Kapitel 4
Ein schicksalhafter Rausschmiss
Am 21
. März 2017
wies Trump McGahn an, nach einem Weg zu suchen, wie man James Comey dazu bringen könnte, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass der Präsident selbst nicht Gegenstand von Ermittlungen sei. Trump war sauer, weil der FBI
-Direktor bei seiner Aussage vor dem Kongressausschuss tags zuvor bestätigt hatte, dass seine Behörde eine mögliche Koordination zwischen Russland und Trumps Wahlkampagne überprüfen würde. Das hatte Spekulationen ausgelöst, dass der Präsident unter Verdacht stehen könnte. In den folgenden fünf Tagen verlangte Trump Ähnliches von Dan Coats, dem Direktor der nationalen Nachrichtendienste, von CIA
-Direktor Mike Pompeo und von NSA
-Direktor Michael Rogers. Am 30
. März rief er Comey persönlich an und bat ihn, ihm dabei zu helfen, die »dunkle Wolke zu vertreiben«. Allerdings ging keiner dieser Regierungsbeamten, die allesamt geschworen hatten, dem Volk zu dienen und die Integrität von Untersuchungen zu bewahren, auf Trumps Forderungen ein. Sie hielten sich an einen beruflichen Ehrenkodex, von dem Trump wenig wusste.
In zunehmend rachsüchtiger Stimmung erwog Trump, sich über das Fernsehen zur besten Sendezeit an die Nation zu wenden und in einem Statement das zu entlarven, was er als Russland-Schwindel (»Russian hoax«) tituliert hatte. Als einige seiner Helfer abrieten, feuerte Trump zurück: »Das ist das Einzige, worüber die Leute in der Politik überhaupt noch reden. Wieso sollte ich denn nicht genauso lautstark dagegenhalten?« Am Ende überredeten Reince Priebus und andere Trump, diese Rede nicht zu halten, unter anderem mit dem Argument, eine Ansprache zur Primetime würde Teil seines politischen Erbes sein, deshalb wäre es unklug, die Russland-Untersuchung zum Thema einer solchen Ansprache zu machen.
Am 3
. Mai war für Trump das Maß endgültig voll. Comey weigerte
sich bei seiner Aussage vor dem Rechtsausschuss des Senats zu behaupten, der Präsident sei nicht Gegenstand von Ermittlungen. Einer nach dem anderen hatten die Beamten, die er als seine Diener betrachtete, ihn hängen lassen. Der Präsident kochte vor Wut – »das war wie DEFQON
.1
« (ein großes Techno-Festival), wie sich einer seiner Berater erinnerte –, und derart in Rage brachte er eine rasche Abfolge von Ereignissen ins Rollen, die in der Ernennung eines Sonderermittlers gipfelte. Er sollte für den Präsidenten in den nächsten zwei Jahren eine ständige Bedrohung darstellen.
Trump behauptete wiederholt gegenüber Helfern: »Ich kenne keine Russen« und »Ich war nie in Russland«. Beide Aussagen waren schlicht gelogen. Trump meckerte auch an Comey herum. Er ist ein übler Kerl! Er ist ein Angeber! Er ist ein Großmaul! Normale
FBI
-Agenten haben nicht den geringsten Respekt vor ihm! Die Demokraten hassen ihn alle! Unsere Stammwähler hassen ihn!
Während sie sich Comeys Aussage gemeinsam im Fernsehen anschauten, sagte Bannon zu Trump, selbst wenn jeder einzelne FBI
-Agent den Direktor hassen würde, »in dem Moment, da Sie ihn feuern, wird er zum großen Märtyrer. Dann wird er zu Johanna von Orleans.«
Bannon meinte auch (auf Trumps Stammwählerschaft anspielend), »den verdammten Bedauernswerten geht die Russland-Untersuchung völlig am Arsch vorbei«. »Das sind die Spielverderber für Anderson Cooper
[Sendung des gleichnamigen CNN
-Nachrichtenmoderators].
Die Leute sind die Sache leid, sie können’s nicht mehr hören«, ergänzte er. Aber, erklärte er Trump weiter: »Wehe, Sie schmeißen ihn raus, das FBI
wird Sie bluten lassen, das müssen die sogar. Die sind schließlich das FBI
. Sie sind bloß irgendein Typ, der kommt und irgendwann wieder geht. Die sind das FBI
, und die wird es in hundert Jahren noch geben.«
Trump war empört. Für ihn waren Coats, Pompeo, Rogers und Comey nichts weiter als Werkzeuge, mit deren Hilfe er seine Situation verbessern konnte, selbst wenn das bedeutete, dass sie entweder lügen oder etwas bekräftigen mussten, von dem sie nicht wussten, ob es wahr war oder nicht. Er hatte ein Edikt an vier verschiedene subalterne
Beamte erlassen, von denen er geglaubt hatte, sie müssten ihm überall und jederzeit zu Diensten sein, und kein Einziger gehorchte. »Der Präsident wusste, dass er mit keinem einzigen Russen gemeinsame Sache gemacht hatte«, sagte Trumps langjähriger Freund Thomas Barrack. »Dass ihn noch immer dieser Hauch von Skandal umgab, brachte ihn auf die Palme.«
Trumps Befehle an Comey und die anderen verstießen gegen alles bisher Übliche, gegen sämtliche Normen. Aber die Tatsache, dass Leiter von Geheimdienst- und Exekutiv-Organen sich nicht für seinen Schutz einsetzten, machte dem Präsidenten Angst, und sie machte ihn wütend.
