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Amy

»W ie läuft das Fitnesscenter?«, frage ich meinen ehemaligen Kunden in möglichst ungezwungenem Plauderton.

»Sie erinnern sich an mich«, antwortet Valon Laska erfreut.

Ich lehne mich zurück und wundere mich selbst darüber. Bei einem Mittagessen mit Laska bin ich nämlich Kane das erste Mal begegnet. Laska und ich hatten einen Tisch mit Blick auf den Eingang bekommen, und Kanes ungewöhnliche Größe hatte mich unwillkürlich aufschauen lassen, als er mit zwei anderen Herren in Businessanzügen durch die Tür kam und einen Tisch ganz in unserer Nähe erhielt. Er sah dermaßen gut aus, dass mein Herz kurz aussetzte, bevor es in rasendem Rhythmus wieder loslegte. Sein Blick fiel schon beim Eintreten sofort auf mich, und ich spürte ihn auf mir während des gesamten Essens. Ich war kaum noch in der Lage, mich auf mein Verkaufsgespräch mit Laska zu konzentrieren.

Noch am selben Nachmittag ging ich mit Kane hoch ins Penthouse, und die gemeinsam dort verbrachten Stunden führten letztlich zu dem hier: einem Büro bei Baharan Pharmaceuticals sowie der Entdeckung, dass all meine Geschäftsbeziehungen gekappt wurden, während ich zu Hause hockte und die perfekte Ehefrau zu spielen versuchte.

»Die Auslastung ist gleichbleibend hoch, seit Sie uns ausgeholfen haben«, erwidert er. »Derzeit bereitet mir ein Restaurant Probleme. Es sollte sehr viel besser laufen. Ich habe gehofft, Sie könnten mir noch einmal auf die gleiche Weise behilflich sein.«

Ich mache mir gar nichts vor, was Valon Laska betrifft. Wenn er ein Schild umhängen hätte, auf dem steht, dass er krumme Geschäfte der übelsten Sorte betreibt, würde das den ersten Eindruck lediglich bestätigen. Mir gegenüber war er zwar stets höflich und bisweilen sogar charmant, aber der vollkommen leblose Ausdruck in seinen Augen ließ bei mir gleich die Alarmglocken schrillen. Auch Kane konnte einen mit so leerem Blick anstieren, dass man fröstelte, doch bei ihm wusste ich von dem Feuer, das in ihm loderte. Laska dagegen strahlte die klirrende Kälte Sibiriens aus.

Dennoch war es leicht verdientes Geld gewesen, die Accounts des Fitnesscenters zu entstauben und aufzufrischen. Ein paar Fotoshooting-Termine und ein neues Logo, mehr brauchte es im Grunde nicht. In der Folge meldeten sich dann noch diverse Geschäftsleute aus seiner Branche, die ihre Auftritte ähnlich aufpoliert haben wollten. Clarice hatte damals schon kommentiert, wir würden für die legalen Operationen der Unterwelt langsam offenbar zur bevorzugten Adresse. Mir hat das ein wenig Sorgen bereitet, und so war ich regelrecht erleichtert, als die Sache mit Darius schnell ernst wurde und mir eine Neuausrichtung erlaubte. Jetzt allerdings … Na ja, jetzt sah alles ganz anders aus. So ein steter Strom an neuer Kundschaft käme mir gerade sehr gelegen, da wäre es absolut egal, was die Auftraggeber hinter ihren Geschäftsfassaden zu verbergen haben.

Über Valon Laska hatte ich zu den Armands hingefunden, vielleicht kam ich über ihn wieder von ihnen fort.

»Ich würde mich freuen, wenn es zu einer erneuten Zusammenarbeit käme, Mr. Laska.«

Auf der Suche nach einem Notizblock öffne ich die einzige Schublade meines Schreibtischs, und meine Muskeln krampfen sich so plötzlich zusammen, dass mir der Atem stockt. Der Raum schrumpft zu einem grellen Lichtschlitz. Mein Puls wummert gegen mein Trommelfell. Meine Atmung setzt schnell und flach wieder ein.

Die Schublade ist voller Kondome.

Da fickt dieser Vollpfosten von Ehemann doch seine Sekretärin glatt in meinem Büro! Wie überaus bequem. Sich erst ein Gläschen genehmigen, um locker zu werden, und dann rammeln wie die Karnickel. Ich starre angewidert auf die Couch, auf der ich eben noch gesessen habe, und nehme mir vor, sie rauszuwerfen.

