6

Cairan sah erneut zum Fenster. Es dämmerte bereits. In ihm wuchs allmählich die Befürchtung, dass Morgane auch an diesem Tag nicht zu ihm kommen würde.

War sie seiner etwa so überdrüssig geworden, dass sie sich noch nicht einmal mehr dazu herabließ, es ihm persönlich mitzuteilen? Aber nein!, beantwortete er sich selbst seine Frage. Sie war zwar launisch und durchaus ein Biest, aber als Königin trug sie auch die Verantwortung für ihr Volk und ihre Bediensteten. Und da er inzwischen ja zu Letzteren gehörte, konnte nur sie allein ihn aus ihrem Dienst entlassen. Doch was, wenn er sich irrte und sie ihn gar nicht frei geben wollte, sondern vielmehr ...

In diesem Moment schienen die weit geöffneten Fenster ihn geradezu magisch anzuziehen.

Vielleicht gab es ja doch eine Möglichkeit, sie zu passieren, ohne wieder in den Raum zurückgeschleudert zu werden, schoss es ihm durch den Kopf. Da er des schier endlosen Wartens müde war, beschloss er, es noch einmal zu versuchen.

Was konnte schon groß geschehen, außer dass er erneut vor Schmerz fast den Verstand verlor und dann einige Stunden reglos auf dem Boden lag? Töten würde es ihn jedenfalls nicht. Das hatte es noch nie. Wieso dann zögern? Einen Versuch war es durchaus wert!

Cairan atmete noch einmal tief durch, um sich gegen den zu erwartenden Schmerz, der gleich folgen würde, zu wappnen, und ging dann schnellen Schrittes auf die Fenster zu.

»Das würde ich an deiner Stelle unterlassen!«, der Klang der tiefen männlichen Stimme ließ ihn unwillkürlich zusammenzucken. Gleichzeitig wandte er sich ihr instinktiv zu und hielt abrupt inne. In der Tür stand ein Mann. Silbern schimmerndes Haar fiel ihm bis hinunter auf die Brust. Seine Züge waren so zart, dass sie fast zu anmutig für einen Mann waren, doch dieser Schein trog. Seine eisblauen Augen fixierten ihn mit einem Blick, der ihn bis ins Mark traf. An ihnen war nichts weich oder anmutig. Ganz im Gegenteil! Sie waren die eines Raubtiers. Dieser Mann war der Wolf und er seine Beute, die er im Begriff war, zu erlegen. Und nicht nur das! Eines wurde in diesen wenigen Augenblicken, in denen sich ihre Blicke trafen, ebenfalls nur allzu deutlich:

Dieser Mann war weitaus mächtiger und gefährlicher, als Morgane es je gewesen war! Nur wieso war er zu ihm gekommen? Was wollte er von ihm?

»Ihr seid nicht Morgane!«, bemerkte Cairan mehr zu sich selbst als zu ihm. Ein Grinsen erschien auf dem Gesicht des Fremden, was ihn noch gefährlicher erscheinen ließ.

»Das hast du sehr gut erkannt. Und jetzt komm von dem Fenster weg, oder willst du wirklich riskieren, dass du winselnd zu Boden gehst und für Stunden die Besinnung verlierst?« Cairan starrte den Fremden, der jetzt langsam auf das Bett zu schlenderte und sich dann elegant darauf setzte, erstaunt an. Seine Ausdrucksweise war irgendwie ungewöhnlich, ganz anders, als er es von Morgane gewohnt war.

»Ihr wisst ...?« Der Mann nickte.

»Wieso seid Ihr ...?«

»Weil Morgane eine ganze Zeit verhindert sein wird und ich dich davon abhalten will, eine große Dummheit zu begehen«, unterbrach dieser ihn, noch bevor er seine Frage vervollständigen konnte.

»Was soll das heißen, sie ist verhindert?« Cairans anfängliche Verunsicherung wandelte sich allmählich in Wut.

