In dem überfüllten Hörsaal war es so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören können, dabei ruhten alle Blicke erwartungsvoll auf ihr. Obwohl sonst nicht gerade um Worte verlegen, fühlte sich Gwen sichtlich unwohl in ihrer Haut. Welcher Teufel hatte sie bloß geritten, als sie die Vertretung für Professor Adams so bereitwillig angenommen hatte. Sie war doch nur eine kleine Doktorandin, keine Professorin und mit einem derartigen Run auf ihre Vorlesung hatte sie nie im Leben gerechnet. Vielleicht hätte sie doch besser bei dem eigentlichen Thema bleiben und den ellenlangen Diskurs des Professors über die Bedeutung der Tonintervalle in der Barockmusik einfach übernehmen sollen. Aber sie musste ja wieder einmal ihren eigenen Kopf durchsetzen und das Thema ändern. Gwendoline MacLeod, von all ihren Freunden einfach nur Gwen genannt, straffte ihre Schultern, holte ihren Laptop und den Stapel Zettel mit ihren Vorbereitungen aus ihrer Tasche und legte sie anschließend auf das Pult. Dann atmete sie noch einmal tief durch und begann schließlich mit relativ sicherer Stimme.
»Wie sie dem Aushang entnehmen konnten, kann Professor Adams nicht wie geplant zu dieser Vorlesung erscheinen. Man hat mich gebeten, seinen Platz einzunehmen. Deshalb hat sich das Thema kurzfristig geändert. Wir werden uns heute ausführlich mit der Entstehung und Nutzung unseres Nationalinstruments befassen, nämlich der Great Highland Bagpipe. Wen das Thema nicht interessiert, der darf jetzt gerne gehen. Die ursprünglich vorgesehene Vorlesung findet in zwei Wochen statt.« Wenn sie damit gerechnet hatte, dass die Studenten nun scharenweise den Hörsaal verlassen würden, dann wurde sie enttäuscht. Anscheinend waren alle nur deshalb gekommen. Wenn sie ehrlich mit sich selbst war, dann musste sie zugeben, dass der Professor nicht wirklich ein guter Redner war und seine Vorlesungen oftmals nur geringen Zulauf hatten. Aber dennoch war er eine Koryphäe auf seinem Gebiet und es war eine Schande, dass seine Studenten das nicht so sahen.
»Gut, wenn das geklärt ist«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Dann können wir anfangen. Die Great Highland Bagpipe ist eine Weiterentwicklung der bereits im alten China und Ägypten benutzen Sackpfeifen. Man kann anhand von archäologischen Funden die ersten auf das 3. Jahrtausend vor Christus datieren. Nach schriftlichen Überlieferungen wurde zuerst eine Spielpfeife zusammen mit einer Bordunpfeife getrennt gespielt, bis dann beide durch einen Ledersack verbunden wurden und auf diese Weise von einem einzigen Spieler zusammen gespielt werden konnten. Dieser Aufbau hat sich durchgesetzt. Man sagt uns Schotten zwar nach, dass wir geizig seien, aber in Bezug auf die Sackpfeife trifft das nicht zu. Inzwischen wurden noch zwei weitere Bordunpfeifen hinzugefügt, die für den charakteristischen Klang sorgen.« Leises Gelächter wurde laut, derweil Gwen ihren Laptop aufklappte und damit die passenden Bilder an die Wand warf.
