Lily
I ch wache vor dir auf und bleibe still liegen, um dich im Schlaf zu betrachten.
Du hast einen Arm über deinen Kopf geworfen, der andere liegt quer über deinen ausdefinierten Bauchmuskeln. Das Bettlaken hängt an deinen Hüften und ist so um deine Oberschenkel geschlungen, dass deine langen Beine im Freien liegen. Die zerknüllte Bettdecke türmt sich zwischen uns. Du brauchst nachts Kühle, da du selbst vor Hitze glühst. Ich brauche Wärme und ziehe deshalb die dicke Decke über mich.
Du bietest wie immer einen äußerst verlockenden Anblick.
In dieser Haltung habe ich dich auch schon fotografiert. Wie hätte ich widerstehen können? Selbst so reglos ausgestreckt, wirkst du noch sexy und kraftstrotzend. Dein Körper ist meisterhaft ausgeformt, bis ins kleinste Detail perfekt gestaltet. Ich weiß gar nicht, wie ich deine Urgewalt unbeschadet überstehe, wenn die Lust so unerbittlich von dir Besitz ergreift.
Du hast einmal gesagt, dass es sich wie Sterben anfühlt, wenn wir uns lieben, und wahrscheinlich entspricht das sogar der Wahrheit. Vielleicht überstehe ich deine Liebe überhaupt nicht. Vielleicht werde ich nur wie ein Phoenix immer aufs Neue wiedergeboren.
La petite mort , mein Liebster. Deinen Worten entsprechend werde ich meinen letzten Atem hoffentlich dereinst in deinen Armen aushauchen.
Heute steht uns ein bedeutender Tag bevor. Bislang sind wir noch nie so weit voneinander getrennt gewesen wie gestern, als du im selben Gebäude auf einem anderen Stockwerk zu Mittag gegessen hast. Heute wirst du zum Arbeiten ins Büro gehen, und zum ersten Mal, seit ich aus dem Koma erwacht bin, werde ich dich nicht in meiner Nähe wissen. Wir haben uns beide ohne jede Absprache die Zeitrechnung vor dem Erwachen und nach dem Erwachen zu eigen gemacht. Von irgendeinem Moment an hast du dich nur auf das Danach konzentriert. Aber was das Davor angeht, verbirgst du vor mir auch noch Dinge, habe ich recht?
Mir war klar, dass ein Mittagessen mit Gideon Cross genügen würde, um dich wieder zurück in die Welt des Big Business zu ziehen, der du dich zu ungeniert entzogen hattest. Der Jagdinstinkt liegt dir im Blut; dieser Drang, ein Ziel unbeirrbar zu verfolgen und zu erreichen. Dein Wissen um dein Potenzial ist allenfalls rudimentär. Mir wird es hoffentlich gelingen, dir all deine Facetten bewusst zu machen, sodass du deine innere Schönheit zu schätzen lernst und dich selbst am Ende ebenso sehr lieben kannst, wie du mich liebst.
Deine Atmung verändert sich. Das regelmäßige Tempo mündet in einem schnellen, tiefen Schnaufen. Ich schließe die Augen und tue, als würde ich schlafen, während du dich streckst und zu mir umdrehst. Ich spüre deinen Blick auf mir und höre dich seufzen. In manchen Nächten ist dein Schlaf unruhig, und wenn du dann auf mich gleitest und mich liebst, hat es etwas Verzweifeltes. Verfolgen die Jahre, die du allein warst, dich in deinen Träumen? Ich weiß nicht, wie ich diesen Schmerz von dir nehmen kann.
Du steigst aus dem Bett, und ich höre das leise Tapsen deiner Fußsohlen auf dem Weg in mein Bad. Dein Schlafzimmer mit dem Porträt von Lily hast du aufgegeben und schläfst nun jede Nacht bei mir. Im Bad stehen deine Toilettenartikel am zweiten Waschbecken. Deine Kleidung bewahrst du zum Großteil noch drüben auf, aber ein paar Dinge hängen inzwischen auch in einer Ecke meines Ankleideraums. Mir gefällt es, unsere Sachen zusammen zu sehen.
