Kapitel 11
Improvisieren
Im ersten Jahr von Trumps Amtszeit arbeitete Außenminister Rex Tillerson daran, die Beziehungen zwischen den USA und Indien zu stärken. Die südasiatische Republik, die bevölkerungsreichste Demokratie und eins der am schnellsten wachsenden Wirtschaftsländer der Welt, war der ideale Verbündete für die Vereinigten Staaten. Tillerson war der Überzeugung, dass Amerika seine Allianzen stärken und seine Rivalen – allen voran China – daran hindern musste, eventuelle Klüfte oder Reibungen zwischen den Vereinigten Staaten und ihren strategischen Partnern zu ihrem Vorteil auszunutzen. Seiner Meinung nach würde eine Stärkung der transpazifischen Partnerschaft zwischen den USA und Indien, Japan und Australien mit offenen Handels- und Transportwegen dazu dienen, China in Schach zu halten.
Im Oktober 2017 hielt Tillerson eine Rede im Center for Strategic and International Studies, in der er von der Hoffnung sprach, die die Regierung in Indien und die Region setzte. Danach flog er nach Neu-Delhi, um das geplante Bündnis persönlich mit Premierminister Narendra Modi zu besprechen. Modi beeindruckte Tillerson auf Anhieb. Der Premierminister war ein ernsthafter Mensch und erfahrener Verhandlungspartner, den die Aussicht auf eine strategische Partnerschaft mit den USA stark motivierte. Er sprach mit Tillerson offen über die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte. Sein Wirkungsbereich war nicht gerade unproblematisch. Hinter den Landesgrenzen befand sich auf der einen Seite Indiens größte Bedrohung Pakistan, und auf der anderen Seite China, das schon lange versuchte, ein Bündnis mit Pakistan einzugehen. Im Norden lag das vom Krieg zerrüttete, extrem instabile Afghanistan, das für den Einfluss Russlands und anderer Länder empfänglich war. Auf seiner Suche nach Verbündeten für Indien hatte Modi also mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Er war zwar durchaus an einem Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten interessiert, aber sollten sich die Beziehungen zwischen den Ländern verschlechtern, würde sofort Russland an seine Tür klopfen.
In der zweiten Novemberwoche reiste Präsident Trump zum ersten Mal nach Asien. Die zehntägige Reise, während der er fünf Staaten besuchen würde, sollte auf den Philippinen enden, wo er an dem Gipfel der Gemeinschaft südostasiatischer Staaten (ASEAN ) teilnehmen würde. Am 13 . November setzte sich Trump am Rande des Gipfels in Malina zu einem persönlichen Gespräch mit Modi zusammen. Tillerson setzte große Hoffnungen in das Treffen – trotz der Tatsache, dass Trump im Weißen Haus gerne einen falschen indischen Akzent aufsetzte, um Modi zu imitieren, was durchaus als Zeichen der Missachtung dem Premierminister gegenüber interpretiert werden konnte.
Wie bei den meisten seiner Treffen mit internationalen Staatsoberhäuptern war Trump zwar vorbereitet worden, hatte sich das Material aber offenbar nicht eingeprägt und improvisierte stattdessen. Er machte eine scharfe Rechtskurve und begann, sich pedantisch über ein etwaiges Handelsungleichgewicht zu beschweren. Modi versuchte, das Gespräch wieder auf die Bedrohung zu lenken, die Afghanistan, China und Pakistan für Indien darstellten. Sobald das Wort Afghanistan gefallen war, begann Trump lang und breit darüber zu reden, wie dumm es von den USA gewesen sei, ihre Militärpräsenz in Afghanistan über so viele Jahre aufrecht zu erhalten. Und als Modi seine Bedenken bezüglich Chinas ambitionierter und aggressiver Vorgehensweise in der Region äußerte, enthüllte Trump seine Ahnungslosigkeit, was Geographie betrifft.
»Es ist ja nicht so, als würde China direkt vor Ihrer Grenze stehen«, winkte er ab, die Bedrohung für Indien offenbar nicht ernst nehmend.
Modi fielen vor Überraschung fast die Augen aus dem Kopf. Einigen Beratern fiel auf, dass der Premierminister Tillerson, der Trump als Teil der US -Delegation begleitete, einen vielsagenden Seitenblick zuwarf. Der indische Premierminister wusste, dass Tillerson zu den Amerikanern gehörte, die sich bestens mit den Sicherheitsproblemen der Region auskannten. Schließlich hatte er mit ihm über eine neue Partnerschaft verhandelt. Tillerson hatte bei Trumps Worten die Augen weit aufgerissen, aber er reagierte sofort. Er legte die Hand an die Stirn, womit er der indischen Delegation bedeutete, dass er seinen Präsidenten nicht bloßstellen wollte. Gleichzeitig signalisierte er Modi damit, dass ihm völlig klar war, dass diese Aussage kompletter Blödsinn war.
Trump schien ihre wortlose Kommunikation nicht zu bemerken und redete einfach ohne Punkt und Komma weiter über irrelevante Themen. Modi versuchte, das Niveau des Gesprächs nicht sinken zu lassen und weiter den Pfad zu beschreiten, den Tillerson den beiden Nationen in den Wochen zuvor geebnet hatte. Eine Zusammenarbeit, um Indien zu schützen und Chinas Belt and Road Initiative abzuwehren. Aber jedes Mal, wenn Modi versuchte, Trump zu einer inhaltlichen Aussage über die Beziehung zwischen den USA und Indien zu bewegen, faselte Trump sofort wieder zusammenhanglos über Handelsdefizite und den endlosen Krieg in Afghanistan. Das Gespräch entmutigte alle, die an jenem Tag in Manila anwesend waren. Modis anfänglich geschockter und besorgter Gesichtsausdruck verwandelte sich nach und nach in Resignation.
»Ich glaube, er verließ das Gespräch und sagte: ›Das ist kein ernstzunehmender Mann. Auf ihn kann ich als Partner nicht zählen‹«, erinnert sich ein Trump-Berater. Nach dieser Sitzung »machten die Inder einen Schritt zurück«, und die diplomatischen Beziehungen zu den USA kühlten ab.
Das Gespräch mit Modi war nicht nur für das Verhältnis zwischen Indien und den USA ein deutlicher Rückschlag, sondern verringerte auch die Aussichten der US -Regierung darauf, China in der Region in Schach zu halten. Das Treffen fand zu einer Zeit statt, in der Tillersons Einfluss auf Trump wuchs, und zwar aus einem einfachen Grund: Der Präsident war anderen Mitgliedern seines Orbits überdrüssig geworden. Während der Vorbereitungen für die Asienreise bat John Kelly Tillerson, noch eine weitere Aufgabe in seinen bereits vollen Katalog aufzunehmen: Er sollte während der Reise Trumps Briefings zur Staatssicherheit übernehmen.