Erst ließ sie ihn zwei ganze Tage warten und dann sandte sie ein Raubtier in seinen Käfig. Was war er für sie? Ein Lamm, das sich bereitwillig zur Schlachtbank führen ließ?

»Wenn sie meiner überdrüssig ist, dann soll sie gefälligst selbst kommen, um es mir zu sagen. Immerhin würde dies meine Freiheit bedeuten«, entgegnete er dem Fremden gereizt.

»Hat sie dir das gesagt?« Cairan nickte.

»Aye!«

»Dann muss ich dich enttäuschen. Zum einen ist sie deiner nicht überdrüssig und zum anderen: Aus unserem Reich gibt es kein Entkommen, es sei denn ...«

»Es sei denn was?«, knurrte er seinen Gegenüber wütend an. »Soll das heißen, dass sie mich auch in diesem Punkt hintergangen hat? Ich bekomme also weder meine Rache noch meine Freiheit. Demnach bin ich auf immer und ewig dazu verdammt, ihr willfähriger Sklave zu sein.«

»Ganz so melodramatisch würde ich es nicht sehen. Und jetzt setzt dich. Wir haben einiges zu besprechen. Es ist nicht förderlich, wenn du die ganze Zeit hin und her läufst. Außerdem muss ich dann befürchten, dass du den Fenstern doch noch zu nahe kommst und dann werden wir wertvolle Zeit verlieren. Zeit, die du viel besser nutzen könntest.« Anstatt mit seinen Worten zu erreichen, dass Cairan sich ein wenig beruhigte, steigerten sie seine Wut sogar noch. Der amüsierte Unterton in der Stimme des Fremden machte ihn geradezu rasend. Er fühlte sich wie ein gemaßregeltes Kind. Aber er war kein Kind mehr! Schon lange nicht!

»Ich will mich nicht setzen!«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Sondern ich will nur, dass sie sich genauso an den Handel hält, wie ich es getan habe.« Der Fremde nickte.

»Das kann ich gut verstehen. Ich an deiner Stelle würde vermutlich auch darauf bestehen, aber Morgane ist eben Morgane. Ein Handel mit ihr lässt ihr immer die Möglichkeit, so zu verfahren, wie es ihr beliebt. Sie ist eine wahre Meisterin darin, sich die Dinge so zurechtzulegen, dass derjenige, der auf den Handel mit ihr eingeht, immer leer ausgeht.«

»Aye! Inzwischen habe ich das auch begriffen, dennoch ...«, gab er zähneknirschend zu. »Es muss einen Ausweg geben.« Der Fremde grinste ihn diabolisch an.

»Den gibt es! Du musst nur einen weiteren Handel eingehen. Diesmal mit mir!« Cairan war außer sich.

»Haltet Ihr mich für schwachsinnig?«, schrie er ihn an. »Dann versuche ich lieber weiter, durch die Fenster zu entkommen. Vielleicht ist das Glück mir ja irgendwann einmal hold.«

»Mit dem Glück ist das so eine Sache. Man kann es herausfordern, wenn es eine Chance gibt, zu gewinnen. Du allerdings hast keine. Die Fenster, die du dort siehst, werden dich nicht hindurch lassen, denn sie sind nicht real. Einzig und allein die Gegenstände, die du hier in diesem Raum siehst, sind es. Alles, was sich an den Wänden und außerhalb befindet, ist bloßer Schein. Hast du dich nie gefragt, warum die Landschaft, die du siehst, so sehr deiner Heimat ähnelt?« Cairan sah ihn irritiert an.

