Epilog
Als am Donnerstag, dem 25
. Juli 2019
, einem schwülheißen Morgen, gerade die Sonne aufging, erklärte Präsident Trump die Hexenjagd für beendet. Er hatte über Robert Mueller triumphiert, der am Tag zuvor dem Kongress eine zögerliche, uneindeutige Zusammenfassung seiner Ermittlungen gegen den Präsidenten gegeben hatte – ein schmerzlicher Schlusspunkt für die Untersuchung. Endlich hatte sich die Russland-Wolkendecke gelichtet. Trump musste seinen vorsichtigen Beratern nicht mehr gehorchen. Er war unbesiegbar oder glaubte das wenigstens. Und dann stürzte sich der entfesselte Präsident über eine juristische Klippe, hinein in einen trügerischen politischen Abgrund. Um 9
Uhr 3
nahm er den Telefonhörer seiner Wohnung im Weißen Haus ab und ließ sich mit dem neugewählten ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenski verbinden. Was Trump dann tat, sollte die Hüter der nationalen Sicherheit entsetzen, ein Amtsenthebungsverfahren auslösen und zur bisher schwersten Prüfung des amerikanischen Rechtsstaats durch die ruchlose Amtsführung seines Präsidenten werden.
Schon oft waren Trumps impulsive und rücksichtslose Entscheidungen ein Schock für das Gewissen gewesen. Seine Mitarbeiter und Berater hatten sich seit langem an hastige Bemühungen zur Schadensbegrenzung gewöhnt, wenn er wieder einmal gefährliche Pläne fasste oder aus Hochmut oder Unwissenheit ausländische Bündnispartner verprellte. Aber was Trump am 25
. Juli zu Selenski sagte, ließ die Alarmglocken lauter und schriller denn je läuten.
Trumps Anruf sollte der entscheidende Schritt eines zwielichtigen diplomatischen Versuchs werden, den er bereits im Frühling initiiert hatte. Es ging darum, die ukrainische Regierung zu der Ankündigung zu bewegen, sie ermittele gegen den früheren demokratischen
US
-Vizepräsidenten Joe Biden, einen aussichtsreichen möglichen
Gegenkandidaten in der Wahl
2020
, wegen lukrativer Zahlungen, die dessen Sohn Hunter von einem ukrainischen Energiekonzern erhalten habe.
[182]
Trump hörte sich an wie ein Mafioso, als er seinen Amtskollegen daran erinnerte, dass die
USA
»sehr, sehr nett zur Ukraine« gewesen seien.
[183]
Damit meinte er die jahrelange Militärhilfe, die die Ukraine dabei unterstützte, sich vor ihrem aggressiven Nachbarn Russland zu schützen. Er musste nicht erwähnen, dass er persönlich die jüngste, bereits genehmigte Hilfszahlung der
USA
, fast
400
Millionen Dollar, blockiert hatte. Ein amerikanischer Diplomat hatte die ukrainische Regierung bereits vorgewarnt, dass Trump eine Gegenleistung wollte, bevor er sie freigab.
»Vielleicht könnten Sie uns einen Gefallen tun«, fügte Trump hinzu.
[184]
Selenski möge sich doch bitte mit Rudy Giuliani und Justizminister Bill Barr zusammentun, um gegen die Bidens zu ermitteln und eine unbewiesene Verschwörungstheorie – an die Trump glaubte – zu überprüfen, nach der seine angeblichen Feinde Beweise für eine russische Einmischung in die Präsidentenwahl
2016
gefälscht hatten. »Ich hätte gerne, dass Sie dieser Sache auf den Grund gehen«, bat Trump.
Als wäre nichts weiter dabei, forderte der Präsident die ukrainische Regierung damit praktisch auf, sich in die US
-Präsidentenwahl 2020
einzumischen. Diese Dreistigkeit – offenbar ein Versuch, mit amerikanischen Steuergeldern von der Ukraine Maßnahmen gegen einen innenpolitischen Gegner zu erpressen – zeigte, wie wenig Trump aus der Mueller-Untersuchung und der erschöpfenden nationalen Diskussion um die Illegalität, politischen Beistand von ausländischen Regierungen einzufordern, gelernt hatte.