Eine ungewöhnliche Bitte. Normalerweise war es die Aufgabe des Nationalen Sicherheitsberaters, diese Informationen an den Präsidenten weiterzugeben. Tillerson fragte Kelly nach dem Grund.
»Er will McMaster nicht mehr sehen«, antwortete Kelly.
Im Laufe des Herbstes war es immer offensichtlicher geworden, das Trump allmählich keine Geduld mehr mit H.R. McMaster hatte. McMasters loyale Mitarbeiter gaben es zwar nur ungern zu, aber sie wussten, dass dieses Arbeitsverhältnis nicht länger funktionierte.
McMaster, ein Militärhistoriker und Meisterstratege, wurde im außenpolitischen Establishment Washingtons und auf dem Kapitol enorm respektiert, aber er passte nicht gut in Trumps Dunstkreis. Das war von Anfang an offensichtlich. In der ersten Versammlung der Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats nach seiner Ernennung im Februar 2017 , betonte McMaster, dass er als unparteiischer Armeeoffizier nicht zur Wahl ging. Er wollte den Angestellten damit vermitteln, dass er ihre Beiträge zu schätzen wusste, aber mit seiner Aussage über die Wahl schickte er Trump, ohne es zu wollen, eine deutliche Botschaft, denn dieser verlangte von allen Mitgliedern seiner Regierung parteipolitische Loyalität.
McMaster schätzte Verwaltungsarbeit und formale Vorgänge. Er betrachtete es als seine Pflicht, dem Präsidenten alle Informationen zukommen zu lassen, die dieser brauchte, um die bestmögliche Entscheidung treffen zu können. Und dem Oberbefehlshaber danach dabei zu helfen, seine Anordnungen in die Tat umzusetzen. Aber seine Briefings für Trump waren akademisch und detailorientiert, und die stilistischen Unterschiede der beiden Männer sorgten für geradezu epische Auseinandersetzungen zwischen ihnen.
McMaster hatte Mühe, die Aufmerksamkeit des Präsidenten zu halten. Trump hingegen war schon bald genervt von dem Oberlehrertonfall, den McMaster seiner Meinung nach anschlug. Der Präsident hatte das Gefühl, sein Nationaler Sicherheitsberater wolle ihm immer unbedingt »etwas beibringen«. Tatsächlich reagierte Trump immer ungehalten und ausweichend, wenn seine Mitarbeiter versuchten, ihn über ein bestimmtes Thema zu informieren. Er fühlte sich sofort bevormundet und bedroht, wenn angedeutet wurde, dass seine Kenntnisse ohne den Rat von Experten nicht ausreichen könnten. Wie der Präsident wiederholt zu Kelly sagte, wenn dieser ein Briefing zu einem bestimmten Thema vorschlug: »Ich will mit niemandem reden. Ich weiß mehr als sie. Ich weiß besser Bescheid als alle anderen.«
McMaster war so subtil wie ein Panzerkommandeur, und er war nicht imstande, sein Auftreten dem Klima im Weißen Haus anzupassen, in dem alle politisch wesentlich vorsichtiger agierten und die Atmosphäre von Abwarten und Ausweichen bestimmt wurde. Er hatte einen bellenden Tonfall, mit dem er in seiner bisherigen Welt verlässlich seine Stärke und Direktheit vermittelt hatte. Aber in Trump löste seine Stimmlage sofort eine tiefe Abneigung aus, als handelte es sich um eine schrille Hundepfeife.
Manchmal kam Trump morgens ins Oval Office, und beschwerte sich lautstark, wenn auf seinem Terminplan auf das tägliche Briefing des Präsidenten ein Treffen mit dem Nationalen Sicherheitsberater folgte: »Den Scheiß könnt ihr vergessen«, sagte er seinen Mitarbeitern. »Ich soll eine Stunde mit McMaster reden? Geht’s noch?« Dann ging der Präsident in sein privates Esszimmer, schaltete den Fernseher an und zitierte Gary Cohn, den Direktor des National Economic Councils, Finanzminister Steven Mnuchin oder Handelsminister Wilbur Ross zu sich, um ihm Gesellschaft zu leisten.
Im März befand sich McMaster im Oval Office und bereitete Trump auf den Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, einer der liebsten Gegenspielerinnen des Präsidenten. [41] Trump wurde so ungeduldig, dass er aufstand, in das angrenzende Badezimmer ging, die Tür offen ließ und McMaster anwies, einfach lauter weiterzureden. Es war nicht eindeutig zu erkennen, ob die seltsame Szene Trumps Gefühle für Frau Merkel oder für McMaster widerspiegelte. Möglicherweise für beide.
McMaster sah es als seine Pflicht an, seinem Oberbefehlshaber stets die Wahrheit zu sagen, ihn über entscheidende Themen zu informieren und auch schlechte Nachrichten und die Nachteile bestimmter Strategien, die Trump in Betracht zog, nicht auszuklammern.
So hatte McMaster auch in Kriegseinsätzen immer mit seinen Befehlshabern gesprochen, wenn er vom Schlachtfeld Bericht erstattete. »Hier geht alles den Bach runter. So schlecht steht es wirklich.« Aber Trumps Geheimdienst-Berater spielten neue Erkenntnisse über die russische Einflussnahme auf die Wahlen oder Cyber-Angriffe herunter oder erwähnten sie gar nicht erst, weil sie den Oberbefehlshaber nicht aufregen wollten. Wenn sie eine entscheidende Information in ihrer täglichen Unterredung mit dem Präsidenten nicht erwähnten, sprach McMaster Trump später direkt darauf an, was ihn zum Sündenbock für den Präsidenten machte, wenn dieser dann unweigerlich die Beherrschung verlor. Dieses Schmierentheater frustrierte McMasters zusehends.
Zu McMasters Vorgangsweise gehörte es, Trump schriftliche Dokumente über alle wichtigen Entscheidungen vorzulegen, in denen alle Risiken und möglichen Erfolge detailliert beschrieben wurden. McMaster hatte von Anfang an versucht, sich möglichst kurz zu fassen und das Material auf höchstens drei Seiten zu begrenzen, aber er und sein Team realisierten beinahe sofort, dass der Präsident die Akten, die ihm vorgelegt wurden, überhaupt nicht las. Nicht einmal die knappe Drei-Seiten-Version. Stabssekretär Rob Porter fasste die Memos in einem einseitigen Brief zusammen, der in einem Schreibstil verfasst war, den der Präsident eventuell leichter verdauen konnte. Wie ein Vertrauter Trumps anmerkte: »Ich nenne den Präsidenten den Zwei-Minuten-Mann. Der Präsident hat nur Geduld für eine halbe Seite.« McMaster gefiel es verständlicherweise überhaupt nicht, dass Trump nur Porters Version eines Lektüreschlüssels las. Porter und Reince Priebus schlugen daher eine alternative Vorgehensweise vor. McMaster sollte Trump fortan nur noch mündlich informieren und ihm nichts Schriftliches mehr vorlegen.