Mein Raum riecht jetzt nach uns beiden. Ich hoffe, wir finden irgendwann Gelegenheit, den Privatbereich so umzugestalten, dass ein Raum eindeutig als unser gemeinsames Reich erkennbar ist. Ich hoffe auf so vieles. Und mit jedem Tag, der vergeht, hoffe ich auf mehr.
Doch all diese Möglichkeiten werden sich nur eröffnen, wenn ich heute Erfolg habe.
Ich rolle mich zur Seite und stecke mir ein Pfefferminz in den Mund. Im Bad läuft Wasser ins Waschbecken. Was mag dir in diesen Momenten durch den Kopf gehen, wenn du dich darauf vorbereitest, mit mir zu schlafen? Wie gern würde ich deine Gedanken lesen. Vom Rasieren bekommst du jedenfalls nicht deine Erektion.
Das Wasserrauschen hört auf, und meine Brustwarzen schwellen an. Zwischen meinen Beinen wird es feucht vor Verlangen. Du hast mich gut abgerichtet. Mittlerweile ist meine innere Uhr präzise nach deinen Wünschen getaktet. Ich kugele mich wieder ein, als du splitternackt und mit erigiertem Penis zurückkehrst. Lächelnd spüre ich, wie du das Laken hebst und darunterschlüpfst.
»Hey«, hauchst du und erwiderst mein Lächeln, während dein Arm sich unter mich schiebt und mich in die Mitte der Matratze rückt. Du legst deinen Körper über meinen, deine Haut ist kühl, dein Schwanz glühend heiß. Auf deinen feuchten Wangen kratzt kein einziger Bartstoppel.
Dein Mund schließt sich über meinem, und ich gebe mich der berauschenden Sinnlichkeit deines Kusses hin.
Eine Stunde später fällst du schweißgebadet und keuchend neben mir auf den Rücken. Mein Körper prickelt und bebt bis in die Fuß- und Fingerspitzen. Mein triefend nasses Geschlecht zeugt von der Intensität deines Höhepunkts. Die Sonnenstrahlen, die inzwischen durch die große Fensterfront ins Badezimmer strömen, erfüllen den Raum mit reichlich Licht.
Du tastest nach meiner Hand und verschränkst unsere Finger. »Ich habe es gar nicht eilig damit, wieder ins Büro zu kommen«, sagst du. »Von hier aus kann ich auch alles ganz prima erledigen.«
Ich schaue dich an. In deinem Blick liegen Besorgnis und so viel Liebe, dass es mir den Atem raubt. Ich kann viele Dinge vor dir verbergen, bloß mich selbst nicht. Du durchschaust mich zu gut, spürst meine Gefühle zu genau. Auch meine Unruhe dürfte dir nicht entgangen sein. Es ärgert mich zwar, angesichts der kommenden Stunden so nervös zu sein, aber mir ist auch klar, dass es falsch wäre, allzu gelassen zu sein. Diese unterschwellige Furcht hält mich wachsam und unterscheidet mich von meiner Mutter.
Ich führe unsere Hände zu meinem Mund und küsse deine Knöchel. »Mir ist nur wichtig, dass du aufpasst«, sage ich. »Sei bitte übervorsichtig, selbst wenn du dir dabei albern vorkommst. Tu es für mich.«
Du streichst mir eine feuchte Haarsträhne von der Wange, küsst mich zärtlich und antwortest: »Ich tue alles für dich, ob albern oder nicht.«
»Danke.«
»Ich kümmere mich um unser Val-Laska-Problem«, fügst du hinzu. »Ich habe einen Haufen Leute darauf angesetzt. Und das NYPD ist ihm auch auf den Fersen.«
»Ich weiß.«
»Alles okay?«, fragst du, und dein amüsiertes Grinsen wirkt ungeheuer selbstsicher und extrem sexy. »Ehrlich?«
»Ich hatte gerade drei Orgasmen, Kane«, erwidere ich trocken. »Ich bin mehr als okay. Nun geh schon. Mach dich fertig. Ich hätte da womöglich noch eine Überraschung für dich, bevor du hinausziehst, um die Welt zu erobern.«
»Gib mir einen Tipp«, sagst du mit aufgerissenen Augen.
