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Cairan starrte angewidert auf das riesige schwarze Mal, das die Form eines Handabdrucks hatte und sich quer über seine linke Brust zog. Seit jenem schicksalsreichen Tag, an dem er auf Morganes Handel eingegangen war, prangte es nun schon dort und erinnerte ihn an ihren Betrug und somit an seine Leichtgläubigkeit.

Wie hatte er nur so dumm sein können, ihr zu vertrauen? Sie war die Túatha Dé Dannan des Krieges und Kampfes, deren Lebenselixier die Konsequenzen aus Missgunst, Neid, Lügen, Streit und vor allen Dingen aus Feindschaft waren. Wie hatte er da nur annehmen können, dass sie ihn nicht hintergehen würde? Ohne Hass kein Kampf, ohne Kampf kein Krieg und ohne Krieg keine Morgane! Aye, er hasste sie! Mit jeder Faser seines Herzens, denn mit seiner Seele kannte er ja nicht mehr hassen, da dieses Biest sie ihm ja genommen hatte. Und genau dieser Hass gab ihr noch mehr Kraft.

Das Schlimmste daran war, dass er sich freiwillig in ihre Hände begeben hatte, und nun musste er die Konsequenzen daraus tragen. Er war der Spielball ihrer Launen. Ihr Prügelknabe, mit dem sie so verfuhr, wie es ihr beliebte, und sie ließ es ihn tagtäglich spüren, dass er in ihren Augen nichts weiter als ihr Sklave war. Einer, der inzwischen das, was er vormals liebte, genauso sehr hasste wie sie. Jeden Tag, wenn sie ihn förmlich zwang, die Flöte in die Hand zu nehmen, war er drauf und dran, sie ihr ins Gesicht zu werfen. Doch er tat es nicht. Wozu auch? An seiner Lage hätte es ja doch nichts geändert. Wenn er damals schon gewusst hätte, dass seine Rache so aussehen würde, dann hätte er in der Höhle niemals ihre Hand ergriffen und wäre, wie es ursprünglich vorherbestimmt gewesen war, mit den anderen dort in den Tod gegangen. Aber er hatte es nicht gewusst. Noch nicht einmal geahnt und so hatte dies Schicksal seinen Lauf genommen, das wider alle Natur war.

In den ersten Monaten seines Aufenthalts in ihrem Reich war Morgane noch äußerst zuvorkommend zu ihm gewesen, doch dies änderte sich schlagartig, als ... Ja, was eigentlich? Er wusste es nicht. Es war nur auffällig, dass sie plötzlich jeden Tag zu einer bestimmten Zeit von ihm verlangte, eine gewisse Melodie zu spielen, nämlich die, die er in der Höhle als Symphonie seiner Wut und Trauer erdacht hatte. Anschließend war sie verschwunden. Wenn sie dann zu ihm zurückkehrte, war sie dermaßen wütend, dass noch nicht einmal seine Musik sie besänftigen konnte.

Seine Musik! Jedes Mal, wenn er sie für sie spielen musste beschwor sie erneut die Bilder aus der Höhle herauf und von Mal zu Mal war es schwerer geworden, sie zu ertragen. Doch Morgane scherte sich nicht im Geringsten um seine Befindlichkeiten. Ihr Wille war Befehl! Er hatte mehrfach versucht, sich zu widersetzen, hatte ihr, so gut es ging, die Stirn geboten, aber er war nur ein einfacher Mensch, und was konnte ein Mensch schon gegen die Allmacht einer Fee ausrichten? Noch dazu einer, die eine Königin war und Gedanken lesen konnte? Die Narben, die sein Widerstand ihm eingebracht hatte, waren deutlich zu sehen, genauso wie das Mal. Als Morgane es ihm auf die Brust gebrannt und er es das erste Mal gesehen hatte, war er noch der festen Überzeugung gewesen, sich irgendwann an den Anblick zu gewöhnen. Aber dem war nicht so, denn das ursprüngliche Sinnbild seiner Rache war inzwischen zu einem Symbol seiner Knechtschaft geworden, das ihn tagtäglich daran erinnerte, dass er vermutlich nie wieder frei sein würde.