»Alle waren sich einig darüber, dass wir dem Präsidenten keine Papiere mehr vorlegen durften«, erinnert sich ein ehemaliger Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats. »H.R. konnte sich mit dem Gedanken überhaupt nicht anfreunden. Er fragte immer wieder: ›Wie sollen wir das denn machen?‹«
McMaster und seine Stellvertreter waren historisch versiert und hatten Angst davor, versehentlich ein Risiko nicht zu dokumentieren oder ein wichtiges Alarmsignal zu übersehen. Präsident George W. Bush war ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, als ans Licht kam, dass er im Sommer 2001 darüber informiert worden war, dass Osama bin Laden einen Terroranschlag mit Hilfe von Passagierflugzeugen plante. Bush hatte diese Informationen tatsächlich sogar in schriftlicher Form erhalten, aber sie wurden nicht als Anlass für Gegenmaßnahmen eingestuft. Auf schriftliche Dokumente für den Präsidenten ganz zu verzichten, forderte das Schicksal zu sehr heraus. McMaster schlug einen Alternativplan vor, den der Stab bereits im September umsetzte: Karteikarten, auf denen relevante Fakten aufgelistet waren.
Andere Spitzenbeamte im Weißen Haus hielten McMaster und seine engsten Mitarbeiter für viel zu misstrauisch. Sie machten sich Sorgen über das Verhältnis des Präsidenten zu seinem Nationalen Sicherheitsberater und stritten sich manchmal mit anderen Mitarbeitern darüber, unter anderem mit Keith Kellogg, ebenfalls Generalleutnant der Armee, der im NSC als Stabschef diente, aber vor allem Trump gegenüber loyal war.
Zum Zeitpunkt der Novemberreise nach Asien machte sich Trump ganz offen über McMaster lustig. Wenn McMaster zu einem Briefing ins Oval Office kam, blähte Trump die Brust auf, setzte sich kerzengerade in seinem Sessel auf und polterte wie bei einem militärischen Drill. Er tat so, als sei er McMaster. »Ich bin Ihr Nationaler Sicherheitsberater, General McMaster, Sir!«, bellte Trump, um die anderen Anwesenden zu amüsieren. »Ich bin hier, um Sie zu informieren, Sir!«
Dann machte Trump McMaster weiter lächerlich, indem er das Thema des Tages in langen, komplizierten Schachtelsätzen beschrieb, um deutlich zu machen, wie langweilig McMasters Briefing werden würde. Die Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates waren entsetzt darüber, wie Trump ihren Chef behandelte. »Der Präsident feuert niemanden«, sagte ein Berater McMasters. »Er quält die Leute einfach so lange, bis sie von selbst kündigen.« Auch für Verteidigungsminister Jim Mattis, Kelly und die anderen Berater war es sehr unangenehm, diese grausamen Hänseleien mit ansehen zu müssen. Und Kelly war genervt davon, dass McMasters es einfach nicht verstand, wenn Trump ihm schon längst nicht mehr zuhörte. Eines Tages im Herbst hatte Trump eine Besprechung mit einem Grüppchen seiner Berater im Oval Office, und als Kelly merkte, dass der Präsident bei einem Thema immer bockiger wurde, beschloss er, dass das Treffen beendet war.
»Ich danke Ihnen allen sehr«, sagte Kelly. »Sie dürfen jetzt gehen.«
McMaster machte einen Schritt auf den Resolute Desk zu und sagte: »Mr. President, ich würde gerne noch weiter mit Ihnen reden. Es gibt noch einiges zu besprechen.«
Kelly reagierte nicht gut darauf, dass McMaster seinen Befehl missachtete. Der Stabschef baute sich direkt vor dem Nationalen Sicherheitsberater auf und donnerte: »Ich habe gesagt, das Treffen ist vorbei.«
Hier standen ein Vier-Sterne-General der Marine und ein Drei-Sterne-General der Armee und prügelten sich beinahe vor dem Schreibtisch des amerikanischen Präsidenten. Trump fand die Situation großartig und sagte einem anderen Berater später, dass Kellys Machismo und seine Bereitschaft, McMaster zu konfrontieren, ihn sehr beeindruckt hatten. »Der Typ ist ein Tier«, komplimentierte der Präsident Kelly. Der Gedanke, dass allein seine kurze Aufmerksamkeitsspanne der Grund für die Auseinandersetzung gewesen war, kam dem Präsidenten offenbar gar nicht.
Auf der Asienreise sprangen sowohl Tillerson als auch McMaster gemeinsam in das Fahrzeug des Präsidenten, um Trump sein morgendliches Update zu liefern, bevor der Autokorso zu den anberaumten Konferenzen fuhr. Aber als McMaster sprach, drehte ihm Trump stirnrunzelnd den Rücken zu und unterbrach ihn mitten im Satz, um Tillerson eine Frage zu stellen. Ein nicht sehr sanfter Wink mit dem Zaunpfahl für Tillerson, dass es von nun an seine Aufgabe war, dem Präsidenten die entscheidenden Fakten mitzuteilen, die er wissen musste. Tillerson machte ein bisschen Smalltalk und wandte sich dann wieder den Debatten zu, mit denen sich Trump an jenem Tag in seinen Sitzungen beschäftigen musste.
»Wie H.R. bereits sagte, Mr. President«, begann Tillerson, der in diesem peinlichen Moment seinen Respekt und seine Achtung vor dem Nationalen Sicherheitsberater ausdrücken wollte. Tillerson und McMaster waren, was Stil und Vorgehensweise anging, nicht immer einer Meinung, aber er hatte den Mann gegenüber seinen Beratern als selbstlos und der Mission voll und ganz ergeben bezeichnet.
McMaster war gelegentlich anderer Ansicht als Trump, zum Beispiel, was die langfristige Strategie in Afghanistan und das Nuklearabkommen mit Iran betraf. Im Gegensatz zu anderen hochrangigen Beratern versuchte er jedoch aufrichtig, dem Präsidenten bei der Durchsetzung seiner Wünsche zu helfen. Statt seine eigene Agenda durchzudrücken, war er stets bemüht, die Meinungen der relevanten Regierungsbeamten zu sammeln, zu ordnen und zu verwalten, um Trump eine Reihe unterschiedlicher Optionen präsentieren zu können.
