Einige feiern im Jahr 2017 den 50. Jahrestag der längsten militärischen Besatzung in der modernen Geschichte. Es ist absolut angemessen, dass diese Feierlichkeiten auch eine gemeinsame Sitzung des us-Kongresses und der israelischen Knesseth, abgehalten via Video-Verbindung, beinhalten. Israels Herrschaft über Ost-Jerusalem, die Westbank, den Gazastreifen und die Golanhöhen sind nur möglich durch die ständige Unterstützung, die sämtliche us-Regierungen seit dem Juni 1967 leisteten. Daher ist es nicht alleine eine israelische Besatzung: Von Anbeginn an war es in der Tat ein gemeinsames Projekt, eine israelisch-amerikanische Gemeinschaftsherrschaft, wenn man so möchte. Die verschiedenen Formen der Gewalt, welche nötig waren (und sind), um die Herrschaft über nahezu fünf Millionen Menschen ausüben, waren (und sind) ausschließlich israelisch, das finanzielle, militärische und diplomatische Gewicht dahinter war (und ist) überwiegend amerikanisch.
Das Ausmaß der bedingungslosen amerikanischen Unterstützung dieser 50-jährigen Besatzung kann man am Unterschied erkennen, wie die us-Administrationen seit Lyndon Johnson Israels Eroberungen von 1967 betrachteten, im Gegensatz zu Präsident Eisenhowers Einstellung zum Krieg gegen Ägypten von 1956. Im früheren Fall von Roosevelt war die amerikanische Reaktion eindeutig und stark. Nur wenige Tage nach dem israelisch-britisch-französischen Angriff auf Ägypten setzten die usa eine un-Resolution durch, in der der bedingungslose und sofortige Abzug aus dem besetzten Gazastreifen und der Sinai-Halbinsel verlangt wurde. Unter mächtigem Druck Amerikas tat dies Israel widerwillig sechs Monate später.
Als 16-Jähriger war ich selbst am 9. Juni 1967 Zeuge, wie stark sich seit 1956 die Verhältnisse geändert hatten. Am vierten Tag des Krieges saß ich auf der Besuchergalerie des Sicherheitsrates (mein Vater arbeitete für das un-Sekretariat). Ich beobachtete us-Botschafter Arthur Goldberg, der den Sicherheitsrat über Stunden hinhielt, um einen Beschluss zu verhindern, der Israel gezwungen hätte, den offensichtlich unaufhaltbaren Vorstoß gegen Damaskus zu stoppen. Trotz einer darauffolgenden Waffenstillstandsresolution des Sicherheitsrates und dank dieser taktischen Unterstützung der usa wurde der Vormarsch bis zum nächsten Tag nicht beendet.
Es kam aber noch schlimmer. Im Unterschied zu den Tagen, die die uno im Jahr 1956 benötigte, um zu agieren, benötigten die Vereinten Nationen mehr als fünf Monate, um eine Resolution zu verabschieden, welche sich mit der Situation nach dem Sechstagekrieg von 1967 befasste. Als dies geschah, am 22. November 1967, war die Sicherheitsresolution 242 im Wesentlichen von den Wünschen Israels, mit unumgänglicher Unterstützung der usa, bestimmt. Die un-Resolution 242 war bei weitem nicht bedingungslos: Tatsächlich hat sie den Rückzug aus den von Israels Armee soeben eroberten Gebieten davon abhängig gemacht, dass »sichere« Grenzen errichtet werden konnten, ein Begriff, der sich als unendlich flexibler Terminus im israelischen Lexikon erwiesen hat. Diese Flexibilität hat eine 50-jährige Verzögerung erlaubt, was die eroberten palästinensischen und syrischen Territorien anbelangt. Mehr noch, in ihrer englischen Version spricht un-Resolution 242 nicht von einem Rückzug Israels aus allen im Junikrieg eroberten Gebieten, sondern lediglich von »während des Konfliktes eroberten Gebieten«. Mit großer Unterstützung seitens der usa hat Israel seine Interessen vollständig durchgesetzt.
Andere Passagen in der un-Resolution 242, wie jene, die die »Unzulässigkeit der Aneignung von Territorien durch Krieg« festhält, können als Ausgleich für jene wichtigen Konzessionen an Israels Position betrachtet werden. Dennoch, welche Teile von 242 wirklich wichtig sind, wird durch die gemeinsame Sitzung des us-Kongresses und der Knesset erkennbar, die im Juni 2017 als Höhepunkt der us-amerikanischen Zustimmung stattfand und zum Ausdruck brachte, dass die Besatzung in Wirklichkeit durch amerikanisches Geld, Waffen und diplomatische Unterstützung garantiert ist.
