Im Jahr 1923 schrieb der zionistische Führer Ze’ev Jabotinsky: »Jede einheimische Bevölkerung auf der Welt widersetzt sich den Kolonisten, solange sie die geringste Hoffnung hat, sich der Gefahr der Kolonisierung zu entledigen. […] Die zionistische Kolonisation muss entweder beendet werden oder ohne Rücksicht auf die einheimische Bevölkerung fortgeführt werden. Das bedeutet, sie kann nur unter dem Schutz einer von der einheimischen Bevölkerung unabhängigen Macht fortschreiten, hinter einer eisernen Mauer, welche die Einheimischen nicht durchbrechen können.«
Es wurde zu einem Schlüsselelement dieser zionistischen »eisernen Mauer«, nicht nur das Land der indigenen Palästinenser zu kolonisieren, sondern auch deren Köpfe, indem sie die Notwendigkeit akzeptierten, sich Israels Unrecht schicksalhaft zu ergeben und die Vergeblichkeit, dem Regime der Unterdrückung widerstehen zu können. Dies wurde durch hegemoniale und ununterbrochene Machtausübung in unsere Köpfe eingebrannt.
Folglich war der Kampf um Gerechtigkeit für Palästinenser immer dadurch bestimmt, tief verwurzelte Verzweiflung und Barrieren zu überwinden, um einen radikalen Prozess der Dekolonisation der Köpfe loszutreten. Ohne diese Befreiung können sich die Palästinenser nicht vorstellen, wie Freiheit überhaupt aussehen kann. Diese Dekolonisation des Verstandes verlangt wiederum ein Wiedererwecken der Hoffnung.
Hoffnung kann ansteckend sein. Gerade deshalb versucht Israel mit aller Macht, die globale Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen/bds) zu unterbinden. bds ist eine Hauptquelle jeder Hoffnung, ein essenzieller Teil unseres Volkswiderstandes und die effektivste Form der internationalen Solidarität mit dem palästinensischen Kampf für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. bds hat schließlich nicht nur auf die Rechte aller Palästinenser bestanden; es hat das palästinensische Bestreben nach Emanzipation, Gerechtigkeit und Frieden dadurch bestärkt, indem es effektiv einen gewaltlosen und doch realistischen Weg gezeigt hat, diese Ziele zu erreichen.
Ausschlaggebend ist, dass bds die inhärente Beziehung zwischen dem Kampf für palästinensische Rechte und den diversen internationalen Kämpfen für ethnische, indigene, wirtschaftliche, geschlechtliche und soziale Gerechtigkeit wie auch für Klimagerechtigkeit wiederhergestellt hat.
2005 von der größten Koalition in der palästinensischen Zivilgesellschaft gegründet, fordert bds ein Ende der israelischen Besatzung seit 1967, ein Ende der institutionellen und legalisierten Rassendiskriminierung, welche die un-Definition von Apartheid erfüllt, sowie die Aufrechterhaltung des un-verbrieften Rechtes der palästinensischen Flüchtlinge, zu den enteigneten Wohnstätten und Grundstücken zurückzukehren, von denen sie 1948 vertrieben wurden.
Diese drei Grundrechte gelten für die drei Hauptteile des palästinensischen Volkes: jenes im besetzten Gazastreifen und Westjordanland inklusive Ostjerusalem (machen laut einer Statistik aus dem Jahr 2016 38% der Palästinenser aus), die palästinensischen Staatsbürger von Israel (12%) sowie jenes im Exil (50%). Mehr als zwei Drittel der Palästinenser sind Geflüchtete/Flüchtlinge oder intern Vertriebene.
Obwohl bds erst 2005 gestartet wurde, ist die Bewegung in Jahrzehnten palästinensischen, populären und gewaltlosen Widerstands gegen den Siedlerkolonialismus und die ethnischen Säuberungen tief verwurzelt. Sie wurde von der südafrikanischen Anti-Apartheid- Bewegung und der us-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung inspiriert und stark beeinflusst.
