Kapitel 24
Der Bericht
Gegen Mittag des 22
. März, eines ansonsten ruhigen Freitags im Frühling, erhielt Ed O’Callaghan in seinem Büro im Justizministerium eine besondere Kurierdienstlieferung: ein dickes Bündel Papier mit Klarsichtdeckel und festem schwarzen Rücken. Der Titel lautete: Report on the Investigation into Russian Interference in the
2016
Presidential Election
(»Abschlussbericht der Untersuchung zur russischen Einmischung in die Präsidentenwahl 2016
«). Robert Mueller hatte seine Ermittlungen abgeschlossen, und jetzt lagen die lang erwarteten Ergebnisse vor, alle 448
Seiten.
O’Callaghan, Bill Barr, Rod Rosenstein und Barrs Stabschef Brian Rabbitt sagten für den Rest des Tages alle Termine ab, bunkerten sich in ihren Büros ein und begannen zu lesen. Als Erstes fiel ihnen auf, dass es über 400
Seiten waren, und nichts war geschwärzt. Muellers Team hatte vertrauliche Passagen, die von der Grand Jury stammten, stattdessen mit Fußnoten markiert, aber es wurde nicht wirklich klar, was das Team geheim gehalten sehen wollten. In der Sitzung vom 5
. März hatten die Leute des Sonderermittlers zwar angedeutet, vertrauliche Informationen, das sogenannte 6
(e)-Material, zu identifizieren; eine langwierige und umständliche Arbeit. Aber die Sonderermittler sahen sich nicht in der Rolle, die Geheiminformationen zu streichen – sie wiesen die entsprechenden Stellen lediglich als solche aus. Im Justizministerium wurde dies bemängelt – zum Markieren gehörte nach dortiger Ansicht auch das Streichen. Dieser noch fehlende Schritt würde es nun schwieriger machen, den Bericht rasch zu veröffentlichen.
Erste Priorität für Barrs Team war es jetzt, sich mit dem vertraut zu machen, was Mueller geschrieben hatte, also blätterten die Beamten den zweibändigen Bericht auf der Suche nach seinen Schlussfolgerungen und Zusammenfassungen durch.
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Später am Nachmittag
entschlossen sie sich, die Öffentlichkeit davon zu unterrichten, dass der Sonderermittler dem Justizminister seinen Bericht vorgelegt hatte, und entwarfen einen entsprechenden Brief an den Kongress. Barr schrieb: »Ich bin dabei, den Bericht durchzugehen, und nehme an, dass ich Sie bereits am kommenden Wochenende von den wichtigsten Erkenntnissen des Sonderermittlers unterrichten kann.« Er wiederholte seine Absicht, die Ergebnisse zu veröffentlichen, und fügte hinzu: »Mein Ziel bleibt größtmögliche Transparenz.«
Zwischen 16
und 17
Uhr rief Rabbitt Emmet Flood, den Anwalt des Weißen Hauses, an, um ihm zu sagen, dass der Bericht im Justizministerium vorlag. Er las Flood einen Entwurf von Barrs Brief an die führenden Persönlichkeiten im Kongress vor, sagte ihm aber nichts über den Inhalt von Muellers Abschlussbericht oder die entscheidenden Schlussfolgerungen daraus. Eine gute Nachricht ließ er jedoch durchscheinen: Mueller empfahl keine weiteren Anklagen. Wenige Minuten nachdem Flood die Informationen an Trump weitergegeben hatte, überbrachte Stephen Boyd, stellvertretender Justizminister und Abteilungsleiter für Fragen der Gesetzgebung, Barrs Brief persönlich an den Kongress. Er wurde fast sofort den Medien bekanntgemacht. Jetzt wusste die Welt, dass Muellers fast zwei Jahre währende Untersuchung abgeschlossen war und die Ergebnisse in Barrs Händen lagen.
Trump war bereits am Vormittag nach Florida geflogen, um das Wochenende in Mar-a-Lago zu verbringen. Flood und Pat Cipollone begleiteten ihn, weil sie damit rechneten, dass die Veröffentlichung des Mueller-Berichts unmittelbar bevorstand. Für den Fall, dass der Präsident sich sofort mit seinen Anwälten beraten musste, wurden sie in letzter Minute der Passagierliste der Air Force One
hinzugefügt, die um 10
Uhr abhob. Wie sich jedoch an diesem Nachmittag herausstellte, gab es wenig anderes zu tun, als auf Barr zu warten.
Der Präsident widerstand der Versuchung, seinen Justizminister anzurufen, um nähere Auskünfte einzufordern, und befolgte damit tatsächlich einmal den Rat seiner Anwälte, nämlich nicht mit Barr in Kontakt zu treten, um die Unabhängigkeit der Ermittlung nicht zu
gefährden. Trumps Berater waren zuversichtlich, dass Mueller den Präsidenten nicht beschuldigen würde, illegal mit russischen Stellen zusammengearbeitet zu haben, und dass die Indizien, die Mueller hatte sammeln können, vermutlich auch nicht für eine hieb- und stichfeste Anschuldigung wegen Behinderung der Justiz ausreichen würden. Sie wussten, dass Mueller nicht vorhatte, Trump, den amtierenden Präsidenten, direkt anzuklagen, und fürchteten negative politische Rückwirkungen, wenn sie in die Entscheidungen des Justizministeriums eingriffen. Sie wussten, dass die Demokraten nur darauf warteten, den Präsidenten dabei zu erwischen, wie er in die Abschlussphase von Muellers Untersuchung eingriff.
