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Witte

M it einem leisen Klopfen an Mr. Blacks Bürotür kündige ich den Tee an, für den ich vor Dr. Hamids Eintreffen bereits alles vorbereitet hatte. Auf das Nicken des Hausherrn hin schiebe ich den Teewagen hinein, mache mich an die Arbeit und messe die Menge Nilgiri-Tee ab, die exakt für eine Kanne kochend heißes Wasser passt.

Mr. Black sitzt hinter seinem eleganten Yakisugi-Schreibtisch, dessen Holz dank der kunstvoll verkohlten Oberfläche in tiefem Schwarz schimmert. Es handelt sich um eine Maßanfertigung, die auf seine Körperlänge abgestimmt ist. Der Stuhl, auf dem er sitzt, ist ebenfalls ein Einzelstück, mit Lehnen aus dem gleichen Holz wie der Schreibtisch und cognacfarbenem Lederbezug. Er starrt die Ärztin gebannt an, während er jedem Wort ihrer Ausführungen konzentriert folgt.

Der Knoten seiner Krawatte ist gelockert, die Nadel hängt ein wenig schief. Seine Haare müssten mal wieder gekürzt werden, und ein dunkler Anflug von Bart umschattet seine Wangen. Für gewöhnlich erledige ich zu regelmäßigen Terminen alle Friseurarbeiten, aber im Moment ist er einfach zu ruhelos, um sich die dafür nötige Zeit zu nehmen. Einerseits missfällt es mir, dass er in Videokonferenzen einen solch ungepflegten Eindruck macht, andererseits hat es offenkundig den unbeabsichtigten Vorteil, die Einschätzung der Polizisten zu beeinflussen. Alle paar Tage kommen sie vorbei, um persönlich zu überprüfen, ob Mrs. Black vernehmungsfähig ist. Dabei treffen sie auf einen Mann, den Angst und Sorge um seine Frau auffressen und der kurz davor ist, den Verstand zu verlieren.

Dr. Hamid besitzt gewiss reichlich Erfahrung im Umgang mit verzweifelten Angehörigen und tritt betont ruhig und entspannt auf, auch wenn ihre melodische Stimme nicht frei von Bedenken klingt. Ihr schwarzes Haar trägt sie kunstvoll hochgesteckt, die schlanke Gestalt ist in einen prächtigen hellblauen Salwar Kamiz gehüllt, ein traditionelles südasiatisches Ensemble aus Tunika und Hose, verziert mit glitzernden Goldstickereien.

Als sie fertig ist, steht Mr. Black auf und schaut kurz durch die Panoramascheibe auf die Stadt, die im grauen Regenschleier verschwindet. Große Bananenstauden rahmen die schmucklose Fensterfront ein und bringen ein wenig Central-Park-Grün hier zu ihm hinauf in die Wolken. Er reibt sich den Nacken. Frust und Angst sind unverhohlen zu spüren. Es findet sich einfach keine Antwort auf die Frage, die er ständig wiederholt: Warum wird sie nicht wach?

Seit sie am Tag ihres Unfalls für wenige Sekunden das Bewusstsein wiedererlangte, schläft Lily ohne Unterlass. Und mit jedem Tag, der vergeht, steigt die Unruhe bei Mr. Black.

Ein Donner zerreißt dröhnend die Luft, als wollte der Himmel damit die anmaßende Höhe des Towers verdammen, in dem wir leben. Der Knall ist so heftig, dass er den entsetzten Schrei einer Frau fast überlagert hätte.

Flink wie ein Wiesel schnellt Mr. Black im Vollsprint um mich herum und demonstriert dabei die Athletik und Explosivität, die ihn schon als Point Guard im Basketball ausgezeichnet haben sollen. Ich warte, um Dr. Hamid den Vortritt zu lassen, und folge dann ihrem eiligen, unhektischen Schritt, während ich im Kopf bereits die möglichen Szenarien und alle daraus resultierenden Aktionen durchgehe. Durch die offenen Türen sehe ich die Regentropfen wie Tränen die großen Fensterscheiben herunterlaufen.

Beinahe zeitgleich treten wir ins Schlafzimmer von Mrs. Black und bleiben abrupt stehen.

Amy Armand lehnt, die Arme um den Oberkörper geschlungen, an der Wand. Mein Arbeitgeber ist schon am Bett und stemmt die Fäuste neben den schlanken Hüften seiner Frau auf die Bettdecke. Lily sitzt aufrecht, ihre blassen Arme liegen um seine Schultern, und ihre Wange drückt sich an seine. Tränen funkeln in den tiefschwarzen Wimpern. Ihre leuchtend roten Fingernägel schimmern wie Blutspritzer durch sein dunkles Haar.

Hier in dieser Umgebung ist Lily Black gerade der strahlendste Vollmond in schwärzester Nacht.

Ich sammle Mrs. Armands Umhängetasche, eine Zeitschrift und ihre Schuhe vom Boden auf und fasse sie respektvoll am Oberarm.

»Ich begleite Sie noch zur Tür, Mrs. Armand«, sage ich leise.

»Was?«, erwidert sie und blickt weiter fasziniert zum Bett.

Ich kann den Alkohol in ihrem Atem riechen und seufze insgeheim. So eine hübsche junge Frau und so talentiert, aber sie kämpft gegen irgendwelche inneren Dämonen, von denen ich keine Ahnung habe.

»Die Frau Doktor wird Mrs. Black untersuchen müssen«, murmele ich und führe sie behutsam aus Lilys Schlafzimmer. »Da sollten wir die Privatsphäre respektieren.«

Sie sträubt sich, als ich den Druck ein wenig erhöhe, und starrt unverwandt mit weit aufgerissenen Augen Richtung Bett. Ich würde mir das auch gern ansehen, denn der Anblick ist so außergewöhnlich – Mr. Black in engster Umarmung, den Kopf tief vergraben, die Knöchel weiß vor Anspannung. Ein widerwillig Flehender.

Mr. Black zeigt seine Gefühle nur ungern. In der Öffentlichkeit reduziert er jeden körperlichen Kontakt auf das, was Höflichkeit und standesgemäßes Benehmen als Minimum verlangen. Ich habe mir dann oft vorgestellt, dass ihn eine unsichtbare Mauer umgibt, die alle anderen auf sichere Distanz hält.

Aber es gibt offensichtlich keinerlei Schranken, die ihn vor Lily zu schützen in der Lage wären.

Der Himmel öffnet seine Schleusen, und Sturzfluten prasseln herab.