JUNGE VERSCHLINGT UNIVERSUM

Das ist nicht der Himmel. Das ist nicht die Hölle. Das ist der Freiganghof im Boggo-Road-Gefängnis, Abteilung 2.

Er ist menschenleer. Alles völlig ausgestorben, bis auf … bis auf den Mann, der in Häftlingskleidung auf dem Boden kniet und mit seinem Gefängnisspaten den Gefängnisgarten pflegt. Einen Garten voller roter und gelber Rosen; Lavendelsträucher und lila Schwertlilien in der prallen Sonne unter einem wolkenlosen blauen Himmel.

»Hey, Kleiner«, sagt der Mann, ohne aufzublicken.

»Hey, Slim«, sage ich.

Er steht auf, klopft sich Erde von Händen und Knien.

»Der Garten sieht echt klasse aus, Slim.«

»Danke«, sagt er. »Wenn ich diese gottverfluchten Raupen fernhalten kann, bleibt er ganz anständig.«

Er lässt den Spaten fallen und legt den Kopf zur Seite.

»Los«, sagt er. »Wir müssen dich hier rausschaffen.«

Slim stiefelt quer über den Rasen. Das Gras ist so hoch und saftig, dass meine Füße darin versinken. Er führt mich zu einer breiten braunen Backsteinwand, die hoch hinter dem Zellenblock von Abteilung 2 aufragt. Ein geknüpftes Seil baumelt von einem weit über uns festgehakten Wurfanker.

Slim nickt. Zieht zweimal kräftig am Seil, um sicherzugehen, dass es auch hält.

»Na, dann hoch mit dir, Kleiner«, sagt er und reicht mir das Seilende.

»Was ist das hier, Slim?«

»Das ist deine große Flatter, Eli«, sagt er.

Ich spähe die Mauer hoch. Ich kenne diese Mauer.

»Das ist ›Hallidays Sprung‹!«, sage ich.

Slim nickt. »Los, Kleiner«, sagt er. »Du hast nicht mehr viel Zeit.«

»Schnapp dir die Zeit. Nicht wahr, Slim?«

Er nickt. »Bevor sie dich schnappt«, sagt er.

Ich klettere die Wand hoch, stemme mich mit den Füßen an den dicken Knoten von Slims Seil empor.

Das Seil fühlt sich echt an, schneidet mir beim Klettern in die Handflächen. Oben angekommen, drehe ich mich um und blicke zu Slim hinunter in die Tiefe, weit unten im dichten grünen Gras.

»Was ist auf der anderen Seite, Slim?«, frage ich.

»Die Antworten«, sagt er.

»Die Antworten auf was, Slim?«

»Auf die Fragen«, sagt er.

Ich richte mich auf, stehe auf dem breiten Rand dieser Gefängnismauer aus braunem Backstein und sehe einen goldgelben Sandstrand unter mir, aber dieser Strand endet an keinem Meer, er grenzt ans Universum, ein grenzenloses schwarzes Nichts voller Galaxien und Planeten und Supernovas und Tausenden astronomischen Ereignissen, die alle gleichzeitig passieren. Explosionen in Rosa und Violett. Flammende Eruptionen in grellem Orange, in Grün und Gelb und all die glitzernden Sterne vor der endlos schwarzen Leinwand des Alls.

Und am Strand steht ein Mädchen, das die Füße in dieses Meer des Universums taucht. Sie dreht sich um, entdeckt mich oben auf der Mauer. Sie lächelt.

»Komm schon«, sagt sie. »Spring.« Sie winkt mich zu sich. »Komm schon, Eli.«

Und ich springe.