Wärme des Zimmers zu schwitzen begann. Penelope. Zum Teufel mit der schwarzen Prinzessin. Nun gut. Penelope. Sie konnte warten. Sie brauchte erst eine Dusche. Nur schon der Gedanke daran tat gut.