Die bds-Bewegung ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert und hat durchwegs und kategorisch alle Formen von Rassismus und Rassendiskriminierung abgelehnt, einschließlich des anti-jüdischen Rassismus und der Islamophobie. Die Bewegung hält hoch, dass die persönliche Identität niemals den Anspruch eines Menschen auf Rechte verringern oder beschränken soll. Folglich zielt bds nicht auf Identität, sondern auf Mitschuld ab.
bds ist eine inkludierende Menschenrechtsbewegung, die sich anwachsender Unterstützung von vielfältigen Gemeinschaften erfreut. Dazu gehört auch eine wachsende Zahl jüdisch-israelischer bds-Unterstützer, die eine bedeutende Rolle dabei spielen, das israelische Regime der Unterdrückung bloßzustellen und für seine Isolation einzutreten.
Trotz der klaren Unterschiede zwischen Israels Regime der Unterdrückung und jenem von Südafrika während der Apartheid bleibt die Ähnlichkeit erstaunlich. Das geben heute viele israelische und südafrikanische Experten zu. Israels Regime der Unterdrückung gegen die Palästinenser mag ein einzigartiger Cocktail sein, doch ist es zum Teil eine raffiniertere, weiterentwickelte und brutalere Form der Apartheid als ihr südafrikanischer Vorgänger. Die Vorsitzende der südafrikanischen Nationalversammlung Baleka Mbete erklärte kürzlich: »Apartheid in Südafrika war ein Picknick im Vergleich zu dem, was wir in den besetzten [palästinensischen] Gebieten gesehen haben.«
Anfang 2017 schloss ein Bericht im Auftrag der Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (Economic and Social Commission for Western Asia/escwa), der von Richard Falk, einem bedeutenden Völkerrechtsexperten und ehemaligen un-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, mitverfasst wurde, dass Israel des Verbrechens der Apartheid gegen die Gesamtheit der Palästinenser schuldig sei und rief zu bds-Maßnahmen auf, um es zur Rechenschaft zu ziehen.124 Nach der enormen Empörung von israelischer Seite und auf das folgende Drängen der usa hin, zogen die Vereinten Nationen den Bericht zurück.
Wie manche israelische Persönlichkeiten und Kommentatoren heutzutage einräumen, hört die in gut 60 rassistische Gesetze gegossene israelische Apartheid nicht bei den Grenzen von 1967 auf. Beispielsweise zerstörten israelische Polizeikräfte Anfang 2017 den Großteil des beduinischen Dorfes Umm al-Hiran in der Naqab- bzw. Negev-Wüste. Dessen Bewohner waren palästinensische Staatsbürger von Israel. Die Zerstörung erfolgte, um auf den Ruinen eine rein jüdische Siedlung zu bauen. Die israelischen Kräfte gaben den palästinensischen Familien kaum eine Vorwarnung, um ihre Möbel, Fotos, Bücher oder Spielzeuge zu holen, bevor sie ihre Häuser und Existenzgrundlage niederrissen.
Umm al-Hiran ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Von Macht und Straflosigkeit berauscht, besonders seit Trumps Machtaufstieg, hat Israel, so fürchten die Palästinenser, eine Eskalation der laufenden Nakba angetreten. Es hat seine dünne Maske, die sogenannte Zweistaatenlösung zu unterstützen, fallen gelassen und geht mit schwindelerregendem Tempo vor, so viele Siedlungen wie möglich in dem besetzten palästinensischen Gebiet zu bauen.
Während Israel offen und unverblümt mit den weltweit zunehmenden Rechtsextremen verkehrt, einschließlich xenophoben und antisemitischen Gruppen, vor allem in den Vereinigten Staaten und in Europa, und während es vermehrt, wie Tony Judt es einst formulierte, den »aggressiv-intoleranten, glaubensgetriebenen Ethno-Staaten« zugeschrieben wird, werden mehr Basisbewegungen und progressive Institutionen die moralische Pflicht empfinden, sich der bds-Bewegung als effektivster Form der Solidarität mit den Rechten der Palästinenser anzuschließen.