»Man nimmt an, dass die Römer oder Kelten diese einfachen Sackpfeifen als Instrument ihrer Infanterie nach Britannien gebracht haben, wo sie schnell ihren Siegeszug antraten. Lange galt sie als Instrument der Soldaten und des einfachen Volkes, da sie auf Jahrmärkten, Hochzeiten, Dorftänzen, Festspielen und Prozessionen gespielt wurde. Im 18. Jahrhundert wurde sie in Frankreich sogar als Saloninstrument genutzt, allerdings aber auch schnell durch die Erfindung des Akkordeons wieder verdrängt. Aber ich will ihnen ja nicht davon berichten, wie adelige Franzosen des Spätbarocks oder Rokokos zu den Klängen der Sackpfeifen ihre Menuette zum Besten gaben, sondern vielmehr zeigen, warum die Great Highland Backpipe noch immer einen derartig hohen Stellenwert hier in Schottland besitzt.«
»Schade«, der Zwischenruf eines der Studenten ließ sie inne halten. »Ich würde so gerne sehen, wie Sie uns Linksfüßlern verzweifelt die Schritte einzuhämmern versuchen.«
»Ich kann Ihnen versichern«, gab sie grinsend zurück. »Das wollen Sie nicht sehen, denn um ihnen das zu zeigen, müsste ich erst einmal ein Rechtsfüßler sein.« Wieder brach leises Gelächter aus. So langsam wich ihre Anspannung, zumal die Studenten es ihr auch recht leicht machten. Sie ließ sich noch eine ganze Weile über den Aufbau und die Handhabung der Phìobs aus, doch selbst bei diesem nicht sehr spannenden Thema blieb die Stimmung gelöst. Schließlich kam sie zum Ende Ihrer Vorlesung.
»Ich möchte, bevor ich schließe, noch einmal auf die militärische Verwendung des Dudelsacks eingehen. Bereits bei der Schlacht von Bannockburn 1314 sollen die schottischen Kämpfer unter Robert the Bruce von Dudelsackklängen begleitet worden sein. In späteren Zeiten hatte jeder Clan, selbst jeder Chief seine eigenen Pfeifer, die auch als Piobaire bezeichnet und in sogenannten Colleges ausgebildet wurden. Diesen Pfeifern war es strengstens untersagt, sich in Unterhaltungsmusik zu üben. In einigen Clans waren die Strafen bei Missachtung geradezu drakonisch. So wird berichtet, dass man einem dieser Piobaire beide Hände abgehackt hat, weil er sich nicht an die Regeln hielt. Bis ins 18. Jahrhundert blieb deshalb auch ihr musikalisches Einsatzgebiet auf Geburtshymnen, Versammlungen, Totenklagen und Streit- sowie Kriegsmusik beschränkt. Das war auch der Grund, warum man ihren Gebrauch nach Culloden verbot. Phìobs, die gälische Sprache und das Tragen von Kilts wurde mit der schottischen Kultur gleichgesetzt, die man nach der Schlacht in die Knie zwingen und auslöschen wollte. Zum Glück ist das ja nie ganz gelungen.« Gwen hielt erneut kurz inne. »Ach, und bevor ich es vergesse«, fügte sie dann noch hinzu. »Es gab einige Piobaire, die ihre eigenen Melodien erschufen. Ihre Stücke beginnen und enden mit demselben Thema, bilden demnach also einen Kreis, das Symbol für die Einheit, für das Absolute, Vollkommene und damit Göttliche. Seine unendliche Linie ist Symbol der Unendlichkeit und in Gestalt einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt, der Wiederkehr. Deshalb könnte es durchaus möglich sein, dass Sie, wenn Sie an einem ungewöhnlichen Ort, eine dieser keltischen Symphonien, wie sie auch genannt werden, hören, einem dieser Piobaire aus vergangenen Tagen plötzlich gegenüberstehen und dieser versuchen wird, Sie in seine Welt zu entführen. Seien Sie deshalb vorsichtig und meiden Sie alle Plätze, an denen vom Verschwinden eines dieser Männer berichtet wird. Wer weiß, wo Sie sonst landen.« Gwen atmete erleichtert aus.
Das war geschafft! Ihre erste Vorlesung und es hatte verdammt viel Spaß gemacht.
Das Trommeln auf den Pulten zeigte ihr nur zu deutlich, dass auch die Studenten mit ihrem Vortrag vollends zufrieden waren.
»Hat einer von Ihnen vielleicht noch Fragen?«, wollte sie nach einer Weile noch wissen.
»Wollten Sie mit ihrem letzten Satz auf den Phantom Piper aus Galloway anspielen?«, eine junge Studentin in der ersten Reihe grinste sie breit an. Gwen nickte.
