Gwendoline war die Erste, die ihre Sprache wiederfand.
»Ich soll was? Cairan, das kann nicht dein Ernst sein!«, entgegnete sie ihm leise, ohne zu bemerken, dass sie statt der förmlichen Anrede, einfach zum »Du« überging. »Es tut mir leid, wenn ich dich gekränkt habe, das geschah weiß Gott nicht mit Absicht.«
»Ich nehme Eure Entschuldigung zur Kenntnis. Dennoch muss ich darauf bestehen, dass Ihr mich jetzt zurückschickt und im Anschluss daran das verteufelte Instrument vernichtet.«
Wenn sie ihn jetzt gehen ließ und die Sackpfeife anschließend zerstörte, dann würde sie niemals mehr über ihn erfahren. Sie würde nie wissen, wer er wirklich war, woher er kam, warum gerade sie ihn herbeirufen konnte und er sie bei ihrer ersten Begegnung hatte beschützen wollen. Das musste sie verhindern. Ein Leben mit all diesen Fragen würde auf Dauer eine Qual werden ... Und wenn sie ihn anlog? Kurz zurückschickte und ihn dann, wenn sie allein waren, noch einmal zu sich rief? Verflucht Gwen, schalt sie sich daraufhin selbst. Du wurdest belogen und betrogen und vertraust deshalb keinem Mann mehr und ihm willst du dasselbe antun? Eine Lüge war niemals eine gute Basis. Noch nicht einmal um ein langes, ausführliches Gespräch miteinander zu führen. Denn wie konnte man von jemandem erwarten, dass dieser ehrlich zu einem war, wenn man selbst seine Glaubwürdigkeit bereits verspielt hatte? Nein, das war nicht die Lösung ihres Problems. Es musste eine andere geben. Nur welche, dessen war sie sich noch nicht sicher.
»Wir wollten unsere Unterhaltung doch noch fortsetzen!«, versuchte Gwen, ihn umzustimmen.
»Im Beisein Eurer Vertrauten? Ich denke nicht, dass dies der richtige Weg wäre. Außerdem wissen wir beide, dass ebendiese nicht meine Welt ist. Lasst mich gehen und vergesst mich. Glaubt mir, es ist besser so.«
»Wir könnten diesen Raum verlassen und ...« Cairan schüttelte seinen Kopf.
»Nein«, unterbrach er sie.
»Nein? Mehr hast du nicht dazu zu sagen? Wenn ich mich recht entsinne, wolltest du mich bei unserer ersten Begegnung vor irgendetwas beschützen. Wer, so frage ich dich, beschützt mich, wenn du für immer verschwindest?« Cairan sah sie nachdenklich an.
Anscheinend hatte sie gerade seinen wunden Punkt gefunden. Vielleicht konnte sie ihn ja überreden, oder besser, ein Mann ... Wenn er aus der Vergangenheit kam, dann würde er mit Sicherheit niemals den Rat einer Frau annehmen, den eines Mannes allerdings schon.
Gwens Blick wanderte hilfesuchend zu den anderen beiden Frauen.
Wenn sie sich nicht täuschte, nickte Fiona ihr wissend zu, während Cat mit dem Kopf auf die Tür und anschließend auf ihr Mobilfon deutete, das sie bereits in einer Hand hielt.
»Bevor Gwen Sie zurückschickt, würde ich allerdings vorschlagen, dass sie noch eine Kleinigkeit zu sich nehmen. Wie wäre es mit einem Whisky und ein paar frisch gebackenen Scones?« Cairan starrte Fiona entgeistert an.
»Ah, ich verstehe!«, bemerkte die alte Lady daraufhin wissend lächelnd. »Sie kommen aus einer Zeit, in der der Begriff Whisky noch nicht gebräuchlich war. Was halten Sie dann von einem guten Schluck uisge-beatha? Als echter Schotte sollten Sie ihn zu schätzen wissen.« Erstaunlicherweise nickte Cairan, dabei lächelte er Fiona an, was seine verwilderten Züge viel weicher erscheinen ließ. Gwen war vollkommen fasziniert von dieser Veränderung, zumal seine Augen in diesem Moment wieder einmal funkelten wie geschliffenen Saphire.
»Ihr wisst, wie man einen Mann umgarnt. Wenigstens das scheint sich nicht geändert zu haben. Ich würde sehr gerne das uisge-beatha mit Euch teilen. Es ist eine Ewigkeit her, seit ich es das letzte Mal zu mir nahm.«
»Mädels, ich hole schnell den Whisky. Wollt ihr auch einen?« Sowohl Gwen als auch Cat nickten. Kurz darauf war Fiona auch schon durch die Tür verschwunden. Fast gleichzeitig sprang Cat auf.
»Ihr entschuldigt mich kurz«, eröffnete sie ihnen. »Ich muss einmal wo hin.« Mit diesen Worten stürmte auch sie aus dem Raum. Gwen und Cairan blieben alleine zurück. Eine ganze Weile schwiegen sie. Die Stille war bedrückend.