»Manchmal sind die hochrangigen Berater des Präsidenten höchst unterschiedlicher Meinung«, sagte Senator Tom Cotton, ein Verbündeter McMasters, damals. »H.R. ist unersetzlich, weil er dem Präsidenten dabei hilft, all diese Perspektiven zu hören, ihm die Informationen zu geben, die er braucht. Und zwar rechtzeitig, damit er Zeit hat, eine Entscheidung zu treffen.«
Nikki Haley, US -Botschafterin bei den Vereinten Nationen, fügte hinzu: »In unseren Sitzungen ist es ihm immer sehr wichtig, dass er dem Präsidenten mehrere Optionen vorlegen kann.« [42]
Trumps Berater wurden noch durch eine weitere Episode auf der Asienreise aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Präsident und sein Gefolge legten auf ihrer Reise nach Asien am 3 . November einen Zwischenstopp auf Hawaii ein, um den langen Flug zu unterbrechen und die Air Force One aufzutanken. Mitarbeiter des Weißen Hauses hatten für den Präsidenten und die First Lady dieselbe traurige Pilgerreise organisiert, die auch so viele ihrer Vorgänger bereits absolviert hatten: Ein Besuch in Pearl Harbor, um die 2300 amerikanischen Seemänner, Soldaten und Marines zu ehren, die dort ihr Leben verloren hatten.
Der Präsident und die First Lady sollten eine private Führung durch das USS Arizona Memorial bekommen. Die Gedenkstätte liegt direkt vor der Küste Honolulus und sitzt auf dem Wrack des gleichnamigen Kriegsschiffes, das während des japanischen Überraschungsangriffes im Jahr 1941 im Pazifik versank. Auf dem Passagierschiff, das die Trumps zu dem grellweißen Mahnmal brachte, zog der Präsident Kelly zu einer privaten Unterredung beiseite.
»Hey, John, worum geht’s hier? Was besichtigen wir gerade?«, fragte Trump seinen Stabschef.
Kelly war einen Augenblick lang sprachlos. Trump hatte den Namen »Pearl Harbor« schon mal gehört und wusste, dass er gleich den Schauplatz einer historischen Schlacht besichtigen würde, aber abgesehen davon schien er nicht viel zu wissen. Kelly erklärte ihm, dass der hier stattgefundene Überraschungsangriff der Japaner die Pazifikflotte der USA ausgeschaltet und zum Kriegseintritt der Nation in den Zweiten Weltkrieg beigetragen hatte. Was schlussendlich dazu geführt hatte, dass die USA Atombomben auf Japan abwarfen. Falls Trump in der Schule etwas über diesen »Tag der Ehrlosigkeit« gelernt hatte, war es nicht in sein Bewusstsein vorgedrungen oder in seinem Gedächtnis hängen geblieben.
»Manchmal war er gefährlich uninformiert«, sagte ein ehemaliger Berater.
Trumps mangelnde historische Grundkenntnisse überraschten auch einige Staatsoberhäupter. Als er sich im September 2017 mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron bei den Vereinten Nationen traf, gratulierte er ihm zu der spektakulären Militärparade am Französischen Nationalfeiertag, den er im Juli gemeinsam mit ihm in Paris begangen hatte. Trump sagte, ihm sei erst bei der Parade in Frankreich klargeworden, wie reich die französische Geschichte an militärischen Triumphen sei. Er sagte Macron ungefähr Folgendes: »Wissen Sie, ich wusste das bisher nicht, aber die Franzosen haben wirklich schon eine Menge Schlachten gewonnen. Davon hatte ich keine Ahnung.«
Ein hochrangiger europäischer Regierungsbeamter erklärte trocken: »Er hat wirklich von gar nichts eine Ahnung. Aber das ist ihm egal. Ihn interessiert das alles auch nicht.«
Tillerson entwickelte eine höfliche und bescheidene Methode, um Trumps Wissenslücken zu managen. Wenn er sah, dass der Präsident im Gespräch mit einem anderen Staatsoberhaupt völlig den Faden verloren hatte, mischte sich der Außenminister anderen Beratern zufolge mit einer Frage ein. Tillerson achtete darauf, in seiner Frage das Thema in Grundzügen zu wiederholen und dadurch einige Basispunkte zu erklären. So verschaffte er Trump Zeit zum Nachdenken.
Im Laufe der Zeit entwickelte der Präsident einen Tell, den er benutzte, um sich aus einer heiklen Konversation zu befreien, in denen eine globale Führungspersönlichkeit ein Thema erwähnte, das ihm völlig fremd oder unbekannt erschien. Er drehte sich dann zu McMaster, Tillerson oder einem anderen Berater um und sagte: »Was halten Sie davon?«
»Wir hatten immer Sorge, dass er sich, wenn keiner von uns dabei war, ohne es zu bemerken in irgendeine missliche Lage oder Abmachung verstricken würde«, sagte ein ehemaliger hochrangiger Berater. »Sie sagen ihm, er soll dies und das tun, und dann tut er es.«
Es kam häufig vor, dass Kelly und Verteidigungsminister Jim Mattis sich nach Gesprächen mit Trump zusammensetzten – manchmal mit McMaster im Büro des Nationalen Sicherheitsberaters, manchmal auch ohne ihn –, um sich über die Performance des Präsidenten auszutauschen, die sie gerade miterlebt hatten. Mit Worten und oft auch nur durch ihr Mienenspiel kommunizierten sie die Sorge, die sie alle teilten: »Dieser Typ weiß nicht, was er tut.«
Im Frühling 2017 hatten sich einige Mitarbeiter des Präsidenten im Oval Office versammelt, um Trump auf anstehende Treffen mit einer Reihe Staatsoberhäupter vorzubereiten, als jemand beiläufig einige ausländische Regierungsbeamte erwähnte, die unter Korruptionsverdacht standen, weil sie Bestechungsgelder angenommen hatten. Trump horchte auf und war sehr schnell aufgebracht. Er sagte Tillerson, er solle ihm dabei helfen, den Foreign Corrupt Practices Act abzuschaffen.
»Es ist einfach unfair, dass amerikanische Firmen keine Bestechungsgelder zahlen dürfen, um internationale Aufträge zu bekommen«, sagte Trump der Gruppe. »Das werden wir ändern.«
Dann schaute er Tillerson an und sagte: »Sie müssen dieses Gesetz abschaffen.« Als hätte der Außenminister die Macht, wie durch Zauberei ein Bundesgesetz außer Kraft zu setzen.
Der Präsident gewordene Unternehmer war anscheinend wütend über den FCPA , da er seine Industriekumpel oder die Manager seiner eigenen Firma daran hinderte, Regierungen in weit entfernten Ländern zu bestechen. Die anderen Berater drehten sich zu Tillerson um und warteten gespannt auf seine Reaktion. Tillerson, den Trumps Aufforderung völlig überrascht hatte, schwieg einen Moment lang. Dann fand er seine Sprache wieder.