Eine führende Persönlichkeit des als »Alt-right« bezeichneten Rechtsextremismus in den usa, Richard Spencer, ging so weit, den rassistischen Nationalismus dieser der »White Supremacy« (»weiße Überlegenheit«) zugehörigen Bewegung als »eine Art weißen Zionismus« zu verteidigen. Diese unmissverständliche Anspielung auf Israels ausgrenzendes Fundament, auf einen Staat, der jüdische Siedler über die einheimische palästinensische Bevölkerung privilegiert und afrikanische Asylsuchende wie ein »Krebsgeschwür« behandelt, entlarvt weiter die oft verschleierten Widersprüche zwischen Zionismus und liberalen Idealen.
Indem diese Widersprüche sichtbarer werden, wächst die Unterstützung dafür, Israel zur Rechenschaft zu ziehen, sowohl unter amerikanischen Juden als auch in der breiteren Öffentlichkeit Amerikas. Eine Befragung aus dem Jahr 2014 zeigte, dass 46% der nicht-orthodoxen jüdischen Amerikaner unter 40 Jahren den Boykott Israels befürworten, um die Besatzung zu beenden. Dies könnte auch das rasante Wachstum führender jüdischer Organisationen erklären, die bds unterstützen – wie etwa Jewish Voice for Peace.
Israel sieht eine tiefgreifende Bedrohung im steigenden Widerstand prominenter jüdischer Persönlichkeiten, die die israelische Neigung, in ihrem Namen zu sprechen, ablehnen, seine Behauptung, »nationale Heimat« aller Juden zu sein, anfechten, oder den inhärenten Konflikt zwischen seiner ethno-religiösen Selbstdefinition und seinem Anspruch, demokratisch zu sein, zur Sprache bringen. Was der us-amerikanische Journalist Isidor Stone prophetisch 1967 zu Israel schrieb, nämlich, dass es aufgrund seiner »rassischen und exklusionistischen« Ideale »eine Art moralische Schizophrenie im Weltjudentum erzeugt«, ist nicht mehr von der Hand zu weisen.
An Israels Apartheid und kolonialer Unterdrückung ist nichts jüdisch; demnach ist an sich nichts anti-jüdisch an einem gewaltfreien, moralisch konsequenten Kampf gegen diese Unterdrückung.
In der amerikanischen Öffentlichkeit im Ganzen stieg die Befürwortung der Logik von bds drastisch. Eine 2016 von der Brookings Institution durchgeführte Befragung zeigt, dass fast die Hälfte aller Amerikaner eine Sanktionierung oder härtere Maßnahmen gegen Israel befürworten würden, um seinen illegalen Siedlungsbau aufzuhalten.
Diese Umfragen und andere Hinweise deuten auf ein beeindruckendes Wachstum der palästinensisch geführten Boycott, Divestment and Sanctions (bds)-Bewegung. Wir ziehen viel Inspiration aus dem wachsenden Band wechselseitiger Solidarität mit Bewegungen, die die Rechte von Flüchtlingen, Migranten, Frauen, Arbeitern, schwarzen Amerikanern, Muslimen, indigenen Amerikanern und der lgbtqi125-Gemeinschaft sowie auch aus der Tatsache, dass die altehrwürdige Taktik des Boykotts die Waffe der Wahl für Amerikaner geworden ist, die Trump und ihm nahestehende Unternehmen ablehnen.
Da eine auf Illusionen beruhende Hoffnung die Unterdrückten nicht näher zur Gerechtigkeit bringt, müssen wir uns stets fragen, ob die Hoffnung, die wir hegen, nicht nur auf moralisch konsequenten Strategien basiert, sondern auch auf effektiven Strategien des Widerstands, die uns zum Ziel bringen.