»Ich denke, sie wird dir gesagt haben, dass sie deine Gedanken lesen kann?« Als Cairan nicht reagierte, fuhr der Fremde einfach fort. »Sie hat dich zu sich geholt, weil sie etwas von dir wollte, das du ihr nie gegeben hättest, wenn du gewusst hättest, wo sie dich unterbringt. Wie verschleiert man am besten einen Verrat? Indem man eine noch größere Täuschung heraufbeschwört und mit dieser hier hat sie sich wahrlich selbst übertroffen.«

»Ihr wollt mir wahrhaftig weismachen, dass all dies hier nur Täuschung ist? Das kann nicht sein!«

»Ich werde es dir beweisen, wenn du dich endlich setzt!« Cairan starrte den Fremden noch eine Zeit lang wütend an, dann aber ging er in die Knie und ließ sich demonstrativ in sicherer Entfernung auf dem Boden nieder.

»Du traust mir nicht! Verständlich! Wahrscheinlich ist es auch besser so. Dennoch, wenn du jemals Morganes Reich verlassen willst, dann brauchst du mich.«

»Mag sein, dass ich Euch brauche, aber vertrauen werde ich Euch auf keinen Fall. Und ich werde Euch auch nicht länger zuhören, wenn Ihr mir nicht den Beweis erbringt.«

»Erstaunlich!« Der Fremde sah ihn nachdenklich an. »Ich habe fest damit gerechnet, dass dein Widerstand und Wille bereits von ihr gebrochen wurden, aber wie ich höre und sehe, ist dem nicht so. Ihr Schotten seid wirklich erstaunlich! Aber wie du willst! Du sollst deinen Beweis bekommen! Sieh genau hin!« Anstatt auf die Fenster zu achten, starrte Cairan jedoch auf die Augen des Fremden. Etwas veränderte sich an ihnen, aber vielleicht entsprang dieser Eindruck auch einzig und allein seiner Fantasie. Ihr eisblau wurde noch eine Spur heller, dann erschien ein silbriger Glanz auf ihren Pupillen und schließlich schienen sie von innen heraus zu glühen. Cairans Nackenhaare stellten sich auf. Dass hier im Feenreich einiges möglich war, was andere vermutlich zu Tode erschrocken hätte, war ihm bereits bei seiner Ankunft bewusst geworden, aber das hier war ... Dämonisch! Befand er sich vielleicht gar nicht im Feenreich, sondern in der Hölle? Und dieser Mann dort war Luzifer und Morgane seine Gespielin? Obwohl nicht gerade schreckhaft, schlug Cairan unbewusst das Kreuzzeichen. Der Fremde, der ihn noch immer beobachte, brach daraufhin in Gelächter aus.

»Dein Gott hilft dir hier nicht. Er kann nicht bis ins Feenreich sehen. Aber wenn es dich beruhigt, Cairan MacDonald, dann bete.« Bei seinen Worten verschwand das Glühen aus seinen Augen, die stattdessen amüsiert funkelten. »Sag, hat er schon jemals deine Gebete erhört? Oder hat er euch vielleicht in der Höhle geholfen? Soweit ich weiß, waren es die Gebete des alten MacLeod, die er erhört hat, nicht eure.«

»Nein! Und nein! Und er hat weder die Gebete der MacLeods noch unsere erhört. Der MacLeod war nur schlau genug, es so erscheinen zu lassen. Es war keine Kunst vorauszusehen, was geschehen würde. Wir wussten es alle!«

»Auch wenn ihr es wusstet, oder gerade deshalb verstehe ich nicht, warum es euren Glauben nicht erschüttert. Wir Túatha Dé Dannan glauben ausschließlich an uns und unsere Macht. Würde es nicht einiges für euch erleichtern, wenn ihr ... Aber lassen wir das. Ich bin nicht gekommen, um mit dir einen theologischen Diskurs zu führen.« Cairan sah ihn verständnislos an.

