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Cairan fand sich nackt in seinem Loch im Feenreich wieder. Es hatte ein einzelner Wimpernschlag gereicht, um ihn aus dem Menschenreich zurück ins Feenreich zu schleudern.

Das durfte nicht sein. Er musste zu ihr zurück. Sie war in Gefahr. Nicht nur durch seinen unbedachten Wunsch, den Morgane ihm wider Erwarten erfüllt hatte. Nein! In ihrer Welt gab es auch einen Mann, der ihr nach dem Leben trachtete.

Das Schlimmste daran war, dass sie ihn fortgeschickt hatte und er nun wieder hier in Morganes Reich fest saß, ohne die geringste Möglichkeit daraus zu entkommen. Er verstand ja, dass sie wütend auf ihn gewesen war, doch musste sie ihn direkt zurück ...

Verdammt! Warum hatte er ihr auch nicht sofort die Wahrheit gesagt? Immerhin hatte sie ihn ja bereits mehrfach darauf angesprochen ... Ihren Gesichtsausdruck bei seiner Eröffnung, dass alles seine Schuld wäre, würde er niemals vergessen. Es war nicht bloße Wut, die in ihrem Gesicht gestanden hatte, sondern auch maßlose Enttäuschung. Aye! Verständlich! Allerdings hatte sie ihn auch gar nicht mehr zu Wort kommen lassen. Zu gerne hätte er ihr noch erklärt, dass er seine Rache gar nicht auf diese Weise gewollt hatte, sondern nur ...

Verflucht noch eins! Wie hätte er auch ahnen können, dass Morgane ihn gerade in diesem Punkt wörtlich nahm, wo sie ihn doch ansonsten nur betrogen und belogen hatte? Wie gerne hätte er seinen Wunsch von damals nun zurückgenommen, aber das war leider unmöglich. Er konnte den Fluch nicht von ihr nehmen, auch wenn er es noch so sehr wollte. Eines jedoch konnte er durchaus versuchen: Den Hundsfott, der ihr nach dem Leben trachtete aufhalten und damit dafür sorgen, dass sie ihm nicht zum Opfer fiel. Dann würde sein Fluch sie erst im Greisenalter treffen und sie könnte bis dahin ein glückliches Leben führen. Wenn es auch eines ohne ihn war, so war es dennoch weit besser, als dass es endete, bevor es überhaupt richtig begann. Seines war ohnehin schon seit langem kein Richtiges mehr. Er hatte sich inzwischen damit abgefunden, es auch weiterhin zu fristen. Doch, wenn er dabei die Gewissheit hätte, dass sie glücklich würde, dann würde auch seines um Einiges erträglicher werden. Zumal ihm ja eines bis in alle Ewigkeit blieb: Die Erinnerung an eine Nacht, in der sie ganz alleine ihm gehört hatte.

Seine Rache, für die er jahrelang gelebt hatte, war so unbedeutend im Vergleich zu dem, was er für sie empfand. Vielleicht hätte er es ihr deutlich sagen sollen, bevor ihr Streit dermaßen aus den Fugen geriet? Doch nun war es zu spät ihr überhaupt etwas zu sagen, denn, ob sie die Phìob noch einmal erklingen ließ, um ihn zurückzuholen, stand in den Sternen.

Zum wiederholten Male ließ er sich jedes Detail ihres letzten Gespräches durch den Kopf gehen.

Er war so erstaunt darüber gewesen, dass sie einen Teil seiner Vergangenheit bereits kannte, dass er ihre Erklärung darob gar nicht richtig wahrgenommen hatte. Jetzt allerdings wurde sie ihm mehr als bewusst. Was hatte sie gesagt? Sie hatte all die Ereignisse auf Dunvegan geträumt? Wie konnte sie etwas träumen, von dem sie nicht wusste, dass es überhaupt geschehen war?

Erinnerungen an seine Kindheit drängten sich ihm auf. Bereits zu diesem Zeitpunkt war die alte Ealasaid ihre Heilerin gewesen. Sie war es auch, die sich geweigert hatte, mit ihnen in die Höhle zu gehen und demzufolge als Einzige das Massaker überlebt hatte. Damals hieß es bereits, dass sie das zweite Gesicht besaß. War sie deshalb nicht mit in die Höhle gegangen? Hieß es nicht, dass auch sie von Ereignissen aus der Vergangenheit und nahenden Zukunft geträumt hatte?