In dieser Hinsicht muss die Wirkungskraft von bds in Anbetracht zweier eng verwandter Strategien bewertet werden: Weltweit das Bewusstsein für die von den Vereinten Nationen vorgeschriebenen Rechte des palästinensischen Volkes zu schärfen sowie den materiellen und psychologischen Preis des israelischen Regimes der Unterdrückung zu erhöhen, indem Individuen, Institutionen, die Zivilbevölkerung und letztendlich Staaten mobilisiert werden, um ihre praktische Mitwirkung an der Aufrechterhaltung dieses Regimes zu beenden. Jüngste internationale Meinungsumfragen, zusammen mit der hysterischen Reaktion Israels, deuten darauf hin, dass bds an beiden Fronten erfolgreich ist.
Im April 2017 gab die Stadtverwaltung Barcelonas Maßnahmen bekannt, um die Mittäterschaft in Israels Besatzungs- und Siedlungsregime zu beenden und verteidigte das Recht, Rechte der Palästinenser mit bds-Taktiken zu verfolgen. Dieser Verlautbarung folgten Dutzende regionale Räte überall in Spanien, die sich unlängst zu »israelisch-Apartheid-freien Zonen« erklärt haben.
Im September 2015 wurde Veolia, ein französischer Großkonzern, zum ersten internationalen Unternehmen, das nach einer weitreichenden siebenjährigen bds-Kampagne, die dem Konzern weltweit Umsätze im Wert von über 20 Mrd. us-Dollar gekostet hat, all seine Beteiligungen an illegalen israelischen Tätigkeiten beendete. Das löste einen Domino-Effekt aus, wodurch andere Unternehmen wie etwa Orange und crh ebenfalls aus der israelischen Wirtschaft abzogen.
Auch G4S, die weltweit größte private Sicherheitsfirma, beugte sich, nachdem sie, wie die Financial Times es beschrieb, »Rufschädigung« erlitt, dem Druck von bds und beendete den Großteil seiner Beteiligung in illegalen israelischen Gewerben. G4S hatte Verträge unter anderem in Jordanien, Norwegen, Libanon, Südafrika, Kolumbien und im Europäischen Parlament verloren.
Anfang 2016 erklärte der 20 Mrd. us-Dollar schwere Pensions- und Gesundheitsfond der Evangelisch-methodistischen Kirche die fünf größten israelischen Banken als gesperrt für Investitionen und desinvestierte aus zweien, die sich in seinen Portfolios befanden. Damit folgte er dem zweitgrößten holländischen Pensionsfond pggm, welcher 2014 ebenfalls aus diesen israelischen Banken ausstieg.
Kürzlich gab seb, eine schwedische Bankengruppe, ihre Desinvestition aus bedeutenden Unternehmen bekannt, die in Israels Besatzung und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind, darunter die größten israelischen Banken, das größte israelische Rüstungsunternehmen (Elbit) sowie Hewlett-Packard Enterprise (hpe).
Die Presbyterian Church (usa) stimmte 2014 dafür, aus Caterpillar, Hewlett-Packard (hp) und Motorola Solutions zu desinvestieren. Andere protestantische Kirchen in den Vereinigten Staaten taten dies ebenfalls.
Sollte bds weiterhin wachsen, so schätzt die Ratingagentur Moody’s, wird es einen erheblichen Einfluss auf die israelische Wirtschaft haben. Diese stetig wachsende wirtschaftliche Wirkungskraft kam nach Jahren des Erfolges von bds in kulturellen und akademischen Gebieten.
So haben beispielsweise über 1000 schwarze AktivistInnen in den usa und darüber hinaus sowie das »Movement for Black Lives« bds ihre Unterstützung zugesagt.
