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Amy

I ch kreuze Arme und Beine, um so wenig Platz wie möglich zu beanspruchen, denn ich sitze eingequetscht zwischen Darius und Ramin in der Limo eines Chauffeurdienstes. So breitbeinig, wie die beiden dahocken, nehmen sie den gesamten Fußraum ein. Keiner spricht ein Wort, beide haben den Kopf stumm zum jeweiligen Seitenfenster gewendet.

Hatte ich wirklich geglaubt, Lily ausstechen zu können, bloß indem ich mir die Haare färbe und dunklere Klamotten anziehe? Allein die Vorstellung ist inzwischen lachhaft, obwohl der Kloß in meinem Hals und die brennenden Augen sich eher anfühlen, als würden mir gleich die Tränen kommen.

Ich spüre noch immer, wie sich ihre Fingernägel in meinen Nacken graben, als sie mich an sich presste. Sie mag gertenschlank sein und zerbrechlich wirken, aber ihre Hand kann zupacken wie eine Klaue, und in ihrer piepsigen Kleinmädchenstimme schwingt unverhohlen etwas Bedrohliches mit. Mir hat es vor Angst fast den Magen umgedreht. Dennoch hätte ich liebend gern wie Kane meine Lippen auf ihre gedrückt, nur um zu prüfen, ob sie wirklich so seidenweich waren, wie es den Anschein machte.

Ein nervöses Lachen bleibt mir im Hals stecken. Im Vergleich zu ihr sind Kanes Fähigkeiten, mich einzuschüchtern, geradezu harmlos.

»Mit der dürfte Kane alle Hände voll zu tun haben«, sagt Ramin vergnügt. »Die Frau ist verdammt scharf.«

»Zu mager«, brummt Darius, und ich hätte ihn küssen können.

»Mager wie ein Model«, verbessert ihn Ramin. »Mit der kannst du garantiert die tollsten Fotos machen. Wir müssen sie unbedingt bei ECRA + einbauen. Am besten mit einer exklusiven Werbekampagne, und sie dann auf die eine oder andere Verpackung nehmen.«

»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, erwidert Darius und blickt seinen Bruder ebenso ungläubig an wie ich.

»Sie hat uns in der Hand«, erklärt Ramin. »Also können wir auch gleich dafür sorgen, dass sie mitmacht und Eigeninteresse am Erfolg der Firma entwickelt.«

Ich balle die Hände zu Fäusten, und die Nägel bohren sich tief in meine Haut. Da legt diese Schlampe einen zehnminütigen Auftritt hin, und schon will Ramin ihr Gesicht auf die Produkte kleistern, die Baharan in eine andere Liga katapultieren sollen? Und meine Firma, die ganze Arbeit, die ich dort hineinstecke, soll dazu dienen, aus ihr das beneidete Vorbild, die Inspiration für Frauen weltweit zu machen?

Das kommt überhaupt nicht infrage!

»Der Schuss könnte nach hinten losgehen«, sage ich spitz. »Immerhin ist sie nicht ganz richtig im Kopf.«

»Aber hallo«, pflichtet mein Mann mir bei.

»Ich rede davon, sie für Fotoaufnahmen zu benutzen«, leiert Ramin in seinem gedehnten Ton, »nicht davon, sie als Rednerin auf Tournee zu schicken.«

»Noch wissen wir nicht einmal, welchen Status ihre Beziehung genau hat«, werfe ich ein.

»Und ob wir das tun«, kontert er lüstern. »Du hast die beiden doch zusammen gesehen. Hast sie gesehen. Sie ist das Original, dem jede andere Frau nur als fade Kopie diente. Ich fresse einen Besen, wenn er sie nicht bereits auf jedem freien Flecken im Penthouse flachgelegt hat. Und das gleich mehrfach.«

Ich verschließe die Augen schnell vor der Flut an Bildern, die bei dieser Vorstellung auf mich einstürmen, was es jedoch nur noch schlimmer macht. Also starre ich lieber unverwandt nach vorn und konzentriere mich auf all die Autos und Taxen, die pausenlos auf unserer Spur ein- und ausscheren. Der Eisbrocken in meinem Magen ist geschmolzen, und an seiner Stelle brodelt nun eine wild schäumende Wut. Ich male mir aus, wie ich Lily Säure ins Gesicht schütte, wie die qualmende Haut sich in Fetzen löst, zwischen denen schmale Rinnsale aus Blut und rotem Lippenstift laufen.