Es war nicht so, dass Gwen nicht gewusst hätte, was sie ihm sagen wollte, sondern vielmehr nicht wusste, womit und wie sie anfangen sollte. Sie hatte ihn heute schon mehrfach unbeabsichtigt gekränkt. Wenn sie es nun wieder vermasselte, dann war er womöglich gar nicht mehr bereit, mit ihr zu reden. Im Grunde genommen hätte es ihr egal sein können, doch merkwürdigerweise war es das nicht. Er faszinierte sie und das, obwohl er noch immer aussah, wie ein Waldschrat. Vielleicht lag es daran, dass er so ganz anders als all die gewöhnlichen Männer, die sie kannte, reagierte. Er war so wild, unbeherrscht und ursprünglich. Alles Eigenschaften, die den Männern von heute teilweise vollständig abhandengekommen waren. Genauso hatte sie sich die wilden Kämpfer auf den Schlachtfeldern immer vorgestellt. War er in seinem vormaligen Leben vielleicht ein solcher Kämpfer gewesen?
»Ihr seid so schweigsam«, bemerkte er nach einer Weile und unterbrach damit ihren Gedankengang. »Bisher habe ich diese Eigenschaft an Euch schmerzlich vermisst.«
Gwen wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Sie schwankte zwischen Wut und Erstaunen, aber vielleicht war seine Wortwahl ja auch nur ein wenig verunglückt.
Deshalb schluckte sie die bissige Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, hinunter und entgegnete ihm stattdessen:
»Wenn das ein Kompliment gewesen sein soll, dann nehme ich es gerne an. Allerdings klingt es in meinen Ohren eher wie eine Beleidigung.« Cairan sah sie an, dabei trafen sich ihre Blicke.
»Deshalb ist es ja vermutlich besser, wenn Ihr mich zurückschickt. Dinge, die in meiner Zeit als selbstverständlich erachtet wurden, gelten in Eurer als Fauxpas. Ich hingegen verstehe weder Euer Gebaren und Eure Sprache noch Eure Art zu leben. Euer erstes Gemach war bescheidener als die Hütten einiger Pächter. Obwohl es mit dem Nötigsten ausgestattet gewesen ist, war es dennoch nicht als das Eure zu erkennen. Habt Ihr keinerlei persönlichen Besitz? Kein Geschmeide, keine Gewandungen? Hier hingegen gibt es mehr als genug davon. Allein die Bücher müssen ein Vermögen wert sein.« Gwen versuchte, ernst zu bleiben, was ihr allerdings nur leidlich gelang.
»Gibt es in Eurer Zeit keine Gasthäuser? Das dort war nicht meine Wohnung, sondern eine Pension, in der man nur ein paar Nächte bleibt«, versuchte sie ihm zu erklären. Cairan hob fragend eine Braue.
»Dann ist dies hier Euer Heim?«
»Nein, dies ist das Heim von Fiona. Fiona ist die ältere Lady, die gerade das uisge-beatha holt. Ich bin ihr Gast.«
»Dann sollte ich ihr dankbar sein, dass sie mir ebenfalls ihre Gastfreundschaft zuteil werden lässt und das, obwohl ich im Grunde genommen ein unerwünschter Eindringling bin.«
»Wer sagt dass Ihr unerwünscht seid?« Gwen ging jetzt, da sie langsam wieder klar denken konnte, automatisch wieder zu der unpersöhnlicheren Anrede „Ihr“ über. Sie konnte ihm ansehen, dass er mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte. Zu gerne hätte sie jetzt seine Gedanken gelesen, nur leider beherrschte sie diese Kunst nicht. Eine Weile schwiegen sie erneut. Es war offensichtlich, dass er über etwas nachdachte und sie ließ ihm die Zeit, die er dafür benötigte.
»Eines müsst Ihr mir noch erklären. Als ich ... Als ich erschienen bin«, begann er schließlich das Gespräch von Neuem. »Warum schienen Eure Vertrauten da nicht entsetzt, sondern eher wissbegierig? Geschieht es des Öfteren in Eurer Zeit, dass Menschen einfach so erscheinen?«
»Nein, wenn es Euch beruhigt. Es geschieht nicht allzu oft, aber die beiden haben schon einiges erlebt. So schnell bringt sie nichts aus der Ruhe.« ...
Eigenartig, der Gedanke folgte umgehend ihrer Erklärung. Es stimmte. Auch sie war nicht vollkommen durchgedreht, als sie herausgefunden hatte, was es mit der Sackpfeife auf sich hatte. Sie war eher neugierig und euphorisch gewesen und hatte dabei ganz vergessen, dass ihr Dschinn eventuell Gefühle hatte. Gefühle, die sie mehrfach verletzt hatte. Doch inzwischen schien er sich nicht mehr ganz so unwohl zu fühlen. Vielleicht bestand ja doch noch die Chance, dass sie ihn zum Bleiben bewegen konnte. Immerhin hatten sie ja noch ein Ass im Ärmel, und wenn sie sich nicht vollkommen getäuscht hatte, war Cat gerade dabei, es herauszuholen.