KAPITEL 5
DER ERSTE TAG
DIE DEUTSCHE BOTSCHAFT
Am nächsten Morgen verließen Max, Vicky und Ricky die Botschaft pünktlich um Viertel vor sieben in einer gepanzerten Limousine, um zum Anti-Terror-Sicherheitstraining zu fahren. Es war ein sonniger Tag, und es war für die Jahreszeit schon erheblich wärmer, als es in Berlin gewesen war. Max war gespannt darauf, was dieser erste Tag in der fremden Stadt bringen würde. Allein schon die dicken Lederpolster der Limo waren ein krasser Unterschied zu seinem gewöhnlichen Alltag, in dem er meistens mit dem Bus und manchmal mit der U-Bahn zur Schule gefahren war. Aber auch bereits das Aufwachen vor einer Dreiviertelstunde war auf ganz eigene Art für Max ähnlich merkwürdig verlaufen wie die letzten Tage, und er hatte sich mehr als einmal gefragt, ob er nicht vielleicht doch all das nur träumte oder vielleicht halluzinierte. Vielleicht lag er ja noch besinnungslos in dem uralten U-Bahn-Tunnel in Berlin und sein angeschlagener Geist machte ihm was vor.
Angefangen hatte der Morgen mit dem wohl außergewöhnlichsten Wecker seines Lebens: dem schmetternden Klang einer Trompete direkt an seinem Ohr!
Max hatte das Gefühl, als müsse ihm das Trommelfell platzen, und sprang vor Schreck aus dem Bett, als hätte man ihn herauskatapultiert. Er schaute sich benommen um.
Auf der anderen Seite des Bettes stand ein uralter rappeldünner Mann mit schütterem grauem Haar, einem Anzug mit Nadelstreifen und weißen Handschuhen. Er nahm die Trompete vom Mund, um sich förmlich zu verneigen und mit altersheiserer Stimme zu sagen: »Guten Morgen, Herr Ritter, es ist sechs Uhr morgens. Dies ist Ihr Weckruf.«
»M-Mein was?!«
»Ihr Weckruf, Herr Ritter«, sagte der alte Mann. »Es ist Punkt sechs Uhr in der Früh.«
»Äh … Ich nehme an, Sie sind Emil, der Butler?«
Der Alte verneigte sich noch einmal förmlich. »Zu Ihren Diensten, Herr Ritter. Allerdings bevorzuge ich die korrekte Bezeichnung meiner Position: ›Adjutant‹, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»N-Natürlich. Entschuldigen Sie bitte, Herr Adjutant.«
»Schon in Ordnung«, sagte Emil. »Und wenn Sie sich jetzt sputen würden. Die Familie derer von Lausitz erwartet Sie in exakt zehn Minuten zum Frühstück im Esszimmer am Ende des Flures. Ihre Trainingskleidung habe ich für Sie bereitgelegt.«
Er deutete mit der Hand auf einen Stuhl nahe beim Bett. »Ich wünsche einen angenehmen Tag.«
Damit verneigte er sich ein drittes Mal und verließ rasch das Zimmer.
Max stand völlig verdattert da und sah ihm nach. Die Ohren klingelten ihm noch ganz schön nach vom Stoß der Trompete. Er schüttelte ungläubig den Kopf. War er eben wirklich von einer Trompete geweckt worden? Von einem Mann im Nadelstreifenanzug mit weißen Handschuhen? Das war so absurd, dass es wohl wahr sein musste. Sowas kann man sich nicht ausdenken oder einbilden.
Dann erst fiel Max auf, was der Adjutant gesagt hatte: zehn Minuten!
Zehn Minuten?!?
Verdammt! Wie soll man in zehn Minuten wach werden, duschen, den Verband anlegen, Zähne putzen und sich anziehen?, dachte er benebelt und blinzelte müde mit bleischweren Augen.
Max war mit Leib und Seele Morgenmuffel und brauchte in der Regel mindestens eine Stunde, um nach dem Aufwachen einigermaßen in die Gänge zu kommen. Aber er wollte auch keinen schlechten Eindruck auf die Familie des Botschafters und vor allem nicht auf Vicky machen, daher hastete er los.