Ein weiterer wichtiger Punkt bezüglich der un-Resolution 242 ist erwähnenswert. Der Konflikt an sich war ein kolonialer, zwischen der indigenen palästinensischen Mehrheit und der zionistischen Bewegung, als letztere versuchte, Kontrolle über das Land auf Kosten der Mehrheit zu erlangen. Das Wesen dieses Konfliktes ist auch teilweise in der un-Generalversammlungsresolution 181 im Jahr 1947 anerkannt worden, in der eine Teilung des Landes in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorgeschlagen wurde. Die Juden sollten einen größeren Teil als die Araber erhalten, obwohl zu diesem Zeitpunkt Juden weniger als 7% des Landes besaßen und die Araber 65% der Bevölkerung ausmachten und im Prinzip das absolute Recht auf Selbstbestimmung im gesamten Land, das sie verständlicherweise als das ihrige betrachteten, ausüben hätten können.
Die un-Resolution 242 bedeutete einen Rückschritt für die Palästinenser. Sie sind im Text der Resolution von 1967 nicht erwähnt, auch nicht ihre Rechte auf Staatlichkeit und Rückkehr zu ihren Wohnstätten und Besitzungen, was bereits in früheren un-Resolutionen bestätigt worden war, alle unterstützt von den Vereinigten Staaten. Stattdessen war von »einer gerechten Lösung des Flüchtlingsproblems« die Rede.
Hochmütig die indigene Bevölkerung und ihre Rechte und Interessen zu ignorieren, ist ein typisches kolonialistisches Manöver, eines, das die Voraussetzungen für einen israelischen Kolonialstaat geschaffen hat, der sich nun über 50 Jahre in den besetzten Gebieten ausbreiten konnte. Es versteht sich von selbst, dass dies ohne volle Unterstützung der usa nicht möglich gewesen wäre, begleitet von lauwarmer Kritik. Der britische Außenminister Lord Balfour war am gleichen Manöver einhundert Jahre zuvor beteiligt, hat niemals die Bezeichnungen Palästinenser oder Araber in seiner berühmten Erklärung vom 2. November 1917 benützt, in der er die britische Unterstützung für eine jüdische »nationale Heimstätte« in Palästina, das damals eine 94%ige arabische Mehrheit aufwies, zum Ausdruck brachte.
Resolution 242 löste durch die Nichtbeachtung der Palästinenser und die Erfüllung der Wünsche Israels eine diplomatische Revolution aus, die die Expansion Israels als regionale Supermacht förderte. Diese Resolution, vom britischen Botschafter Lord Caradon verfasst, ignorierte weiterhin die Palästinenser und bestimmte weitgehend die Richtung der folgenden »Friedensverhandlungen«. Es ist daher kaum überraschend, dass diese keine wie immer geartete friedliche Lösung erreichten, sondern die Besatzung palästinensischen und syrischen Territoriums legitimierten.
Die Szene, die ich am 9. Juni 1967 im Sicherheitsrat beobachtet habe, war lediglich ein Zeichen für eine totale Änderung der us-Politik durch Präsident Johnson und seine enthusiastisch pro-israelischen Berater, darunter Clark Clifford (der dafür verantwortlich war, dass Präsident Harry Truman 1947 und 1948 Israel unterstützte), Arthur Goldberg, McGeorge Bundy, Abe Fortas und die Brüder Walt und Eugene Rostow. Diese und andere haben sichergestellt, dass vor dem Junikrieg 1967 Israel von den usa grünes Licht für den ersten Angriff auf die arabischen Armeen erhielt, was sie 1956 zur Zeit ihres gemeinsamen Suez-Abenteuers mit England und Frankreich unterlassen hatten. Einige dieser Berater haben auch ihren Einfluss bei der Formulierung der un-Resolution 242 geltend gemacht.
1967 hat Israel auch bereits einige us-Waffenlieferungen erhalten, obwohl es den Krieg in erster Linie mit französischen und britischen Waffen gewinnen konnte, wie dies auch 1956 der Fall gewesen war. Infolge des Sieges im Sechstagekrieg ist Israel auch ein wichtiger Alliierter des Westens im Kalten Krieg geworden und ging eine enge Beziehung zu den Vereinigten Staaten ein. Mit der Zeit ist diese Allianz enger geworden als zu irgendeinem anderen Staat, mit Militärhilfe weit über 1 Mrd. us-Dollar pro Jahr nach 1973 und über 4 Mrd. us-Dollar im Jahr 2017 (diese Hilfe geht an ein relativ reiches Land, eines mit einem Pro-Kopf-Einkommen von nahezu 35.000 us-Dollar). Seit 1967 ist Israel von den usa verwöhnt worden, ganz egal ob seine Aktionen die us-Interessen förderten oder beeinträchtigten. Diese Innigkeit hat einen Punkt erreicht, an dem Politiker beider Seiten sich im Wettstreit darüber befinden, keinerlei Differenzen in den Positionen beider Staaten zuzulassen.