»Aye! Nicht nur auf einen. Es gibt zahlreiche Quellen über derlei Vorkommnisse. Nehmen Sie den Pfeifer von Culzean Castle oder den aus den Katakomben Edinbourghs. Wahrscheinlich gibt es noch ein Dutzend mehr. Aber darüber werden wir in der nächsten Vorlesung noch ausführlicher sprechen. Sie können ja schon einmal versuchen, im Internet fündig zu werden. Viel Spaß dabei. Ihnen allen ein schönes Wochenende, wir sehen uns dann nächste Woche«, mit diesen Worten klappte sie ihren Laptop zu, griff nach den Zetteln auf dem Pult, stopfte alles gemeinsam in ihre Tasche und verließ den Hörsaal.
Es war ein gutes Gefühl, endlich mal wieder einen Erfolg vorweisen zu können, obwohl beruflich konnte sie sich eigentlich nicht beklagen. Professor Adams war mehr als zufrieden mit ihrer Arbeit und mit ihrer Dissertation kam sie besser und schneller voran als geplant. Auch dank des Professors, der ein wirklich hervorragender Mentor und Doktorvater war. Wenn doch wenigstens ein Teil ihres beruflichen Erfolges auf ihr Privatleben abfärben würde, aber das lag seit dem Debakel mit Gordon MacAllister, in einem nicht enden wollenden Dornröschenschlaf. Und das seit fast zwei Jahren. Sie war noch immer so wütend auf diesen Widerling, dass sie sich selbst nachträglich noch dafür am liebsten in den Hintern getreten hätte, weil sie so blind gewesen war, sich auf ihn einzulassen. Aber nachher war man ja immer schlauer. Dennoch, hätte sie damals auf ihre Freundin Cat gehört, dann wäre es gar nicht erst so weit gekommen. Cat! Gwen seufzte unbewusst bei dem Gedanken an ihre Freundin.
Cat hatte alles, was sie selbst sich erträumte, einen guten Job, einen liebenden Ehemann und inzwischen eine kleine Tochter. Obwohl ihre Freundin sie gebeten hatte, die Patenschaft für die kleine Aileen zu übernehmen, und sie beide noch immer genauso eng miteinander befreundet waren wie in ihrer Schulzeit, fühlte sich Gwen oftmals wie das fünfte Rad am Wagen. Es bedrückte sie, wenn sie mit Cats glücklicher kleiner Familie zusammen war, denn das Glück ihrer Freundin führte ihr nur allzu deutlich ihr eigenes Unglück vor Augen. Deshalb hatte sie sich auch in letzter Zeit ein wenig rar gemacht. Ihre Dissertation kam ihr dabei gerade recht, zumal Cat genau wusste, wie viel Arbeit damit verbunden war.
Gwen seufzte erneut.
Aye, dank Gordon war ihr Privatleben zu einer Einöde geworden und sie war der Eremit, der sich dort verkroch.
Ihr Weg führte sie durch die alten Kreuzgänge in eines der neueren Nebengebäude, in denen sich die Büros der Professoren befanden. Gwen steuerte zielstrebig auf das von Professor Adams zu, öffnete die Tür und schlüpfte hinein. Auf dem Schreibtisch vor ihr lag ein riesiger Stapel Hausarbeiten eines der Seminarkurse des Professors. Als Gegenleistung für seine Unterstützung hatte sie sich bereit erklärt, ihm bei den Korrekturen zu helfen. Allerdings wurden die Stapel jedes Mal ein wenig höher als zuvor. Eines war somit sicher: Dieses Wochenende würde garantiert keine Langeweile aufkommen. Sie hätte es wissen müssen. Professor Adams war zwar eine Koryphäe, aber leider auch eine, die dem gängigen Vorurteil gegenüber Professoren alle Ehre machte. Er war ein wenig schrullig, vergesslich und wenn er mit irgendwelchen Forschungen beschäftigt war, dann konnte selbst die Welt untergehen, ohne dass er etwas davon mitbekommen hätte.
So auch diesmal. Nach dem Anruf vor ein paar Tagen, von dem sie nur Bruchstücke aufgeschnappt hatte, war er einfach verschwunden und sie musste nun ausbaden, dass er alles stehen und liegen gelassen hatte.