Seit 2015 gaben mehr als 1000 kulturelle Persönlichkeiten in Großbritannien ihre Unterschrift zur Unterstützung des Boykotts von Israel. Ähnliche Initiativen gab es in Montreal (Kanada), Irland und Südafrika.
Neben den vielen Künstlern und Musikern, die Auftritte in Tel Aviv abgesagt haben oder sich vollständig weigern, dort aufzutreten, hat von den 26 Oscar-Kandidaten 2016, denen von der israelischen Regierung eine aufwendige, komplett bezahlte Propagandareise angeboten wurde, niemand das Angebot angenommen. Sechs von elf nfl-Spielern, darunter Michael Bennett, haben eine ähnliche Vergnügungsreise abgesagt.
Akademische Gesellschaften und dutzende Studentenvertretungen in Stanford, ucla, Berkeley, Northwestern und vielen weiteren us-amerikanischen, kanadischen und britischen Universitäten stimmten für ähnliche bds-Maßnahmen, unter anderem Desinvestition aus Unternehmen, die in Israels Besatzung verwickelt sind.
Dennoch kann bds nicht die ganze Verantwortung für die wachsende akademische, kulturelle und zunehmend wirtschaftliche Isolation Israels übernehmen. Ein Teil des Verdienstes gehört Israel selbst.
Die israelische Parlamentswahl 2015 brachte ihre bislang »rassistischste Regierung« an die Macht, die sich damit beschäftigt, ein rassistisches Gesetz nach dem anderen durch das israelische Parlament zu jagen. Israelische Minister haben einen unverdeckten und ungenierten rechtsextremen Rassismus angenommen, während Israels Oberrabbiner der sephardischen Gemeinschaft unlängst zur ethnischen Säuberung von Nichtjuden aus dem Land Israel aufrief.
Führende israelische politische und militärische Persönlichkeiten haben öffentlich Bedenken darüber geäußert, dass Israel in einen Abgrund sinkt. Ehud Barak, ein ehemaliger Ministerpräsident, dem vorgeworfen wird, viele Kriegsverbrechen gegen die Palästinenser begangen zu haben, warnte, dass Israel von einem »Keim des Faschismus infiziert« sei. Der derzeitige stellvertretende Generalstabschef Jair Golan verglich die »ekelerregenden Entwicklungen« in der israelischen Gesellschaft mit Deutschland in den 1930er-Jahren. Israels Ruck nach Rechtsaußen hat ungewollt den Rückhalt für die Rechte der Palästinenser gestärkt.
Nachdem Israel viele Schlachten um die Köpfe und Herzen der Menschen an der Basis verloren hatte, führte es 2014 einen neuen Top-down-Ansatz ein, der seine bisherige erfolglose Strategie des alleinigen »Branding« und kostspieliger Propaganda, um diese Bewegung zu bekämpfen, ersetzen soll.
Teil dieser »Brand Israel«-Kampagne war es zum Beispiel, riesige Geldsummen in die Vermarktung des Landes als Schutzort für lgbtqi-Rechte zu investieren. Diese Taktik wird von palästinensischen Queer-Aktivisten und ihren weltweiten Unterstützern als sogenanntes »pinkwashing« verurteilt.
Die neue Strategie gebraucht nun juristische Kriegsführung, Spionage und intensivierte Propaganda, um Fürsprache für bds zu untergraben oder gar zu verbieten, was Erinnerungen an die McCarthy-Ära weckt. Ein verzweifelter israelischer Minister hat führenden bds-Aktivisten öffentlich mit »gezielter ziviler Tötung« gedroht, ein zweiter gründete eine »Verunglimpfungseinheit«, um bds-Aktivisten und Netzwerke zu verleumden.
