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Das ablaufende Seewasser gefror auf dem Blech des Käfer und überzog meinen Grauen wie eine Zuckerglasur.
Langsam ging ich auf den Wagen zu, dessen Türen geschlossen waren und in dessen vorderer Stoßstange sich Zweige und Gestrüpp verfangen hatten. Nasses Schilf, Blätter und dunkler Moder bedeckten die Räder; von den schönen Chromfelgen, die ich im Frühjahr immer mit der Hand auf Hochglanz polierte, war nichts mehr zu sehen. Im kommenden Frühjahr würde ich eine Menge zu putzen haben.
Aufgrund der Eisschicht, die sich unmittelbar nach dem Auftauchen auch auf den Scheiben gebildet hatte, konnte ich nicht ins Innere des Wagens spähen. Was trotz des Scheinwerferlichts des Unimog ohnehin schwierig gewesen wäre.
Ich streckte meine Hand nach dem Türgriff aus, auf dem ebenfalls Schlamm klebte. Wenige Millimeter über dem Griff verharrte ich in der Bewegung und zögerte.
Was würde ich in meinem Wagen finden – die Leiche des Autodiebs und mutmaßlichen Mörders des Schrankenwärters, auf dem Rücksitz ein nasses, lebloses Fellbündel … Motte?
Ich atmete tief ein und öffnete langsam die Tür. Ein Schwall morastigen Seewassers schwappte aus dem Käfer und klatschte
mir auf die Stiefel, was ich nicht beachtete. Meine ganze Konzentration galt dem im Zwielicht liegenden Innenraum des Wagens. Vorsichtig reckte ich den Hals und beugte mich vor. Fahrersitz und Beifahrersitz waren leer. Das war schon mal gut, keine fremde Leiche im Auto. Nun aber das Wichtigste – was fand ich auf dem Rücksitz?
Im Widerschein der Scheinwerfer des Unimogs konnte ich sehen, dass etwas Dunkles auf dem Rücksitz lag. Mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich die Hand zur Rückbank ausstreckte. Ich atmete scharf ein, als meine Fingerspitzen etwas kaltes, nasses Wolliges ertasteten. Ich fuhr über das nasse Ding, das quer über dem Sitz lag.
»Die Wolldecke«, stieß ich erleichtert hervor, als ich meine Finger in die Wolle krallte und erkannte, dass es sich keinesfalls um das Fell von Motte handelte, das ich in der Hand hielt.
Auch wenn Motte nicht auf dem Rücksitz lag, konnte er sich trotzdem im Innenraum befinden: hinterm Rücksitz in der schmalen Kofferablage oder im Fußraum.
Schnell beugte ich mich in den Innenraum und löste mit geübten Handgriffen die Arretierungen des Verdecks. Mit beiden Händen klappte ich das Verdeck des Cabrios nach hinten, das durch Nässe und Eis deutlich schwerer als gewohnt war, und beugte mich über den jetzt offen vor mir liegenden Innenraum des Käfer.
»Und?« Hinter mir ließ Dieter seine Taschenlampe aufleuchten; er richtete den hellen Strahl ins Wageninnere. »Liegt jemand drinnen?«
Der Fußraum war ebenso leer wie die schmale Kofferablage.
Motte befand sich nicht im Auto.
Erleichtert atmete ich tief aus.
»Nein«, schnaufte ich erschöpft. »Er ist nicht im Auto gewesen.«
»Vielleicht rausgeschwemmt worden …«, überlegte Dieter pragmatisch und richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf die Beifahrertür.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Beide Türen waren geschlossen, als du den Wagen rausgezogen hast. Sie können auch nicht durch das Abschleppen zugeklappt sein, weil der Wagen mit dem Heck voran aus dem Wasser gezogen wurde.«
»Stimmt. Geht nicht.« Dieter fuhr sich nachdenklich über sein bartstoppeliges Kinn, während er den Wagen musterte. »Aber wo ist denn dann dein Hund?«
»Das frage ich mich auch.« Ungeduldig trommelte ich mit den Fingern auf die Kopfstütze.
»Jetzt lass uns mal zurück zum Haus gehen«, schlug Dieter vor. »Es ist kalt hier draußen. Deinen Wagen nehmen wir mit.«
Ich war froh, dass Dieter den Vorschlag gemacht hatte, denn da ich seine Hilfsbereitschaft schon seit Stunden strapazierte, hätte ich ihn nicht auch noch darum bitten wollen, meinen Wagen in der Kälte abzuschleppen.
Während ich mich vergewisserte, dass die Handbremse nicht angezogen und kein Gang eingelegt war, kletterte Dieter bereits wieder in den Unimog.
