Als Owen nach Hause kam, roch es lecker nach Essen, und er hörte Nathan in der Küche zu Popmusik singen. Er lächelte trotz seiner miesen Laune, die bei ihm ein Dauerzustand zu sein schien. Inzwischen in seiner vorletzten Arbeitswoche und ohne Aussicht auf etwas Neues fand er es mühsamer denn je, positiv zu bleiben.
Er trat aus seinen Schuhen, knöpfte den Hemdkragen auf und lockerte seine Krawatte, eher er sich auf den Weg in die Küche machte.
„Hey Schatz, ich bin zuhause.“
„Hey.“ Nathan, der gerade am Herd stand und in einem Topf rührte, drehte den Kopf, um Owen zu begrüßen.
Owen trat hinter ihn und fasste ihn an den Hüften. Er küsste ihn auf die Wange und spähte ihm dann über die Schulter. „Riecht wunderbar. Ist das Bolognese?“
„Ja. Ich hab‘ eine ganze Ladung gemacht, damit wir was davon einfrieren können. Wie war dein Tag?“
„Nicht so gut.“ Die langen Autofahrten hatten Owen eigentlich nie etwas ausgemacht. Aber jetzt gaben sie ihm zuviel Zeit, um sich Sorgen zu machen. Nichts lenkte ihn ab. Seine Gedanken übertönten das Radio und die Hörbücher, die er sich anzuhören versuchte. „Ich bin nur froh, dass er vorbei ist.“
„Warum gehst du dich nicht umziehen? Das hier muss noch eine Weile köcheln, also können wir uns solange aufs Sofa setzen und chillen. Willst du ein Bier?“
„Aber hallo.“
Nathan lachte leise. „Dann mach hin. Ich bring‘ sie gleich ins Wohnzimmer.“
Owen zog sich eine Schlafanzughose und ein uraltes T-Shirt an, dann streifte er sein Lieblings-Hoodie über. Gott, es tat so gut, aus seinem Anzug herauszukommen. Vielleicht hatte die Arbeitslosigkeit ja auch ihr Gutes, dachte er missmutig. Dann konnte er jeden Tag
so rumlaufen.
Er sank dankbar neben Nathan auf die weichen Sofapolster und nahm das Bier, das Nathan ihm anbot.
„Prost.“ Er trank einen großen Schluck, dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Seine Schultern schmerzten, nachdem er stundenlang über das Lenkrad gebeugt dagesessen hatte – und das mit der Anspannung, die er anscheinend nicht abschütteln konnte. Er lehnte sich seitwärts an Nathan, suchte die Wärme und den Trost einer Umarmung. Doch Nathan griff nach seinem iPad, der auf dem Kaffeetisch lag, entsperrte ihn und öffnete den Browser.
„Wir müssen uns wegen der Eheringe entscheiden. Wenn wir sie gravieren lassen wollen, müssen wir sie bald bestellen. Können wir unsere Auswahl nochmal durchgehen?“
Owens Herz wurde schwer. Er hatte im Moment absolut keine Lust dazu, sich irgendwelche Scheiß-Ringe anzugucken – Ringe, die ein Vermögen kosteten und symbolisierten, dass Nathan lebenslang an ihn gebunden war. Owen fühlte sich wie ein Mühlstein um Nathans Hals. Kein normal denkender Mensch sollte eine lebenslange Bindung mit ihm eingehen wollen, aber er war zu müde zum Streiten, und was hätte er auch sagen sollen? Die Heiratspläne waren wie eine Lawine, die den Berg herunterrollte und alles mitriss, einschließlich Owen.
„Ja, klar“, sagte Owen und versuchte, nicht so lustlos zu klingen, wie ihm zumute war.
Als er sich vorbeugte, um auf das iPad zu schauen, legte Nathan den Arm um ihn, und bei dieser simplen Geste der Nähe und Zuneigung schossen Owen die Tränen in die Augen. Er blinzelte und kam sich lächerlich vor. Die Kombination aus Schuldgefühlen, Stress und der Sehnsucht, von Nathan einfach in den Arm genommen zu werden, war überwältigend. Aber Nathan war auf die Ringe konzentriert und scrollte bereits durch die verschiedenen Alternativen, während er darauf wartete, dass Owen Interesse zeigte.
„Welche gefallen dir am besten?“, fragte Nathan.