In den vergangenen Wochen hatte sich Barr um eine gesunde Distanz zu Trump bemüht. Er ließ sich nicht allzu oft im Weißen Haus sehen, um den Eindruck zu vermeiden, er verstehe sich zu gut mit seinem Chef. Barr war zwar neu auf seinem Posten, aber Trump und seine Berater vertrauten seinem Urteil, nicht zuletzt wegen seiner großzügigen Auslegung der Befugnisse des Präsidenten und seines Memos vom Juni 2018
, in dem er festhielt, die Ermittlungen gegen den Präsidenten wegen Behinderung der Justiz würden »auf fatale Weise fehlinterpretiert«. Außerdem trauten sie Barr den Willen zu, den Präsidenten und seine Amtsgewalt zu beschützen. Im Weißen Haus hatte er bei einigen den Spitznamen »Honigdachs«, in Anspielung auf ein viral gegangenes Internet-Video, das einen furchtlosen Dachs zeigt. Das Tier besteigt einen Baum, um eine Schlange zu erlegen, wird von der Schlange gebissen, verliert das Bewusstsein – und frisst die Schlange anschließend trotzdem.
»Es war klar, dass Barr die Sache schaukeln würde«, erklärt einer der Rechtsbeistände Trumps. »Selbst wenn wir die Fäden hätten ziehen wollen – wozu das Risiko? Emmett würde zum Spielende keine Fehlentscheidungen zulassen. Wir wollten ja aus einem sicheren Sieg keine Niederlage mehr herausholen.«
Am 22
. März waren Rudy Giuliani, Jay Sekulow und Jane und Martin Raskin von New York bis nach Nashville über das ganze Land verstreut und eilten so schnell wie möglich zurück nach Washington. Am
folgenden Tag versammelten sie sich im übergroßen Konferenzraum von Sekulows Anwaltskanzlei auf dem Capitol Hill, einer früheren Apotheke aus den 1880
er Jahren an der Maryland Avenue, die zu einem Bürogebäude umgewandelt worden war. Im Konferenzsaal, vor einem riesigen Wandgemälde mit dem Panorama Washingtons, bereiteten sich Sekulow, Giuliani und die Raskins auf das Kommende vor. »Wir waren zuversichtlich, aber sicher sein konnten wir eben nicht«, erinnert sich einer von ihnen.
Sie waren sich einig, dass niemand dem Präsidenten illegale Zusammenarbeit mit den Russen vorwerfen konnte, aber die andere Hälfte der Untersuchung bot Anlass zur Besorgnis. Es war immerhin möglich, so glaubten sie, dass Trump das Gesetz gebrochen hatte und gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet worden wäre, wenn das Office of Legal Counsel eine Strafverfolgung des Präsidenten nicht verboten hätte. Den Anwälten gefiel dieses Szenario überhaupt nicht, aber für den Fall, dass Mueller dem Präsidenten Verbrechen vorwerfen würde, hatte Trumps Team bereits eine Gegenstrategie ausgearbeitet. »Wir wussten nicht, wie die Vorwürfe wegen Justizbehinderung dann genau aussehen würden«, erzählt einer von ihnen. »Wir dachten, sie würden vielleicht die Fakten auf den Tisch legen … Wir wussten es einfach nicht.«
Im Büro des Sonderermittlers warteten Mueller und seine Staatsanwälte ungeduldig auf die Veröffentlichung ihrer Untersuchungsergebnisse und das Ende des unbedingten Schweigens, das sie zwei Jahre lang hatten wahren müssen. Jetzt würden die vielen Indizien, die sie auf der ganzen Welt zusammengetragen hatten, endlich der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Aber die Staatsanwälte im Team wussten nicht, wie viel davon Barr sofort herausgeben würde, und sie malten sich besorgt aus, wie er wohl vorgehen würde.
Vorsorglich hatten die beiden Teams – eines für die russische Einmischung, das andere für die Vorwürfe wegen Justizbehinderung – den Bericht mit übergreifenden Zusammenfassungen versehen, die Barr etwas an die Hand gaben, das er problemlos veröffentlichen konnte,
bevor der gesamte Abschlussbericht freigegeben wurde. Zumindest diese Zusammenfassungen, so fanden sie, solle er auf jeden Fall herausgeben.
Der
448
Seiten starke Bericht war ein erschreckender Katalog der Intrigen und des Fehlverhaltens des Präsidenten.
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Band zwei führte im Detail zehn Ereignisse auf, die der Sonderermittler wegen möglicher Justizbehinderung durch Trump untersucht hatte. Es handelte sich dabei nicht nur um eine Aufzählung fürs historische Protokoll, sondern vor allem um eine dichte juristische Analyse der Beweise, wie sie Staatsanwälte normalerweise durchführen, um zu entscheiden, ob Anklage erhoben wird. Mueller legte bis in alle Einzelheiten offen, wie diese Präsidentschaft unter dem Verfolgungswahn und der Unsicherheit des Amtsinhabers litt. Er stellte Trumps engsten Mitarbeiterkreis als von Angst vor den Ausbrüchen des Präsidenten getrieben und diesen selbst als jemanden dar, der von ihnen forderte, die Öffentlichkeit zu belügen und Akten zu verfälschen. Einige dieser Vorfälle waren bereits aus den Nachrichten bekannt, aber Muellers Abschlussbericht war in seiner Gründlichkeit und Schonungslosigkeit etwas Neues; die Hauptakteure standen unter Eid, ihre Äußerungen waren protokolliert.