Er stolperte über die Ecke des Bettes und legte sich erstmal der Länge nach auf die Nase. Volle Kanne! Er war dankbar, dass der Teppich seiner Suite so weich war. Er rappelte sich vom Boden auf und biss die Zähne zusammen gegen den Schmerz in den Rippen. Dann wickelte er den Tapeverband ab und rannte hinüber ins Bad.
Das Badezimmer war angenehm und wohlig warm – ganz anders als bei Max zu Hause in Berlin, wo seine Mutter auch im ärgsten Winter niemals geheizt hatte, um Heizkosten zu sparen.
Max sprang unter die Dusche, schaltete sie an – und sprang im nächsten Moment wieder im hohen Bogen rückwärts raus.
Vor lauter Müdigkeit hatte er übersehen, dass die Mischbatterie auf ›kalt‹ gestellt war. Er hatte die volle Ladung nicht nur aus der Brause von oben, sondern auch aus den sechs Düsen an den Seiten abbekommen.
Schlagartig war er hellwach und zitterte wie Espenlaub. Er langte mit der Hand zur Armatur, stellte das Wasser wärmer und die Seitendüsen aus. Dann erst ging er wieder in die Kabine. So schnell er konnte, seifte er sich gründlich ein, brauste sich ab und frottierte sich eilig trocken. Nachdem er zwei frische Verbände angelegt und die Zähne geputzt hatte, lief er zurück ins Schlafzimmer zum Stuhl mit den Klamotten.
Max stutzte, als er sah, was Emil an Anziehsachen darauf gelegt hatte. Es war ein Anzug mit Hemd und Krawatte.
Das war Trainingskleidung?
Vor dem Stuhl stand ein Paar blank polierter schwarzer Lederschuhe.
Max zog alles an. Mit der Krawatte hatte er ein bisschen Schwierigkeiten, schaffte es aber letztendlich, sie einigermaßen ordentlich zu binden. Anschließend betrachtete er sich im Spiegel. Er war nicht sicher, ob er sich in dem Aufzug affig oder viel eher geradezu stylisch finden sollte.
Auf jeden Fall war er wesentlich bequemer, als er gedacht hätte.
Max sah auf die Uhr – noch eine Minute. Eilig rannte er aus dem Zimmer und den Flur entlang ins Esszimmer. Dort wartete bereits die gesamte Familie von Lausitz an einer langen Tafel sitzend. Sie alle waren geschniegelt und gestriegelt. Wie aus dem Ei gepellt.
Der Botschafter saß am hinteren Kopfende, links von ihm Ricky, rechts Vicky.
Neben Ricky saß eine Frau, die vom Alter her unmöglich die Mutter der Zwillinge sein konnte. Dafür war sie um einiges zu jung.
»Guten Morgen, Max«, begrüßte Freiherr von Lausitz ihn, und sowohl er als auch Ricky erhoben sich von ihren Stühlen und deuteten eine kurze Verbeugung an.
Weil er nicht wusste, wie er wohl am besten reagieren sollte, erwiderte Max die Verbeugung sicherheitshalber auf die genau gleiche Weise.
»Wenn ich dir meine Gattin vorstellen darf«, sagte der Botschafter und deutete mit einer höflichen Geste zu der Frau neben Ricky. »Katharina von Lausitz. Ihr seid einander noch nicht begegnet.«
Er und sein Sohn setzten sich wieder und frühstückten weiter.
Max ging um den Tisch herum und reichte der Frau des Botschafters die Hand. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte sie mit einem Lächeln, das Max nicht zuordnen konnte. Es schien ihm mehr einstudiert als herzlich. »Willkommen in unserem Zuhause.«
»Komm, setz dich neben mich«, sagte Vicky. Statt eines Anzugs wie Max und Ricky trug sie ein Kostüm aus dem gleichen Material und in den gleichen Farben.
Der Platz neben ihr war mit feinstem Tafelsilber und Porzellan gedeckt. Max saß noch nicht richtig, da kam aus dem Nachbarraum auch schon Adjutant Emil. Er trug jetzt eine Ordonanz-Uniform.
»Nehmen Sie zu Ihrem Frühstück lieber Kaffee oder Tee, Herr Ritter?«, fragte er Max.
»Äh, Kaffee wäre toll.«
Während der alte Mann eine Kanne vom Büfett an der Wand holte und Max Kaffee einschenkte, flüsterte Vicky Max ins Ohr: »Guten Morgen, mein Lieber. Schicker Anzug. Steht dir gut.«
Max wurde rot. Das schien jetzt eine Art Regelmäßigkeit zu werden, wann immer er mit Vicky zusammen war.