Owen zuckte die Achseln. „Die sind alle hübsch. Keine Ahnung. Die Rotgoldenen vielleicht? Aber sie gefallen mir alle. Ich überlass‘ dir da gern das letzte Wort.“ Es stimmte, die Ringe waren alle schön, und Owen war es sowieso ziemlich egal. „Aber ich weiß nicht, warum wir überhaupt Ringe brauchen. Ich brauche kein Stück Metall am Finger als Beweis, dass ich dich liebe. Ringe sind ein veraltetes Besitzsymbol, und du weißt doch auch so, dass du mir gehörst.“ Er hatte das als Scherz gemeint, doch sein Tonfall kam nicht an.
Nathan antwortete nicht sofort. Er nahm den Arm von Owens Schultern, drehte sich um und sah ihn an. Seine Lippen wurden schmal und düstere Falten bildeten sich auf
seiner Stirn, dann sagte er: „Nun ja, ich habe nicht immer das Gefühl, dass du mir gehörst.“
Die Worte schnitten Owen ins Herz, drangen mitten in dieses schreckliche, allgegenwärtige Knäuel aus Schuldgefühlen und Beklommenheit in seinem Inneren.
„Natürlich gehör‘ ich verdammt nochmal dir.“ Seine Stimme klang schärfer als beabsichtigt. „Wir heiraten schließlich, oder?“
Nathan starrte ihn an; seine blauen Augen strahlten vor Entschlossenheit. „Ich will Ringe. Wir hatten keine Verlobungsringe, aber ich will Eheringe.“
„Okay, na schön. Dann kaufen wir eben Ringe.“ Er versuchte, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen. Er hatte keine Lust auf einen Streit. „Jetzt gib mal her, damit ich mir das genauer anschauen kann.“
Letztendlich einigten sie sich auf die, die Owen anfangs vorgeschlagen hatte, und eine schlichte Gravur – ihre Vornamen und das Jahr. Nathan wirkte glücklicher, als diese Entscheidung erstmal getroffen war, und Owen war froh, dass sie darüber nicht nochmal streiten mussten.
Nach dem Abendessen schauten sie fern, endlich auf dem Sofa aneinandergekuschelt, wie Owen es sich vorhin gewünscht hatte. Die Festigkeit und Wärme von Nathans Körper erdeten ihn. In seinen Armen fühlte Owen sich sicher und geborgen und vergaß seine Zweifel – wenigstens teilweise, und für eine Weile.
Als sie aufstanden, um ins Bett zu gehen, rollte Owen die Schultern und zuckte unwillkürlich zusammen, als sich seine Muskeln über die Bewegung beschwerten.
„Bist du verspannt?“, fragte Nathan.
„Ja. Nach vier Stunden Autofahren ist das kein Wunder.“
„Soll ich dich massieren, bevor wir schlafen gehen?“
Owen grinste. Massagen von Nathan fanden gewöhnlich ein erfreuliches und recht klebriges Ende. „Ja, bitte.“
Als Nathan sich breitbeinig über seine Hüften kniete und mit seinen starken Händen die Anspannung aus Owens Schulter- und Nackenmuskeln knetete, glitt Owen allmählich in einen Zustand seliger Entspannung und Erregung. Er bekam einen Ständer, und Nathans Erektion streifte seinen Hintern, als Nathan sich vorbeugte und ihn auf den Nacken küsste.
„Ich glaube, wenn du die Zunge zum Massieren benutzt, ist das nicht sehr effektiv“, sagte Owen.
„Kommt drauf an, was ich massiere.“
„Wie wär’s, wenn du meinen Schwanz massieren würdest?“
Nathan lachte. „Das ist wahrscheinlich der blödeste Anmachspruch, den ich je gehört habe. Aber dreh dich trotzdem um.“
Nachdem Nathan Owens Schwanz gründlich massiert hatte – mit Zunge, Lippen und ein bisschen Unterstützung durch seine Hand – revanchierte Owen sich bei ihm.
Befriedigt kuschelten sie sich aneinander, und ausnahmsweise einmal lag Owen nicht wach, weil sein Verstand in einer Tretmühle aus Ängsten und Sorgen feststeckte.
Einige Tage
später bekam Nathan abends einen Anruf von seinem Bruder. Owen war gerade mitten in einem Handyspiel und achtete nicht groß auf ihre Unterhaltung, bis er hörte, wie sein Name fiel.
„Ich wäre auf jeden Fall dabei, bei Owen weiß ich nicht genau, ich frag‘ ihn mal. Kann ich dich nachher zurückrufen?“ Kurze Pause. „Okay, also bis dann.“
Nathan legte sein Handy weg.