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Wie James Quarles Barr am 5
. März vorausgesagt hatte, entschied der Sonderermittler gemäß seiner Auslegung des Gutachtens, das die Strafverfolgung eines amtierenden Präsidenten verbot, nicht zu entscheiden, ob Trump eine Straftat begangen hatte oder nicht. Der Abschlussbericht legte, ohne das ausdrücklich zu sagen, nahe, dass der Kongress selbst die Rolle des Anklägers übernehmen solle. »Die Schlussfolgerung, dass der Kongress die Gesetze gegen Justizbehinderung auf die korrupte Ausübung der Amtsgewalt durch den Präsidenten anwenden kann, ist im Einklang mit unserem verfassungsmäßigen System der gegenseitigen Kontrolle der Regierungsinstitutionen und mit dem Prinzip, dass niemand über dem Gesetz steht«, hieß es im Bericht.
Das Dokument war typisch für Mueller: vollgestopft mit vernichtenden Fakten, aber ohne jedes Plädoyer oder Urteil und ebenso ohne
Abschlussbefund. Viele der genau rekonstruierten Szenen, die fast wie in einem Filmdrehbuch nacherzählt wurden, lasen sich mitreißend, aber die Analysen zur rechtlichen Beurteilung von Trumps Fehlverhalten waren in unverständlicher Juristensprache abgefasst, einschließlich doppelter Verneinungen. Es war unklar, welches Gesamtbild die Fakten ergaben, und der Kongress bekam keine Handreichung für ein Amtsenthebungsverfahren. So hieß es wörtlich etwa: »Wenn wir nach einer gründlichen Ermittlung der Fakten sicher wären, dass der Präsident eindeutig keine Justizbehinderung begangen hat, dann würden wir das so sagen. Zu einem solchen Urteil konnten wir jedoch auf Grundlage der Fakten und der relevanten rechtlichen Vorschriften nicht gelangen.«
Mueller sagte sich, das amerikanische Volk und seine gewählten Vertreter im Kongress würden nach Lektüre des Reports schon selbst entscheiden, ob, und wenn ja, was getan werden müsse.
Weil Barr den Kongress darüber informiert hatte, dass der Bericht vorlag, waren die Medien bereits in Alarmbereitschaft. Kameras erwarteten den Justizminister vor seinem Wohnhaus in Virginia ebenso wie vor seinem Dienstsitz in Washington. Barr und Rosenstein setzten sich für einen vorläufigen Bericht über Muellers wichtigste Ergebnisse an den Kongress eine Frist bis Sonntagabend, unter anderem weil sie nicht wollten, dass die Medien nur Gerüchte brachten und das Damoklesschwert einer Strafverfolgung noch über dem Präsidenten hing, wenn am Montagmorgen die Börsen eröffneten. Also arbeiteten sie sich bis in die frühen Morgenstunden durch den Text.
Am nächsten Tag, Samstag, dem 23
. März, trafen sich Barr, Rosenstein und O’Callaghan erneut im Büro, um den Bericht zu besprechen. Sie versuchten, die Indizien und Belege in Band zwei zu gewichten, wobei sie zunächst hypothetisch zubilligten, jeder der zehn geschilderten Vorfälle stelle tatsächlich einen Fall von Justizbehinderung dar, und ihn dann einzeln beurteilten. Sie fanden die vorgebrachten Belege zwar ernsthaft bedenklich, sahen aber in keinem Fall eine gesetzwidrige Absicht des Präsidenten unumstößlich bewiesen. Sie fragten sich,
ob sie mit diesen Belegen eine Verurteilung erreichen könnten, die auch einem Berufungsverfahren standhielte. Ihre einstimmige Antwort lautete: nein.
Nachdem diese Entscheidung gefallen war, mussten Barr, Rosenstein und O’Callaghan jetzt festlegen, wie sie sie der Öffentlichkeit bekanntgeben würden. Gewöhnlich bleibt der Beschluss, nach Ermittlungen keine
Anklage zu erheben, vertraulich, aber dieser Fall war nichts weniger als gewöhnlich. Die Führung des Justizministeriums war entsetzt, dass Muellers Untersuchung so öffentlich geworden war, aber ihnen war bewusst, dass sie eben deshalb genau erklären musste, was vorgefallen war, selbst wenn Trump nicht angeklagt oder eines Verbrechens beschuldigt wurde.
Barr entschied sich für einen weiteren Brief an den Kongress, in dem die wichtigsten Ergebnisse des Abschlussberichts zusammengefasst waren, und ging mit seinem Team Muellers Bericht durch, um zitierfähige Sätze herauszugreifen, die die Schlussfolgerungen des Sonderermittlers und die Tendenz des Berichts prägnant wiedergaben. Der Text war ein fürchterliches Durcheinander; sie hatten Mühe, etwas Zitierwürdiges zu finden. O’Callaghan legte sich schließlich auf folgenden Satz fest: »Der vorliegende Abschlussbericht kommt zwar nicht zu dem Schluss, dass der Präsident eine Straftat begangen hat, er entlastet ihn aber auch nicht.«
»Wenn wir das weglassen, kriegen wir Ärger«, meinte O’Callaghan.