»Mr. President«, sagte er. »Das liegt nicht in meiner Macht.«
Tillerson erklärte dem Präsidenten, wie Gesetze funktionieren. Er schlug vor, das Justizministerium genauer zu der Reihe von Statuten zu befragen, die es für amerikanische Geschäftsleute zu einem Verbrechen machten, ausländischen Beamten oder Unternehmern Bestechungsgelder zu bezahlen, um im Ausland Verträge oder Deals abzuschließen. Dann erklärte Tillerson noch, dass der Kongress daran beteiligt sein musste, das Gesetz aufzuheben. Das Ganze erinnerte an die düstere Version einer Sachgeschichte aus der Sendung mit der Maus ; Lektionen dieser Art gehörten inzwischen regelmäßig zur Oval-Office-Ausbildung dieses Präsidenten.
Trump ignorierte Tillersons Erklärungen und wandte sich an den erfahrenen Polit-Berater des Weißen Hauses, Stephen Miller, der schon häufig bewiesen hatte, dass er es als seine oberste Pflicht betrachtete, so gut wie alle Wünsche des Präsidenten zu erfüllen.
»Stephen, ich will, dass Sie eine Präsidentenverfügung aufsetzen und dieses Gesetz außer Kraft setzen«, befahl Trump. Er hatte anscheinend immer noch nicht begriffen, dass er allein nicht die Macht hatte, den FCPA aufzuheben.
Nachdem die Sitzung beendet war, holte Tillerson Miller auf dem Flur ein. Miller, der sich sonst gerne für die unpopuläreren Pläne Trumps stark machte, sagte zu Tillerson, er zweifle daran, dass die Idee mit der Präsidentenverfügung Erfolg haben werde. Es war einer der seltenen Momente, in denen die beiden Männer derselben Meinung waren.
Nachdem Trump aus Asien zurückgekehrt war, gab es in der Russland-Ermittlung Anzeichen für Probleme. Die Anwälte einiger Zeugen und Zielpersonen in der Untersuchung des Sonderermittlers Robert Mueller hatten als Teil einer gemeinsamen Verteidigungsvereinbarung Informationen ausgetauscht und Strategien abgesprochen. Am 22 . November, dem Mittwoch vor Thanksgiving, informierte Robert Kelner, der Anwalt des ehemaligen Nationalen Sicherheitsberaters Michael Flynn, Trumps Anwälte darüber, dass Flynn aus der gemeinsamen Verteidigungsvereinbarung aussteigen würde und deshalb nicht länger vertraulich mit dem Präsidenten oder dem Weißen Haus kommunizieren konnte. Obwohl Kelner dies bei dem Anruf nicht explizit ausgesprochen hatte, sah John Dowd, Trumps leitender persönlicher Anwalt, Flynns Rückzug als Zeichen dafür, dass er begonnen hatte, mit Muellers Leuten zusammenzuarbeiten, oder zumindest aktiv darauf hinarbeitete. In beiden Fällen hätte dies Flynns Anwälte dazu verpflichtet, die Kommunikation mit anderen Verteidigungsteams abzubrechen.
Am Abend des 22 . November hinterließ Dowd eine Sprachnachricht für Kelner, in der er sagte, es würde ihn nicht überraschen, wenn Flynn »die Absicht hatte, einen Deal mit dem Sonderermittler zu schließen«. Falls er aber über »Informationen verfügen sollte, die den Präsidenten in die Sache verwickeln, haben wir jetzt ein nationales Sicherheitsproblem«. Dowd bat um »Infos«, um »unser aller Interessen zu schützen«, und erinnerte Kelner abschließend daran, wie sehr Trump Flynn schätzte.
»Vergessen Sie nicht, was wir immer über Trumps Einstellung Flynn gegenüber gesagt haben. Das gilt auch weiterhin«, waren Dowds letzte Worte. [43] Er klang versöhnlich, beinahe freundschaftlich.
Die Situation war heikel. Flynns Anwälte hofften darauf, ihrem Mandanten eine Begnadigung des Präsidenten sichern zu können, falls er angeklagt wurde oder sich schuldig bekannte. Am folgenden Tag antwortete Kelner auf Dowds Nachricht und wiederholte am Telefon noch einmal, dass er nicht mehr länger mit Dowd oder den anderen Anwälten des Präsidenten kommunizieren konnte. Damit änderte sich Dowds Laune dramatisch. Er wurde wütend und warnte Kelner, er sehe dies als eindeutiges Zeichen der Feindseligkeit von Flynn. Und er habe die Absicht, Präsident Trump davon in Kenntnis zu setzen. Kelner und sein Kollege Steve Anthony wussten genau, was er damit meinte: Dowd drohte ihnen indirekt mit Trumps Ungnade, falls sie ihre Pläne, Flynn mit Mueller kooperieren zu lassen, nicht aufgaben. Und genau wie Dowd wussten sie auch, dass Flynn den Präsidenten auf keinen Fall verärgern wollte.
Die Flynn-Neuigkeiten erreichten Trumps Anwälte zu einer stressigen Zeit. Seit dem Sommer hatten Dowd und der Anwalt Ty Cobb versucht, Trump dazu zu überreden, sich auf ihre Strategie einzulassen, die darin bestand, voll und ganz mit der Untersuchung zu kooperieren. Sie versicherten dem Präsidenten, dass Mueller die Ermittlungen wesentlich schneller abschließen würde, wenn er sich im Gegenzug kooperativ zeigte. Dowd hatte Trump anfangs gesagt, Muellers Untersuchung über mögliche geheime Absprachen mit den Russen könnte so schon nach wenigen Wochen oder Monaten vorbei sein, aber das hatte nicht hingehauen. Journalisten gegenüber hatte Cobb angegeben, der Teil der Ermittlungen, die das Weiße Haus betrafen, wäre wahrscheinlich bis Thanksgiving abgeschlossen, aber diese Deadline war verstrichen, und inzwischen sprach er bereits vom Jahresende. Der Druck auf Dowd, der seinen ungeduldigen Mandanten zufriedenstellen wollte, wurde immer stärker, aber das, was Trump wollte, konnte er ihm nicht geben: eine öffentliche Entlastung durch Mueller.
Inzwischen hatten das Weiße Haus, die Trump Organization und das Trumps Wahlkampfteam Mueller die Massen an Dokumenten und internen E-Mails, die er verlangt hatte, ausgehändigt. Die Stabsmitglieder des Weißen Hauses, die Mueller vorgeladen hatte, waren bereits von ihm vernommen worden oder hatten einen Termin mit dem Büro des Sonderermittlers vereinbart. Der Letzte auf Muellers Liste war Don McGahn. Inzwischen fragten sich alle, ob Mueller womöglich auch den Präsidenten selbst befragen wollte. Es wäre eine durchaus nachvollziehbare Forderung. Cobbs Meinung nach durfte ein solches Interview auf keinen Fall öffentlich abgelehnt werden. Dowd war skeptisch, dachte aber, eine direkte Befragung könnte vielleicht das sein, was der »alte Mann« wollte.