»Nein. Mach vorwärts, wenn du es herausfinden willst.«
Du stößt einen theatralisch tiefen Seufzer aus und stehst auf. »Habe ich dich jemals so auf die Folter gespannt?«, beschwerst du dich.
»Wann immer du konntest«, entgegne ich lachend. »Und das weißt du genau!«
Rücksichtsvoll gehst du bei dir duschen, damit ich mich ungestört in meinem Bad fertig machen kann. Ich föhne mir die Haare und schminke mich.
Eigentlich sollte ich mich anziehen, aber ich habe keine Lust, mich sofort wieder umziehen zu müssen, sobald du fort bist. Also bleibe ich einfach im Kimono. Es gibt noch so viel zu tun, und jeder Schritt steckt voller Risiken. Ich werde heute mein Potenzial bis zum allerletzten Rest ausschöpfen müssen. Ich werde all die Hoffnungen erfüllen müssen, die meine Mutter je in mich gesetzt hat.
Das nächste Mal sehe ich dich als Reflexion in meinem Frisierspiegel. Witte hat dir die Haare gestutzt, allerdings eher auf die Länge, wie du sie im College getragen hast und nicht so kurz, wie sie waren, als ich im Krankenhaus aus dem Koma erwachte. Der edle Stoff deines dunkelblauen Dreiteilers schimmert schwach. Der Farbton ist wunderschön, so eine Art Mitternacht-Saphirblau, und du hast dazu ein perlgraues Hemd mit gleichfarbiger Krawatte gewählt. Die Lilien auf deinen Manschettenknöpfen schnüren mir kurz das Herz zu.
Ich bin so fasziniert von deiner weltmännischen Attraktivität, dass ich völlig vergesse, womit ich gerade beschäftigt war, bis du mir die silberne Haarbürste aus den schlaffen Fingern nimmst. Du nimmst auch die zweite Bürste vom Frisiertisch und machst beidhändig in einem entspannten Rhythmus da weiter, wo ich aufgehört habe.
Behutsam fährst du mir mit den Wildschweinborsten durch das Haar, und ich schließe die Augen. Bei meinem Bob ist es natürlich nicht das Gleiche, oder? Im Grunde sind zwei Bürsten dafür gar nicht nötig, aber du nimmst dennoch zwei, und du beherrschst die Technik hervorragend.
»Ich bedauere wirklich alle anderen Frauen auf der Welt«, sage ich. »Sie wollen dich, aber sie werden dich nie bekommen.«
»Du versuchst bloß, mich hinzuhalten«, erwiderst du leise in amüsiertem Ton.
»Noch nie etwas von Belohnungsaufschub gehört?«
»Doch, aber ich mag ihn nicht.«
»Wie man sieht. Lass uns frühstücken und dann …«
»Gleich reißt mir der Geduldsfaden, Setareh «, unterbrichst du mich und stellst das Bürsten ein.
So habe ich dich noch nie gesehen. Ungeduldig und erwartungsvoll wie ein Kind an Weihnachten. Es ist köstlich.
Lachend beschließe ich, dich nicht länger auf die Folter zu spannen. Es ist viel zu wichtig, dich glücklich zu wissen. Ich stehe auf und gehe zum Nachttisch. Du stehst unmittelbar hinter mir, als ich mich mit der aufklappbaren Lederschatulle umdrehe. »Du bist furchtbar«, erkläre ich und muss wieder lachen.
»Das klang vor einer Stunde aber noch anders«, sagst du mit einem selbstgefälligen Grinsen und nimmst das Geschenk entgegen.
»Vor einer Stunde habe ich gar nichts gesagt.«
»Ich kann dein Stöhnen übersetzen«, konterst du und öffnest die Schachtel. Dein Kopf neigt sich leicht zur Seite. Vorsichtig hebst du die antike Taschenuhr und die Kette heraus.
Ich nehme dir die Box ab, damit du den Deckel aufklappen kannst.