Barr stimmte zu. »Wissen Sie was, Ed? Da haben Sie recht. Das kommt mit rein.«
Als sie die endgültige Fassung des Briefs zusammengestellt hatten, rief O’Callaghan Muellers Stabschef Aaron Zebley an und erklärte ihm, Barr wolle dem Kongress Muellers grundlegende Schlüsse zusammengefasst darlegen. Ob die Ermittler den Brief lesen wollten, bevor er abgeschickt werde? Zebley erwiderte, nein, es sei nicht nötig, dass der Brief vorgelegt werde. Er nahm dabei an, Barrs Brief zitiere die Zusammenfassungen, auf die sein Team so viel Zeit verwandt hatte, ohne dass er das O’Callaghan gegenüber ausdrücklich erwähnte. Damit ließ sich Muellers Team abermals eine Gelegenheit entgehen
mitzubestimmen, wie die Ergebnisse der Ermittlungen der Öffentlichkeit vorgestellt würden.
Frühmorgens am Sonntag, dem 24
. März erwachte Trump in Mar-a-Lago. In Golfshirt und Khakihosen machte er sich gegen 9
Uhr auf den Weg zum Trump International Golf Club, spielte eine Runde Golf, aß im Clubhaus zu Mittag und plauderte mit Freunden.
Giuliani war mit den anderen persönlichen Anwälten Trumps in Washington, konferierte aber das ganze Wochenende über regelmäßig telefonisch mit dem Präsidenten.
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Robert Costa von der
Washington Post
gegenüber sagte er, der Präsident warte ab und verfolge die Entwicklung aufmerksam, mit einem vorsichtigen Optimismus. »Man kann aber nicht genau sagen, was der Bericht enthält, bevor man ihn gelesen hat, also verschießt man sein Pulver besser nicht vorschnell.«
Trump selbst erzählte Freunden an diesem Wochenende: »Nach allem, was ich höre, sieht es ganz gut aus.« Aber er wollte nicht voreilig jubeln. Wie Kellyanne Conway gegenüber Vizepräsident Pence bemerkte: »Das ist der vorsichtige Geschäftsmann. Als Immobilienhändler weiß er, dass das Geschäft erst dann unter Dach und Fach ist, wenn der Vertrag notarisiert ist.«
Trumps Mitarbeiter hatten Reaktionen auf eine Vielzahl möglicher Ergebnisse vorbereitet. Der schlimmste Fall, der eintreten konnte, wäre das vorzeitige Bekanntwerden eines Abschlussberichts mit so vernichtendem Inhalt, dass das Repräsentantenhaus sofort ein Amtsenthebungsverfahren einleiten würde. In diesem Fall wollte das Weiße Haus gnadenlos zurückschlagen und in die Gegenoffensive gehen. Die vorgesehene Stellungnahme war ein rücksichtsloser Angriff auf Mueller, das FBI
und seine Methoden.
Die persönlichen Anwälte des Präsidenten versammelten sich am Sonntag erneut in Sekulows Kanzlei, diesmal in Casual-Business-Kleidung – Sekulow und Giuliani trugen wegen der Kälte dicke Pullover. Um viertel nach drei nachmittags gab Rabbitt an Flood in Mar-a-Lago durch, dass Barr jetzt gleich die Schlüsselpunkte des Berichts veröffentlichen werde. Er beschrieb Flood die Grundtendenz des
Dokuments und las ihm einige wichtige Sätze, die in Barrs Brief zitiert wurden, wörtlich vor. Anschließend unterrichtete Flood den Präsidenten zusammen mit Cipollone darüber, was er zu erwarten hatte, und der wiederum rief bei seinen persönlichen Anwälten in Washington zurück.
Am Nachmittag gab Barr dann die Ankündigung heraus, die bestimmend dafür werden sollte, wie die Weltöffentlichkeit Muellers Ermittlungsergebnisse beurteilte. Es war ein vierseitiger Brief an die führenden Persönlichkeiten im Kongress, um, wie es darin hieß, »die grundlegenden Schlussfolgerungen aus dem Abschlussbericht des Sonderermittlers zusammenzufassen«. Das Dokument wurde sofort im Internet veröffentlicht.
In Sekulows Kanzlei saßen Trumps Anwälte vor aufgeklappten Laptops und warteten ungeduldig auf den Download von Barrs Brief. Es dauerte ewig. Unter den Presseleute zirkulierte er bereits, und sie forderten per SMS
und Telefon Reaktionen von den Anwälten. John Santucci von ABC
News war in der Leitung und bat um einen Kommentar, und Sekulow, beschämt über die Langsamkeit seines Rechners, musste zugeben, dass er den Brief noch nicht hatte lesen können. »Können Sie ihn mir einfach schicken?«, fragte er den Journalisten.
Schließlich hatten dann alle Anwälte am Tisch den Text vor sich.