Am nächsten Tag, dem 4
. Mai, ging Trump auf Jeff Sessions los.
»Das ist furchtbar, Jeff«, sagte Trump bei einem Meeting, bei dem auch McGahn und der Amtsleiter des Innenministers, Jody Hunt, zugegen waren. »Das ist alles bloß, weil Sie sich zurückgezogen haben. Der Attorney General ist der wichtigste Posten in der Regierung überhaupt. Kennedy ernannte seinen Bruder. Obama ernannte Holder. Ich ernannte Sie, und Sie ziehen einfach den Schwanz ein. Sie lassen mich auf einer einsamen Insel zurück. Ich kann überhaupt nichts machen.«
[15]
Sessions erklärte ihm ein weiteres Mal, dass er bei seiner Entscheidung angesichts der Ethikvorschriften des Justizministeriums gar keine andere Wahl hatte, aber Trump war nicht zu beruhigen.
Am Freitag, dem
5
. Mai, flog er nach Bedminster, New Jersey, um das Wochenende in seinem privaten Golfclub zu verbringen. Der Präsident war stinksauer, und das regnerische, windige Wetter trug auch nicht recht zur Aufhellung seiner Stimmung bei. Er hing nur herum, sah fern, trank eine Cola Light nach der anderen und kochte innerlich. Er grübelte darüber, wie übel Comey ihn hatte hängen lassen. Beim Abendessen an jenem Tag erzählte Trump Jared Kushner, Stephen Miller und einigen Familienmitgliedern, er wolle Comey entlassen. Kushner ermutigte ihn dazu und wies darauf hin, dass die Demokraten im Kongress für Comey wegen seines Umgangs mit der Untersuchung zu Hillary Clintons E-Mails schon mal nichts als Verachtung für Comey übrig hatten. Trump hatte bereits Ideen, was er in seinem
Entlassungsschreiben erwähnen wollte. Miller machte sich Notizen, während Trump gezielte Sätze diktierte – unter anderem sollte der Brief mit einer Reinwaschung des Präsidenten beginnen. »Ich weiß zwar sehr zu schätzen, dass Sie mir mitteilen, ich sei nicht Gegenstand irgendwelcher Ermittlungen in der Angelegenheit, die ich wiederholt als erfundene Geschichte über eine angebliche Beziehung zwischen Trump und Russland bezeichnet habe, …«
[16]
Übers Wochenende setzte Miller ein vierseitiges Kündigungsschreiben auf, und Trump nahm mehrmals Änderungen daran vor. So bestand er etwa darauf, das Schreiben müsse klarstellen, dass Comey »unter Beobachtung« gestanden habe und dass der Präsident und das amerikanische Volk das Vertrauen in sein Urteilsvermögen verloren hätten.
Am Sonntag, dem 7
. Mai, kehrte Trump nach Washington zurück, und er konnte es kaum erwarten, Comey zu feuern. Gegen 10
Uhr vormittags am 8
. Mai zitierte der Präsident McGahn ins Oval Office. Bei dessen Eintreffen saß Trump an seinem Schreibtisch, umringt von nahezu einem Dutzend Gehilfen, darunter auch Priebus, Kushner und Miller. Ebenfalls anwesend war Hope Hicks, die Direktorin für strategische Kommunikation, die am Sonntag in der Air Force One
über den Plan in Sachen Comey informiert worden war. Der Präsident hatte sie mitgenommen, nachdem sie das Wochenende in Connecticut bei ihren Eltern verbracht hatte. Trump begrüßte McGahn mit einem Lächeln und bat ihn herein. »Da sind Sie ja, wunderbar«, sagte er. »Wir werden Comey rausschmeißen.«
McGahn war überrascht. Er hielt sich für einen unabhängigen und für Trump wertvollen Mitarbeiter, weil er als Einziger im Weißen Haus objektiv war und nicht vor dem Präsidenten katzbuckelte, wobei er seine Stacheln aufstellen konnte, wenn er sich gedrängt fühlte. Wie McGahn einigen Kollegen erzählte, war er niemals ganz sicher, ob der Präsident, wenn er mit einem Plan herauspolterte, damit nun Befehle erteilen oder bloß einen Gedanken per Crowdsourcing weiterentwickeln wollte, indem er ihn einfach laut aussprach. Aber diesmal war es völlig klar: Trump war fest entschlossen, Comey zu feuern. Der
Präsident las laut aus dem von Miller aufgesetzten Entlassungsschreiben vor und sagte zu seinen Beratern: »Versucht nicht, mir das auszureden. Ich habe meine Entscheidung getroffen.«
McGahn besprach zwei entscheidende Fragen mit dem Präsidenten. Erstens: Wäre es legal, Comey zu feuern? Ja, absolut. Der Posten des FBI
-Direktors wird für zehn Jahre vergeben, er kann aber auch jederzeit gekündigt werden. Die zweite Frage: Wäre es eine gute Idee? McGahn war sich einigermaßen sicher, dass Trump nach einer derart drastischen Maßnahme von den Demokraten – aber auch von einigen Republikanern – ordentlich in die Mangel genommen würde. Aber der Berater des Weißen Hauses war es auch leid, für Trump immer nur den Dr. No zu spielen, und er sagte sich, dass es ohnehin unmöglich sei, dem Präsidenten das auszureden.