„Ben hat gefragt, ob wir über Ostern nach Schottland fahren wollen. Er meinte, wir könnten Bergwandern gehen, ein paar Nächte in einem B&B in den Highlands verbringen. Was meinst du?“
„Ist es dafür nicht noch ein bisschen kalt?“ Der Frühling war bisher kühl gewesen. Owen konnte sich nur vorstellen, wie kalt es Mitte April erst im schottischen Hochland sein würde. Seit er mit Nathan zusammen war, ging Owen sehr viel öfter an die frische Luft als früher. Nathan liebte Wandern, und sie gingen an den Wochenenden oft in Wales campen, aber das machten sie normalerweise im Sommer.
„Ja, kann schon sein. Aber es wäre toll. Ich würde das wirklich gerne machen. Ich kann mir ein paar Tage Urlaub nehmen, dann könnten wir vielleicht für eine Woche gehen?“
„Wie kommen wir da hin?“ Bis Ostern würde Owen arbeitslos sein, und dann hatten sie kein Auto mehr.
„Mit dem Zug, oder wir könnten fliegen? Ben würde uns abholen, und für die Fahrt in die Highlands würden wir schon alle drei in sein Auto passen.“
Owen dachte darüber nach. Ein Tapetenwechsel erschien ihm zwar verlockend, aber er war im Moment nicht scharf auf zusätzliche Ausgaben. Für die Anreise und die Unterkunft würde einiges zusammenkommen. Nathan würde natürlich darauf bestehen, alles zu bezahlen, wenn Owen Geldsorgen als Grund anführte, um nicht mitzukommen. Aber das wollte Owen nicht.
„Ja. Aber ich glaube, diesmal verzichte ich lieber“, sagte er. „Ich werde mit der Jobsuche beschäftigt sein, und bis dahin habe ich hoffentlich ein paar Vorstellungsgespräche. Ich kann es mir im Moment nicht leisten, auch nur für ein paar Tage nicht erreichbar zu sein.“
Die Enttäuschung war Nathan anzusehen, aber er nickte. „Ja, da hast du wohl recht. Vielleicht könnten wir es verschieben, stattdessen an einem Feiertagswochenende im Mai hinfahren? In der Hoffnung, dass du bis dahin was gefunden hast?“
„Nein, du solltest schon jetzt fahren. Es wird dir gut tun, etwas Zeit mit Ben zu verbringen, und ich habe ihn schließlich schon kennengelernt.“ Ben und seine Frau Charlotte waren letztes Jahr auf Besuch bei ihnen gewesen. Er war ein netter Kerl, und Owen hatte sich gut mit ihm verstanden.
„Wenn du sicher bist?“
„Natürlich.“ Insgeheim dachte Owen, dass Nathan wahrscheinlich eine Pause von ihm vertragen könnte. In letzter Zeit war es wahrscheinlich nicht unbedingt lustig gewesen, mit ihm zusammenzuleben. „Das wird super. Dann schlafe ich in der Mitte vom Bett und habe die totale Kontrolle über die Fernbedienung. Ich kann die Lautstärke die ganze Woche über auf ungerade Zahlen einstellen, und du kannst mich nicht daran hindern.“
Nathan lachte. „So, wie ich dich kenne, wirst du mir wahrscheinlich Fotos davon schicken, um mich zu quälen.“
„Ooh. Gute Idee.“
Nathan haute ihm ein Kissen über den Kopf. „Na gut. Wenn du sicher bist, dass es dir recht ist, ruf‘ ich Ben zurück und mach‘ es aus.“
„Absolut sicher. Nur zu.“
Um neun Uhr
abends an Owens vorletztem Arbeitstag bekam er einen Anruf von einer völlig hysterischen Megan. Sie weinte und redete so schnell, dass er sie kaum verstehen
konnte.
„Hey, ganz ruhig, Meg. Atmen.“ Owen gab Nathan einen Wink, und Nathan schaltete den Fernseher aus und runzelte bei Owens sichtlich besorgter Miene betroffen die Stirn. „Was ist los?“
„Fuck, Owen. Mam weiß
es. Sie weiß das von mir und Ali. Sie ist, ohne anzuklopfen, bei uns reingeplatzt. Wir haben uns nur geküsst, aber sie ist ausgerastet, und Ali ist gegangen, bevor ich mit ihr reden konnte, und jetzt weiß ich nicht, was ich machen soll!“
Mist. Owen holte tief Luft. „Okay, Meg. Deshalb geht die Welt nicht unter. Ich hab‘ das mit Mam auch schon hinter mir. Sie kriegt sich schon wieder ein. Es war wahrscheinlich bloß ein Schock für sie, wenn sie nicht darauf gefasst war.“
„Aber Ali hat jetzt voll Schiss, dass Mam es ihrem Dad erzählt, und ihr Vater ist ein richtig engstirniger Scheißkerl. Er schlägt sie sowieso schon manchmal. Der dreht doch total durch, wenn er rausfindet, dass sie lesbisch ist.“
„Wo bist du, und wo ist Mam?“, fragte Owen.