Barr schrieb, die Untersuchung habe keine Belege dafür gefunden, dass Mitglieder von Trumps Wahlkampfteam oder sonstige ihm nahestehenden Personen sich mit den Russen verschworen oder abgesprochen hätten, um das Wahlergebnis zu beeinflussen – kurz gesagt, »keine illegale Zusammenarbeit«. Was die Vorwürfe der Justizbehinderung anging, so schrieb Barr, hatte der Sonderermittler sich anders als üblich einer Entscheidung enthalten, ob Trump eine Straftat begangen habe. »Der Sonderermittler bewertet daher das untersuchte Verhalten nicht im Hinblick darauf, ob es Behinderung der Justiz darstellt oder nicht. Vielmehr stellt der Bericht für jeden der relevanten und untersuchten Vorfälle Indizien für und gegen diesen Vorwurf zusammen und enthält sich einer Bewertung der, wie der Sonderermittler meint, ›komplexen Probleme‹ von Gesetzes- und Faktenlage im Hinblick auf
die Frage, ob es sich bei den Handlungen und Absichten des Präsidenten möglicherweise um Justizbehinderung gehandelt hat.«
Barr erklärte, er schließe daraus, die Belege reichten für eine Anklage wegen Justizbehinderung nicht aus. »Bei der Aufzählung der Handlungen des Präsidenten, die in vielen Fällen öffentlich waren, nennt der Bericht keine, die in unseren Augen einer Justizbehinderung gleichkämen, eine Verbindung zu einem laufenden oder möglichen Strafverfahren aufwiesen und in krimineller Absicht begangen worden wären.«
Barrs Brief enthielt auch das Schlüsselzitat, das O’Callaghan aufzunehmen vorgeschlagen hatte, um Unparteilichkeit zu demonstrieren, und das besagte, dass der Bericht den Präsidenten »nicht entlastet«. Trump aber nutzte den Brief trotzdem als Grundlage, um genau das zu behaupten.
Barr hatte seinem Vorgesetzten einen unmissverständlichen politischen Sieg beschert, und Trump und sein Team wurden von einer Welle der Euphorie erfasst. Jane Raskin machte einen Schnappschuss mit ihrem Smartphone, der den Moment, in dem die Anwälte Barrs Zusammenfassung lesen, für immer festhält. Giuliani, der neben Sekulow am Tisch sitzt, packt seinen Kollegen am Hals, um ihn zu umarmen. Sie sehen müde und erleichtert aus.
Sekulow sprach sich telefonisch mit Trump ab. Der Präsident war froh, fragte aber ganz praktisch nach der Medienstrategie des Teams. Am wichtigsten war dem Präsidenten, wie die Meinungsmache der Fernsehsender ausfallen würde. »Einfach großartig«, meinte Trump. »Was haben Sie jetzt vor? Gehen Sie alle feiern?«
Trump wollte auf jedem Sender die Neuigkeit seines großen Siegs heraustrompetet sehen. Sekulow versicherte ihm, sie hätten einen detaillierten Plan für die Medien. »Das freut mich zu hören«, erwiderte Trump. »Wir sehen uns heute Abend.«
Kurz vor 17
Uhr traf Trump mit seiner Wagenkolonne am Palm Beach International Airport ein, um den zweistündigen Flug heim nach Washington anzutreten. Unter dem Flügel der Air Force One
stellte er sich der Presse für eine erste Reaktion: »Es gab keine
illegale Zusammenarbeit mit Russland. Es gab keine Justizbehinderung – nicht die geringste. Und es war eine vollständige, totale Entlastung.«
Es wurde ein denkwürdiger Abend für Trumps Anwälte, die sich, nachdem sie sich frisch gemacht hatten, im Yellow Oval Room im zweiten Stock der Präsidentenwohnung versammelten, um Trump bei seiner Heimkehr willkommen zu heißen. Um 19
Uhr 4
sahen sie den Marine One
auf dem South Lawn aufsetzen. Trump stieg in Anzug und roter Krawatte aus dem Hubschrauber und winkte der versammelten Presse fröhlich zu. »Dies ist ein wunderbares Land!«, sagte er.
Drinnen waren seine Verteidiger stolz auf die Arbeit, die sie unter schwierigen Umständen für ihn geleistet hatten, während so viele gegen sie wetteten. Als sie sahen, wie zuversichtlich und selbstbewusst ihr Mandant über den South Lawn schlenderte, überkam sie eine Woge der Erleichterung. Trump kam die Treppe herauf und grinste, als er seine Anwälte versammelt vorfand. Er begrüßte sie mit zwei Wörtern: »Gut gemacht!« Trump, der kein Freund von Umarmungen ist, schüttelte allen Anwesenden herzlich die Hand.
Sarah Sanders gesellte sich für einen kurzen Moment zur Feier dazu und posierte für ein Foto mit Trump und seinem Anwaltsteam, gemeinsam mit Flood und Cipollone. Alle strahlen. Sekulow, Dirigent und Herz der Operation, dankte seinen Sozii. Ein Jahr zuvor hatte Trumps Anwaltsteam eine schwere Belastungsprobe bestanden, als John Dowd sich verabschiedet und der Präsident nur noch Sekulow als Chefanwalt gehabt hatte. Das Team hatte von Grund neu aufgestellt werden müssen, und hier waren sie nun und feierten ihren Erfolg.