Ein israelisches Anti-bds-Gesetz verwehrt nun jedem die Einreise, der eine Organisation unterstützt oder einer Organisation nahesteht, die bds unterstützt oder auch bloß für ausgewählte, gegen israelische Siedlungen gerichtete Boykotts eintritt. Der israelische Minister für strategische Angelegenheiten arbeitet an einer schwarzen Liste von Israelis, die in bds-Boykotts oder Teilboykotts aktiv sind.
In Deutschland, den Vereinigten Staaten, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und andernorts machen Israels einflussreiche Lobbys Überstunden, um die bds-Bewegung zu verteufeln oder zu kriminalisieren. Der us-Kongress überlegt, eines dieser drakonischen Anti-bds-Gesetze zu verabschieden.
Diese neue Anti-bds-Strategie scheint fehlzuschlagen, wie auch einige große israelische Gruppierungen und Lobbys in letzter Zeit zugegeben haben. Ein großer Rückschlag für Israels juristischen Krieg gegen bds waren beispielsweise die Erklärungen der Europäischen Union, der Regierungen von Schweden, Irland und den Niederlanden sowie führender internationaler Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, der Internationalen Liga für Menschenrechte (fidh) und der American Civil Liberties Union. Alle verteidigten das Recht, Israel zu boykottieren, als freie Meinungsäußerung.
Zudem gaben 2016 zweihundert Anwälte und Rechtsexperten aus fünfzehn europäischen Ländern ein Statement ab, indem sie bds als »eine rechtmäßige Ausübung der freien Meinungsäußerung« anerkennen.
Eine weitere Waffe, die Israel und seine einflussreichen Interessensvertretungen im Westen gerne gebrauchen, ist die Antisemitismuskeule, die dazu verwendet wird, jegliche Debatte über die Notwendigkeit, Israel mit denselben Standards des Völkerrechts wie jedes andere repressive Regime zu messen, zu unterbinden. Besonders gegen Europäer und Amerikaner, die den Boykott unterstützen, wird diese Hetzkampagne geführt, indem ihre Mitschuld für den Holocaust dafür instrumentalisiert wird, ihnen das Recht abzusprechen, sich für die Palästinenser und deren Menschenrechte einzusetzen. Diese Antisemitismuskeule wirkt allerdings nicht bei Palästinensern, den Opfern des Zionismus und seinem Kolonialprojekt, die keine Rolle im Holocaust spielten und daher dafür nicht mit ihren Rechten bezahlen sollten.
Als Israel, seine Lobbygruppen und die internationale zionistische Bewegung dabei scheiterten, gewaltlose Menschenrechtsverfechter als Antisemiten zu diffamieren, da jene durchwegs alle Formen von Rassismus ablehnen, mussten sie Antisemitismus neu definieren, um Israel vor Verantwortung und Strafe zu schützen. So versuchen sie aggressiv eine neue Definition von Antisemitismus zu etablieren, die den Antizionismus, Kritik an Israels Politik und Gesetz sowie die Fürsprache effektiver Maßnahmen, um es vor dem Völkerrecht rechenschaftspflichtig zu machen, miteinschließt.
Dieses von Israel propagierte Konzept des modernen anti-jüdischen Rassismus wird dazu genutzt, um eine über dem internationalen Gesetz stehende Stellung Israels zu rechtfertigen. Und der Kampf der Palästinenser gegen das repressive israelische Regime wird so dargestellt, als wäre er nicht von einem sehr menschlichen Streben nach Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, sondern von einem abgrundtiefen »Hass« auf Juden getrieben.
Dieses trügerische Dogma des »neuen Antisemitismus« stellt eine wesentliche Gefahr für Menschen mit Gewissen auf der ganzen Welt dar, einschließlich jener jüdischen Glaubens, die in Solidarität mit dem palästinensischen Kampf stehen, denn es delegitimiert Menschenrechtskampagnen gegen Israels Unrechtssystem oder gar gegen spezifische politische Richtlinien.