Als er das begriffen hatte, hatte er fliehen wollen, ihren Klauen entrinnen, doch eine Flucht war ebenso aussichtslos. Er konnte es nicht, selbst wenn er es noch so oft versuchen würde. Zum einen: Wohin auch? Das Einzige, was er von ihrem Reich kannte, war die Kammer, in die sie ihn bei seiner Ankunft gebracht hatte. Er konnte zwar durch die offenen Fenster die Landschaft sehen, aber das hier war das Feenreich. Selbst wenn er aus ihrem Palast verschwand, wohin sollte er dann gehen? Gab es überhaupt so etwas wie eine Pforte, die ihn zurück in seine eigene Welt bringen konnte oder oblag es nur den Túatha Dé Dannan, jemanden aus ihrem Reich hinaus zu lassen? Anfangs hatte er sich noch Gedanken darüber gemacht, was ihn dort in den Wäldern wohl erwarten würde. Vielleicht traf er auf wilde Tiere, die schlimmer als wütende Keiler waren, doch diese Gedanken hatten sich schnell als vollkommen sinnlos herausgestellt. Seine eigentlichen Probleme waren nämlich nicht die wilden Tiere oder eine Pforte, sondern vielmehr die Tatsache, dass er den Raum nicht verlassen konnte. Immer, wenn er es versucht hatte und dabei den Fenstern oder der Tür zu nahe kam, zog ihn etwas gewaltsam zurück in die Mitte der Kammer. Mehr noch, es war, als würden unsichtbare Ketten ihm plötzlich tief in die Handgelenke schneiden. Ein Ruck ging durch seinen Körper und seine Brust unter dem Mal begann so zu brennen, als hätte man ein Feuer darin entfacht. Der Schmerz war dermaßen unerträglich, dass ihm kalter Schweiß ausbrach und seine Gliedmaßen zu zittern begannen. Es endete immer damit, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Genau in dem Moment landete er auf allen vieren in der Mitte des Raumes und verlor letzten Endes das Bewusstsein. Er hatte es bereits mehrfach versucht und war immer wieder kläglich gescheitert. Und bei jedem Versuch war es qualvoller geworden. Schließlich hatte er sich damit abfinden müssen, dass er anscheinend, solange er sich in Morganes Dienst befand, die Kammer nicht verlassen konnte.

Cairan lief unruhig auf und ab. Etwas musste geschehen, so viel war sicher. Er war nicht mehr bereit, einfach nur zu erdulden. Er war zwar ein Piobaire, aber dennoch auch ein Krieger und dieser meldete sich inzwischen immer öfter zu Wort.

Aye, er hatte sich eine gewisse Zeit wirklich in sein Schicksal gefügt, doch diese Zeit war endgültig vorbei. Wenn sie jetzt zu ihm kam, dann musste es zu einer Entscheidung kommen. Er musste endlich wissen, inwieweit sie ihn bei seiner Rache unterstützen würde. Fast zwei Jahre in Ungewissheit waren weit mehr als genug. Diesmal würde er sich nicht mit ihren Ausflüchten und kryptischen Andeutungen zufriedengeben. Diesmal brauchte er Gewissheit! Und wenn er auch nur einen Hauch der Täuschung in ihrem Verhalten sehen könnte, dann war er bereit, sie bis aufs Äußerste zu reizen, damit sie die Kontrolle verlor und schlussendlich sein Dasein beendetet. Denn Leben konnte er das, was er hier führte, weiß Gott nicht mehr nennen. Eher Existenz, die nur noch aus seiner Hoffnung auf Rache bestand.

Cairans Blick wanderte zur Tür. Wenn er sich nicht täuschte, dann war es bereits Mittag.

Es war ungewöhnlich, dass Morgane ihn so lange warten ließ. Meist erschien sie schon kurz nach seinem Erwachen und blieb Stunden, um seinem Flötenspiel zu lauschen. Doch seit zwei Tagen wartete er jetzt schon vergebens. Vielleicht hatte das ja zu bedeuten, dass sie endlich einen Untertanen gefunden hatte, der in der Lage war, sie mit seinem Spiel genauso gefangen zu nehmen wie er selbst. Obwohl ... Hatte der Handel nicht beinhaltet, dass er in diesem Fall wieder in sein altes Leben zurückkehren konnte? Wieso aber war er dann immer noch hier? Wahrscheinlich hatte sie ihn dahingehend genauso belogen und betrogen wie mit ihrem Versprechen, er würde ihre Hilfe bei seiner Rache bekommen. Hatte er ihr nicht die ganze Zeit über gute Dienste geleistet? Wenigstens größtenteils? Doch die versprochene Entlohnung blieb nach wie vor aus.

Zu seinem Glück hatte er bisher jedoch nicht allzu viel Zeit verloren. Wenn er sich nicht verrechnet hatte, dann war er jetzt 485 Tage in Morganes Reich, demnach noch nicht einmal zwei Jahre. Gut, der alte MacLeod zählte zum Zeitpunkt des Massakers schon mehr als 70 Winter, demzufolge konnte es möglich sein, dass er für seine Tat inzwischen in der Hölle schmorte. Aber dieser Bastard William war mit Sicherheit noch am Leben!

Auf Cairans Gesicht erschien ein diabolisches Grinsen.

Wenn nun endlich der Zeitpunkt seiner Rache gekommen war, dann würde er dafür sorgen, dass dieser Mistkerl ihn anflehte, um sich endlich in der Hölle zu seinem Vater gesellen zu dürfen. Aye! Doch der Tod würde lange auf sich warten lassen. So lange, bis William genauso gelitten hätte, wie Roana und all die anderen. All die Mitläufer, Befehlsempfänger und Spießgesellen hingegen, die bei dem Verbrechen zugesehen und geholfen hatten, würden von ihm dieselbe Chance auf Gnade bekommen, die sie ihnen gewährt hatten. Er war sich nur nicht sicher, ob er auch die nötige Ruhe bewahren konnte, um seinen Plan auszuführen, denn sein Rachedurst war nach wie vor noch genauso stark wie an jenem Tag vor noch nicht einmal zwei Jahren. Wie dem auch sei! Bezahlen würden sie alle! Und ihr Leben als Preis dafür war bei Weitem nicht genug!