»Ich danke Ihnen allen«, erklärte Sekulow vor der Gruppe. »Das war das beste Beispiel dafür, was Teamarbeit bedeutet. Alle haben ihre Ideen beigetragen. Es war eine gewaltige gemeinsame Anstrengung, und ich bin dankbar, dass ich mit Ihnen zusammenarbeiten darf.«
Trump wusste zwar, dass ihm noch Unangenehmes bevorstand, wenn ein größerer Teil des Berichts veröffentlicht werden würde, der ihm nicht so schmeichelte. Aber er war froh, diese erste Phase überstanden zu haben. Er hielt sich für entlastet. Er hatte gewonnen. Der Präsident dankte allen Beteiligten, sagte immer wieder: »Gut
gemacht!« Die Leute im Team wussten, dass das höchstes Lob bedeutete. »Wenn er ›Gut gemacht‹ sagt, hast du alles richtig gemacht. Wenn er ›Schauen wir mal‹ sagt, weißt du, dass er nicht zufrieden ist«, witzelte einer aus dem Team.
Schließlich beendete Trump die Feier mit einem freundlichen Abschied.
»Alles klar, Kinder. Danke«, sagte er.
Was Barr in seine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse aufgenommen und was er ausgelassen hatte und wie er die Ergebnisse des Sonderermittlers dargestellt hatte, waren die ersten und letzten Nachrichten über den lang erwarteten Abschlussbericht, die während dieses Monats an die Öffentlichkeit drangen. Muellers Anwälte in ihrem Bunker waren über den Brief entsetzt. Muellers Reaktion schilderten Mitglieder seines Teams später so: Er habe ausgesehen, als hätte ihn jemand geohrfeigt.
Einige Teammitglieder waren empört über Barrs ihrer Meinung nach berechnende und selektive Formulierungen, die unangenehme Beweise, die das Team in Bezug auf Trump und die Ermutigung der Russen durch sein Wahlkampfbüro aufgedeckt hatte, ausließen. Schließlich hatten Muellers Ermittler enthüllt, dass sich russische Bots und Geheimdienstler nur wenige Stunden nachdem Trump »Falls in Russland jemand zuhört …« gesagt hatte, auf Clintons persönliche E-Mails gestürzt hatten. Diese bahnbrechenden Erkenntnisse jedoch wurden in Barrs Brief nicht einmal eines vollständigen Satzes gewürdigt. Und selbst dieser halbe Nebensatz, den Barr veröffentlichte, stellte Trump noch im besten Licht dar.
Barr zitierte aus dem Abschlussbericht, »die Untersuchung [habe] nicht ergeben, dass Angehörige des Trump-Wahlkampfteams sich mit der russischen Regierung bei deren Einmischung in die Wahl verschworen oder abgesprochen haben.« Ausgelassen wurde die erste Hälfte des Satzes, die genau das bestätigte, was Trump nicht zugeben und nicht einmal hören wollte: »Die Untersuchung hat zwar ergeben, dass die russische Regierung zu dem Schluss gekommen ist, sie werde
von einem Wahlsieg Trumps profitieren, und auf einen solchen hingearbeitet hat und dass das Wahlkampfteam damit gerechnet hat, es werde von der Wirkung der durch Russland gestohlenen und veröffentlichten Informationen auf die Wählerschaft profitieren …«
Die Autoren des zweiten Bandes, die sich bemüht hatten, jede Einzelheit von Trumps Versuchen, die strafrechtlichen Ermittlungen zu beenden oder einzuschränken, ans Licht zu bringen, kochten vor Wut. Barrs Brief musste für den uninformierten Leser das Gegenteil dessen aussagen, was sie in ihrem Bericht detailliert darlegten. So schrieb Barr zum Beispiel, »nach unserem Dafürhalten« habe Trump keine seiner Handlungen in krimineller Absicht begangen. Tatsächlich aber hatten die Autoren des Berichts vier Vorfälle geschildert, in denen sie stichhaltige Belege für Trumps Absicht sahen, die Ermittlung zu hintertreiben.
Trumps anfängliches Mantra – »Keine illegale Zusammenarbeit! Keine Justizbehinderung!« – wurde umgehend zum Schlachtruf der Kampagne für seine Wiederwahl. Er und seine Sprecher wiederholten diese Zeilen unermüdlich in allen Medien. Egal, was Muellers Team wirklich herausgefunden hatte – Trump war dabei, den Meinungskrieg zu gewinnen.
Die Schuld für die Fehlinterpretation seines Berichts hatte Mueller bei sich selbst zu suchen. Er war ein Bürokrat, der eisern nach Vorschrift vorging, und damit eine Fehlbesetzung für das Trump-Zeitalter, eine Ära tiefer ideologischer Spaltung, zerfallender Institutionen und einer Öffentlichkeit, der, als ob sie am Tropf hinge, schubweise Nachrichten verabreicht werden.