»Ich fahr einfach rückwärts«, rief er mir zu. »Dann brauchen wir nicht groß zu rangieren.«
Ich reckte den Arm, um ihm zu signalisieren, dass ich ihn verstanden und keine Einwände hatte.
Es war eine merkwürdige Prozession, die durch die Heilige Nacht mitten im tief verschneiten Ostfriesland zog: Dieter mit seinem offenen Unimog, rückwärts fahrend und ein triefend nasses Oldtimer-Cabrio mit ebenfalls offenem Verdeck ziehend. Und zuletzt ich, der mit der brusthohen Wathose, in die ich der Einfachheit halber wieder gestiegen war, und Tillmanns Polarmütze auf dem Kopf auch kein alltägliches Bild abgab.
Da es bis zu Dieters Anwesen nur ein paar Hundert Meter waren, brauchten wir nicht sonderlich lange in der Kälte zu frieren. Dieter fuhr dicht an die Scheune heran. Ich beschleunigte meine Schritte und überholte das Gespann, um beide Torflügel zu öffnen, sodass der Unimog mit dem Käfer im Schlepptau ins Innere rollen konnte.
»So, das hätten wir geschafft.« Ächzend kletterte Dieter vom Fahrersitz. »Jetzt nichts wie rein in die warme Stube und erst mal einen strammen Grog.«
»Du, Dieter …«, begann ich, wurde aber gleich von ihm unterbrochen.
»Bitte jetzt keine Dankesreden. Ich habe nur getan, was getan werden musste.«
»Du hast viel mehr getan«, widersprach ich.
»Kann dich ja schlecht da draußen erfrieren lassen«, grummelte er und wandte sich ab, um zum Tor zu humpeln.
»Danke«, sagte ich so leise, dass er mich nicht hören konnte, und warf einen letzten Blick auf meinen Käfer, der einen traurigen Anblick bot, bevor ich meinem Retter ins Haus folgte.
Zwei doppelte Grogs später nahm ich Dieters Angebot gern an, in einem der leer stehenden Zimmer zu übernachten, die Dieter während der Saison seinen Saisonkräften zur Verfügung stellte. Kaum dass mein Kopf das Kopfkissen berührte, war ich auch schon eingeschlafen.
In dieser Restnacht schlief ich schlecht. Unruhig wälzte ich mich von einer Seite auf die andere und wachte nach kurzer Zeit wieder auf. Mir brummte der Schädel, und ich fühlte mich durchgefroren, trotz der doppelten Wolldecken, mit denen Dieter mich versorgt hatte. Meine Glieder schienen mit Schnellbeton ausgegossen zu sein, und als ich probeweise die Knie anzog, protestierten meine Gelenke mit lautem Knacken.
Ächzend wälzte ich mich hoch und setzte mich auf die Bettkante. Trübsinnig sah ich zum Fenster hinüber, hinter dem
es um diese Zeit, kurz nach halb sieben, natürlich noch immer dunkel war.
Mein Blick aufs Handy zeigte mir außer der Uhrzeit diverse Nachrichten und Weihnachtsgrüße: Uz hatte mehrfach angerufen und mir in einer Kurznachricht knapp mitgeteilt, dass ich mich wie ein Idiot benehme und er sich auf die Suche nach mir machen wolle, wenn ich mich nicht in der nächsten halben Stunde bei ihm melden werde. Die Nachricht war bereits mehrere Stunden alt. Holli hatte mir eine Sprachnachricht hinterlassen, und auch Greta, die Chefin vom »Rettungsschuppen« in Greetsiel, hatte mir eine Nachricht hinterlassen. Sogar Traute und der kleine Klugscheißer Leif hatten mir per Messenger Weihnachtsgrüße übermittelt.
Ohne weiterzulesen, klappte ich die Hülle meines Handys zu. Es war total rührend, dass meine Freunde an mich dachten, aber ich konnte ihre Nachrichten nicht lesen und auch nicht anhören. Zu sehr hatte ich mich in den letzten Monaten in mich zurückgezogen und mich allen gut gemeinten Bemühungen meiner Freunde, sich um mich zu kümmern, entzogen. Ich wusste, dass sie sich um mich sorgten und mir helfen wollten, über Annas Tod hinwegzukommen, aber ich ertrug ihre Anteilnahme und Fürsorge nicht.
Im Moment sowieso nicht, denn mich interessierte nur die eine Frage: Wo war Motte?