Ganz leise liest du die Inschrift vor: »Jede Sekunde, die ich dir schulde, und mehr.«
Ich frage mich, ob du noch weißt, was du im Strandhaus zu mir gesagt hast. An deinem schweren Schlucken erkenne ich, dass du es weißt. Du schließt den Deckel, und dein Daumen streicht über die Gravur, die auf Vorder- und Rückseite den Mond und einen Himmel voller Sterne zeigt. Keine Lilien mehr. Deine Hand schließt sich um die Uhr.
»Vielen Dank«, sagst du mit heiserer Stimme. »Ich werde gut darauf aufpassen.«
Du ziehst mich an dich und küsst mich lange.
Beim Frühstück zeigst du Witte die Uhr. »Ein erlesenes Stück und ein ganz reizendes Geschenk«, sagt er und lächelt mich an, als würde er selbst sich darüber freuen.
Mit deiner Erlaubnis befestigt er den Anhänger in einem Knopfloch deiner Weste und versenkt die Uhr daneben in der kleinen Tasche. Ich bin natürlich nicht objektiv, aber ich finde vor allem die Kette daran ausgesprochen sexy.
Als es Zeit wird für dich, begleite ich dich noch zur Tür und gebe dir einen Abschiedskuss. Du merkst, wie schwer es mir fällt, und wartest noch einen Moment.
»Du machst es mir nicht leicht zu gehen, Setareh «, sagst du und musterst mich fragend. Ohne High Heels bin ich einen Kopf kleiner, sodass du fast überlebensgroß wirkst.
»Entschuldige, das wollte ich nicht«, versichere ich dir und ergreife deine Handgelenke. »Ich komme zurecht, versprochen! Ich habe Witte, und ich habe unendlich viel zu erledigen. Die Zeit wird wie im Flug vergehen, bis du wieder zu Hause bist.«
Du betrachtest mich weiter unschlüssig.
»Wie wär’s mit einem Film nach dem Abendessen?«, schlage ich vor. »Mal sehen, wie lange wir der Handlung folgen können, bevor wir zu abgelenkt sind, weil wir rumknutschen wie die Teenager.«
»Darauf freue ich mich bereits jetzt«, antwortest du mit einem Lächeln, das nicht bis zu deinen Augen vordringt.
Ich stelle mich auf die Fußspitzen und gebe dir einen Kuss. »Nun hau schon ab, bevor ich dich gar nicht mehr weglasse. Und immer schön vorsichtig sein, Augen und Ohren offen halten! Du trägst mein Herz mit dir herum. Lass es nicht kaputtgehen!«
»Dasselbe musst du mir auch versprechen.«
Ich schaue dir nach, bis der Fahrstuhl dich verschluckt. Die beiden Sicherheitsleute links und rechts der Eingangstür erwidern meinen Blick, und ich nicke jedem kurz zu. Dann schließe ich die Wohnungstür und lehne mich erschöpft dagegen.
Witte tritt aus der Küche in den Flur und bleibt stehen, als er mich sieht. Die Zeit, die er während unseres Aufenthalts in Connecticut für sich verbringen konnte, scheint ihm gutgetan zu haben. Er wirkt schwungvoll und erfrischt. Unwillkürlich frage ich mich, wie lange er wohl noch bei uns bleiben wird. Da du nun eine Frau hast, die sich um dich kümmert, könnte ich mir vorstellen, dass er mit dem Gedanken spielt, sich neue Herausforderungen zu suchen. Hoffentlich tut er es nicht. Hoffentlich bleibt er uns noch lange Jahre treu. Er liebt dich sehr, und von solchen Menschen sollte es in deinem Leben so viele wie möglich geben.