»Ich vergaß, wen ich vor mir habe«, ergänzte der Fremde daraufhin grinsend, »Es tut mir leid! Ich meinte natürlich einen Gedankenaustausch in geistlichen Fragen. Jemand wie ich, der so viel reist, vergisst schon einmal, wie er sich in bestimmten Situationen auszudrücken hat. Die Wortwahl fällt mir oftmals schwer. Aber lassen wir das. Du wolltest einen Beweis, dann sieh dich endlich um, oder findest du mich so faszinierend, dass dich alles andere nicht mehr interessiert?« Cairan öffnete seinen Mund, um etwas zu erwidern, doch dazu kam es nicht mehr. Mit weit geöffnetem Mund und aufgerissenen Augen starrte er nur noch auf die Wände, deren Muster, Formen und Fenster plötzlich wie Wasser an ihnen hinunter rannen. Sie verliefen genauso wie die Landschaft und die Himmelskuppel. Stattdessen erschienen nackte, braune Wände, deren Form und Beschaffenheit ihn an aufgeschüttete Erdwälle erinnerte. Mit den Farben verschwand allerdings auch das Licht. Völlige Dunkelheit hüllte ihn plötzlich ein. Cairan war nicht mehr fähig zu denken, geschweige denn zu reden.

»Glaubst du mir nun?« Die Stimme des Fremden riss ihn aus seiner Lethargie.

Wie war so etwas möglich? Sie hatte ihn wirklich die ganze Zeit getäuscht und nicht nur das. Er hatte wie ein lebender Toter in einer Gruft gehaust und es noch nicht einmal gemerkt! Er war ein solcher Narr!

»Habe ich jetzt deine Aufmerksamkeit?« Cairan nickte unwillkürlich. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass der andere ihn genauso wenig sehen konnte, wie er ihn.

»Aye!«, brachte er schließlich heiser hervor.

»Dann sollten wir jetzt endlich zum Punkt kommen. Wie schon gesagt, du verlierst wertvolle Zeit, die du weit besser nutzen könntest.« In diesem Moment erschienen wie aus dem Nichts an den Wänden brennende Fackeln, deren tanzende Flammen bedrohlich wirkende Schatten formten. Cairan betrachtete vollkommen fassungslos die bizarr anmutende Szenerie.

Wie war es möglich, dass sich in einem Raum, in dem es vollends windstill war, Flammen bewegten? Hier im Feenreich herrschten anscheinend völlig andere Naturgesetze als in seiner Welt. Aber wenigstens konnte er auf diese Weise wieder etwas erkennen.

Was er allerdings sah, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Der Schein der Fackeln wurde sowohl vom Haar als auch von den Augen des Fremden reflektiert, wie ein Spiegel, so dass es den Anschein erweckte, als würden sein Haupt und seine Augen ebenfalls in Flammen stehen.

»Du möchtest zurück in deine Welt?«, Cairan nickte erneut, während er zu nichts anderem mehr fähig war, als den Mann anzustarren.

»Dann bedarf es eines weiteren Handels«, fuhr der Fremde unbeirrt fort. »Was sich einmal im Feenreich befindet, kann nicht so einfach wieder hinaus, zumal Morgane dich mit dem Feenmal versehen hat, was dich bis zu deinem Tod an sie bindet. Es sei denn ...« Cairans Blick wanderte entsetzt auf dessen Gesicht.

»Bis zu meinem Tod? Wann wird das sein? Und bis es so weit ist, soll ich in diesem Loch verharren? Dann beendet es endlich. Hier und jetzt! Ich habe nur für meine Rache weitergelebt, aber die werde ich hier nicht bekommen. Dementsprechend ...«

»Ich habe nie gesagt, dass es unmöglich ist, das Feenreich zu verlassen, sondern nur, dass das Feenmal ...«

»Ihr sagtet, es bindet mich bis zum Tod an sie.« Der Fremde nickte.