Ich möchte sehen, wie sie schreit und heult vor Entsetzen, diese makellosen Züge zu verlieren, die Kane so anbetet. Aber die Lily in meinem Kopf fixiert mich bloß aus grausamen grünen Augen, die tief und wimpernlos in den Augenhöhlen liegen. Dann stürzt sie mit übermenschlicher Geschwindigkeit auf mich zu …

Ich schrecke hoch auf meinem Sitz. Mein Herz rast.

»Er hat nun einmal auch seine Bedürfnisse«, sagt Darius und tätschelt mir beiläufig das Knie, als würde mich das beruhigen. »So war er doch schon in der Highschool, Ramin. Ständig hat er die Mädchen mit irgendwelchen Tricks rumgekriegt, nur um sofort zur Nächsten weiterzuziehen. Diese besaß halt zusätzlich noch eine Menge Geld, das er in die Finger bekommen wollte, aber dafür braucht er sie ja inzwischen nicht mehr. Also dürfte sein Interesse an ihrer Muschi bestimmt bald einschlafen, und er wird sie gegen eine andere austauschen. Er will sie eben alle rumkriegen, sonst nichts.«

»Wir wollen aber doch gar nicht, dass sein Interesse einschläft. Und ihres genauso wenig. Wie hat er es formuliert? Sie ist die tragende Säule von Baharan. Wir brauchen die beiden als Paar. Solange er und die Firma davon profitieren, wird Kane sich mit ihr arrangieren. Fallen lassen wird er sie ganz sicher nicht, solange sie ihm Geld einbringt.« Ramin drückt mein nacktes Knie. »Hast du deinen Flachmann dabei? Ich könnte jetzt einen Schluck gebrauchen.«

Ich werfe ihm meine Handtasche in den Schoß.

»Danke, Babe«, sagt er und beginnt, darin herumzukramen.

Ich hätte ihn gern gefragt, warum er mich noch nie für eine ECRA +-Kampagne vorgeschlagen hat. Und ich hasse meinen Ehemann dafür, dass es ihm noch nie in den Sinn gekommen ist. Ich nehme all meinen Mut zusammen, um mich selbst als Model ins Gespräch zu bringen, aber die Angst, damit nur höhnisches Gelächter zu ernten, ist zu groß.

Ich ziehe den Saum meines Kleids nach unten und denke daran, was Lily getragen hat. Bei meiner Ankunft war ich noch so selbstsicher gewesen, so felsenfest überzeugt davon, genau die richtige Mischung zwischen Aliyah und Lily ausgesucht zu haben. Und beim Anblick meiner Schwiegermutter hatte mir meine Wahl sogar noch besser gefallen, da ich in meinem Outfit eindeutig jünger und stilvoller aussah. Dann kam Lily herein und trug eine schwarze Seidenhose und eine schwarze Spitzencorsage mit Cups aus schwarzem Samt. Demonstrativ sexy. Lässig elegant. Absolut selbstbewusst. Der flotte Bob, die auf Smokey Eyes geschminkte Augenpartie und die knallroten Lippen waren dann noch die Krönung dieses absolut coolen und unverschämten Looks.

Kane hatte sie mit den Augen verschlungen, wie er das bei jeder Frau tat, die ihrem Typ ähnelte, aber diesmal hatte in seinem Blick etwas Besonderes gelegen. Ein Leuchten statt der für gewöhnlich so leblosen Undurchdringlichkeit. Etwas Dunkles und Glühendes. Entweder war es eine Begierde von solcher Gewalt, dass sie ihn zu ihrem Sklaven machte, oder blanke Wut.