»Kann ich Ihnen etwas bringen?«, erkundigt er sich zuvorkommend. »Einen Tee vielleicht? Oder Saft? Noch einen Kaffee?«
»Nein danke«, winke ich ab und straffe den Rücken. Es ist einfacher für mich, nun, da du nicht mehr da bist. »Alles wunderbar.«
»Ich gehe nachher auf den Markt, um ein paar Sachen fürs Abendessen und für morgen früh zu holen. Hätten Sie nicht Lust, mich zu begleiten? Es wäre von Vorteil zu wissen, was Sie so mögen.«
»Das machen Sie schon jetzt perfekt. Bislang hat mir alles hervorragend geschmeckt, was Sie zubereitet haben. Sie hätten einen Michelin-Stern verdient.« Da Witte ein Gewohnheitsmensch ist und ich eine sehr genaue Beobachterin bin, kenne ich seinen Tagesablauf natürlich schon, dennoch frage ich: »Wie oft gehen Sie eigentlich auf den Markt?«
»In manchen Wochen täglich, in manchen nur ein- oder zweimal.«
»Mal ganz in Ruhe draußen über den Markt zu bummeln, klingt überaus verlockend, aber meine Stylistin kommt gleich vorbei«, erkläre ich und entferne mich vom Eingang. »Sie bringt mir noch ein paar Sachen. Aber wenn Sie das nächste Mal gehen, begleite ich Sie gern auf dem … Ausflug.«
»Abgemacht«, sagt er und lächelt über meine Wortwahl.
»Könnten Sie bitte noch die Kosmetikerin, die schon mal hier war, anrufen und nachfragen, ob sie mich heute irgendwann dazwischenschieben kann?«
»Mit dem größten Vergnügen.«
Ich gehe den Flur hinunter zu meinem Zimmer und beobachte mich dabei in den verspiegelten Wänden.
Die Hausmädchen haben bereits das Bett frisch bezogen. Was sie wohl inzwischen von dir halten? Erst jahrelang der einsame Witwer, der allenfalls gelegentlich einen One-Night-Stand hat, und nun ständig Spuren auf den Laken, die eindeutig bezeugen, dass der Mann es mehrmals am Tag mit seiner Frau treibt. Wahrscheinlich hält die Überraschung sich angesichts deines ungeheuren Sex-Appeals aber in Grenzen. Außerdem sind Hausangestellte gewöhnt, dauernd intime Dinge mitzubekommen. Letztlich bleibt ihnen nichts verborgen.
Wittes Klopfen lässt nicht lange auf sich warten.
»Ja, Witte?«
»Der Kosmetikerin – ihr Name ist Salma – hat eben eine Kundin abgesagt, und sie lässt fragen, ob es Ihnen recht ist, wenn sie sofort kommt, oder ob Ihnen ein anderer Tag lieber ist.«
»Nein, heute Morgen ist ideal«, antworte ich mit gespielter Begeisterung. »Eine kleine Aufmunterung, bevor ich wieder loslege.«
Er lächelt und nickt.
Beim nächsten Klopfen trägt Witte einen Berg Kleidersäcke und Einkaufstaschen und betritt den Raum hinter Tovah, bei der mich erneut verblüfft, wie in einer so kleinen Person derart gigantisch viel Energie stecken kann.
»Guten Morgen, Lily!«, ruft sie mit strahlendem Lächeln. »Wie geht’s, wie steht’s? Ah, ich liebe diesen Kimono! So elegant und zugleich so sexy.« Ihre langen schokoladenbraunen Locken hat sie zu einem komplizierten Geflecht aus Zöpfen und Schnecken hochgesteckt. Das Wickelkleid mit dem Giraffenmuster ist ärmellos, und die Absätze ihrer Schuhe sind verboten hoch.
»Danke, Sie sehen aber auch ganz schön elegant und sexy aus«, erwidere ich und schenke Witte, der mit seinen Lasten meinen Ankleideraum ansteuert, ein dankbares Lächeln.
»Ich habe all das extra für Sie zurückgehalten, bis Sie wieder in der Stadt sind«, legt Tovah erneut los und wirft ihre Handtasche auf den Sessel, von dem aus du mir immer beim Schlafen zugesehen hast. »Jetzt erzählen Sie schon! Wie war’s? Bestimmt haben Sie bei einem Drink mit Schirmchen auf das türkisblaue Meer geschaut und sich bestens erholt.«
»Klingt bezaubernd«, stimme ich ihr zu. »Und Sie liegen fast richtig. Wir waren tatsächlich am Strand, aber ohne Schirmchen. Zählt das auch?«
»Strand zählt immer, ob mit oder ohne Schirmchen.«
Witte kommt zurück und bleibt in der Tür zum Flur kurz stehen. »Ich werde nun die Einkäufe erledigen«, sagt er. »Ich habe am Empfang Bescheid gegeben, dass Salma kommt, und Lacy wird ihr öffnen. Zu Mittag habe ich drei Portionen Geflügelsalat zubereitet, die Sie im Kühlschrank finden, wenn Sie Lust darauf haben. Ich schätze, dass ich gegen drei wieder da bin.«
»Sie denken aber auch an alles, Witte«, sage ich. »Haben Sie vielen Dank.«
»Wo bekomme ich einen Witte?«, fragt Tovah und stemmt die Hände in die Hüften, während er sich zum Gehen wendet.