Jay Sekulow, ein weiterer Anwalt Trumps, war vorsichtig. Einen Tag nach Thanksgiving rief er Mike Bowe an, der den Präsidenten ebenfalls juristisch repräsentierte.
»Was halten Sie von einer Befragung des Präsidenten?«, fragte Sekulow Bowe, der gerade in seiner Garage werkelte.
Nach einer kurzen Pause sagte Bowe ihm die Wahrheit: »Das wäre eine Verletzung der anwaltlichen Berufspflicht.«
Es war immer riskant, einen Mandanten aussagen zu lassen, aber mit einem Mandanten wie Trump, der zu Übertreibungen neigte und seine eigene Auffassung von Wahrheit hatte, wuchsen diese Risiken exponentiell. Trumps Anwälte hatten zahllose Stunden lang CEO s auf eidesstaatliche Aussagen vorbereitet und ihnen immer wieder sorgfältig die Regeln eingeimpft. Wenn man sich an entscheidende Aspekte oder kleinste Details nicht erinnern konnte, musste man sagen: »Daran erinnere ich mich nicht.« Wusste man etwas nicht genau, sagte man: »Ich weiß es nicht.« Aber diese Manager waren ihr Leben lang darauf getrimmt worden, immer eine Antwort parat zu haben, und neigten zu unglaublicher Sturheit. Es war, als seien sie genetisch nicht dazu in der Lage, ein »Ich bin mir nicht sicher« von sich zu geben. Trump war die Extremversion davon. Und seine Anwälte hatten nicht vergessen, dass Muellers Team bewiesen hatte, dass Zeugen für widersprüchliche Aussagen angeklagt werden würden.
Die Anwälte waren noch dabei, alle Möglichkeiten durchzugehen, als der Grund für das Schweigen von Flynns Team ans Licht kam. Der ehemalige Nationale Sicherheitsberater bekannte sich am 1 . Dezember schuldig, dem FBI gegenüber über seine Kontakte zu dem russischen Botschafter Sergei Kisljak gelogen zu haben. Damit war er der erste Mitarbeiter des Weißen Hauses, der in der Ermittlung unter Anklage gestellt wurde. Das Schuldbekenntnis enthüllte, dass Flynn mit den laufenden Ermittlungen von Muellers Team kooperierte, und ihm von seinen Gesprächen mit nicht namentlich genannten hochrangigen Beamten in Trumps Übergangsteam berichtet hatte. [44] Obwohl nicht klar war, was er dem Sonderermittler außerdem noch über Trumps Wahlkampfteam oder die Regierung mitgeteilt hatte, zeigte seine Kooperation deutlich, dass Muellers Untersuchungen nicht ausliefen, sondern im Gegenteil Fahrt aufnahmen und wahrscheinlich noch viele Monate andauern würden.
Als Trump an jenem Tag die Berichterstattung über Flynns Schuldgeständnis auf CNN verfolgte, wurde er zunehmend nervös und wütend. Er rief Steve Bannon an, der gerade in Schottland unterwegs war. »Wieso wird Flynn jetzt angeklagt?«, fragte der Präsident. »Flynn hat nichts verbrochen. Er ist unschuldig.«
Trump sagte, die ganze Sache mache ihn wütend und er sei in Sorge, weil Flynn nichts falsch gemacht habe.
»Sie haben es auf ihn abgesehen, weil er für mich gearbeitet hat«, jammerte er.
Bannon nutzte die Gelegenheit, um dem Präsidenten zu sagen, was er von dessen Anwälten und ihrer Strategie hielt. Bannon hatte nie daran geglaubt, dass Mueller den Präsidenten ohne langwierige Untersuchungen entlasten würde. Seiner Meinung nach trugen Dowd und Cobb rosarote Brillen und hatten ihren Mandanten in die Irre geführt.
»Sie müssen Cobb und Dowd loswerden«, sagte Bannon zu Trump. »Die werden sie in eine Falle tappen lassen, die schon bald zuschnappt. Sie brauchen richtige Anwälte, und zwar von einer Kanzlei. Beauftragen Sie Jones Day. Das ist die einzige Kanzlei, die mit uns zusammenarbeiten wird. Sie brauchen massenweise Mitarbeiter und Partner. Sie müssen von ihrem Exekutivprivileg Gebrauch machen und sich weigern, weitere Dokumente herauszugeben oder noch mehr Zeugen aufzutreiben.«
Bannon versuchte, an Trumps kämpferische und prozessfreudige Instinkte zu appellieren.
»Sie müssen sich wehren«, sagte er dem Präsidenten. »Wenn Sie wollen, können Sie die Sache jahrelang verzögern.«
Trump antwortete, Dowd und Cobb hätten ihm versichert, Kooperation sei die beste Strategie.
»Sie sagen mir, dass ich bald offiziell entlastet werde«, sagte er zu Bannon. Der Spuk würde nun bald vorbei sein, da war sich Trump sicher.
Bannon schüttelte nur den Kopf. Mueller würde Trump so bald keinen Persilschein ausstellen, das wusste er.
Am Morgen des 2 . Dezember war Trump aufgebracht darüber, dass seine Anwälte sich in den Medien nicht für ihn einsetzten. Vor allem machte es ihn wütend, dass sie sich nicht gegen die Spekulationen zur Wehr setzten, denen zufolge Flynn das FBI angelogen hatte, weil er den Präsidenten nicht belasten wollte. Um 12  Uhr 14 , rund 24  Stunden nachdem Flynns Deal beim Bundesgericht eingegangen war, verteidigte Trump sich auf Twitter selbst, wie er es häufig tat. Mit seinem Tweet erhielt die Öffentlichkeit eine erstaunliche neue Perspektive auf Flynns kriminelle Vergehen.
»Ich musste General Flynn feuern, weil er den Vizepräsidenten und das FBI angelogen hat«, twitterte Trump. »Er hat diese Lügen gestanden. Das ist eine Schande, denn während des Übergangs hat er sich völlig rechtmäßig verhalten. Es gab nichts zu verbergen!«
Der Tweet überraschte und frustrierte Cobb, denn Dowd und er hatten versucht, Trump von genau solchen Aussagen abzuhalten. Außerdem entfachte der Inhalt des Tweets ein ganz neues Inferno, denn aus ihm ging hervor, dass Trump schon lange gewusst hatte, dass Flynn über seine Verbindung zu Kisliak gelogen hatte. Das hatte der Präsident bislang aber nie zugegeben. Der Tweet dominierte den ganzen Samstagmorgen lang die Nachrichten, und Journalisten drängten das Pressebüro des Weißen Hauses, einen Kommentar zu dieser neuen Entwicklung abzugeben.