Mit beiden Händen fuhr ich mir durchs Gesicht und versuchte, meine Gedanken zu ordnen, was mir zu dieser frühen Morgenstunde aber nicht so recht gelang. Also gab ich den Versuch, Klarheit in meine Gedanken zu bringen, für den Moment auf und schlurfte ins angrenzende Minibad, wo ich mir ein paar Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht warf und mir mit einer Einmalzahnbürste, die ich im Spiegelschrank fand, den noch vorhandenen süßlichen Groggeschmack von den Zähnen putzte.
Obwohl ich meine Morgentoilette angesichts der Umstände auf eine Katzenwäsche beschränkte, fühlte ich mich etwas frischer, als ich das Zimmer verließ und im Dunklen die Treppe hinunterstieg.
Meine Rücksichtnahme war nett, aber überflüssig, denn Dieter stand bereits im Bademantel in der Küche und füllte Wasser in die Kaffeemaschine.
»Moin.«
»Moin.«
»Tee?«
»Jo.«
Unsere morgendliche Begrüßung verlief recht einsilbig, was für ostfriesische Verhältnisse aber durchaus nicht ungewöhnlich war. Wieso sollte man so früh am Morgen darüber quaken, ob und wie gut oder wie schlecht man geschlafen hatte oder was es Neues in der Welt gab?
Dafür bestand vor dem ersten Tee überhaupt kein Grund.
Wortlos setzte ich mich auf das rote Sofa und stierte so lange stumm auf die Tischplatte, bis Dieter Stövchen, Teekanne, zwei Teepötte, ein Kännchen Sahne und eine Packung Kluntjes auf den Tisch stellte.
Ebenso schweigend setzte er sich mir gegenüber und ließ dampfenden Tee aus der dickbauchigen Teekanne in meinen Becher laufen, der das Stück Kluntje, das ich vorher auf den Boden der Tasse gelegt hatte, laut knistern ließ.
Ich bedankte mich mit einem kurzen Nicken und griff nach dem Sahnelöffel, mit dessen Hilfe ich die frische Sahne am inneren Tassenrand in die Tasse laufen ließ, woraufhin die typischen Sahnewölkchen, die einen guten Ostfriesentee ausmachen, vom Grund der Tasse aufstiegen.
Dieter folgte ebenso wortkarg wie ich dem ostfriesischen Teeritual.
Nach dem dritten Pott Tee löschte Dieter das Teelicht im Stövchen und sah mich an. »Was ist dein Plan für heute?«
»Ich will meinen Hund finden«, gab ich zur Antwort.
Dieter schob einen dicken Finger in sein rechtes Ohr und kratzte sich ausgiebig. »Versteh ich.« Bedächtig nickte er, noch immer den Finger im Ohr. »Würde ich auch so machen. Du kannst den Unimog haben.«
Überrascht sah ich von dem leeren Teepott hoch. »Ich kann was?« Ungläubig sah ich ihn an.
»Du kannst den Unimog benutzen«, wiederholte er und sah mich an, als sei ich begriffsstutzig.
»Aber …«
»Was aber?« Jetzt hob auch Dieter den Kopf und sah mich an. »Willst du lieber zu Fuß die Gegend absuchen?«
Langsam schüttelte ich den Kopf, denn die Vorstellung, bei den noch immer herrschenden Minustemperaturen durch die Schneelandschaft stapfen zu müssen, war nicht sehr verlockend.
»Also«, verkündete Dieter in einem Ton, der von vornherein Gegenargumente ausschloss, »du nimmst den Unimog, und wenn du deinen Hund gefunden hast, bringst du ihn wieder zurück. Falls Reparaturen anfallen, übernimmst du die Kosten.«
»Mensch, Dieter, das ist großartig. Tausend Dank! Du hast was gut bei mir«, sagte ich begeistert, denn dank Dieters großzügigem und absolut nicht selbstverständlichem Angebot musste ich nicht durch die ostfriesische Schneewüste stapfen. Zu Fuß hätte ich meine Suche sicherlich bereits nach kurzer Zeit abbrechen müssen. Mit Dieters Unimog hingegen stiegen meine Aussichten deutlich an, Spuren von Motte und vielleicht sogar ihn selber zu finden.
Nachdem wir das Thema geklärt hatten, stellte sich Dieter zurück an den Herd, wo er uns in kürzester Zeit Schinken, Rührei und ein paar deftige Würstchen zubereitete. Erst als der Schinken in der großen gusseisernen Pfanne anbriet und einen
köstlichen Duft verbreitete, merkte ich, wie ausgehungert ich war.