Gwen war gerade dabei, den Stapel in ihrer Tasche zu verstauen, als das Bürotelefon des Professors lautstark läutete. Gwen griff automatisch nach dem Hörer.
»Universität Glasgow, Fakultät Musikwissenschaften und Kunstgeschichte, Büro Professor Adams. Sie sprechen mit Gwendoline MacLeod. Was kann ich für Sie tun?«
»Miss MacLeod gut dass ich Sie noch erreiche«, die Stimme am anderen Ende klang aufgeregt.
»Professor?«
»Ja! Lassen Sie alles liegen, womit Sie gerade beschäftigt sind, dafür ist später noch Zeit. Ich möchte, dass Sie sofort hierher kommen.«
»Aber die Hausarbeiten ...«, warf sie ein.
»Die Welt wird nicht untergehen, wenn die Korrektur noch bis nächste Woche warten muss«, unterbrach der Professor sie. »Ich will, dass Sie mich dieses Wochenende hier unterstützen. Wären Sie so freundlich und bringen mir die beiden Bücher mit, die oben auf dem untersten Regal liegen. Ich weiß, es ist ein wenig kurzfristig, aber ich verspreche Ihnen, es wird Ihnen bei Ihrer Dissertation helfen. Mehr als das! Sie werden Augen machen! Und jetzt zögern sie nicht, sondern packen sie Ihre Tasche.«
»Aber ...«
»Kein aber, ich brauche Sie hier und nicht in diesem staubigen Büro. Ein bisschen frische Luft wird Ihnen guttun. Also setzen Sie sich in Ihr Auto und kommen Sie so schnell wie möglich hierher.«
»Ich kann doch nicht einfach ... Und außerdem weiß ich gar nicht, wo Sie gerade sind.«
»Habe ich Ihnen keinen Zettel auf meinem Schreibtisch hinterlassen?«, der Professor klang erstaunt.
»Ich würde nicht fragen, wenn dort ein Zettel liegen würde.« Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Professor ihr antwortete.
»Tut mir leid, ich habe ihn gerade gefunden. Ich war so in Eile, dass ich ihn wohl in meine Hosentasche gesteckt habe. Aber das macht nichts. Ich kann Ihnen auch so sagen, wo ich mich gerade befinde. Kennen Sie die Uamh Fhraing auf Eigg?«
»Die St. Francis Höhle? Was suchen Sie da? Sie sind doch weder Geologe noch Anthropologe?«
»Das meine Liebe wird eine Überraschung. Und nun trödeln Sie nicht länger herum. Sie haben eine lange Fahrt vor sich und wenn Sie die letzte Fähre noch erreichen wollen, dann sollten Sie sich jetzt lieber sputen. Wir sehen uns dann nachher!« Gwen wollte etwas erwidern, aber das Knacken am anderen Ende der Leitung zeigte nur zu deutlich, dass der Professor bereits aufgelegt hatte. Sie stand noch eine ganze Weile verdutzt, mit dem Telefonhörer in der Hand, einfach da, bevor sie ihn wütend auf die Gabel knallte und sich zu dem riesigen Regal umdrehte, das sich hinter dem Schreibtisch auftürmte.
Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Es war eine Sache, wenn sie Professor Adams bei den Korrekturen half, oder für ihn eine Vorlesung gab, aber dass er sie jetzt wie einen Laufburschen nach Eigg abkommandierte und das nur, weil er selbst seine Bücher vergessen hatte, war das Letzte. Wenn sie die Fahrt mit der Fähre mitrechnete, dann hatte sie über fünf Stunden Autofahrt vor sich. Verdammt! Und es würde auch nichts helfen, den Professor zurückzurufen, weil dieser sowieso niemals an sein Handy ging, es sei denn, er rief selbst an. Es blieb ihr demnach gar nichts anderes übrig, als nach den verflixten Büchern zu suchen, von denen sie nicht einmal wusste, welche er genau meinte. Hatte er nicht gesagt, sie lägen oben auf dem untersten Regal? Na toll! Das Regal war so vollgestopft, dass bestimmt zwanzig Bücher infrage kamen.