Um etwas Zeit zu gewinnen, erzählte McGahn Trump, das Justizministerium habe bereits über Comeys Status diskutiert und vorgeschlagen, Trump solle zuerst mit Sessions reden, der sich mit McGahn zu einem schon früher vereinbarten Lunch treffen würde. Sie könnten auch den neuen stellvertretenden Justizminister Rod Rosenstein einladen, dann könnte man sehen, was die beiden von der Sache hielten.
Beim Lunch in McGahns Büro im ersten Stock des West Wings erklärte Sessions McGahn, dass er eine Entlassung Comeys für legal halte. »Ich denke, das kann er schon machen«, sagte der Justizminister. McGahn glaubte, Rosenstein würde vielleicht Bedenken anmelden und vor den politischen Gefahren einer solch überstürzten Entscheidung warnen. Deshalb war McGahn einigermaßen verblüfft, als Rosenstein sagte, es gebe berechtigte Gründe für eine Entlassung Comeys, darunter auch seinen Umgang mit dem Fall Clinton – er schien sich fast schon für die Idee zu begeistern. McGahn hatte an dem Tag einfach kein Glück.
Rosenstein war erst seit zwei Wochen auf diesem Posten und hatte noch keine Ahnung von dem Alptraum, in den er im Weißen Haus geraten würde. Er erkannte nicht, dass McGahn von ihm erwartete, die Entscheidung des Präsidenten zumindest hinauszuzögern oder Trump vor den politischen Risiken zu warnen, die mit der Entlassung Comeys
einhergingen. Das Einzige, was bei ihm ankam, war McGahns Beharren darauf, man müsse Trump vom Abschicken dieses »furchtbaren«, gemeinsam mit Miller gestrickten Entlassungsschreibens abhalten, weil darin Comeys öffentlicher Umgang mit der Russland-Sache als einer seiner Entlassungsgründe zitiert war. In diesem Moment hatte Rosenstein allen Grund, die Entlassung Comeys zu empfehlen. Einst war Comey für ihn geradezu sein persönlicher Held gewesen. Aber nachdem der FBI
-Direktor zweimal den Fall mit Clintons E-Mails in aller Öffentlichkeit diskutiert hatte, war seine Glaubwürdigkeit in den Augen Rosensteins irreparabel beschädigt. Rosenstein war auch über eine interne Untersuchung in Kenntnis gesetzt worden, in der Comeys Handeln vermutlich als Verstoß gegen die Richtlinien der Abteilung gewertet würde.
Bei diesem Lunch bemerkte Rosenstein erstmals Anzeichen dafür, dass im Weißen Haus irgendetwas ganz und gar falsch lief. Priebus klopfte zu unterschiedlichen Zeiten mindestens zwei- oder dreimal – und zunehmend aufgeregt – an McGahns Bürotür. Wo der Brief sei, verlangte der Stabschef zu wissen. »Der Präsident will das über die Bühne bringen«, sagte Priebus. Inmitten der angsterfüllten Hektik gab es keinerlei vernünftige Planung zu der Frage, wer denn den Posten des Mannes einnehmen sollte, den man zu feuern gedachte.
Irgendwann nach 17
Uhr trafen sich Sessions und Rosenstein im Oval Office mit Trump. Das war Rosensteins erste offizielle Begegnung mit dem Präsidenten, und es war ein verstörendes Erlebnis. In den ersten etwa 20
Minuten redete ausschließlich Trump und ratterte fortwährend gestikulierend seine Klagen über Comey herunter: Die Clinton-Untersuchung; die politische Voreingenommenheit seines Stellvertreters Andrew McCabe und die Kampagne von dessen Frau in Virginia; und vor allem Comeys aalglatte Aussage vom 3
. Mai im Kapitol. Der Präsident imitierte sogar Comeys vermeintlich scheinheiliges Gebaren und meinte, er habe sich diese Aussagen stundenlang im Fernsehen angesehen und wolle den Mann so schnell wie möglich rausschmeißen.
»Wie stellen wir das an?«, fragte Trump.
Uttam Dhillon, ein stellvertretender Rechtsberater des Weißen Hauses, schlug vor, ihn selbst von seinem Posten zurücktreten zu lassen. Daraufhin meldete sich Rosenstein zu Wort und erklärte, Comey werde nie im Leben zurücktreten. Trump ließ sich nun von seiner Sekretärin den Entwurf des Entlassungsschreibens bringen, zeigte es Sessions und Rosenstein und fragte, was sie davon hielten. Während Rosenstein versuchte, den Brief zu lesen, redete Trump immer weiter und löcherte ihn mit Fragen. Nachdem Rosenstein den ganzen Brief gelesen hatte, meinte er, er wäre mit einigem einverstanden, aber nicht mit allem. »Da ist zunächst die Tatsache, dass es im ersten Satz um Russland geht«, sagte er. Warum sprach Trump dieses Thema in dem Schreiben überhaupt an?
»Oh, das ist ganz wichtig, dass das drinsteht. Ich möchte nicht, dass irgendjemand glaubt, es gehe um Russland«, sagte Trump und löste damit allgemeine Verwunderung im Raum aus. Was Trump meinte, war: Comey habe ihm gesagt, er sei nicht Gegenstand der Russland-Ermittlungen; also wäre klar, dass er Comey nicht aus dem Grund feuern wollte, um eine gegen ihn geführte Untersuchung zu stoppen.
Dann wies Trump Rosenstein an, ein Memo mit einer Zusammenfassung der Gründe für den Rausschmiss Comeys an Sessions zu schreiben. Sessions wies er an, einen Brief mit seiner diesbezüglichen Empfehlung zu verfassen. Da war es etwa 18
Uhr. Trump sagte, er wolle beides am nächsten Morgen um 8
Uhr auf seinem Schreibtisch haben.