Ehe er sich für Vickys Kompliment bedanken und es angemessen erwidern konnte, fragte ihn Adjutant Emil: »Wie wünschen Sie Ihre Frühstückseier, Herr Ritter?«
»Äh, wie bitte?«, fragte Max. Er war von der Situation völlig überfordert.
»Emil möchte wissen, ob du lieber Rührei, Spiegelei oder ein gekochtes Ei haben möchtest«, raunte Vicky ihm mit einem Schmunzeln zu. »Und wenn du ›gekocht‹ sagst, fragt er dich, ob du es wachsweich haben möchtest, halb hart oder ganz hart.«
»Nein danke, gar kein Ei«, sagte Max zu Emil, und kam sich dabei ein bisschen vor wie ein Höhlenmensch. »Kaffee ist erst einmal völlig genug. Ich kann so früh noch nichts essen.«
»Wie Sie wünschen, Herr Ritter«, sagte Emil und zog sich mit einer Verbeugung und schlurfenden Schritten wieder zurück.
»Du musst etwas essen, Max!«, sagte Katharina von Lausitz überraschend herrisch.
Das war der Moment, in dem Max entschied, dass er sie nicht mochte. Er wusste, es war nur ein Impuls, aber er hasste es, wenn Menschen versuchten, ihm etwas aufzudrängen … oder ihn zu bevormunden.
Doch ehe er gereizt antworten konnte, dass sie es ganz beruhigt ihm allein überlassen könnte, ob er etwas frühstückte oder nicht, sagte Vicky: »Meine Stiefmutter hat recht, Max. Wir haben heute einen verdammt langen Tag vor uns. Ein bisschen was im Bauch zu haben, kann nicht schaden.«
Max’ Gereiztheit war schlagartig verschwunden. So sehr sie ihn auch durcheinanderbringen konnte, so sehr hatte Vicky gleichermaßen eine äußerst beruhigende Wirkung auf ihn.
»Na gut«, sagte er und nahm sich von einem Tablett in der Tischmitte ein Hörnchen. Er bestrich es mit Butter und aß es zu seinem Kaffee.
»Na Max, hast du gut geschlafen in deinem neuen Bett?«, fragte der Botschafter zwischen zwei Bissen von seinem mit dunkler Marmelade bestrichenen Toast.
Max gab mit noch halb vollem Mund unwillkürlich ein wohliges Seufzen von sich. Er beeilte sich zu schlucken, ehe er antwortete: »Wie ein Baby.«
»Siehst du«, sagte Vicky. »Habe ich dir gestern versprochen. Wahnsinnig bequem, oder?«
Max nickte. »Total.«
»Und bist du schon nervös wegen des Unterrichts nachher?«, fragte Freiherr von Lausitz.
»Ich bin vor allem auf das Training gespannt«, gab Max zu.
Das Gesicht des Botschafters wurde finster. »Das Anti-Terror-Training ist leider eine bedauernswerte Notwendigkeit. Aber es ist besser, auf alle möglichen Eventualitäten vorbereitet zu sein. Ganz besonders in der aktuellen Situation.«
Max nickte. »Harutaka Ishido wird mich nie wieder so kalt erwischen wie in Berlin. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen …«
»Stopp!«, unterbrach ihn der Botschafter. »Das Training ist nicht dazu da, dich auf einen Kampf mit Ishido vorzubereiten, Max.«
»Ist es nicht?«
»Nein, ist es nicht. Ganz gewiss nicht.« Der Botschafter sah Max fest in die Augen. »Hör mir gut zu, Max. Und auch ihr beiden, Viktoria und Richard: Das Training dient lediglich dazu, euch zu helfen, euch bei einem möglichen Angriff lange genug zu verteidigen, bis ihr euch in Sicherheit bringen könnt. Ihr dürft auf keinen Fall vergessen, Harutaka Ishido ist ein kaltblütiger Killer. Er ist nicht nur im Umgang mit allen möglichen Waffen ausgebildet, sondern auch im Nahkampf. Hast du je etwas von Ninjas gehört, Max? Ich meine, so wie man sie in Filmen darstellt?«
»Ja, natürlich«, sagte Max.