Widerwillig griff sie zu einem der Bände und sah ihn sich genauer an. Es war eine Abhandlung über »The whole booke of Psalms« von Thomas Ravencroft und somit mit Sicherheit nicht eines der Bücher, die der Professor in einer Höhle brauchte es sei denn, er wollte dort Barockmusik zum Besten geben. Des Weiteren fand sie eine Partitur von Henry Purcells Oper, »Dido und Aeneas«, Bühnenwerke von Mathew Locke und Georg Friedrich Händels gesammelte Werke einschließlich einer ausführlichen Biografie. Also alles nur Bücher über das Lieblingsthema des Professors: Barockmusik, und nichts, was auch nur im Entferntesten mit der Isle of Eigg im Zusammenhang stand.
Sie war gerade im Begriff frustriert aufzugeben und dem Professor eine knappe Nachricht auf sein Handy zu senden, als ihr noch zwei weitere Bücher auffielen, die allerdings nicht auf dem Regal selbst, sondern auf einem Stapel direkt daneben lagen. Eines war eine Zusammenfassung von Sir Walter Scotts Reiseberichten aus dem 18. Jahrhundert und das andere ein geologischer Aufsatz aus dem 19. Jahrhundert von Hugh Miller über seine Forschungen auf Eigg. Das passte schon eher, zumal Scott sich auf seinen Reisen auch die Uamh Fhraing angesehen hatte. Gwen nahm die beiden Bücher von dem Stapel und stopfte sie zu dem Laptop und den Hausarbeiten in ihre Tasche. Es konnte ja nicht schaden, die Seminararbeiten ebenfalls mitzunehmen. Wenn sich herausstellte, dass Adams wieder einmal heillos übertrieben hatte und sie nur seiner Bücher wegen nach Eigg fuhr, dann konnte sie die Zeit, die sie dort ansonsten sinnlos vertrödeln würde, wenigstens nutzen. Vorher allerdings würde sie dem Professor gehörig ihre Meinung darüber sagen, was sie von seinen spontanen Eingebungen hielt. Und apropos spontane Eingebungen. Sie konnte nur hoffen, dass Adams wenigstens an eine Unterkunft für sie gedacht hatte, denn in einem Zelt übernachten zu müssen, wäre wirklich das Tüpfelchen auf dem »I«.
Gwen schnappte sich ihre Tasche und verließ eilig das Büro, hastete durch die Gänge und rannte schließlich über den Campus zu ihrem roten Austen-Mini, der auf dem Parkplatz des Unigeländes parkte. Wenn sie noch vor Einbruch der Dunkelheit in Mallaig eintreffen wollte, dann musste sie sich jetzt wirklich sputen, vor allem da sie vorher in ihrer Wohnung ein paar Sachen zusammenpacken musste. Doch als sie ihren Wagen erreichte, traute sie ihren Augen kaum. Sich lässig auf ihre Motorhaube lehnend stand dort ihr persönlicher Albtraum: Gordon MacAllister! Gwen hielt erschrocken inne.
War es nicht so, dass immer, wenn man den Teufel nennt, selbst in Gedanken, er gleich gerannt kam? Sie hatte es ja geradezu heraufbeschworen. Nur, was wollte er von ihr und wieso war er überhaupt in Glasgow?
Als Gordon sie sah, grinste er sie breit an. Früher hätte sie sein Grinsen wahrscheinlich für ein Lächeln gehalten, jetzt allerdings wusste sie es besser.
»MacLeod, wie ich sehe, fährst du immer noch diesen schrecklichen Mini. Ich hoffe, deine Fahrkünste haben sich verbessert.«
»Meine Fahrkünste gehen dich einen feuchten Kehricht an. Und jetzt verschwinde von meinem Auto. Ich habe es eilig!«
»Aber, aber Gwenny, willst du mich nicht begrüßen, wo wir uns doch so lange nicht gesehen haben?«
»Ein Umstand, den ich wirklich zu schätzen wusste! Was willst du überhaupt hier? Ich dachte, du wärst in Harvard? Hatten sie dir dort nicht eine Doktorandenstelle angeboten?«
»Aye! Und jetzt hat Glasgow mir ein Angebot auf eine Stelle als Professor gemacht. Als ich hörte, dass du für Adams tätig bist, konnte ich einfach nicht widerstehen.« Aus Gwens Gesicht wich jedwede Farbe.
Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Sie war so froh gewesen, dass er sich über 3000 Meilen von ihr entfernt hatte, und nun das. Er hier! Als Professor! An derselben Fakultät! Schlimmer konnte es nicht kommen.
»Was ist? Begrüßt du mich jetzt?« Sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter.
»Wenn du denkst, du musst nur hier auftauchen und ich sinke schmachtend in deine Arme, dann hast du dich getäuscht. Von mir aus hättest du bleiben können, wo der Pfeffer wächst. Such dir eine andere, mit der du deine Spielchen treiben kannst, ich jedenfalls werde nicht noch einmal auf dich hereinfallen. Und jetzt geh mir aus dem Weg. Ich habe es eilig.«
»Das werden wir noch sehen!« Gordons Gesicht verzog sich zu einer diabolischen Fratze. »Aber, wie du wünschst, für heute lasse ich dich in Ruhe. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Außerdem sollte ich mich hier erst einmal häuslich einrichten. Schließlich war dies hier nicht unser letztes Treffen. Wir sehen uns bald wieder. Sehr bald!«, Gordon drückte sich nun mit einem Ruck von der Motorhaube ab und kam auf sie zu. Als er direkt neben ihr stand, blieb er noch einmal kurz stehen und beugte sich so zu ihr hinunter, dass sein Mund ihr Ohr fast berührte.
»Wenn du denkst, dass ich aufgebe, MacLeod, dann irrst du. Ich bekomme immer, was ich will. Und im Moment will ich dich!«, mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und schlenderte Richtung Gebäude davon. Gwen blieb alleine zurück.
Dieser verfluchte Mistkerl! Er hielt sich offenbar noch immer für unwiderstehlich. Nein, eigentlich war es viel schlimmer! Seinen Worten zu Folge hatte er sich anscheinend in den Kopf gesetzt, sie erneut abzuschleppen. Aber nicht mit ihr! Die Tour würde sie ihm gehörig vermiesen. Sie würde auf keinen Fall ein weiteres Mal als seine Trophäe auf seiner Website landen. Damals war es ihr schon schlimm erschienen, von ihm einfach abserviert zu werden wie ein alter Turnschuh, der seine Dienste geleistet hatte. Dann aber obendrein im Nachhinein zu erfahren, dass er einen Blog hatte, auf dem er seine Eroberungen bewertete und sie wie second-hand Ware seinen Kommilitonen anbot, hatte aus dem Liebeskummer schnell blinden Hass werden lassen. Sie war so froh gewesen, als sie hörte, dass er nach Harvard gegangen war. 3000 Meilen zwischen ihnen machten es einfacher, nicht an die ekelhaften Dinge zu denken, die er auf seiner Website über sie verbreitet hatte. Doch so simpel war das nicht. Bei jedem darauffolgenden Date, egal mit wem, meldete sich ihre hämische innere Stimme, die lauthals darauf drang, nicht wieder denselben Fehler zu begehen, oder sie daraufhin wies, ihr Gegenüber könne Gordons Blog gelesen haben und nur deshalb an ihr interessiert sein. Es war dann immer nur bei diesem ersten Date geblieben. Die Hölle war nichts dagegen! Zuerst hatte sie noch einige vergebliche Versuche gestartet, dann aber irgendwann aufgegeben. Und das wars. Wie konnte er sich jetzt nur einbilden, dass sie ...
Gwen atmete mehrere Male tief ein und aus, doch es half nichts. Nachdem sie die Autotür geöffnet hatte, warf sie ihre Tasche wutschnaubend auf den Beifahrersitz, stieg ein und knallte die Tür hinter sich zu, startete ihren Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen und heulendem Motor in Richtung Mallaig davon. Dass sie vor lauter Wut vergessen hatte, vorher nach Hause zu fahren, um ihre Sachen zu holen, bemerkte sie erst, als sie bereits zwei Stunden unterwegs war.