„Ich bin in meinem Zimmer, und sie ist unten. Ich war auch unten und hab‘ versucht, mit ihr zu reden, aber sie ist immer noch stinksauer und wollte mir nicht zuhören.“
„Pass mal auf. Ich leg‘ jetzt auf, und dann rufe ich Mam an. Das wird schon wieder, Meg, ehrlich. Du weißt, wie sie ist. Sie ist immer gleich auf hundertachtzig, aber sie liebt dich. Ich sage ihr Bescheid wegen Ali und ihrem Vater. Ich ruf‘ dich nachher zurück, okay? Also bis dann.“
Owen legte auf und hatte schon die Nummer seiner Mutter auf dem Display, bereit, auf „Anrufen“ zu tippen, als Nathan ihm eine Hand aufs Knie legte.
„Ist mit Megan alles in Ordnung? Ich meine, das Wesentliche hab‘ ich mitgekriegt. Aber…“
„Sie ist ziemlich durcheinander, aber sie wird’s überleben. Ich muss trotzdem mit Mam reden und sie ein bisschen beruhigen.“
„Okay.“
Sie nahm beim ersten Klingeln ab. „Owen?“ Sie klang gestresst. „Ich hab‘ eben versucht, dich anzurufen, aber es war besetzt.“
„Ja, Mam, hör zu. Ich habe gerade mit Megan geredet. Sie hat mir gesagt, dass du das mit ihr und Ali rausgefunden hast –“
„Hast du davon gewusst?“
„Sie hat es mir vor ein paar Monaten erzählt.“
„Ich war krank vor Sorge um sie, mit ihrer ganzen Heimlichtuerei. Du hättest doch was sagen können, Owen. Du weißt, dass ich sie unterstützt hätte. Und ich hab‘ mir Sorgen gemacht, dass sie Drogen nimmt oder weiß Gott was. Es ist mir piepegal, dass sie eine Freundin hat, aber es ist mir nicht egal, wenn sie meint, sie müsste mir das verheimlichen.“
„Mam“, fuhr Owen ihr scharf dazwischen. „Komm schon. Sie hat es mir unter vier Augen anvertraut. Es war nichts Bedenkliches, also hab‘ ich dir natürlich nichts davon gesagt. Sie war noch nicht soweit, es dir zu sagen, und sie hat auch Ali beschützt. Jetzt hör zu, deshalb rufe ich nämlich an. Megan flippt gleich aus, weil sie Angst hat, dass du es Alis Vater sagen könntest, und das darfst du nicht. Ich kenne keine Einzelheiten, aber er ist anscheinend ein ziemlich übler Typ. Also bitte, Mam. Gib ihnen ein bisschen Freiraum, sag‘ Megan, dass sie sich keine Sorgen machen muss, und behalt‘ das um Himmels willen für dich, okay?“
„Oh, Owen. Wofür hältst du mich denn? Natürlich werde ich Ali nicht
vor ihrem Vater outen. So dumm bin ich nicht. Ich bin nur… Ich weiß nicht, was ich denken soll. Bei dir war das keine große Überraschung. Eigentlich habe ich es schon gewusst, bevor du es mir gesagt hast. Aber bei Megan hätte ich nie damit gerechnet. Ich habe das Gefühl, als hätte ich es wissen müssen, als hätte ich sie irgendwie im Stich gelassen. Ich wünschte, sie hätte mir da genauso vertraut wie dir.“ Sie klang jetzt ruhiger, und Owen nahm das als gutes Zeichen.
„Du hast sie nicht im Stich gelassen, Mam. Aber sie braucht dich jetzt. Sie hat Angst, und du musst ihr sagen, dass alles gut wird – denn das wird es. Dann lass sie Ali anrufen, damit sie sie auch beruhigen kann, ja?“
„Ja, okay, Liebes.“ Für einen Moment war nur Jans Atmen zu hören, dann wurde daraus ein leicht hysterisches Lachen. „Gott… die ganze Zeit hatte ich Angst, dass sie schwanger werden könnte. Wie es aussieht, hätte ich mir darum nun wirklich keinen Kopf machen müssen, was?“
Owen lachte leise. „Scheint so.“
„Na schön. Dann geh‘ ich mal besser und rede mit ihr.“
„Drück‘ sie ganz fest von mir.“
„Mach‘ ich.“