»Da müssen Sie Kane fragen«, erkläre ich.
Die Tür fällt ins Schloss, womit wir ungestört sind und zum Du wechseln können, und sofort schenken wir uns das Dauerlächeln.
»Wir haben alle darüber diskutiert«, erzählt sie und seufzt tief. »Und wir halten den Zeitpunkt für nicht günstig.«
»Der Zeitpunkt ist günstig.«
»Das alles ist doch sehr überstürzt.«
»Nichts ist überstürzt«, widerspreche ich und gehe in den Ankleideraum. »Das Ganze ist seit Jahren durchgeplant. Wir könnten es im Schlaf durchziehen.«
»Du bist vor Kurzem erst angefahren worden!«, beharrt Tovah und folgt mir nach nebenan. »Unter höchst verdächtigen Umständen. Herrgott, du hast im Koma gelegen!«
»Was ich nicht vergessen habe«, gebe ich zurück, öffne den Kleidersack und begutachte das Ensemble darin. »Das ist echt gut.«
»Natürlich ist es das. Ich versteh mich auf meinen Job.«
»Ich schaffe das«, beruhige ich Tovah, als ich sehe, wie sie auf der Unterlippe kaut. »Wir schaffen das. Wenn man Dinge so ewig lange vorbereitet und es dann endlich losgeht, ist es vollkommen normal, nervös zu sein. Mir war heute Morgen auch ein wenig unbehaglich zumute.«
»Siehst du, ein Zeichen!«, ruft sie und wirft die Hände in die Luft. »Du solltest warten. Klären wir erst noch mal alles ab und versichern uns, dass du zu hundert Prozent fit bist!«
»Wir haben schon lange genug gewartet«, entgegne ich. »Aliyah wird Ärger verursachen. Wir müssen es hinter uns bringen, bevor sie etwas unternimmt, das uns alles versaut.«
An der Schlafzimmertür wird wieder geklopft. »Hey, er ist weg«, ist Lacys Stimme zu hören.
Ich kehre mit Tovah ins Schlafzimmer zurück.
»Und Salma ist gekommen«, fügt Lacy hinzu und tritt zur Seite.
Die kurvenreiche Brünette in Jeans und einem kunstvoll zerrissenen Band-T-Shirt, das sie an der Hüfte verknotet hat, zieht einen Hartschalenkoffer in Babyrosa hinter sich her. Ihr Gesicht ist mit raffiniertem Cat-Eye-Lidstrich und vollendet geschwungenen Brauen meisterhaft geschminkt.
»Ist Witte auch wirklich weg?«, frage ich.
»Im Wagen aus der Tiefgarage gerauscht und alles«, bestätigt Lacy.
Salma starrt mich an und meint entgeistert: »Du hast ja dein Gesicht schon gemacht!«
»Nur angefangen«, versichere ich ihr. »Und ich brauche Hilfe mit der Perücke. Beim letzten Mal habe ich viel zu viel Kleber verwendet und mir beim Abnehmen fast die Kopfhaut mit abgerissen.«
Sie schüttelt mit verärgerter Miene den Kopf.
»Hey, schau mich nicht so an«, protestiere ich. »Hätte ich mich nicht geschminkt, wäre Kane zu Hause geblieben, weil er geglaubt hätte, irgendwas würde nicht stimmen. Ich wollte ihn also bloß überzeugen zu gehen, was ja auch funktioniert hat.«
»Er macht alles nur noch komplizierter«, erwidert sie und stößt leise einen spanischen Fluch aus.