Hungrig machte ich mich über die Riesenportion Ei mit Schinken her, die Dieter vor mich auf den Tisch stellte. Er füllte sich ebenfalls einen großen Teller und leistete mir leise schmatzend Gesellschaft, bis wir unsere Teller leer geschaufelt hatten und das Frühstück mit einem letzten Becher Tee beendeten.
Nach dem deftig-üppigen Frühstück fühlte ich mich reif für ein Nickerchen auf dem Sofa und musste mich mit Gewalt hochstemmen, bevor ich dort im Sitzen einschlief.
»Bring mir den Wagen heil zurück«, ermahnte Dieter mich in der Diele, nachdem ich mich mit dicker Jacke, Tillmanns Mütze und Handschuhen ausstaffiert hatte.
Ich versicherte ihm, dass er sich um seinen Unimog keine Gedanken zu machen brauchte und ich den Allrader wohlbehalten zurückbringen würde, dann machte ich mich auf die Suche nach Motte.
Langsam rollte ich mit dem Unimog den Weg entlang, der zum See führte. Auch jetzt fuhr ich ohne Hardtop, was aber gar nicht so schlecht war. Denn meine Müdigkeit war in dem Moment verflogen, als mir der kalte Fahrtwind ins Gesicht wehte.
»Tausche Fressnarkose gegen Kältetod«, brummelte ich vor mich hin, während ich den Unimog in die Richtung lenkte, aus der ich am Vorabend gekommen war.
Zwar war es an diesem kalten ersten Weihnachtstag wolkenlos, aber dennoch ziemlich trübe. Die Sonne wollte sich einfach nicht sehen lassen. Ich musste mich sehr konzentrieren, während ich die Umgebung links und rechts der Straße absuchte. Ich fuhr die Gegend nicht linear ab, sondern zog dank des genialen Allraders immer größer werdende Kreise von der Stelle aus, an der wir in der vergangenen Nacht den Käfer aus dem See gezogen hatten.
Etwa achtzig Meter vom Bergungsort entfernt fand ich plötzlich Schleifspuren im Schnee.
»Na also!«, rief ich grimmig, als ich endlich die ersten Hinweise fand, die mich auf die vermutete Fährte des Unbekannten brachten.
Ich ließ den Unimog im Leerlauf laufen, bevor ich vom Fahrersitz rutschte, um mir die Spuren aus der Nähe anzuschauen.
Es handelte sich um fächerartige Schleifspuren im Schnee, die bei aufkommendem Wind oder auch schon bei leichtem Schneefall unsichtbar werden würden.
»Da hat sich jemand große Mühe gegeben, seine Fußspuren zu verwischen«, knurrte ich.
Wahrscheinlich hatte der Unbekannte, auf dessen Fährte ich war, einen fächerartigen Ast mit vielen kleinen Zweigen daran benutzt, um wie mit einem Reisigbesen die Trittlöcher hinter sich unkenntlich zu machen – wobei ich keine Sekunde daran zweifelte, dass es sich bei dem Spurenverwischer um denselben Unbekannten handelte, der meinen Käfer in den See gefahren hatte.
Die Breite der Schleifspuren ließ mich vermuten, dass hier jemand nicht nur eine Spur verschwinden lassen wollte, sondern zwei.
Motte!
Mein Herz schlug vor Aufregung gleich ein paar Takte schneller.
Wenn der Unbekannte Motte angeleint hatte, damit der Dicke ihm folgte, hätte das die Breite der Schleifspur erklärt.
Aufgeregt kletterte ich zurück auf den Fahrersitz und legte einen Gang ein. Ruckelnd setzte sich der Unimog in Bewegung. Im Schritttempo folgte ich der Straße. Auch hier hatte der Unbekannte kontinuierlich seine Spuren verwischt. Aber nur so weit, bis ich ein Wäldchen hinter mir gelassen hatte. Kaum
waren Sträucher und Bäume verschwunden, gab es auch keine Spuren im Schnee mehr.
Die verschneite Fahrbahn lag vollkommen unberührt vor mir, weder Abdrücke von Füßen oder Pfoten noch Schleifspuren waren auszumachen. Denn an dieser Stelle der Landstraße strich der Wind ungehindert über Felder und Äcker und verwehte alle Hinterlassenschaften im Schnee.
Da ich mir nicht vorstellen konnte, dass der Unbekannte mit Motte im Schlepptau querfeldein über die verschneiten Felder gestiefelt war, tippte ich auf Weitermarsch auf der vor mir liegenden Landstraße. Ich war mir sicher, dass der mutmaßliche Mörder den Wind genutzt hatte, um seine Spuren zu verwischen.
Also folgte ich der schmalen Landstraße.