Rosenstein ging zurück in sein Büro im Justizministerium, scharte ein paar Mitarbeiter um sich und begann zu schreiben. Sie bestellten Pizza – derweil stand ein Teil von Rosensteins Umzugskartons noch immer unausgepackt im Büro herum. Der stellvertretende Justizminister arbeitete bis 3
Uhr nachts an seinem Entwurf. Trump hatte zwar von Rosenstein verlangt, in dem Memo müsse »diese Russland-Sache« erwähnt werden, also Comeys Weigerung, öffentlich auszusagen, der Präsident sei nicht Gegenstand von Ermittlungen. Rosenstein jedoch achtete darauf, in dem Memo ausschließlich seine eigene Ansicht zu begründen, warum Comey entlassen werden sollte. Er wollte sicher
sein, das Memo rechtfertigen zu können, sollte dies jemals nötig werden. Also beschränkte er sich auf seine eigene Beschwerde über Comeys Verstoß gegen die Normen der Abteilung und auf das öffentliche Diskutieren von Beweismaterial in der Clinton-Ermittlung. »Das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des FBI
haben erheblichen Schaden genommen, der inzwischen das gesamte Justizministerium erfasst hat«, schrieb Rosenstein.
Nachdem er seinem Text den letzten Schliff verpasst hatte, lieferte er das Memo am 9
. Mai ans Weiße Haus, ein paar Stunden nach der Frist um 8
Uhr morgens. Naiv, wie er war, glaubte er, das Memo würde in die Aktenordner im West Wing wandern, um den Entscheidungsprozess des Präsidenten zu dokumentieren. Stattdessen wurde Rosensteins Memo zum Freifahrschein für Trump. Dem Präsidenten gefiel Rosensteins Kritik an Comey, und er stimmte McGahn zu, man sollte die Formulierung des Entlassungsschreibens anpassen. Er bestand aber noch immer darauf zu erwähnen, dass Comey ihm gesagt habe, er wäre in der Russland-Sache nicht Ziel von Ermittlungen. Insgesamt jedoch stützte sich Trump vor allem auf Rosensteins Memo als Rechtfertigung für den Rausschmiss des FBI
-Direktors.
Am selben Nachmittag, als Trump dabei war, seinen Plan in die Tat umzusetzen, kam Priebus mit einem allerletzten Ratschlag ins Oval Office. Er redete laut. »Ich möchte, dass alle hören, was ich zu sagen habe«, sagte der Stabschef. »Man kann die Sache richtig angehen, und man kann sie falsch angehen. Das hier ist der falsche Weg. Richtig wäre es, Sie holen jemanden hierher, setzen sich an einen Tisch und reden. So wie jetzt, das ist nicht die richtige Art, solche Dinge zu erledigen.« Aber Priebus konnte niemanden überzeugen. Trump hatte kein Interesse an einer Verzögerung, und er wollte Comey ganz gewiss keinen ehrenvollen Abschied gönnen.
Die Mitarbeiter, auf die der Präsident für die Veröffentlichung des Rauswurfs zählte, tappten noch immer im Dunkeln. Etwa um 16
Uhr wurden Pressesprecher Sean Spicer und Kommunikationsdirektor Mike Dubke ins Oval Office zitiert. Sie hatten keine Ahnung, wieso. Dubke eilte herbei, es dauerte allerdings einige Zeit, bis man Spicer
gefunden hatte – er war auf dem Südrasen des Weißen Hauses bei einer Familienfeier mit Eiscreme für Militärfamilien engagiert. Trump drückte Dubke ein Blatt Papier in die Hand und fragte nur: »Was halten Sie davon?« Es war sein Entlassungsschreiben an Comey. Dubke brauchte eine Minute, bis er verstand, was hier ablief, und sagte dann: »Sie können das nicht einfach so als Pressemitteilung herausbringen. Sie müssen ihm das persönlich zustellen, da sind gewisse protokollarische Regeln einzuhalten.«
»Schön«, sagte Trump. »Keith, kommen Sie rein.«
Keith Schiller zeichnete sich durch eine unerschütterliche Loyalität zu Trump aus. Der körperlich beeindruckende ehemalige Beamte des New York Police Department, der dort für den Kampf gegen Drogenkriminalität zuständig gewesen war, war schon seit fast zwei Jahrzehnten Trumps persönlicher Bodyguard und Sicherheitschef. Er tat wirklich alles für Trump – Demonstranten verprügeln, die er für gefährlich hielt, Journalisten mit Gewalt aus dem Saal schaffen, selbst für das Besorgen der Big Macs für den Präsidenten war er sich nicht zu schade. Im Weißen Haus war Schiller Director of Oval Office Operations und arbeitete in einem winzigen Büro in Hörweite des Präsidentenschreibtischs. Nun glaubte Trump, er könne seinen treuen Leutnant mit einer spontanen Mission ehren.
»Keith, würden Sie gerne den Direktor des FBI
feuern?«, fragte Trump.
»Gewiss, Sir, das würde ich«, antwortete Schiller.
»Schön, Keith, dann bringen Sie doch das rüber«, sagte der Präsident und drückte Schiller einen großen Umschlag aus Manila-Karton in die Hand, in dem das Schreiben überbracht werden sollte.