»Ich weiß.«
Lacy lehnt sich gegen die Türrahmen. Sie trägt eine graue Hausmädchenuniform und hat ihre roten Haare im Nacken zu einem Dutt zusammengesteckt. »Wir halten es nicht für den richtigen Zeitpunkt«, erklärt sie, nachdem sie eine riesige Kaugummiblase zum Platzen gebracht hat.
»Habe ich schon gehört«, erwidere ich knapp und verschwinde im Ankleideraum, um die Perücke zu holen. Als ich zurückkehre, starren alle drei Frauen mich an. Ich bleibe stehen und schenke ihnen die Aufmerksamkeit, nach der sie verlangen. »Was glaubt ihr wohl, wie viele Chancen wir bekommen?«, frage ich.
»Eine andere bestimmt noch«, entgegnet Salma mit trotzig vorgeschobenem Kinn.
»Aliyah bereitet ihr schon Stress«, erklärt Tovah und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Scheiß auf Aliyah!«, faucht Lacy. »Ich konnte das Miststück noch nie leiden. Wenn sie gerade mal nicht versucht, Witte ins nächstbeste Bett zu zerren, behandelt sie Bea und mich wie den letzten Dreck.«
»Wie geht’s Bea?«, erkundige ich mich.
Lacy runzelt verlegen die Nase. »Ganz okay«, sagt sie. »Ich habe heute Morgen mit ihr gesprochen. Es tat mir wirklich leid, dass ich ihr gestern das Zeug in den Tee schütten musste. Sie hat offenbar die ganze Nacht auf dem Klo zugebracht.«
»Die Magenprobleme werden sich bis zum Abend gelegt haben«, beruhige ich sie. »Wenn wir sie nicht noch einmal aus dem Verkehr ziehen wollen, müssen wir jetzt aber wirklich an die Arbeit gehen. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
Mit entschlossenen Mienen machen wir uns an die Umsetzung des Plans.
Um elf Uhr hat die Frau im Spiegel das Gesicht meiner Mutter. Wangenknochen und Kiefer treten markanter hervor. Der wuchtigere Einsatz von Lidschatten lässt die Augen tiefer liegen. Schwarze Haare baumeln in einem dicken Zopf meinen Rücken herab.
Dazu noch hier und da ein wenig Make-up, und schon habe ich mich in ihr perfektes Ebenbild verwandelt.
Eine große dunkle Gestalt, die hinter mir in der offenen Tür zum Flur steht, erregt meine Aufmerksamkeit. »Hey, du bist früh dran«, begrüße ich sie.
Rogelio macht einen besorgten Eindruck und mustert mich aufmerksam, während er in den Raum tritt. Statt des bei Baharan üblichen dunklen Anzugs trägt er nun Jeans und ein Yankee-Trikot. Seine Wangen sind unrasiert, sein Bürstenschnitt ist mit glänzender Pomade zurückgekämmt, und um seinen Hals hängt eine klobige Goldkette. Allein sein nüchtern wachsamer Blick würde ihn von jedem x-beliebigen Typen auf der Straße unterscheiden. »Mir gefällt die Sache nicht«, erklärt er. »Fühlt sich irgendwie falsch an.«
»Jetzt auch noch du?«, frage ich leise. Seine Meinung ist mir stets wichtig gewesen. Wir sind schon sehr lange zusammen.
»Du bist unglaublich schön, querida «, sagt er und legt eine Hand auf meine Schulter.
»Als ob sie das nicht wüsste«, wirft Salma ein und verdreht die Augen, während sie sorgfältig ihren Schminkkoffer packt.
»Sie ist unglaublich schön«, stelle ich klar. »Mein Gesicht ist das nicht.« Ich bemerke den besorgten Ausdruck in den Mienen meines Teams. »Ihr müsst mir alle vertrauen.«
Rogelio erkennt, wie fest entschlossen ich bin, und seufzt laut auf. »Also schön«, gibt er nach. »Du bist der Boss.«
Ich drehe mich im Frisierstuhl um und schaue zu ihm hoch. »Es würde mir Zeit sparen, wenn du den Schmuck aus dem Safe holen könntest«, bitte ich. »Kommst du an dem Fingerabdruckscanner vorbei?«
»Sicher. Meine Männer haben das Ding eingebaut.«
»Ich werde ihm helfen«, erklärt Tovah. Die beiden machen sich auf den Weg.