Das Staatsoberhaupt eines weit kleineren und verwundbaren Landes unter Druck zu setzen, um Biden anzuschwärzen und so die Chancen seiner eigenen Wiederwahl zu erhöhen, kam Trump ganz normal vor. Als Bauunternehmer und Immobilienmagnat hatte er Casino-Inspektoren bedroht und Subunternehmer manipuliert. Das war für ihn, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen, die Kunst, Geschäfte zu machen.
Als Trump auflegte, war einigen der etwa ein Dutzend
amerikanischen Regierungsmitarbeitern, die mitgehört hatten, sehr unwohl zumute. Was hatten sie da gerade mit angehört? Wenn sie ihren Ohren und ihrem Instinkt trauen konnten, hatte Trump soeben versucht, sein öffentliches Amt zu persönlichem Nutzen zu missbrauchen. Am folgenden Tag, dem
26
. Juli, vertraute einer der Mithörer einem
CIA
-Beamten an, Trumps Bemerkungen gegenüber Selenski seien »verrückt«, »beängstigend« und »völlig ohne Bezug zur nationalen Sicherheit« gewesen, und fügte hinzu: »Der Präsident hat zweifellos eine Straftat begangen.«
[185]
Diese Befürchtung bewog den CIA
-Beamten, zum Whistleblower zu werden und eine förmliche Beschwerde einzureichen, aufgrund deren die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, am 24
. September offiziell eine Amtsenthebungsuntersuchung einleitete.
Der Ukraine-Vorfall bestätigte, zweieinhalb Jahre nach Beginn der Amtszeit, wesentliche und besorgniserregende Fakten über Trump. Er war ein Präsident, den niemand aufhielt. Er ließ sich von seinen erfahrenen Beratern, die ihm beibringen wollten, die Interessen der Nation über seine eigenen zu stellen und sich an das politische und diplomatische Protokoll zu halten, nichts vorschreiben. Nachdem er erfolgreich und ohne Konsequenzen die Regeln missachtet und die Mueller-Untersuchung überstanden hatte, war er zu dem Schluss gekommen, er stehe über dem Gesetz. Er war sich seiner Macht dermaßen sicher und so zuversichtlich, dass die Republikaner im Kongress es niemals wagen würden, mit ihm zu brechen, dass er glaubte, er könne sich so gut wie alles erlauben.
Das Ergebnis war eine historische Belastungsprüfung für die US
-Institutionen und den Fortbestand der amerikanischen Demokratie.
Als Trump sein Amt antrat, wusste er noch nicht, wie man die politische Maschinerie einsetzt, und duldete die Bemühungen seiner Spitzenberater, ihn zu lenken, bis zu einem gewissen Grad. John Kelly, Jim Mattis, Don McGahn, Rex Tillerson und andere versuchten, ihn in die Prinzipien der Gewaltenteilung und der gegenseitigen Kontrolle der Verfassungsorgane einzuführen. Sie versuchten, sein übereiltes Vorgehen zu mäßigen. Und sie versuchten, ihm beizubringen, dass er als
Führer des mächtigsten Landes der Welt die heilige Pflicht habe, immer zuerst an die Nation zu denken.
Nach und nach jedoch hatte Trump diese lebendigen Leitplanken systematisch entfernt. Als er Giuliani als seinen politischen Rächer eingesetzt hatte, der zu diesem Zweck eine windige Außenpolitik gegenüber der Ukraine betrieb, fehlte es sozusagen an Erziehungsberechtigten, die ihn aufhalten oder vor den Gefahren warnen konnten, die er damit heraufbeschwor, denn die gewissenhaften Berater waren durch willige Erfüllungsgehilfen ersetzt worden. Trump traute sich immer öfter zu, eigene Entscheidungen zu treffen und sie auch durchzusetzen. »Es ist doch ganz einfach, für mich zu arbeiten. Wissen Sie, warum es so einfach ist? Weil ich alle Entscheidungen treffe«, bemerkte der Präsident am 12
. September nach John Boltons abruptem Abgang.