Trump war so aufgeregt, dass er diesen historischen Moment unbedingt für die Nachwelt festgehalten wissen wollte. Er rief die offizielle Fotografin des Weißen Hauses, Shealah Craighead, ins Oval Office, um Fotos zu machen. Schiller machte sich auf, um den Brief persönlich im Hauptquartier des FBI
abzugeben. Erst da bemerkte man im Weißen Haus, dass Comey geschäftlich in Los Angeles war. In dem ganzen Tohuwabohu hatte niemand überprüft, wo sich der FBI
-Direktor aufhielt.
Trump unterrichtete nun die führenden Leute im Kongress und war überrascht, als ihm der Führer der Demokraten, Chuck Schumer, die Unterstützung verweigerte. »Ich hatte gedacht, Sie wären mit an Bord«, meinte Trump zu ihm. »Sie wollten ihn doch auch loswerden. Was haben Sie denn dagegen?«
Spicer und Dubke steckten die Köpfe zusammen und entwarfen innerhalb von Minuten einen Plan für die Unterrichtung der Presse. Die Nachricht über Comeys Rausschmiss gelangte gegen 17
Uhr 48
an die Öffentlichkeit, und es brach sofort Chaos aus. In den folgenden Monaten würden sich Entlassungen in diesem Stil nahezu alltäglich anfühlen, aber in diesem Moment verschlug es Rosenstein schlicht die Sprache. Er hätte nie gedacht, dass man Comey auf solch beiläufige Weise vor die Tür setzen würde.
Derweil sah sich Trump im Fernsehen die Berichterstattung in den Medien an und wurde im Verlauf des Abends immer wütender, weil ihn seine Helfer nicht vor laufender Kamera verteidigten. Er wurde mitnichten bejubelt, er wurde geradezu zerpflückt. Das Problem war, dass seine Sprecher noch immer in aller Eile Gründe für Comeys Rauswurf zusammenstellen und sich darauf einigen mussten, worüber sie eigentlich reden wollten. Genervt rief Trump Chris Christie an.
»Was zum Teufel geht hier vor? Die machen mich fertig wegen dieser Sache«, sagte Trump zu seinem Freund.
»Sie haben einen Shitstorm ausgelöst«, erzählte ihm Christie. »Und das war ja wohl die mieseste Stabsarbeit aller Zeiten. Ihr habt echt nicht gewusst, dass der Typ in Los Angeles war? Sie haben Keith Schiller mit einem Brief an einen Typen losgeschickt, der gerade am anderen Ende des Landes unterwegs ist?«
»Ich weiß, ich weiß, Scheiß-Inkompetenz«, sagte Trump. »Es treibt mich in den Wahnsinn.«
Christie fragte Trump, wieso er Comey gefeuert hatte, und der Präsident meinte, es sei wegen Rosensteins Memo gewesen, da stünden die Gründe für die Entlassung drin.
»Dann habe ich die Lösung für Sie«, sagte Christie. »Sehen Sie zu, dass Rosenstein jetzt sofort vor die Kameras tritt. Wenn das
Rosensteins Memo ist, dann soll dieser verfluchte Rosenstein gefälligst hingehen und seinen Job machen.«
»Das ist brillant. Ich rufe Rod sofort an und sage ihm, er soll im Fernsehen Stellung nehmen«, sagte der Präsident und beendete eilig das Gespräch mit Christie.
Sarah Isgur Flores, die Kommunikationschefin des Justizministeriums, erhielt einen Anruf aus dem Weißen Haus, in dem ihr Trumps Anweisungen an Rosenstein übermittelt wurden. »Die wollen, dass Sie eine Pressekonferenz geben und sagen, der Rausschmiss von Comey wäre Ihre Idee gewesen«, sagte Flores zu Rosenstein.
»Das kann ich nicht machen«, antwortete Rosenstein. »Ich kann nicht lügen.«
Kurz darauf gaben Spicer, Sarah Sanders, die stellvertretende Pressesprecherin des Weißen Hauses, und die Beraterin des Präsidenten, Kellyanne Conway, eine ganze Serie von TV
-Interviews von Pebble Beach aus, dem Bereich an der Straße entlang des West Wings, von wo aus die Korrespondenten gerne ihre Live-Berichterstattung mit dem angestrahlten Weißen Haus im Hintergrund senden. Trumps Fußtruppen bemühten sich, den Präsidenten möglichst nicht direkt mit der umstrittenen Entscheidung in Verbindung zu bringen, und sie propagierten die unwahre Behauptung, die Idee zur Entlassung Comeys stamme von Rosenstein. Sie beharrten darauf, der Rauswurf habe nichts mit Russland zu tun und dass es sich um eine Empfehlung des Justizministeriums handele, aber sie waren schlicht nicht auf dem Laufenden – das ging so weit, dass es sowohl Spicer als auch Conway in ihren Interviews fertigbrachten, den Namen des stellvertretenden Justizministers falsch auszusprechen.
Auf CNN
argumentierte der Moderator Anderson Cooper gegenüber Conway, es sei völlig unlogisch, dass Trump, inzwischen im vierten Monat seiner Präsidentschaft, ganz plötzlich – nach all dem »Sperrt sie ein!«-Gejohle bei seinen Wahlkampfauftritten – nun behaupte, Conway sei in der E-Mail-Affäre unfair und zu streng Clinton gegenüber gewesen. »Das ergibt überhaupt keinen Sinn«, meinte Cooper gereizt.
»Tut es wohl«, stellte sich Conway stur.