»Wir sind die Twitter-Gesellschaft«, meint Frank Figliuzzi, ein ehemaliger Kollege Muellers beim FBI
. »Wir sind die Streaming-Gesellschaft. Wir sind die Gesellschaft, in der man sich informiert, indem man kurz die Schlagzeilen überfliegt. Mueller passt da nicht hinein. Ein Vierhundertseitenbericht passt da nicht hinein. Um etwas zu bewirken, muss man heutzutage sein Gesicht in eine Kamera halten und drauflosbrüllen. Viele von uns fragen sich, ob uns ein Stil wie der Muellers, so getreu er auch den demokratischen Prinzipien folgt, nach
denen wir unser Land aufgebaut haben, im Trump-Zeitalter wirklich weitergebracht hat. Die Antwort ist nein.«
Am Morgen des 25
. März, weniger als 24
Stunden nachdem Barr seinen zusammenfassenden Brief geschickt hatte, meldete sich Zebley bei O’Callaghan. Er bat, das Justizministerium möge die abschließenden Zusammenfassungen der beiden Bände des Berichts freigeben. O’Callaghan antwortete unverfänglich – er, Barr und Rosenstein würden es sich überlegen, meinte er und forderte Zebley auf, zunächst alle zu schwärzenden vertraulichen Passagen in den Zusammenfassungen kenntlich zu machen und ihm dann zurückzuschicken.
Später am selben Tag rief Zebley O’Callaghan abermals an, diesmal mit einer Beschwerde. In der Medienberichterstattung über Barrs Brief herrsche »öffentliche Verwirrung«. Als O’Callaghan Barr über den Anruf unterrichtete, war der Justizminister erstaunt und ein wenig verärgert. Er hatte den Brief absichtlich kurz gehalten und nur Muellers wichtigste Erkenntnisse bringen wollen; um unparteiisch zu bleiben, hatte er sogar Muellers Aussage, er sehe sich nicht in der Lage, den Präsidenten zu »entlasten«, mit aufgenommen. Er habe Mueller und dessen Team, so beklagte er sich gegenüber seinen Mitarbeitern, doch sogar angeboten, den Entwurf des Briefs zunächst durchzusehen, und Zebley habe abgewunken. Wie könne er sich jetzt darüber aufregen?
Am 27
. März unterzeichnete Mueller einen Brief des Büros des Sonderermittlers an Barr, in dem er den Umgang des Justizministers mit seinen grundlegenden Erkenntnissen scharf kritisierte: »Der zusammenfassende Brief, den das Ministerium am späten Nachmittag des 24
. März an den Kongress geschickt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, erfasst den Zusammenhang, den Gehalt und die Substanz der Arbeit unseres Büros und seine Schlussfolgerungen nicht zutreffend. Wir haben dies dem Ministerium gegenüber am Morgen des 25
. März moniert. Inzwischen herrscht öffentliche Verwirrung über entscheidende Aspekte der Untersuchungsergebnisse. Diese droht, eines der wichtigsten Ziele zu untergraben, für die das Ministerium den Sonderermittler eingesetzt hat, nämlich das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Ergebnis der Ermittlungen zu sichern.«
In dem Brief heißt es weiter, die Einleitungen und abschließenden Zusammenfassungen des Berichts »fassen die Arbeit unseres Büros und unsere Schlussfolgerungen zutreffend zusammen«; die betreffenden Dokumente sind ihm beigefügt. »Eine zeitnahe Veröffentlichung dieser Texte wäre geeignet, aufgekommene Missverständnisse auszuräumen und die Fragen des Kongresses und der Öffentlichkeit über Wesen und Ergebnis unserer Untersuchung zu beantworten.«
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Barrs Büro erhielt den Brief erst am
28
. März. Als der Justizminister und seine Mitarbeiter ihn lasen, dachten sie: »Heilige Scheiße, was soll das denn? Macht mal halblang!« Ein solch passiv-aggressiver Schritt sei untypisch für Mueller, fanden sie. Am
30
. April, einen Tag vor Barrs Aussage im Senat, berichteten Devlin Barrett und Matt Zapotosky in der
Washington Post
über den Schriftwechsel.
[169]
Bei der Anhörung am nächsten Tag bezeichnete Barr den Brief als »schnippisch« und vermutete, einer von Muellers Gehilfen habe ihn abgefasst.
Als Barr den Brief am 28
. März zum ersten Mal in Ruhe gelesen hatte, war er verärgert. Er fand ihn fies und fühlte sich von seinem Freund verraten. »Ich rufe Bob an«, sagte er zu seinen Mitarbeitern. »Wir werden uns schon einig.« Mueller war an diesem Morgen gerade beim Friseur und nicht im Büro, aber später, kurz vor der Mittagspause, sprachen die beiden miteinander. Rosenstein, O’Callaghan und Rabbitt aus dem Justizministerium hörten das Gespräch mit.
»Was soll das, Bob?«, fragte Barr. »Wieso dieser Brief? Warum haben Sie mich denn nicht einfach angerufen?«
Muellers Antwort ging ungefähr so: »Wir sind besorgt, dass bestimmte Fragen nicht im vollständigen Zusammenhang dargestellt werden. Die abschließenden Zusammenfassungen sind genau die Informationen, die man braucht, um zum richtigen Schluss zu kommen. An Ihrem Brief war nichts wirklich falsch, er wird nur in den Medien völlig falsch ausgelegt. Wir müssen genauere Informationen an die Öffentlichkeit bringen, um das zu klären.«
Obwohl Mueller dafür bekannt war, sich nicht um die Reaktionen der Öffentlichkeit zu kümmern, ging es ihm jetzt vor allem um die Berichterstattung über seine Ermittlungsergebnisse. Er drückte es etwa
so aus: »Wir machen uns Sorgen, dass unser Bericht an Wirkung verliert, weil nicht alles, was er enthält, öffentlich ist und die Medien ihn deshalb nicht so darstellen, wie wir es uns wünschen.«
»Vorläufig ist der Text ohnehin vertraulich«, erinnerte Barr den Sonderermittler und fuhr fort, das Ministerium arbeite mit Hochdruck daran, den Bericht für die Veröffentlichung vorzubereiten, es gebe jedoch eine unerwünschte Verzögerung, weil er 448
Seiten lang sei und die zu schwärzenden Stellen nicht markiert waren.