»Ja, allerdings nur, wenn ... Ich denke, ich sollte dir erst einmal einiges erklären. Wir Túatha Dé Dannan haben eine Art Kodex. Wir können nur eingreifen, wenn wir einen Handel eingehen. Das gilt auch für Morgane. Wenn sie den Handel mit dir eingegangen ist, dann war es ihre Pflicht, ihren Teil der Abmachung zu erfüllen, da du deinen ja auch erfüllt hast. Allerdings wäre Morgane nicht Morgane, wenn es ihr nur darum gegangen wäre, denn dann wäre das Feenmal nicht von Nöten gewesen. Solange jedoch der Pakt gilt und du deiner Aufgabe nicht nachgekommen bist, wird es auf deiner Haut bleiben und du ihr gehören.«

»Welcher Pakt? Ich habe meinen Teil des Handels erfüllt. Ich habe für sie gespielt und bin geblieben.« Der Fremde nickte erneut.

»Nur dass dies nicht Teil des Paktes, sondern des Handels war, der Morgane dazu zwang, dich bei deiner Rache zu unterstützen.« Cairan sah ihn erstaunt an.

»Aber ich habe meine Rache noch immer nicht bekommen. Wie auch? Ich sorge seit fast zwei Jahren für ihre Kurzweil, wie hätte ich mich da rächen können?«

»So würde ich das nicht sehen. Es ist nicht immer von Nöten, dass derjenige, der sich rächen will, auch anwesend ist. Oftmals geschieht es ohne sein Dazutun. Genau wie bei dir. Du hast durchaus deine Rache bekommen, allerdings ohne es zu wissen.«

»Wie ...?«, sein Gegenüber brach erneut in Gelächter aus.

»Dein Blick ist Gold wert. Schade, dass sie ihn nicht sehen kann. Sie wäre entzückt. Wenn sie den Handel mit dir abgeschlossen hat, dann war es ihre Pflicht, ihren Teil der Abmachung einzuhalten, da du deinen ja auch eingelöst hast. Der Handel allerdings war nur das bloße Nebenprodukt von dem, was sie eigentlich wollte, nämlich den Pakt, der dich zwingt, bei ihr zu bleiben.«

»Aber sie hat ...«

»Ich weiß, dass sie dir nichts davon gesagt hat und deshalb hast du ein gewaltiges Problem. Solange ich nicht weiß, welche Bedingungen sie an den Pakt geknüpft hat, kann ich dir keinen Handel anbieten, der es dir ermöglicht, aus dem Feenreich und somit aus ihrem Bannkreis zu entkommen.«

»Bedeutet das, dass ich solange hier verweilen muss, bis sie zurückkehrt?«

»Mitnichten! Morgane wird eine ganze Zeit nicht zurückkehren. Sie hat den Bogen gewaltig überspannt und unsere Königin ist der Meinung, sie hätte eine Lektion verdient, die sie ein wenig ... Aber lassen wir das! Im Grunde genommen geht es dich nichts an. Es gibt eine Möglichkeit, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Dafür muss ich nur das Feenmal auf deiner Brust berühren.« Cairan sah den Fremden schweigend an.

Er wollte ihn berühren. Vermutlich auf dieselbe Weise, wie Morgane es seinerzeit getan hatte. Was, wenn er ihn genauso hinterging, wie damals sie und ihn nur mit einem zweiten Mal versehen wollte, sodass ein Entkommen endgültig unmöglich wäre? So viel hatte er inzwischen begriffen: Hier im Feenreich konnte er niemandem trauen und erst recht nicht seinem Gegenüber. Dennoch, welche Wahl blieb ihm? War er gewillt, für eine weitere schier endlos erscheinende Zeit in diesem Loch zu verharren, das nichts mehr mit seiner vormaligen Bleibe gemein hatte?

Als er sich selbst die Frage verneinte, war seine Entscheidung bereits gefallen.

»Ihr wollt das Mal berühren?« Der Fremde nickte.