Zu Hause in New Jersey saß Christie in Sporthose und T-Shirt vor dem Fernseher, und ihm wurde klar: Wenn Conway vor laufender Kamera Mühe hatte, die Entscheidung zu erklären, dann konnte man Rosenstein unmöglich dazu bringen, vor die Kameras zu gehen. Wenige Minuten später klingelte Christies Telefon. Es war Conway. Flüsternd – sie befand sich inzwischen im privaten Speisezimmer des Präsidenten – erzählte sie ihm, CNN
würde um 23
Uhr eine Live-Sondersendung bringen, und der Präsident wollte, dass Christie ihn darin verteidigte. Christie haute es fast vom Hocker.
»Sagen Sie dem Präsidenten, ich mache das, wenn vor mir Rosenstein vor die Kameras tritt – unmittelbar danach kann ich etwas sagen«, sagte er zu Conway.
»Das sagen Sie ihm am besten selbst«, antwortete sie und reichte das Telefon weiter an Trump.
»Sie wollen das nicht für mich tun?«, fragte der Präsident Christie.
»Nein, das ist nicht korrekt, Sir«, gab er zurück. »Ich mache das schon, aber erst nach Rod. Ich will hören, wie Rod im landesweiten Fernsehen sagt, er habe Ihnen das Memo gegeben und dass Sie wegen dieses Memos Comey entlassen hätten. Sobald Rod das gesagt hat, kenne ich den Text der Hymne und kann mein Liedchen singen.«
Es gab keinen TV
-Auftritt von Rosenstein. An dem Abend war er in seinem Büro im Justizministerium – und stinksauer, weil er offenbar als Vorwand benutzt worden war. Rosenstein rief McGahn an und drohte, er werde zurücktreten, wenn das Weiße Haus bei seiner »Lügengeschichte« bleibe. Sein Memo habe Trump den Vorwand dafür geliefert, Comey zu feuern. »Ich werde nicht bleiben können, wenn die ganze Regierung eine Lügengeschichte über mich verbreitet«, sagte er zu McGahn.
Rosenstein,
52
Jahre alt und einst von George W. Bush berufen, hatte sich im Justizministerium fleißig hochgearbeitet, war also nicht vor allem wegen seiner Loyalität als Parteigänger befördert worden. Er hatte einen makellosen Ruf als gewissenhafter und methodisch arbeitender Bundesanwalt in Maryland. Der geradlinige Rosenstein wirkte wie ein moderner Jimmy Stewart, wenn er seine Mitarbeiter ermahnte,
»stets bescheiden und freundlich« zu bleiben.
[17]
Jetzt jedoch, nach gerade einmal
14
Tagen im neuen Job, wäre Rosenstein manchen eher wie Tom Hagen erschienen, der von Robert Duvall gespielte Mafia-Familienanwalt und Consigliere seines Herrn und Meisters in Francis Ford Coppolas Film-Epos
Der Pate
. Er machte sich ernsthafte Sorgen, dass ein destruktiver Präsident seine Karriere in Schutt und Asche legen könnte.
Seine zahlreichen Kollegen im Justizministerium waren betroffen beim Gedanken, Rosenstein könnte eine gefährliche rote Linie überschritten haben. »Es gab nur zwei mögliche Interpretationen seines Handelns«, meinte ein Veteran im Ministerium. »Entweder er hatte wissentlich dem Präsidenten dabei geholfen, den FBI
-Direktor zu feuern, womit er auch gleich diese Untersuchung losgeworden wäre, oder Rod war ein ahnungsloses Werkzeug in der Hand des Präsidenten. Und beides war schlimm für ihn.«
Am
10
. Mai erfasste ein Gefühl von Panik das
FBI
-Hauptquartier, das klobige, geradezu im Sowjetstil gebaute J. Edgar Hoover Building an der Pennsylvania Avenue, und auch die Zentrale des Justizministeriums auf der anderen Straßenseite. Viele fragten sich, ob nun die Russland-Ermittlungen auf der Kippe standen. Der stellvertretende
FBI
-Direktor Andrew McCabe, ein enger Vertrauter Comeys, wurde über Nacht zum kommissarischen Leiter der Behörde, aber er rechnete ebenso wie seine Kollegen damit, dass auch er würde gehen müssen. »Das war eine wilde Zeit, um das Mindeste zu sagen. Offen gesagt passierte da eine Verrücktheit nach der anderen«, erinnerte sich später Jim Baker, ein leitender
FBI
-Jurist, bei einer Aussage vor dem Kongress. »Dass der Direktor gefeuert wird, weil es dem Präsidenten nicht passt, dass wir in dieser Russland-Sache ermitteln, war schon ziemlich verrückt, wenn Sie mich fragen.«
[18]
Das
FBI
hatte heimlich erwogen, Ermittlungen gegen Trump in die Wege zu leiten, weil er die Russland-Ermittlungen behindert hatte, seit Comey von einem privaten Treffen am
14
. Februar zurückgekehrt war. Bei diesem Treffen hatte der Präsident im Zusammenhang mit der
Untersuchung gegen Michael Flynn geäußert, er hoffe, Comey werde »einen Weg finden, die Sache auf sich beruhen zu lassen, Flynn in Ruhe zu lassen«. Comey hatte sich geweigert, ein Weiterverfolgen der Sache öffentlich auszuschließen. Er wusste, dass er eines Tages Ziel von Untersuchungen werden könnte. Nun hatten einige das Gefühl, Trumps Rausschmiss von Comey liefere dem
FBI
einen dringenden Grund für Ermittlungen. »Wir müssen die Sache jetzt auf den Weg bringen, solange Andy als kommissarischer Direktor fungiert«, schrieb der für Spionageabwehr zuständige Agent Peter Strzok in einer Nachricht an
FBI
-Juristin Lisa Page, und McCabe war der gleichen Ansicht.