Unser Chauffeur tritt plötzlich so heftig auf die Bremse, dass wir nach vorn geworfen werden. Es gelingt ihm, sich rasch zu entschuldigen und zeitgleich auf die Hupe zu drücken und leise vor sich hin zu fluchen. Der Verkehr ist ein einziges Chaos. Ringsum wechseln Fahrer ständig die Spur in der Hoffnung, schneller als alle anderen an ihr Ziel zu kommen.

Lily fehlen diverse Jahre ihres Lebens, und doch ist da keine Spur von Zaghaftigkeit, kein Verlust an Entschlossenheit oder Kontrolle, nicht das geringste Zeichen von wachsamer Vorsicht. Ich habe mich in den Jahren, die ich Kane nun kenne, nicht ganz so gut geschlagen. Es fühlt sich an, als wäre ich in ein Gruselkabinett aus dem Jahrmarkt geraten, und die vielen Spiegel darin zeigen mir mein Leben, das genau dem entspricht, was ich mir immer erträumt habe, bloß vollkommen verzerrt. Ich bin mit einer fantastisch aussehenden, beruflich erfolgreichen Sexmaschine aus einer eng miteinander verbundenen Familie verheiratet. Mit meiner Arbeit verändere ich das Leben der Menschen. Ich habe ein grandioses Zuhause und kann mir kaufen, was immer mein Herz begehrt. Trotzdem ist alles verkehrt. Ich habe mich selbst nicht zu voller Pracht weiterentwickelt, wie Lily das getan hat. Ich bin vielmehr zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Weder bin ich kühn, noch besitze ich Macht. Nicht einmal mein eigener Körper gehört mir.

Wie kann Lily, nachdem ihr Jahre fehlen, sofort alles haben, während ich jahrelang ein Traumleben führe und am Ende nichts habe?

Ramin kippt den Kopf zurück und trinkt. Sobald er den Arm senkt, schnappe ich mir den Flachmann und genehmige mir einen großen Schluck. Dann biete ich ihn Darius an.

»Spinnst du, es ist noch helllichter Tag!«, schnappt er.

Achselzuckend gönne ich mir noch einen.

Am liebsten würde ich mir die Haare abschneiden. Mehr Lidschatten auflegen. Mir einen Schlitz ins Kleid reißen, um mehr Bein zu zeigen. Früher bin auch ich einmal wie Lily durch das Leben geschwebt, fand mich atemberaubend schön und sexy, glaubte, alles im Griff zu haben. Marschiert sie doch einfach geradewegs zu Kane hin, legt ihre Hände auf ihn und schaut ihm direkt in die Augen, als er sie in den Arm nimmt. Keine Angst, kein Zögern.

Ich weiß auch nicht, was ich zu sehen erwartet hatte. Grob gesagt, muss ich wohl vermutet haben, dass er sich Lily gegenüber irgendwie anders geben würde. Offener statt so verschlossen. Zärtlich und zuvorkommend. Zu Neckereien aufgelegt. Aber vielleicht sieht Liebe bei Kane einfach immer so aus. Rückhaltlos, feurig und beängstigend.

»Ihr zieht ja nicht einmal die Möglichkeit in Betracht, dass sie einander tatsächlich lieben könnten«, presse ich mit heiserer Stimme hervor, als würden Tonnen auf meiner Brust lasten. Kane hat nie mir gehört, im Grunde mag ich ihn nicht einmal, dennoch bleibt der Gedanke, er könnte eine andere lieben, äußerst qualvoll.

»Das würde auch nichts ändern«, meint Ramin gelangweilt.

Nein. Kane kann nicht alles haben. Eine bezaubernde Frau, das Penthouse und ein exzellent bewertetes Unternehmen kurz vor der Umsatzexplosion.

Die Limo gerät leicht ins Schaukeln, als ein Taxi von hinten die Stoßstange antippt. Unser Chauffeur streckt den Arm in die Lücke zwischen den beiden Frontsitzen und zeigt dem Drängler den Stinkefinger.