»Welche Garantie gebt Ihr mir, dass Ihr mich nicht ...?«

»Keine!« Ein diabolisches Grinsen erschien auf dessen Gesicht. »Du wirst mir vertrauen müssen. Vielleicht hilft es dir ja, wenn ich dir versichere, dass ich keinerlei Interesse an deinem Verbleib in unserem Reich habe. Ein Handel allerdings interessiert mich sehr wohl.« Cairan starrte ihn noch eine ganze Weile schweigend an, so als könne er in dessen Zügen ablesen, ob seine Worte der Wahrheit entsprachen oder er ihn schamlos anlog. Doch da war nichts! Schließlich erhob er sich dennoch zögernd und ging auf das Bett zu. Kurz bevor er es erreichte, hielt er jedoch noch einmal inne.

»Euch liegt also nur etwas an einem Handel? Warum?« Das Grinsen des Fremden wurde noch eine Spur breiter.

»Nenn es Langeweile, Kurzweil oder wie auch immer. Das ständige Einerlei in unserem Reich fordert ein wenig Abwechslung. Was, so frage ich dich, ist unterhaltsamer und erregender als ein guter Handel?«

»Aye! Dann tut es! Mir bleibt keine Wahl!«

»Das stimmt! Eine Wahl hast du nicht.«

Obwohl ihm nicht ganz wohl bei der Sache war, bewegte sich Cairan dennoch immer weiter auf das Bett zu. Erst als er unmittelbar vor dem Mann stand, blieb er stehen, schob sein Plaid zur Seite, sodass das Mal sichtbar wurde, und sah ihm herausfordernd in die Augen.

»Eine gute Entscheidung! Sehr gut sogar! Warum nicht gleich so?«, mit diesen Worten presste der Fremde seine rechte Handfläche exakt auf den schwarzen, abscheulichen Abdruck auf seiner Brust. Cairan zuckte unwillkürlich zusammen, doch der erwartete Schmerz blieb aus. Verwundert schloss er seine Augen. Nicht nur, dass der Schmerz ausblieb, ganz im Gegenteil, irgendwie verschaffte die kühle Haut dieses Mannes ihm sogar Linderung. Es war, als wäre der Teil von ihm, den er für immer verloren geglaubt hatte, plötzlich zu ihm zurückgekehrt. Umso leerer fühlte er sich, als der Mann seine Hand unversehens zurückzog und dieser Teil erneut verschwand. Cairan öffnete verwirrt seine Augen.

»Was habt Ihr ...?«, brachte er heiser hervor.

»Nicht viel. Ich habe dir nur gezeigt, wie es sein wird, wenn das Mal von deiner Brust verschwindet. Ich denke, dafür lohnt es sich, ein kleines Risiko einzugehen.«

»Ein Risiko?« Zum wiederholten Male nickte der Fremde.

»Auch ich fordere, wenn ich einen Handel eingehe. Aber darüber reden wir später.«

»Erzählt Ihr mir, was Ihr gesehen habt?«

»Wie würdest du es sagen? Aye? ... Morgane ist wirklich ein gerissenes Miststück, das muss man ihr lassen, aber ich stehe ihr in nichts nach! Dennoch ...« Cairan sah ihn fragend an.

»Mit diesem Pakt hat sie sich wieder einmal selbst übertroffen. Er beinhaltet, dass du einem der MacLeods genau das zufügen musst, was sie dir angetan haben.« In Cairan keimte Hoffnung auf.

»Wenn es weiter nichts ist? Ich werden jeden MacLeod, den ich in die Finger bekomme, liebend gerne dorthin schicken, wo er hingehört.« Erneut brach der Fremde in Gelächter aus.

»Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Nur so einfach ist es nicht. Du musst ihm exakt das gleiche Leid zufügen, das sie dir damals angetan haben. Als Morgane dich in ihr Reich geholt hat, war deine Schwester und ihre Familie alles, was dir geblieben war. Sie waren das Liebste, was du hattest. Aber sie wurden dir durch das Feuer genommen, ohne dass du auch nur die leiseste Chance hattest, sie zu retten. Und genau das ist die Aufgabe, die der Pakt dir abverlangt!«

»Ich soll die Brut in einem Feuer ausrotten? Das können sie haben. Ich werde Dunvegan dem Erdboden gleich machen. Ich denke, das wird ausreichen, um das Mal verschwinden zu lassen.«

»Mitnichten, nein! Dunvegan ist nicht der Schlüssel, sondern die Uamh Fhraing. Nur sie wird dich ans Ziel bringen!«

»Also soll ich die ganze Brut in die Uamh Fhraing locken?«

»Das wirst du wissen, wenn es so weit ist.«

»Ihr sprecht in Rätseln!« Diesmal war es der Fremde, der nickte.

»Das liegt in meiner Natur. Aber wir schweifen schon wieder ab. Du weißt jetzt, was der Pakt dir abverlangt, deshalb sollten wir nun zu unserem Handel kommen, oder willst du doch lieber warten, bis Morgane zurückkehrt?« Cairan schüttelte seinen Kopf.

»Das nicht, aber bevor ich auf den Handel mit Euch eingehe, erlaubt Ihr mir noch eine Frage?« Jetzt war es der Fremde, der ihn eine Weile schweigend anstarrte.

»Wenn es denn unbedingt sein muss! Aber nur eine einzige!«

»Ihr erwähntet, ich hätte meine Rache bereits bekommen. Auf welche Weise, wenn ich selbst sie nicht ausgeführt habe?«

»Oh, das hast du! Nur nicht so, wie du es dir vorgestellt hast. Erinnerst du dich noch an euer Gespräch?« Cairan sah ihn fragend an.

»Ihr wisst ...?«

»Ja! Denn nichts bleibt vor mir verborgen. Aber ich kann dich beruhigen, Morgane hat exakt deinen Wunsch erfüllt! Jeder, der mit dem Massaker in Verbindung stand, hat kurz vor seinem Tod die Melodie gehört, die du in der Höhle erdacht hast. Sie alle konnten sie nicht mehr vergessen und starben, als ihr letzter Ton verklang. Selbst ihre Nachkommen ...«

»Ihre Nachkommen?«

»Ja und jetzt genug der Plauderei! ...«

»Von welchen Nachkommen redet Ihr?«, unterbrach Cairan ihn erneut.

»Willst du nun aus unserem Reich entkommen oder nicht? Wir sollten endlich zu unserem Handel gelangen, bevor ich mich zu langweilen beginne und dich hier alleine zurücklasse. Es kann dann eine ganze Weile dauern, bis ich mich erneut entschließe, dir meine Hand zu reichen. Auch wenn ich liebend gerne mit dir plaudere, so habe ich dennoch einige andere Aufgaben zu erfüllen. Demnach ... Mein Handel sieht vor, dass du einer Maid in Nöten beistehst, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen!« Cairan spürte die Wut, die von ihm Besitz nahm.

»Für wen haltet Ihr mich«, schrie er den Fremden daraufhin an. »Ich bin ein Mann von Ehre! Ich würde niemals die missliche Lage einer Lady ausnutzen. Ich ...«

»Dann hast du nichts zu befürchten. Ich werde dir helfen, indem ich dich ins Menschenreich lasse, wann immer sie dich ruft und Hilfe von dir benötigt. Sie allein kann dich rufen und zurückschicken, wie es ihr beliebt. Du im Gegenzug wirst sie beschützen, solange und so gut es in deiner Macht steht.«

»Wie soll sie mich rufen? Sie weiß doch nichts von mir!«

»Nein, und das muss sie auch nicht. Etwas, was dereinst dir gehörte, wird bald schon ihr gehören und dann ...«

»Dann was?«

»Dann Cairan MacDonald wird sich zeigen, ob du ein Mann von Ehre bist oder nur einer der auf Rache sinnt.«