[19]
Ebenfalls am 10
. Mai, inmitten des Tumults nach Comeys Entlassung, fanden sich Sessions, Rosenstein und McCabe im selben Raum wieder. Anlass war die Abschiedsfeier für Mary McCord, die geschäftsführende Leiterin der Abteilung für Nationale Sicherheit. Sie nahm ihren Abschied, weil sie die Rücksichtslosigkeit innerhalb der Trump-Regierung fürchtete und Sessions nicht ausstehen konnte – für sie war er ein fremdenfeindlicher Frauenverächter ohne Achtung vor Recht und Gesetz. Rosenstein fragte unerwartet, ob er sich in die Liste der Laudatoren einreihen könne, die ein paar nette Worte über die lebenslange Mitarbeiterin des Justizministeriums sagen durften. Er sprach von McCords tadellosem Ansehen dafür, dass sie ihre Pflicht gegenüber dem Volk stets über die Politik gestellt hatte. Bei seiner Lobeshymne auf sie versuchte er, die Leute daran zu erinnern, wer er war und welche Werte er vertrat, in einer Zeit, in der nicht wenige deutliche Zweifel hegten.
Derweil drückten im Kapitol Demokraten wie Republikaner ihre ernsthafte Besorgnis aus – manche verglichen Trumps Rausschmiss Comeys mit Präsident Nixons Entlassung von Archibald Cox, dem Watergate-Sonderermittler. »Das ist Nixon-Stil in Reinkultur«, sagte Senator Patrick Leahy, ein führender Demokrat im Rechtsausschuss. »Niemand sollte Präsident Trump seine absurde Rechtfertigung abnehmen, er sei nun plötzlich besorgt, weil FBI
-Direktor Comey Ministerin Clinton unfair behandelt habe.«
Am 10
. Mai begab sich Vizepräsident Pence zum Kapitol, und die Reporter riefen ihm die Frage zu, warum Trump versuche, die
FBI
-Ermittlungen zur russischen Einflussnahme auf die Wahlen zu stoppen. »Lassen Sie mich das ganz klar sagen, darum ging es in dieser Sache nicht«, sagte Pence. Dabei wusste der Vizepräsident weit mehr, als er zugab. Immerhin war er dabei gewesen, als Trump im Oval Office seinen Plan vorgestellt hatte.
Am gleichen Tag war zufällig auch Russlands Außenminister Sergei Lawrow in der Stadt. Trump lud Lawrow und den russischen Botschafter Sergei Kisljak zur Begrüßung ins Oval Office ein. Die Comey-Story beherrschte sämtliche Medien, und das Weiße Haus schloss die versammelte Presse von der Beobachtung des Treffens mit den Russen aus. Ein Fotograf der staatlichen russischen Nachrichtenagentur
TASS
begleitete jedoch die russische Delegation und schoss Fotos von einem jovialen, entspannten
US
-Präsidenten, der den Gesandten des Kremls grinsend die Hand reicht – das russische Außenministerium teilte diese Bilder nahezu unverzüglich auf Twitter. Trump brüstete sich vor den Russen. »Ich habe soeben den Chef des
FBI
gefeuert. Er war verrückt, ein totaler Spinner. Ich stand unter enormem Druck wegen Russland. Das hat sich jetzt erledigt.« Dann sagte ihnen der Präsident, was er für das Wichtigste hielt, das jeder wissen müsse, der mit ihm Geschäfte machen wolle: »Ich bin nicht Ziel von Ermittlungen.«
[20]
Am 11
. Mai beschloss Trump, seinen eigenen Pressesprecher zu spielen – offensichtlich frustriert ob der Tatsache, dass es sein Presseteam nicht geschafft hatte, sich der Welle negativer Schlagzeilen entgegenzustemmen. Der Präsident setzte sich mit NBC
-Moderator Lester Holt zusammen und erzählte ihm, er hätte Comey ungeachtet der Empfehlung Rosensteins ohnehin gefeuert. Und er gab auch zu, dass die Russland-Ermittlungen Einfluss auf seine Entscheidung gehabt hatten. »Als ich entschied, es einfach zu machen, sagte ich mir: ›Weißt du, diese Russland-Sache, mit Trump und Russland, das ist alles erfunden, eine Ausrede der Demokraten für die Niederlage bei einer Wahl, die sie hätten gewinnen müssen.‹«, sagte Trump zu Holt.
Am 11
. Mai trommelte Rosenstein die leitenden Beamten des Justizministeriums aus den Abteilungen für Spionageabwehr, nationale Sicherheit und Strafsachen zu einer privaten Strategiesitzung
zusammen. In den Medien schossen Spekulationen ins Kraut, Trump hätte Comey gefeuert, um die Russland-Ermittlungen des FBI
zu torpedieren, und Rosenstein sagte ihnen, sie sollten am Ball bleiben und jeden Stein umdrehen. »In meiner Funktion als geschäftsführender Justizminister der Vereinigten Staaten weise ich Sie an, jeder vorhandenen Spur nachzugehen, und wenn ein Fehlverhalten festgestellt wird, sollten Sie dieses offenlegen«, sagte er.