Als die Amtsenthebungsuntersuchung an Fahrt aufnahm, schien Trump immer unberechenbarer zu werden. Anfang Oktober beschloss er plötzlich, gegen den Rat der nationalen Sicherheitsberater, die US
-Truppen aus Syrien abzuziehen und so die kurdischen Verbündeten der USA
im Stich zu lassen. Dieser Schritt des obersten Befehlshabers lenkte zwar die Öffentlichkeit von den Fehlern seiner Amtsführung ab, erwies sich aber als fatal. Die Türkei hatte jetzt freie Bahn für eine tödliche Offensive, die dem Regime Bashar al-Assads zugutekam, den Nahen Osten in Aufruhr versetzte und weitere schwere Zweifel an der Führungskompetenz der USA
in der Welt weckte.
Ehemalige hohe Beamte der Regierung und viele republikanische Kongressabgeordnete beobachteten all dies mit Entsetzen. Schon früher in Trumps Amtszeit hatte einer dieser Beamten erklärt: »Dort [im Weißen Haus] gab es anfangs das Ethos, der Institution zu helfen und ihn aufzuklären, anstatt einfach seine Marschbefehle auszuführen.«
[186]
Heute, so der Beamte, »glaube ich nicht, dass noch viele – wenn überhaupt jemand – übrig sind, die es als ihre Verantwortung ansehen, [den Präsidenten] zu erziehen, zu mäßigen, aufzuklären und zu überzeugen – oder ihn oft auch nur zu beraten.«
»Jetzt gibt es ein neues Ethos: Diese Präsidentschaft ist ein Einmannbetrieb«, fügte er hinzu. »Sie ist Trump außer Rand und Band.«
Es schien, als sei Trump durch den parteienübergreifenden Protest im Kongress gegen die Aufgabe der kurdischen Verbündeten und der strategischen Militärpräsenz der USA
in dieser Region wirklich aus der Fassung gebracht worden. Er redete unlogisch und zusammenhanglos, nannte Syrien ein Land, in dem die kriegführenden Parteien »mit einem Haufen Sand herumspielen können«, drohte, die Wirtschaft der Türkei zu torpedieren, wenn ihm danach war, und rühmte sich »großer und unerreichter Weisheit«.
Trumps Solipsismus drohte sein Untergang zu werden. In der Ukraine-Affäre brachte ihn seine Entschlossenheit, selbst auf Kosten der Nation seinen persönlichen Vorteil zu suchen, in Verbindung mit seiner egozentrischen Besessenheit zu gewinnen und sich an seinen Feinden zu rächen, in Schwierigkeiten.
Als der Herbst 2019
anbrach, gebärdete sich Trump, als sei er von seiner Unbesiegbarkeit überzeugt und könne die umfangreichen Machtbefugnisse seines Amtes ungestraft zu seinem persönlichen und politischen Nutzen einsetzen. Er war ehrlich überzeugt, sein Eigeninteresse habe Vorrang und er stehe als Präsident über dem Gesetz. Er hatte guten Grund für diese Überzeugung, nachdem er allen juristischen Folgen entgangen war, obwohl die Mueller-Untersuchung ausführlich bewiesen hatte, dass er versucht hatte, die Russland-Untersuchung zu blockieren und zu hintertreiben. Auch für eine ganze Reihe anderer Straftaten wurde er nicht belangt – von rassistischen, frauenfeindlichen und anderen voreingenommenen Bemerkungen in der Vergangenheit bis zu den Beschuldigungen, er habe sich selbst verfassungswidrig Zahlungen aus Regierungsmitteln genehmigt und außerdem den Kongress an seiner Aufsichtsfunktion gehindert.