Zu behaupten, dass Israel zu boykottieren an sich antisemitisch sei, ist nicht nur falsch, es betrachtet auch Israel und »die Juden« als ein und dasselbe. Diese Behauptung ist so absurd und bigott, wie es wäre, zu behaupten, dass der Boykott eines islamischen Staates wie Saudi-Arabien, etwa wegen seiner erschreckenden Menschenrechtslage, seiner legalisierten Diskriminierung von Frauen oder seiner Kriegsverbrechen im Jemen, zwingendermaßen islamophob sei.
Die Definition von Antisemitismus zu politisieren, indem er mit berechtigtem Widerspruch gegen den Staat von Israel verbunden wird, ist letztendlich auch gefährlich für jüdische Gemeinschaften auf der ganzen Welt, denn es verwässert die Auffassung von anti-jüdischem Rassismus bis zur Unkenntlichkeit und schürt auch echten anti-jüdischen Hass, indem jüdische Gemeinschaften in ihrer Gesamtheit indirekt für ungeheuerliche Verbrechen Israels gegen die Palästinenser und andere mitverantwortlich gemacht werden.
Israel und seine Lobbygruppen stellen oft die wilde Behauptung auf, die »wahre« Agenda von bds sei es, »Israels Existenz zu beenden«, da es auf die un-verbrieften Rechte der palästinensischen Flüchtlinge beharrt, die einer systematischen ethnischen Säuberung ihrer Heimat ausgesetzt wurden, um Platz für einen mehrheitlich jüdischen Staat in Palästina zu schaffen. Flüchtlinge machen den Großteil des palästinensischen Volkes aus. Wenn die Ausübung ihres naturgegebenen und unveräußerlichen Rechts, in ihre ursprüngliche Heimat zurückzukehren, den hegemonialen und kolonialen Charakter der israelischen Gesellschaft in Frage stellt, warum ist das problematisch?
Während der Nahost-»Friedensverhandlungen« im Jahre 2000 erinnerte Human Rights Watch Ehud Barak, Bill Clinton und Jassir Arafat an ihre gesetzliche Verpflichtung, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge zu respektieren. Die Organisation stellte klar: »Die Alternative der regionalen Integration und Drittlandumsiedlung sollte das Rückkehrrecht [der palästinensischen Flüchtlinge] nicht erlöschen lassen. Stattdessen sollte sie die Wahlmöglichkeiten, die individuellen Flüchtlingen zur Verfügung stehen, erweitern. Alle drei Optionen sollten vorhanden sein. [Das Rückkehrrecht] ist ein Recht, das fortbesteht, auch wenn die Souveränität über ein Territorium umstritten ist oder in andere Hände übergegangen ist.«
Die zionistische Angst, die der Erkenntnis entspringt, dass jüdische Israelis zur Minderheit würden, sollten die palästinensischen Flüchtlinge ihr international anerkanntes Rückkehrrecht in ihre Heimat ausüben, ist rassistisch und irrational. Sie ist auch in kolonialen Gemeinschaften weit verbreitet. Kolonisten fürchten stets, dass die kolonisierte einheimische Bevölkerung sich eines Tages gegen sie erhebt und ihnen das antut, was ihnen lange Zeit angetan wurde.
In Bezug auf Palästina und den arabischen Raum ist diese israelische Furcht, als Juden in der Minderheit zu sein, wie sie es vor der planvoll durchdachten, systematischen ethnischen Säuberung der einheimischen palästinensischen muslimischen und christlichen Bevölkerung der Fall war, rassistisch, denn sie bevorzugt das »Recht«, einen hegemonialen, ausgrenzenden jüdischen Staat zu führen, vor den Rechten der Geflüchteten, wie sie im Völkerrecht festgesetzt sind.