Rosenstein fragte die versammelte Runde, ob sie glaubten, das Justizministerium sei weiterhin in der Lage, die Russland-Ermittlungen voranzutreiben. Oder ob sie der Ansicht waren, er sollte die Einsetzung eines Sonderermittlers in Erwägung ziehen, wie es McCabe dringend angemahnt hatte. Rosenstein schien geneigt, die Federführung im Justizministerium zu belassen. Einige Beamte im Raum, die das Gefühl hatten, ein Sonderermittler sei erforderlich, tauften das Meeting später als »Rosensteins Rettungsring« – sie gingen davon aus, es gehe Rosenstein vor allem darum, sich abzusichern und später sagen zu können, er hätte alle seine Spitzenbeamten gefragt, und sie wären einverstanden gewesen.
Am Freitag, dem 12
. Mai, schien es, als habe der Stress der zurückliegenden Woche Rosenstein enorm zugesetzt. Laut Terminplan hätte er eine kurze Rede im Hauptquartier der Drug Enforcement Administration im Rahmen der jährlichen Kranzniederlegung in Arlington, Virginia, halten sollen. Bei dieser Zeremonie werden die Mitarbeiter geehrt, die bei Ermittlungen gegen Drogenhändler zu Tode gekommen waren. Er traf zu früh ein. Erschöpfung und Emotionen hatten ihn übermannt – und überdies war sein Gastgeber Chuck Rosenberg, der geschäftsführende Direktor der Behörde, ein herausragender Karrierestaatsanwalt und einer der besten Freunde Comeys. Wie Rosenstein hatte sich auch Rosenberg im Ministerium hochgearbeitet und war von Präsident Bush zum Bundesanwalt ernannt worden. Rosenberg führte den stellvertretenden Justizminister in ein Büro in der Nähe und schloss die Tür. Sie unterhielten sich ein paar Minuten lang unter vier Augen. Rosenstein hatte dem Treffen mit Rosenberg nicht ohne Beklommenheit entgegengesehen, und er versuchte ihm zu erklären,
dass die Dinge komplizierter lägen, als es den Anschein hat, und dass er bedaure, nicht mehr dazu sagen zu können. Die beiden verließen das Büro, und Rosenstein hielt seine vorbereitete Rede. Er drückte darin seine Ehrfurcht und seinen Respekt gegenüber dem Rechtsstaat aus, jenem Rahmenwerk aus Grundregeln, das Unparteilichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Transparenz und Gerechtigkeit garantierte – lauter Grundsätze, die Trump Tag für Tag mit Füßen trat.
McCabe hatte Rosenstein gedrängt, einen Sonderermittler einzusetzen, um die Russland-Untersuchung abzusichern, aber Comey nahm die Sache in die eigene Hand. Comey zweifelte an Rosensteins Unabhängigkeit, er glaubte auch nicht, dass er aggressiv genug wäre, um die Ermittlungen federführend zu beaufsichtigen, und er traute ihm nicht zu, die Bemühungen des Präsidenten, diese Ermittlungen zu behindern, mit dem gebotenen Nachdruck zu hinterfragen. Trump stichelte gegen seinen gefeuerten
FBI
-Direktor am Morgen des
12
. Mai mit einem Tweet: »James Comey sollte besser hoffen, dass es keine ›Bänder‹ von unseren Gesprächen gibt, bevor er anfängt, etwas an die Presse durchzustechen!« Über das gesamte Muttertagswochenende grub sich Trumps Tweet über diese »Bänder« in Comeys Unterbewusstsein ein. Am Montag, dem
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. Mai, wachte er mitten in der Nacht auf, und ihm wurde klar, dass er eine Waffe in der Hand hatte, die er nutzen konnte: Seine eigene Version von »Bändern«. Comey beschloss, das unmittelbar nach dem Treffen mit Trump angefertigte Memo durchsickern zu lassen. Darin hält er fest, wie Trump ihm sagte, er solle die Ermittlungen über Flynn auf sich beruhen lassen. Daraus geht hervor, dass der Präsident versucht hatte, in eine strafrechtliche Ermittlung einzugreifen und diese zu behindern. Comey bat einen Freund, den Juraprofessor Dan Richman von der Columbia University, die Details des Memos publik zu machen. Am
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. Mai wurden sie von Michael Schmidt von der
New York Times
veröffentlicht: »Laut Comey-Memo bat Trump um Beendigung der Flynn-Ermittlungen.«
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Rosenstein konnte es nicht fassen. Das Memo war ein entscheidendes Beweisstück für die Ermittler, aber anstatt es dem
Justizministerium zu übergeben, spielte Comey es der Presse zu. »Warum sollte Comey so etwas tun?«, fragte Rosenstein McCabe an jenem Abend. Und bei sich dachte er: »Warum hat mir niemand gesagt, dass der FBI
-Direktor Aufzeichnungen über den Präsidenten führt?«
Rosenstein war klar, dass Comeys Memo die Lage entscheidend verändert hatte. Er überlegte sich, nur dann einen Sonderermittler zu beauftragen, wenn er zuversichtlich wäre, dass dieser an der Spitze der Russland-Ermittlungen einen besseren Job machen würde als die Karriereermittler des FBI
im Team mit dem Namen »Crossfire Hurricane«. Es musste jemand sein, der etwas von nationaler Sicherheit verstand und sich mit elektronischer Kriegführung auskannte, jemand von tadelloser Glaubwürdigkeit, Führungsqualität und absoluter Diskretion. Nach Rosensteins Einschätzung gab es nur eine Person, auf die diese Beschreibung passte. Also ernannte er Robert Mueller.