Während die Gesetzgeber seine Handlungen unter die Lupe nahmen, schaute Trump in den Spiegel und sah kein Fehlverhalten. Er sah sich selbst in tiefem und unentrinnbarem Selbstmitleid als Verfolgter. In seiner verzerrten Weltsicht war er das Opfer einer Verschwörung der Demokraten und Medien, deren Ziel es war, gefälschte Fakten durchzusetzen, die Öffentlichkeit zu betrügen und sich selbst an die Macht zu putschen. Diese Denkweise entspricht einem bei autoritären
Führergestalten historisch mehrfach auftretenden Muster, einen Opferkult um sich selbst zu inszenieren, um ihr Festhalten an der Macht und ihre Unterdrückungsmaßnahmen rechtfertigen.
»So etwas hat es in meinem ganzen Leben noch nicht gegeben. Es scheint, er fordert das gesamte politische System heraus, ihn aufzuhalten, wenn es kann – und wenn nicht, dann geht er weiter«, erklärt William A. Galston, Professor für Staatslehre an der Brookings Institution, gegenüber Robert Costa von der
Washington Post.
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»Wir erleben gerade, dass die Verfassung kein Mechanismus ist, der von selbst funktioniert«, fügte Galston hinzu. »Schließlich besteht die Regierung aus Menschen, nicht aus Gesetzen. Das Gesetz hat nur dann Macht, wenn Menschen bereit sind, es durchzusetzen.«
Im Lauf des Herbstes wurde dem Kongress und der Öffentlichkeit klar, dass es nicht mehr darum ging, ob Trump etwas falsch gemacht hatte. Das Muster der Fakten, das sich langsam herausschälte, zeigte ein Abkommen mit der Ukraine, das auf Gegenseitigkeit beruhte, und ein Komplott des Weißen Hauses, um es zu vertuschen. Die Frage war jetzt, wer die Verfassung durchsetzen konnte.
Als Alexander Hamilton die zwei Abhandlungen für die
Federalist Papers
verfasste, die sich mit dem Amtsenthebungsverfahren beschäftigen, stellte er sich – seinem Biographen Ron Chernow zufolge – einen Präsidenten vor, wie Trump einer ist: ein populistischer Demagoge, der vor Wut schäumt, vorurteilsbehaftet regiert, von chaotischen Verhältnissen profitiert und das amerikanische Volk im Geheimen durch die Anhäufung von Macht verrät.
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232
Jahre nachdem Hamilton das geschrieben hatte, forderte Trumps Druck auf die Ukraine ihren Preis. Würde das System, das die Gründerväter sich vorgestellt hatten, auch dieser Belastung standhalten? Oder würde sich Trump erneut durchsetzen und der Rechtsstaat ein weiteres Mal vor seiner schieren politischen Macht und der blinden Treue seiner Anhänger kapitulieren?
Als der Kongress
1974
eine Amtsenthebung Präsident Richard Nixons debattierte, stellten sich die meisten Republikaner hinter die Behauptung des Präsidenten, er sei das Opfer einer politischen Hexenjagd.
Aber dann traf ein republikanischer Abgeordneter, Lawrence J. Hogan aus Maryland, eine Entscheidung, die den Wendepunkt markierte. Er stimmte als erster Republikaner zusammen mit den Demokraten für alle drei Artikel des Amtsenthebungsantrags gegen Nixon. Er sagte, er wünsche sich »von ganzem Herzen«, der Präsident hätte keine Straftaten begangen, die seine Amtsenthebung erforderten, aber er kannte nun mal die Wahrheit, nämlich dass Nixon genau das getan hatte.
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Er stellte die Verantwortung vor der Geschichte über den Opportunismus.
Die Republikaner standen jetzt vor derselben Entscheidung wie Hogan 45
Jahre zuvor. Sie hatten bei vielen Übergriffen Trumps ängstlich geschwiegen. Auch sie hatten die Ermittlungen gegen den Präsidenten als Hexenjagden bezeichnet. Sie hatten sich heimlich auszurechnen versucht, wann sie gegen den Präsidenten Stellung beziehen konnten, falls sie es jemals täten. Aber jetzt wurde es Zeit, nicht mehr nur an die Beurteilung durch ihre eigene Partei oder die Rache ihres Präsidenten zu denken, sondern an ihre Verantwortung vor der Geschichte.