Des Weiteren bürdet sie eine europäische Geschichte von anti-jüdischem Rassismus, Pogromen und schließlich Völkermord der arabischen Gegenwart auf, die diese Geschichte nicht teilt. Nichtmuslimische Araber sowie andere ethnische Gruppen erlebten im arabischen Raum Ungleichheit, diese ist allerdings nicht zu vergleichen mit den Pogromen, den ethnischen Säuberungen und den Massakern, die sich im christlichen Europa ereigneten. Das goldene Zeitalter jüdischer Kultur existierte in Andalusien unter arabisch-islamischer Herrschaft. Vor der zionistischen Kolonisation Palästinas war institutioneller anti-jüdischer Rassismus – von Gewalt gegen Juden ganz zu schweigen – kein häufiges Phänomen in der arabischen Geschichte. Juden sind seit Jahrhunderten ein Teil der Mischung, die die arabische Kultur und Zivilisation ausmacht. Sie waren – und sind in manchen Fällen immer noch – einheimisch in arabischen Gemeinschaften, z.B. auch in Nablus, im besetzten palästinensischen Gebiet.
Der Aufruf der bds-Bewegung zu völliger Gleichwertigkeit der palästinensischen Staatsbürger von Israel in Gesetz und Politik ist besonders besorgniserregend für Israel, da er Fragen zu Israels Selbstdefinition als ausgrenzenden jüdischen Staat aufwirft. Israel erachtet jede Infragestellung seines Systems der »institutionellen, juristischen und gesellschaftlichen Diskriminierung« gegen seine palästinensischen Bürger als »existentielle Bedrohung«, zum Teil wegen des Apartheid-Images, das diese Infragestellung hervorruft.
In einer vielsagenden Entscheidung wies das israelische oberste Gericht 2013 einen Versuch liberaler Israelis zurück, ihre Nationalität oder Ethnizität einfach als »Israeli« im Bevölkerungsregister (das Kategorien wie Jude, Araber, Druse etc. führt) eintragen zu lassen. Das Gericht befand, dass dies zuzulassen eine ernsthafte Gefahr für Israels Gründeridentität als jüdischer Staat für das jüdische Volk darstellen würde.
Israel bleibt das einzige Land auf der Welt, dass seine eigene Nationalität nicht anerkennt, da dies theoretisch gleiche Rechte für alle seine Bürger bedeuten und seine »ethnokratische« Identität untergraben würde. Die Behauptung, dass die gewaltlose Bewegung bds, die nach gleichen Rechten für alle Menschen verlangt, die »Zerstörung« Israels zum Ziel hat, muss in diesem Kontext verstanden werden.
Hat die Gleichberechtigung den us-amerikanischen Süden zerstört? Oder Südafrika? Zweifellos hat sie die diskriminierende rassische Ordnung, die an beiden Orten herrschte, zerstört. Doch die Menschen hat sie nicht zerstört. Würden Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit Israel tatsächlich »zerstören«, was sagt das über Israel aus?
Zusammenfassend sei gesagt, dass das israelische Regime der Besatzung, des Siedlungskolonialismus und der Apartheid trotz der unnachgiebigen und aufwendigen Bemühungen, die bds-Bewegung zu vernichten, gescheitert ist. Eine Menschenrechtsbewegung, die in einer langen Tradition des Kampfes um Rechte verwurzelt ist und die Köpfe und Herzen von Menschen mit Gewissen überall auf der Welt für sich gewinnt, kann nicht durch Israels Propaganda, den neuen McCarthyismus und die juristische Kriegsführung geschlagen werden.
Nichts kann eine unterdrückte Gemeinschaft davon abhalten, nach Freiheit und Gerechtigkeit zu streben, außer einer Kolonisierung ihrer Köpfe mit Verzweiflung und Mutlosigkeit. Unser populärer Widerstand und unsere weltweit blühende, internationale Bewegung der Solidarität, wie in der bds-Bewegung manifestiert, hilft uns Palästinensern, unsere Köpfe zu dekolonisieren, parallel zu unserem Kampf, unsere Heimat zu dekolonisieren.
Übersetzung aus dem Englischen: Ibrahim Assem