»Gut«, sagte der Botschafter. »Diese Ninjas sind nämlich keine reinen Ausgeburten der Fantasie Hollywoods. Es gibt sie wirklich. Seit Jahrhunderten schon. Sie sind die am besten trainierten Killer der Welt, und Harutaka Ishido ist noch zehnmal tödlicher als jeder Ninja. Also, solltest du ihm tatsächlich noch einmal begegnen, siehst du bitte zu, dass du so schnell wie möglich Land gewinnst. Auf gar keinen Fall wirst du ihn konfrontieren oder den Kampf mit ihm suchen. Versprich mir das, Max.«
Max wusste nicht, wie er reagieren sollte. Wie es ihn eben bei der Frau des Botschafters gestört hatte, störte es ihn jetzt genauso sehr, dass von Lausitz ihm Vorschriften machen wollte. Zugleich aber sah er die echte und tiefe Besorgnis im Blick des Mannes.
»In Ordnung«, sagte Max daher – aber auch, um das Thema zu beenden. »Ich verspreche es.«
Der Botschafter sah ihn lange und eindringlich an. Es war klar, dass er nicht einschätzen konnte, ob Max es ernst meinte oder nicht.
Max hielt seinem Blick stand.
Es war Vicky, die die unangenehme Stille am Tisch unterbrach.
»Wir müssen uns mit dem Frühstück beeilen«, sagte sie. »Die Limousine steht zur Abfahrt bereit, und Frommholz – ich meine natürlich Hauptmann Frommholz – wird ganz schön nervös, wenn wir seinen bis auf die letzte Minute und ins kleinste Detail ausgeklügelten Geheimwegfahrplan durcheinanderbringen.«
»Geheimwegfahrplan?«, fragte Max neugierig.
»Ja«, antwortete Ricky anstelle seiner Schwester. Schon seit Max nach dem Überfall in Berlin bei ihnen zu Hause aufgetaucht war, war nichts mehr von seiner noch am Friedhof zu Tage getragenen Hochnäsigkeit gegenüber Max zu spüren gewesen. Er hatte sich inzwischen schon mindestens zehn Mal bei Max dafür bedankt, dass er ihm bei dem Attentat das Leben gerettet hatte. »Hauptmann Frommholz berechnet jeden einzelnen Tag eine neue Route von der Botschaft zum Training.«
»Warum?«, fragte Max.
»Damit Terroristen nicht vorher wissen, wann wir wo sein werden«, erklärte Ricky.
»Das macht es für mögliche Attentäter schwieriger, euch auf dem Weg aufzulauern und abzufangen«, fügte der Botschafter hinzu. »Eine altbewährte Vorsichtsmaßnahme gegen Überraschungsangriffe und Hinterhalte.«
Einige Minuten später dann saßen die drei auf die Sekunde pünktlich in der gepanzerten Limousine und fuhren vom Gelände der Botschaft.
Der hintere Teil des Wageninneren bestand aus zwei gegenüberliegenden Rücksitzbänken. Max saß neben Ricky, Vicky saß ihnen gegenüber. Vom Chauffeur und dem Bodyguard auf dem Beifahrersitz trennte sie eine getönte Scheibe. Durch einen Lautsprecher ertönte die Meldung: »Wir erreichen das Trainingsgelände in exakt dreizehn Minuten. Bitte halten Sie sich bereit, den Weg vom Wagen zum Gebäude gewohnt zügig zurückzulegen.«
»Verstanden«, antwortete Ricky in ein Mikrofon in der Wagendecke.
Max sah sich im Wageninnern um. Trotz aller Bequemlichkeit fühlte er sich wie in einem Panzer.
»So abgesichert und reglementiert zu reisen ist aber ein verdammt hoher Preis, den ihr für den Luxus bezahlen müsst«, sagte er zu Vicky.
Zu seiner Überraschung sah er, wie ihre Miene mit einem Mal zu Stein wurde.
»So siehst du das?«, fragte sie unerwartet scharf. »Du bist also der Meinung, es geht meiner Familie um Luxus und Wohlstand, und dafür nehmen wir ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf, wie etwa Entführungs- oder Mordversuche? Ist das dein Ernst?«
»So ist es doch auch, oder?«, sagte Max und hätte sich im nächsten Moment, als Vickys Augen sich zu wütenden Schlitzen verengten, am liebsten mal wieder im Nachhinein auf die Zunge gebissen.