Cobb konfrontierte Dowd wegen des Tweets.
»Wo kam das denn her?«, fragte Cobb seinen Kollegen. »Das widerspricht allem, was wir vereinbart haben.«
»Der alte Mann hat mich darum gebeten«, sagte Dowd. Damit bezog er sich auf den Präsidenten. Später distanzierte sich Dowd von diesem Gespräch und behauptete, dass Cobb bereits im Voraus über den Inhalt des Tweets Bescheid gewusst habe.
Danach veröffentlichte Dowd eine Erklärung, in der er behauptete, er habe den Tweet für Trump verfasst.
Inzwischen bereiteten sich Dowd und Sekulow auf eine Sitzung mit Mueller vor, die für die dritte Dezemberwoche anberaumt war. Sie hofften, dabei zumindest die Anschuldigung aus dem Weg räumen zu können, der Präsident und sein Wahlkampfteam hätten geheime Absprachen getroffen. Trump hatte Freunden gegenüber geäußert, die Untersuchung werde in ein paar Wochen weitgehend abgeschlossen sein, und als dies in der Washington Post berichtet wurde, wuchs der Druck auf seine Anwälte, die Untersuchung irgendwie zu einem Ende zu bringen, nur noch weiter.
Am 6 . Dezember flog Bowe nach Washington, um sich mit Dowd zu treffen. Sie verabredeten sich in Shelly’s Back Room, einem Zigarrenclub zwei Häuserblocks vom Weißen Haus entfernt. Bowe war so beunruhigt über das, was er gehört hatte, dass er extra angereist war. Er wollte sicherstellen, dass Dowd nicht in eine Vernehmung des Präsidenten eingewilligt hatte, nur weil er sein Versprechen an Trump einlösen wollte. Zum Teil auch deshalb, weil es keine Garantie dafür gab, dass die Untersuchung schneller abgeschlossen würde, wenn Mueller den Präsidenten persönlich befragte.
»Das ist bald vorbei, da bin ich mir sicher«, sagte Dowd zu Bowe. »Ich bin zuversichtlich, dass wir ein Entlastungsdokument bekommen werden.« Bowe fürchtete, Dowd werde einem Interview zustimmen, um die Ermittlungen zu beenden. Dowd bestritt später jedoch, dass er jemals die Absicht gehabt habe, in ein solches Interview einzuwilligen.
»Es wäre eine Verletzung deiner Berufspflicht, John«, erwiderte Bowe. Auf diese Warnflagge reagierten Anwälte immer, das wusste er. »Und es ist auch gar nicht nötig. Wir sollten keinen schweren Fehler begehen, nur um die Sache schnell zu Ende zu bringen.«
Die Anwälte steckten in der Klemme, und dem Persilschein waren sie kein Stück nähergekommen. In der Zwischenzeit leugnete Trump weiterhin die schlüssigen Beweise, die seine eigenen Geheimdienste darüber zusammengetragen hatten, dass Russland die Wahl 2016 zu seinen Gunsten beeinflusst und damit die amerikanische Demokratie angegriffen hatte. Der Präsident beteuerte zwar, er sei völlig unschuldig und mit den Russen nicht im Bunde gewesen, brachte es aber nicht über sich, eindeutig zu erklären, dass es die russische Einmischung tatsächlich gegeben hatte.
»Der Präsident muss Folgendes sagen: ›Wir wissen, dass die Russen es getan haben. Sie wissen, dass sie es getan haben. Ich weiß, dass sie es getan haben, und wir werden nicht ruhen, bis wir alle Informationen darüber gesammelt haben. Und wir werden alles nur Mögliche dafür tun, dass so etwas nie wieder geschieht‹«, sagte Michael Hayden, der unter Präsident George W. Bush CIA -Direktor gewesen war, Greg Miller von der Washington Post . Aber Trump »hat noch nie etwas derartiges gesagt. Und das wird er auch niemals tun.« [45]
Als das Jahr sich dem Ende zuneigte, unternahmen Trump und seine Regierung kaum etwas, um Russland für seins illegales Vorgehen zur Verantwortung zu ziehen oder zukünftigen Angriffen des Kremls vorzubeugen, um die Wahlen in den USA zu schützen. Die einzige Strafe, die Russland erhielt, kam vom Kongress, der im August für zusätzliche Sanktionen gegen Moskau stimmte, und zwar gegen den heftigen Widerstand von Trump. Da Trump ein Bündnis mit Präsident Wladimir Putin anstrebte, berief er 2017 keine einzige Kabinettssitzung zur russischen Einflussnahme auf die US -Präsidentschaftswahlen ein.
Im Dezember hatte Trump seine Generäle und Spitzendiplomaten zu einer Sitzung einberufen, die Teil der laufenden Strategiegespräche über die Truppenstationierung in Afghanistan war. Die Konferenz fand im Situation Room statt, einem sicheren Tagungsraum im Erdgeschoss des West Wings. Trump mochte den Situation Room nicht, weil er ihm nicht würdevoll genug war. Er war schlichtweg nicht beeindruckend.
Aber dort saß Trump nun und bemühte sich angestrengt um eine neue Afghanistan-Politik. Es frustrierte ihn, dass so viele US -Truppen an so vielen Orten rund um den Globus stationiert waren. Das Gespräch drohte, in dieselbe Richtung abzurutschen wie im Juli, als Trump sich mit Spitzenmilitärs und Nationalen Sicherheitsbeamten im »Tank« des Pentagon getroffen hatte.
»All diese Länder müssten uns eigentlich dafür bezahlen, dass wir unsere Truppen zu ihnen schicken. Wir müssen etwas daran verdienen«, sagte Trump. »Das könnte sehr profitabel für uns werden.«
General Joseph Dunford, Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff, versuchte, dem Präsidenten noch einmal freundlich zu erklären, dass die Truppen in den Regionen, in denen sie stationiert waren, für Stabilität sorgten und Amerika damit im Endeffekt sicherer machten. Ein anderer Offizier warf ein, dass es ungesetzlich wäre, anderen Ländern für US -Soldaten Rechnungen auszustellen.
»Aber es funktionierte einfach nicht«, erinnert sich ein ehemaliger Trump-Berater. »Nichts drang zu ihm durch.«
Nach dem Tank-Treffen im Juli hatte Tillerson seinen Beratern gesagt, er werde niemals schweigend tolerieren, dass Trump amerikanische Soldaten erniedrigte, indem er vorschlug, an ihrer Stationierung Geld zu verdienen. Tillersons Vater hatte sich mit 17  Jahren dazu entschlossen, an seinem nächsten Geburtstag in die Navy einzutreten, da er im Zweiten Weltkrieg unbedingt seinem Land dienen wollte. Tillersons Großonkel war ebenfalls Berufsoffizier in der Navy gewesen. Er habe an diese beiden Männer denken müssen, als Trump im Tank seine Tirade begann, sagte Tillerson seinen Beratern. Und genauso war es ihm ergangen, als Trump seine Ansichten im Dezember im Situation Room wiederholte.