Trotz der Beteuerungen dieser Gemeinsamkeiten des us-amerikanischen und israelischen Establishments bezüglich der fortgesetzten Besatzung und des Kolonisationsprozesses in Palästina – der Tag der Abrechnung wird kommen. Dafür gibt es genügend Vorboten. Die Demokratische Partei der usa ist bereits hin- und hergerissen zwischen der absolut pro-israelischen alten Führungsgarde und einer jüngeren und offeneren Basis, die sieht, was sich tatsächlich in Palästina abspielt. Die Resolution, welche die kalifornische Demokratische Partei am 21. Mai 2017 verabschiedet hat, ist ein Zeichen dafür. Sie verurteilt die Versäumnisse aufeinanderfolgender Administrationen, statt einer milden Kritik der Besatzung »aktuelle Schritte zur Änderung des Status quo zu setzen und einen wirklichen Friedensprozess einzuleiten«. Sie setzt fort, die »illegalen Siedlungen in den besetzten Gebieten zu kritisieren« und ruft nach einem »gerechten Frieden basierend auf voller Gleichheit und Sicherheit im gleichen Maße für israelische Juden und Palästinenser« sowie auch nach »Selbstbestimmung, Bürgerrechten und ökonomischem Wohlstand für das palästinensische Volk.«
Fünfzig Jahre nach dem Ausbruch der Euphorie in Israel und Washington, welche den Beginn der Besatzung begleitete, kann die Zunahme einer anderen Gesinnung unter jungen Menschen – darunter viele junge jüdische Amerikaner – aus Minderheiten, manchen Kirchen, Synagogen, akademischen Vereinigungen und Gewerkschaften und auch in den Basisorganisationen der Demokratischen Partei registriert werden. Es gibt natürlich eine potente und gut-finanzierte Gegenbewegung gegen dieses Erwachen, das sich gegen die Trump-Administration und die Führung der Demokratischen Partei wendet und auch in vielen Mainstream-Medien seinen Niederschlag findet. Man kann das an den wilden Auseinandersetzungen in regionalen Parlamenten im ganzen Land über die Versuche, Debatten über verfassungswidrige Anti-bds-Gesetze132 zu verhindern, erkennen (19 davon sind bereits beschlossen worden), aber auch im Einreiseverbot für bds-Anhänger nach Israel sowie Gesetzen gegen israelische bds-Anhänger.
Auch wenn diese Maßnahmen einigen Erfolg haben werden, können sie auf Dauer nicht den Umschwung verhindern, den die Politik Israels bei so vielen Amerikanern und anderswo auf der ganzen Welt herbeigeführt hat. Unterstützung von außen war immer ein wichtiger Faktor im Kampf um Palästina. In den ersten Jahrzehnten nach der Balfour-Erklärung hätte die zionistische Bewegung niemals erfolgreich sein können, ohne die entscheidende Unterstützung durch Großbritannien. Genauso hätte Israel niemals seine Besatzung über 50 Jahre aufrechterhalten können ohne Amerikas Hilfe.
Die fast hysterische Reaktion auf die weltweit anwachsende Kritik an Israels militärischer Besatzung von arabischen Territorien und seiner Siedlungspolitik beweist, dass die israelische Führung und ihre Unterstützer in den Vereinigten Staaten sich dieser neuen Realitäten vollauf bewusst sind. Die Tragödie besteht darin, dass es fast 70 Jahre seit 1948 und 50 Jahre seit 1967 gebraucht hat, um an diesen Punkt zu gelangen. Und wir sind erst am Beginn des Weges zu voller Gleichheit, Selbstbestimmung, Bürgerrechten, Sicherheit und ökonomischem Wohlstand sowohl für israelische Juden als auch für Palästinenser.
Übersetzung aus dem Englischen: Fritz Edlinger
131. Dieser Kommentar wurde am 5. Juni 2017 in der Online-Ausgabe der us-Zeitschrift The Nation veröffentlicht: https://www.thenation.com/article/israeli-american-hammer-lock-palestine
132. bds steht für Boycott, Divestment, Sanctions.