»Du bist ein Idiot!«, sagte sie barsch, verschränkte die Arme vor der Brust, kniff die Lippen zusammen und schaute zur Seite weg aus dem Fenster, ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.
»Habe ich was Falsches gesagt?«, fragte Max schuldbewusst, doch Vicky reagierte nicht mehr. Sie tat so, als wäre er gar nicht da.
Max sah Ricky Hilfe suchend an. »Was habe ich Falsches gesagt, Mann?«
Ricky räusperte sich. »Du bist in ein Fettnäpfchen getreten, Max. Oder vielmehr bist du mitten hineingesprungen. Mit beiden Füßen – und ganz viel Schwung.«
»Wieso?«
»Du musst verstehen, die meisten denken so wie du«, sagte Ricky. »Sie sind der Ansicht, dass es Leuten wie meinem Vater um Macht, Ansehen und Wohlstand geht. Um eine nette Villa, Dienstwagen, Personal und den ganzen Kram. Und sie denken, es ist ihnen egal, wie hoch der Preis ist, den sie und ihre Familien dafür bezahlen müssen. Aber sieh es mal anders, Max. Im Grunde genommen ist es genau umgekehrt. Leute wie mein Vater – Männer wie Frauen – dienen ihrem Land und vor allem den Bürgern ihres Landes. Für viele klingt das nur wie ein dahergesagter Spruch, aber sie kümmern sich tatsächlich um deren Freiheit und ihre Sicherheit. Dafür setzen sie sich unermüdlich ein, Tag für Tag. Dafür kämpfen sie. Das macht sie für Gruppierungen mit entgegengesetzten Interessen zu Gegnern, ja zu Feinden … und damit sie und ihre Angehörigen zu Zielscheiben für Anschläge. Diese ständige Gefahr ist also der Preis, den man dafür zahlt, das zu tun, was man für das Richtige hält. Der damit verbundene Luxus ist lediglich oberflächlich … Und glaub mir, er ist nur ein schwacher Trost.«
»Aber warum tut euer Vater, was er tut, wenn er euch damit in Gefahr bringt?«, fragte Max.
»Wie kannst du sowas nur fragen?«, rief Vicky aufbegehrend, ohne ihn anzuschauen. »Er hat dir doch in Berlin vom CAPDM erzählt!«
»Du meinst vom Komitee gegen die Produktion und Verbreitung von Methamphetamin?«, fragte Max, nur um sicherzugehen.
»Genau dem!«, antwortete sie. »Er versucht, Leben zu retten, Max. Nicht ein paar, auch nicht ein paar Dutzend oder ein paar Hundert. Hast du überhaupt eine Vorstellung, wie viele Menschen jedes Jahr elendig an diesem scheiß Crystal Meth krepieren? Wie viele Leben sie dabei auch noch nebenbei ruinieren durch Beschaffungskriminalität und durch die Vernachlässigung ihrer Familie und Kinder? Hier geht es um Hunderttausende, Max. Manche sagen sogar Millionen. Jedes Jahr, verstehst du? Das ist es, wogegen mein Vater und Leute wie er kämpfen. Was, wenn jeder die Augen verschließen und untätig bleiben würde, nur um seine Familie nicht in Gefahr zu bringen? Was, wenn jeder so denken würde? Die Welt würde im Chaos versinken, und dann wären wir verdammt noch mal noch weniger sicher als jetzt schon.«
Max fühlte sich schlecht wegen dem, was er am Anfang gesagt hatte, und wollte sich entschuldigen. »Es tut mir –«
»Ach, halt die Klappe!«, unterbrach Vicky ihn sauer. Er sah von der Seite, dass eine Träne über ihre Wange rollte.
»Wir sind da«, erklang die Stimme des Chauffeurs aus dem Lautsprecher. »Ausstieg linke Seite. Bereithalten!«
Noch ehe der Bodyguard die linke Seite erreichen konnte, hatte Vicky bereits die Tür geöffnet, sprang heraus und lief davon. Max sah ihr verdattert hinterher.
»Autsch!«, sagte Ricky. »So wütend habe ich sie schon lang nicht mehr erlebt. Wie ich sie kenne, wird sie dir das so schnell nicht verzeihen.«
Max ahnte, dass Ricky recht behalten würde.