Cairan versuchte, seine Gedanken ausschließlich auf die Alte zu richten. Die Bilder, die vor seinem inneren Auge auftauchten, zeigten ihn auf einer Schafweide zusammen mit Ealasaid. Er war noch ein Knabe, der sich das tägliche Einerlei mit den Klängen der Phìob versüßt hatte, als die Alte plötzlich neben ihm gestanden hatte. Er hatte ihr Kommen nicht bemerkt, doch als er sie sah, beendete er sein Spiel und legte die Phìob neben sich ins Gras. Ealasaid streckte ihm ein Stück Brot entgegen und sah ihn auf eine Weise an, die ihm Angst machte.

»Cìobair beag, fàsaidh tu rudeigin gu math mòr aon latha (Kleiner Schafhirte, aus dir wird einmal etwas ganz Großes)«, hatte sie ihn angesprochen. »Chan eil an dànachd agad a ’laighe ann an seo, ach ann an àm a tha nas fhaide na do mhac-meanmna. Ach cuimhnich air aon rud: bidh fulangas an-còmhnaidh a ’leantainn gu fulang. Tha e an urra riutsa crìoch a chuir air leis fhèin. Thoir earbsa do chailleach a tha ainmeil airson a bhith a ’sealltainn rudan a tha taobh a-muigh ar ciad-fàthan. Bi faiceallach mun fhear a chuireas ort gu bheil e math dhut oir bheir i brath dhut. Coimhead airson an tè as aithne dhut, is ann dìreach an uairsin a lorgas tu do thoileachas. (Dein Schicksal liegt nicht in dieser, sondern in einer Zeit jenseits deiner Vorstellung. Doch merke dir eines: Aus Leid wird immer Leid entstehen. Es liegt alleine in deiner Hand, es zu beenden. Vertraue einer alten Frau, der das Schicksal Dinge zeigt, die weit über unseren Verstand hinausgehen. Hüte dich vor der, die vorgibt, dir wohlwollend gegenüber zu stehen, denn sie wird dich hintergehen. Suche die, die dich erkennt, nur dann wirst du dein Glück finden.)

Cairan erschrak.

Wie hatte er das alles einfach vergessen können? Aye! Ealasaid hatte Dinge vorhergesehen, nur ihn als Junge hatte das weit wenig interessiert. Die Alten redeten oft über Angelegenheiten, die Kinder nicht begreifen konnten, und er hatte ihre Worte damals zweifelsohne nicht begriffen. Er hatte sie noch nicht einmal für wichtig genug erachtet, um sich überhaupt daran zu erinnern. Doch jetzt erinnerte er sich daran. Nun war es jedoch zu spät. Die, die ihn erkannt hatte, hasste ihn jetzt und war für immer für ihn verloren, es sein denn ...

Vielleicht war das Schicksal ihm ja doch noch hold. Wenn er zu ihr zurückkehren und ihr beweisen würde, dass seine Rache, das Feenmal und alles, was damit zusammenhing, ihm nicht mehr wichtig waren, dann ... Es war seine Pflicht ... Doch ... Er hatte sich selbst zu Morganes Spielball gemacht. Es war ganz alleine seine Schuld und er hatte nicht das Recht, andere dafür leiden zu lassen. Schon gar nicht die Frau, die er liebte.

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz.

Liebte? Aye! Er hatte sich in Gwendoline verliebt. Mehr noch, er liebte sie mehr als sein Leben. Hatte Ron nicht gesagt, dass sein Tod ...? Wenn die einzige Möglichkeit darin bestand, sich selbst zu opfern, damit der Fluch sie nicht traf, dann war er dazu bereit.

Nur leider lag der einzige Gegenstand, mit dem er es hier unten in diesem Loch hätte bewerkstelligen können, zusammen mit seiner Kleidung auf einem Bett in der Menschenwelt. Es musste einen Weg zurück geben, auch ohne, dass Gwendoline ihn rief. Es gab immer einen. Schwierig war nur, ihn zu finden.