»Amy?«, fragt Mr. Laska nach. »Entschuldigen Sie, aber ich habe Ihren neuen Familiennamen nicht behalten.«

»Amy ist schon in Ordnung«, antworte ich. »Und ich muss mich entschuldigen: Ich kann einfach keinen Stift finden. Das Büro ist neu, hier liegt noch nichts da, wo es soll. Schicken Sie mir doch bitte den Link zur Website Ihres Restaurants. Dann schaue ich mir den derzeitigen Social-Media-Auftritt an und fahre anschließend mal vorbei, um mir ein Bild vor Ort zu machen.«

»Bringen Sie Ihren Mann mit und probieren Sie die Küche aus«, bietet er an. »Ich werde Ihren Namen beim Empfang hinterlassen. Alles auf Kosten des Hauses, versteht sich. Schließlich müssen Sie doch wissen, was sich mit Ihrer Hilfe besser verkaufen lassen soll.«

»Sehr freundlich, vielen Dank«, sage ich. Doch ich würde einen Teufel tun und ausgerechnet Darius mitnehmen. Clarice hat sich die Einladung verdient, weil sie hier die Stellung gehalten hat und dabei Aliyah ertragen musste. »Freut mich sehr, dass wir wieder etwas für Sie tun können, Mr. Laska«, fahre ich fort. »Ich werde ein Angebot erstellen und es Ihnen bis Ende nächster Woche zukommen lassen.«

»Dann bin ich mal gespannt. Auf Wiederhören.«

Ich werfe das Smartphone zurück in meine Handtasche und überlege, ob ich Alice den Berg Kondome auf den Schreibtisch kippen soll, bevor ich ihr die Fresse poliere. Oder besser noch, ich stürme zu Darius rein und schmeiße ihm die ganze Ladung ins Gesicht. Es ist schon lange überfällig, dass ich ihn zur Rede stelle.

Ich begreife es nur irgendwie nicht. Ich mache die Beine breit für ihn, wann immer er will. Warum genüge ich ihm nicht?

Es klopft energisch, die Tür geht auf, und Clarice kehrt zurück.

»Was für ein Timing, Sie werden es nicht glauben«, platze ich sofort heraus. »Valon Laska – der Typ mit dem Fitnesscenter in der Bronx – rief gerade wegen eines neuen Auftrags an.«

»Der Gangster?«, fragt sie erstaunt zurück.

Ich schließe die Schublade und sperre mit ihr einstweilen auch meinen wachsenden Zorn fort. Irgendwas in meinem Inneren scheint sich gelöst zu haben und klappert nun so heftig hin und her, dass mein ganzer Körper schlottert. Auf wackligen Beinen stehe ich auf und gehe vorsichtig zum Barwagen. »Das wissen wir nicht.«

»Schon klar«, erwidert sie mit vielsagendem Blick und lehnt sich gegen den Türrahmen. »Und was haben Sie ihm geantwortet?«

»Dass wir die Sache übernehmen. Möchten Sie was trinken?«

»Äh, sicher doch. Aber bloß einen Spritzer.«

Wie zum Teufel bringt Lily es fertig, bewusst stocknüchtern durchs Leben zu gehen? Ist doch absolut unmöglich, so was. Vielleicht kifft sie ja. Aber klar, solange Kane sie mit seinem göttlichen Schwanz von einem Orgasmus in den nächsten treibt, braucht sie wahrscheinlich gar keinen zusätzlichen Rausch.

Unsicher schenke ich mir einen Fingerbreit ein und lobe mich im Stillen für meine Zurückhaltung, dann gieße ich Clarice die gleiche Menge ein. Der Glasstopfen klirrt beim Verschließen laut gegen den Karaffenhals.

Die Schublade voller Kondome hat mich auf die Palme gebracht, jetzt brauche ich etwas zum Runterkommen. Und so ein kleiner Spritzer verstößt auch nicht gegen die Regel Nichts vor fünf . Außerdem gibt es einen Grund zu feiern. Das nutzlose Entgiftungszeug nehme ich dann nach diesem einen Glas.

»Wir brauchen eine eigene Website«, denke ich laut, »und einen neuen Namen. Um Baharan und den Relaunch kümmere ich mich unabhängig davon. Sie müssen mir helfen. Können Sie sich vorstellen, zwei Jobs parallel zu erledigen? Wir bringen Social Creamery 2.0 zum Laufen, und dann kehren wir beide diesem Drecksloch hier den Rücken.«

Sie nimmt auf einem der Besucherstühle Platz und legt die Mappe, die sie mitgebracht hat, auf die Ecke des Schreibtischs. »Für neue Herausforderungen bin ich immer zu haben, das wissen Sie«, antwortet sie. »Aber dafür müsste ich mehr Gehalt bekommen. Können Sie mir die Doppelbelastung denn vergüten?«

»Klar doch, machen wir«, versichere ich ihr. Ich stelle ihr das Glas hin und setze mich wieder in meinen Sessel. Darius leitet die Finanzabteilung, und er wird mir schön jeden Wunsch erfüllen. Immerhin schuldet er mir etwas. »Wir brauchen noch ein paar Freie. Leute, die fürs Erste nicht vor Ort arbeiten müssen.«

»Wenn sie von überall aus arbeiten können, erweitert das den Kreis natürlich enorm.«

»Genau«, sage ich. »Ich werde die Jobs noch heute ausschreiben.« Ich zwinge mich, nur zu nippen, statt zu kippen, und seufze erleichtert auf, als das wohlvertraute Brennen diesen eisigen Ort in meinem Innern, der mich so zittern lässt, erwärmt. Es tut so gut, am liebsten würde ich ein randvolles Glas trinken. Aber das werde ich nicht. »Den ersten Kunden haben wir bereits, also müssen wir schnell ein neues Team zusammenbekommen.«