Aus den Augenwinkeln bemerke ich eine Bewegung auf der anderen Seite des Raums. Von einer Lilie Blacklist ist aus unerklärlichem Grund eine bildschöne Blüte abgebrochen. Sie liegt unter dem Strauß auf dem Ankleidetisch, ihr Kelch genau auf mich gerichtet. Der grell orangerote Pollenstaub hat sich wie Blutspritzer über die glänzende Oberfläche verteilt. Ein dumpfer Knall am Fenster lässt mich zusammenschrecken. Salma flucht. An der Scheibe schlägt ein Vogel verzweifelt mit den Flügeln, sucht mit den Krallen nach Halt und rutscht dann nach unten weg.
»Heilige Mutter Gottes«, murmelt Salma und bekreuzigt sich.
Mir läuft ein Schauer über den Rücken.
»Geh und hilf Lacy!«, fordere ich sie rasch auf.
Sie presst eine Hand auf den Bauch, und für einen Moment ist das dort eintätowierte PANTERA nicht zu sehen. »Du bist meine Familie«, sagt sie. »Sollte dir irgendwas passieren, werde ich deinen Geist im Jenseits jagen, sobald ich tot bin, und ihn windelweich prügeln.«
Wir umarmen uns fest. Sie duftet nach Erdbeeren und Sekt. Ich höre sie schniefen, als sie mit schnellen Schritten das Zimmer verlässt.
Fast im selben Augenblick kehren Tovah und Rogelio zurück. »Wir wären so weit«, verkündet sie und tätschelt die Seite der bauchigen blauen Umhängetasche in ihrer Hand.
»Dann werde ich mich mal anziehen«, sage ich.
Sie reicht Rogelio die Tasche und folgt mir.
»Das schaffe ich auch alleine«, wehre ich ab.
»Aber nicht heute«, kontert sie. »Wenn heute etwas schiefläuft, wird nicht deine Kleidung daran schuld sein.«
Als wir fertig sind, betrachte ich mich im Spiegel. Die graue Hose mit dem navyblauen Streifen an der Seite ist weit geschnitten und hält nur dank der Hilfe eines schmalen schwarzen Ledergürtels. Die langärmlige durchgeknöpfte Bluse hat ein helleres Blaugrau und über der linken Brusttasche einen Aufnäher mit dem Bild eines Adlerkopfs. Auch dieses Teil ist viel zu groß, obwohl ich darunter eine Brustplatte aus Silikon trage, die mir den Anschein einer üppigeren Oberweite verleiht. Selbst mein Hintern ist aufgepolstert, und ich frage mich, wie ich im Auto darauf sitzen kann.
»In der Tasche findest du Kappe und Sonnenbrille«, erklärt sie. »Aufsetzen und nicht abnehmen!«
»Verstanden.«
Sie packt meine Unterarme. Meine bequemen schwarzen Laufschuhe sind so flach und ihre mörderischen High Heels so hoch, dass Tovah mir beinahe bis auf Augenhöhe reicht. »Ich erwarte, dass du dich meldest, sobald du in Sicherheit bist.«
»Versprochen«, sage ich. »Hör auf, dir Sorgen zu machen!«
Ihr ausdrucksstarker Mund zuckt, und mir ist klar, dass sie dagegen ankämpft, noch mehr einzuwenden. »In Ordnung«, erklärt sie endlich. »Also gut.«
Ich folge ihr aus dem Ankleideraum, halte aber auf der Schwelle inne, während sie im Flur verschwindet. Rogelio läuft im Zimmer auf und ab. Er bewegt sich wie jemand, der seinen Körper gelehrt hat, als Waffe zu funktionieren.
Ich verschränke die Arme vor der Brust, lehne mich an den Rahmen und beobachte ihn.
»Du siehst bescheuert aus«, sagt er.
»Ich fühle mich auch bescheuert.«
Er bleibt stehen und starrt mir eine Weile unverwandt in die Augen. Dann schnappt er die Tasche vom Bett und fragt: »Bereit?«
»Und wie.«