Nicht genug damit, dass es heute scheinbar gar nicht richtig hell werden wollte, hatten sich in der letzten halben Stunde zudem neue dicke Schneewolken am Himmel gebildet, die zusätzlich Tageslicht schluckten. Bei diesen Lichtverhältnissen hatte ich Mühe, von der Mitte der Fahrbahn aus den Straßenrand zu kontrollieren, ob irgendwo wieder Spuren auftauchten. Bereits nach ein paar Minuten tränten mir die Augen vor Anstrengung. Ich wischte mir mit dem Jackenärmel über die Augen und strengte mich noch mehr an.
Dann, nach ein paar Hundert Metern, entdeckte ich tatsächlich links der Straße Abdrücke im Schnee.
Kräftig trat ich auf die Bremse.
Abrupt blieb der Unimog stehen, sodass ich mit dem Brustkorb gegen das schmale Lenkrad prallte.
Ich gab einen unwilligen Schmerzenslaut von mir. Obwohl mir durch den unfreiwilligen Aufprall für einen Moment die Luft wegblieb, schwang ich schon die Beine aus dem Führerhaus und stapfte, so schnell ich konnte, durch den Schnee, um mir die Abdrücke anzusehen.
»Na, wer sagt’s denn!«, stellte ich mit großer Erleichterung fest, als die Spuren im Schnee meine Vermutung bestätigten – meine Stoßgebete waren offenbar erhört worden: Neben den Abdrücken von Stiefeln erkannte ich Mottes wohlvertraute Pfotenabdrücke.
Ich ging in die Hocke und sah mir die Stiefelabdrücke genauer an, die mir für einen Mann recht klein erschienen.
Okay, es gibt auch Männer mit kleinen Füßen
, dachte ich und drückte meine Nase fast in den Schnee, um mir die Details der Abdrücke einzuprägen.
Aber so klein und schmal?
Sicher, es war nicht auszuschließen, dass es auch eine Frau gewesen sein konnte, die den Mann erschossen hatte. Einen Abzug betätigen konnte schließlich jeder, unabhängig von Geschlecht und Statur.
Hatte vielleicht eine Frau den Schrankenwärter umgebracht und war dann mit meinem Auto und Hund verschwunden?
Ich konnte es mir nicht vorstellen. Natürlich waren mir in meiner Laufbahn als Strafverteidiger auch Frauen begegnet, die gemordet und brutalste Verbrechen begangen hatten, aber bei einer Pumpgun oder einer großkalibrigen Flinte dachte ich zunächst an einen Mann.
Doch wem auch immer ich folgte – ich musste auf der Hut sein. Wer so viel Mühe darauf verwendete, seine Spuren zu tilgen, und eine scharfe Waffe mit sich führte, würde höchst unerfreut darauf reagieren, wenn ich ihm, trotz seiner Bemühungen, unerkannt zu verschwinden, plötzlich gegenüberstand.
»Auch wenn du drei Flinten spazieren trägst – ich hol mir meinen Hund zurück!«, versprach ich mit harter Stimme und erhob mich.
Ich sah die Straße entlang.
Die Fußspuren des Unbekannten verliefen geradeaus, die Pfotenabdrücke hingegen machten alle paar Meter einen seitlichen Schlenker. Ich konnte förmlich sehen, wie der Dicke
langsam durch den Schnee trabte, sich aber immer wieder zurückfallen ließ und versuchte, seitlich auszubrechen.
Schnell ging ich zurück zum Unimog und kletterte auf den Fahrersitz. Bevor ich anfuhr, löschte ich die Scheinwerfer. Sicherlich war der Motor des Allraders schon von Weitem zu hören, aber ich musste ja nicht unbedingt eine beleuchtete Schießscheibe abgeben.
Beharrlich folgte ich den Abdrücken im Schnee, die nach etwa zwanzig Minuten scharf nach links abbogen, um zehn Meter weiter vor einem etwa einen Meter neunzig hohen hölzernen Tor zu enden.
»Was ist das denn hier?« Überrascht musterte ich das große Holztor, dessen zwei Flügel geschlossen waren und das zu beiden Seiten von einer etwa zwei Meter hohen Backsteinmauer gerahmt wurde.
Die Spuren verschwanden unter dem Tor, und ich konnte einen halben Stiefelabdruck erkennen, dessen vorderen Teil das Tor verdeckte. Folglich musste das Tor geschlossen worden sein, nachdem mein Unbekannter hindurchgegangen war.
Ich hatte keine Ahnung, was sich hinter dem Tor befand. Aber ich war wild entschlossen, genau das herauszufinden.