»Um Irrtümern vorzubeugen: Wir wollten Ihren Bericht gar nicht vollständig zusammenfassen, sondern nur die wichtigsten Schlussfolgerungen veröffentlichen«, sagte Barr zu Mueller. »Außerdem haben wir Ihnen doch angeboten, den Brief vorher durchzusehen, und Sie haben abgelehnt. Wir sind hier ziemlich verblüfft.«
»Ihre briefliche Zusammenfassung hat unsere Entscheidungen aus dem Zusammenhang gerissen«, hielt Mueller dagegen.
Jetzt schaltete sich Zebley ein. Mit Barrs Schilderung der Ermittlungen zur russischen Einmischung hatte er keine Probleme, er sagte nichts dagegen. »Es geht hier nur um den Vorwurf der Justizbehinderung. Ihr Brief geht nicht genügend auf unsere Ansicht über das Gutachten des Office of Legal Counsel ein, und die Medien stellen das in ihren Berichten missverständlich dar.«
Erneut verteidigte Barr seinen Brief. »Es sollte keine Zusammenfassung sein. Wir wollten keine Zusammenhänge darstellen. Wir wollten nur eine Aufstellung Ihrer Schlussfolgerungen bringen«, erklärte er Mueller und Zebley.
Der Ton des Gesprächs wurde kühl. Mueller fragte, wann man denn mit der vollständigen Veröffentlichung des Berichts rechnen dürfe, und Barr meinte, sie arbeiteten auf etwa Mitte April hin. Mueller versuchte noch einmal, eine Freigabe der abschließenden Zusammenfassungen zu erreichen. »Bis jetzt sind wir sehr gut miteinander ausgekommen, und jetzt bitten wir Sie darum, das zu veranlassen, und zwar so rasch wie möglich«, sagte Mueller.
Barr widersprach: »Ich finde, wir sollten gleich den ganzen Bericht veröffentlichen. Ihn stückweise herauszurücken wäre keine gute Idee.«
Eine Vorabveröffentlichung der Zusammenfassungen, so der Justizminister, werde in der Politik nur noch mehr Verwirrung verursachen, als ohnehin schon herrsche.
»Danke, dass Sie sich meine Wünsche angehört haben«, seufzte Mueller. »Sehr freundlich von Ihnen. Wir wollen einfach nur eine vollständige Veröffentlichung.«
Das Telefongespräch endete dann doch noch versöhnlich.
»Schließlich gehören Sie doch auch zum Justizministerium«, sagte Barr.
»Ich stimme Ihnen zu«, erwiderte Mueller.
»Wir arbeiten alle im selben Ministerium«, schloss Barr. »Wir melden uns wieder.«
Am Abend erwog Muellers Ermittlerteam, eine eigene Pressemitteilung herauszugeben, um seine Bedenken gegen Barrs vierseitigen Brief darzulegen, ließ es aber dann doch sein.
Barr besprach den restlichen Tag über und bis in den Morgen hinein mit Rosenstein, O’Callaghan und Rabbitt Muellers Ansinnen. Fast hätten sie doch noch beschlossen, die abschließenden Zusammenfassungen herauszugeben, entschieden sich dann aber endgültig dagegen; die Gründe hatte Barr ja gegenüber Mueller aufgezählt. Der Bericht war lang, inhaltlich differenziert und schwer verständlich. Barr fürchtete, die Öffentlichkeit werde die Zusammenfassungen zerpflücken und falsche Schlüsse daraus ziehen.
Jetzt bedauerten Barr und seine Mitarbeiter, im Brief vom 24
. März das Wort »zusammenfassen« verwendet zu haben, und beklagten, dass Trump behaupte, Mueller habe ihn »vollständig entlastet«. Davon konnte keine Rede sein, aber Barr wollte seinen Chef nicht öffentlich berichtigen. Die Anwälte des Präsidenten konnten sich ebenfalls denken, dass ein Großteil des Eisbergs noch unter Wasser lag, aber es gelang ihnen nicht, ihrem Mandanten seine Schlagworte abzugewöhnen.
Am 29
. März entschloss sich Barr dann zu einem weiteren Brief an die Kongressführung, um seine Absichten zu erklären. »Mein Brief vom 24
. März war keine vollständige Darstellung der Untersuchung oder des Abschlussberichts des Sonderermittlers und hat das auch
nicht vorgegeben.« Er fügte hinzu: »Bald kann jeder Interessierte ihn selbst lesen. Meiner Meinung nach wäre es nicht im Interesse der Allgemeinheit, wenn ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Zusammenfassung des vollständigen Berichts abgebe oder eine teilweise oder schrittweise Veröffentlichung veranlasse.«
Mit diesem Brief wollte Barr einen Warnschuss abgeben – an den Kongress wie an die Medien, aber auch an Muellers verärgerte Ermittler. Sie sollten sich beruhigen, keine voreiligen Schlüsse ziehen und sich in Geduld üben. Es kam noch jede Menge nach.