Was zum Teufel macht Lily bloß dermaßen verwegen und unerschütterlich? Wie kann sie sich Kane auf solch sorglos entspannte Art nähern, wenn der sie dabei anstarrt, als würde er sie mit Haut und Haaren begehren? Und wie er sie dann an sich gezogen hat, mit so viel Dominanz und Besitzgier … Und sie hat das alles nicht im Geringsten eingeschüchtert, während es die anderen Frauen, die Kane gevögelt und verarscht hat, stets gehörig aus der Bahn geworfen hat. Erst glückselig, dann hoffnungsvoll, schließlich verwirrt und am Ende mit angeknackstem Selbstwertgefühl.

Hatte er womöglich die ganze Zeit nicht nur nach äußerlicher Ähnlichkeit gesucht, sondern auch danach? Nach diesem provokanten sexuellen Auftreten? Diesem furchtlosen Selbstbewusstsein? Hatte er diese Eigenschaften in mir entdeckt, als wir uns zum ersten Mal begegneten?

Ich denke an Erika in ihrem eng anliegenden roten Kleid, den Rücken durchgestreckt, das Kinn erhoben. Sie hatte genau gewusst, wie begehrenswert sie wirkte, und war geradewegs auf ihn zugesteuert.

Sie hatte mich in der Zwischenzeit anzurufen versucht, aber ich hatte sie immer auf der Mailbox landen lassen. Eigentlich will sie Kane sprechen, nicht mich, doch der rückt seine Privatnummer nie heraus und ist nur über sein Büro oder über Witte zu erreichen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es Erika geht. Sie ist jetzt längst nicht mehr so selbstbewusst und wird es auch nie wieder in dem Maße sein wie früher.

»Für Lily dürfte es allerdings auch nicht einfach sein«, denke ich laut. »Dein Bruder ist nicht mehr der Student, der sich mit seinem Sportstipendium und ein wenig Kellnern über Wasser hält. Damals war sie reich und er arm. Da ließ sich Kane noch besser lenken.«

»Eingewöhnt hat sie sich immerhin schnell«, sagt Ramin und zwinkert mir zu, als hätten wir ein gemeinsames Geheimnis. »Sie wirft mit Geld um sich, erweitert ihre Garderobe, scheucht Witte herum und stellt Mutter in den Senkel.«

Meine anfängliche Freude daran, den beiden Frauen dabei zuzusehen, wie sie ihre Krallen ausfahren, ist bereits abgeklungen. Von Aliyahs spitzen Bemerkungen und vergifteten Komplimenten ist über die Jahre bereits so manche Narbe zurückgeblieben. Dagegen hatte Lily sie gekonnt abgefertigt und dabei noch den Eindruck gemacht, als würde sie es notfalls ohne Zögern auch mit der ganzen Sippschaft aufnehmen.

»Happy wife, happy life«, bemerkt Darius und nimmt meine Hand, als ob das auf unsere Ehe zutreffen würde. Ich drücke mit aller Kraft zu, was ich nicht lange durchhalte, aber es fühlt sich trotzdem gut an, ihm zumindest ein wenig wehzutun.

Mir kommt wieder der Blick in den Sinn, mit dem Kane verfolgt hatte, wie Lily den Raum betrat. Dieses wilde Starren, so glühend wie eine Klinge, die ein Schmied gerade feurig heiß und biegsam aus der Esse genommen hat. Sechs Jahre hatte er als Witwer jede gevögelt, die er haben wollte, hatte Geld nach Belieben verbraten. Jetzt hat er auf einmal eine ebenso anspruchsvolle wie eigenwillige Ehefrau, die umsorgt sein will. Eine Weile zumindest dürfte er damit zu tun haben, was mir Zeit geben sollte, meinen Scheiß auf die Reihe zu bringen.

Mittlerweile ist mir nämlich klar geworden, was meinen Plänen noch gefehlt hat – ich . Höchste Zeit, die Rummelplatzspiegel zu den Armands hin umzudrehen, damit sie auch einmal sehen, was ich sehe, wenn ich sie anschaue.

Vielleicht werden sie ja dann begreifen, warum sie alle vernichtet werden müssen.