»Wir müssen unser Geld zurückbekommen«, sagte Trump den Anwesenden.
Jetzt reichte es. Tillerson stand auf. Aber während er sprach, drehte er dem Präsidenten den Rücken zu und schaute nur die Flaggoffiziere und die restlichen Berater im Zimmer an. Er wollte nicht, dass sich die Szene im Tank wiederholte.
»Ich habe nie eine Uniform getragen, aber eines weiß ich«, sagte Tillerson. »Jeder Mensch, der sich dazu bereit erklärt, eine Uniform zu tragen, und dazu gehören auch die Personen hier im Raum, tut das nicht, weil er daran Geld verdienen will. Diese Menschen tun es für ihr Land, um uns zu schützen. Wir als Land wissen, wie unschätzbar wertvoll ihr Dienst für uns ist. Das möchte ich ein für allemal klarstellen.«
Tillersons Ermahnung erzürnte Trump, dem das Blut in den Kopf gestiegen war. Aber der Präsident beschloss, sich nicht jetzt mit Tillerson anzulegen. Er würde seine Gelegenheit dazu bekommen. An einem anderen Tag.
Am selben Abend arbeitete Tillerson nach 20  Uhr in seinem Büro im Außenministerium in Foggy Bottom und bereitete sich auf den folgenden Tag vor. Das Telefon klingelte, am Apparat war Dunford. Die Stimme des Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff war hoch emotional. Dunford hatte vor einiger Zeit einmal scherzhaft zu Tillerson gesagt, dass in früheren Regierungen die Außenminister und Verteidigungsminister nicht einmal tot auf derselben Straßenseite erwischt worden wären, da die Rivalität zwischen ihnen traditionell so groß gewesen war. Aber jetzt, da beide Männer unter Trump dienten, waren sie Brüder, die sich vereint gegen diesen eklatanten Mangel an Respekt für die Angehörigen der Streitkräfte stellten. Dunford dankte Tillerson dafür, dass er sich im Situation Room für die Soldaten eingesetzt hatte.
»Sie haben für uns die Schläge abgefangen«, sagte Dunford. »Einen nach dem anderen. Danke. Das werde ich Ihnen nie vergessen.«
Das schicksalhafte Gespräch zwischen Dowd, Sekulow und Mueller fand schließlich Ende Dezember statt. Dowd fragte, was nötig sei, um die Untersuchung abzuschließen, von der die Präsidentschaft beeinträchtigt sei. Mueller gab ihnen die Antwort, für die sie sich innerlich bereits gewappnet hatten.
»Nun, wir werden den Präsidenten vernehmen müssen«, sagte er.
Und dann erklärte der Sonderermittler ihnen, warum. Mueller bestätigte, dass er die Aussage des Präsidenten benötige, um den Report über die Ermittlungen zu Trump abzuschließen, an dem er gerade arbeite. Der Sonderermittler beschrieb diesen Report als vorgeschriebene Methode, mit der Mueller seine Ergebnisse dem Justizminister mitteilen konnte, aber die Anwälte hörten zum ersten Mal davon.
Dowd und Sekulow lehnten die Vernehmung nicht ab. Sie stellten weitere Fragen.
»Sie müssen uns sagen, wozu Sie ihn befragen werden«, sagte Dowd.
Zuerst weigerten sich Muellers Vertreter, die geplanten Fragen herauszugeben, aber später erklärten sie sich zu einem Kompromiss bereit. James Quarles, ein Mitarbeiter von Mueller, würde ihnen einen Überblick über die Themen geben, um die es gehen werde. Dowd und Sekulow hatten kein Problem damit, dass der Sonderermittler Trump danach fragen wollte, ob er Verbindungen zu Russen unterhielt oder an der Verschwörung zur Einflussnahme auf die US -Wahlen beteiligt gewesen war. Sie glaubten daran, dass er in diesen Belangen unschuldig war. Aber sie waren vorsichtig, was andere Themen anging. Sie wollten vermeiden, dass Mueller genauer untersuchte, was genau Trump dem ehemaligen FBI -Direktor James Comey über Flynn gesagt hatte. Trump behauptete, er wisse nicht mehr, ob es stimme, dass er gesagt habe, er hoffe, Comey würde die Ermittlungen über Flynn »aufgeben«, wie Comey in seinen Aufzeichnungen aus der Zeit geschrieben hatte. Ein Staatsanwalt konnte aber durchaus zu der Auffassung gelangen, dass Comey die Wahrheit sagte und Trump nicht. Solche Fragen boten sich als Meineidsfalle geradezu an.
Das Gespräch endete, ohne dass Trumps Anwälte in eine Vernehmung einwilligten. Dowd und Sekulow informierten Trump unverzüglich darüber, was Mueller und sein Team gesagt hatten. Der Präsident freute sich. Er war ganz wild darauf, Mueller von Angesicht zu Angesicht zu begegnen.
»Ist es danach dann wirklich vorbei?«, fragte Trump seine Anwälte. »Bekomme ich dann meinen Brief?«
»Nun, zuerst wollen Sie eine Aussage von Ihnen«, sagte Dowd.
Er erklärte dem Präsidenten, welche Bedingungen er für das Interview aushandeln wollte.
»Großartig«, antwortete Trump. »So machen wir’s.«
Trumps Glaube daran, dass er Mueller von seinem Standpunkt überzeugen konnte, war unerschütterlich. »Der Präsident dachte ›Ich schaffe das. Ich kann die Sache erledigen‹«, erinnert sich ein Berater.
Was für Trumps Anwälte eine juristische Angelegenheit war, die politische Konsequenzen haben konnte, war für den Präsidenten ein politisches Event mit juristischer Komponente. Er fühlte sich von den Medien wegen des Russland-Skandals geschändet und in historischem, ja, biblischem Ausmaß verfolgt. Trump wollte die dunklen Wolken, die über ihm hingen, mit allen Mitteln vertreiben, sogar wenn das bedeutete, die Krise höchstpersönlich zu beenden.
»Jeder andere Präsident hätte gesagt: ›Machen Sie Ihr Ding und melden Sie sich, wenn Sie fertig sind‹«, sagte derselbe Berater. »Aber das war nicht Präsident Trumps Art. Präsident Trump wollte die Sache sofort erledigt haben … Es beruhigte ihn nicht, wenn man ihm versicherte: ›Wir erledigen das auf die ganz normale Art.‹ Er hätte nur gesagt: ›Das ist eine beschissene Strategie. Das hier ist nämlich nicht normal.‹«