Gwen drehte sich abrupt um und starrte geradewegs in Gordon MacAllisters grinsende Fratze.
Dieser verfluchte Mistkerl. Sie hätte sich eigentlich denken können, dass die Mails von ihm stammten. Wer wäre sonst so dreist gewesen, sie bis hierher zu verfolgen? Außerdem hatte Gordon bereits während ihrer gemeinsamen Zeit einen Faible für Fotos in heiklen Situationen gehabt, demnach wäre es nur logisch gewesen, sofort an ihn zu denken, als die erste Mail auftauchte. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich jenseits aller Logik befunden. Sie war viel zu sehr mit ihren Gefühlen für Cairan beschäftigt gewesen, um sich überhaupt auf etwas anderes konzentrieren zu können. Und jetzt? Jetzt war es zu spät.
»Steig in das Auto!«, forderte er sie nun auf.
»Bist du noch ganz bei Trost? Du solltest dich mal untersuchen lassen«, schrie sie ihn daraufhin wütend an. Gordons gehässiges Grinsen wurde noch eine Spur breiter.
»Das habe ich bereits! Denn in den Staaten waren einige der Ladys nicht besonders gut auf mich zu sprechen. Der Gutachter hat verminderte Schuldfähigkeit festgestellt, da meine narzisstische Störung und meine ach so schlimme Kindheit ursächlich für mein absonderliches Verhalten wären. Nur, dass die Klinik, in die sie mich gesteckt haben, nicht gerade die Sicherste war. Ich hatte dort viel Zeit, um die Dinge einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten. Und so kam mir der Gedanke, dass es nur einen Menschen gibt, der mich jemals verstanden hat und der mir das geben kann, was ich verdiene, nämlich dich. Du warst die Einzige, die mich so sehr liebte, wie ich mich selbst und die verstanden hat, dass alle anderen neben mir kleine Würmer sind, die es zu zertreten gilt. Es war leicht herauszufinden, wo du dich gerade aufhieltest, denn einige meiner besten Freunde, haben ein sehr gut funktionierendes Netzwerk entwickelt, um Menschen wie mir dabei zu helfen, ihre, nennen wie sie einfach, Triebe auszuleben und ihnen einige Vorteile zu verschaffen. Die Ortung eines Handys ist dabei wirklich eines der einfachsten Dinge. Es war zwar ein wenig schwierig, aus der Klinik herauszukommen und die Staaten zu verlassen, aber, wie du siehst ist mir auch das gelungen. Mein nächster Schritt war es, direkt zu dir zu eilen. Und, was musste ich feststellen? Du zeigtest mir die kalte Schulter. Mir, dem du ewige Liebe und Treue geschworen hat.«
»Du bist ja völlig durchgeknallt! Gordon, unsere Beziehung ist beendet. Seit mehr als zwei Jahren schon. Und ich habe dir niemals ewige Treue und Liebe geschworen, denn ...« Sie hielt inne. In Gordons Blick lag ein Irrsinn, der ihr kalte Schauer über den Rücken trieb.
Wenn all das stimmte, was er ihr mit stolzgeschwellter Brust erzählte, dann ... Mein Gott! Er hatte sie in Glasgow angelogen. Er hatte gar keine Professur angenommen, sondern ...
Erst jetzt begriff sie die volle Tragweite seiner Worte.
Was hatte er den Frauen dort angetan, dass sie ihn weggesperrt hatten? Und wie es schien, war sie wohl die Nächste. Doch wie begegnete man jemandem, der sich selbst für das Maß aller Dinge hielt und im Begriff war ... Verdammt! Cairan hätte ihn in Windeseile überwältigen können, doch, dank ihrer unüberlegten Rede, war Cairan nicht mehr da. Demnach musste sie wohl oder übel jetzt allein mit Gordon klarkommen.
»Was ist jetzt kleine Gwendoline. Steigst du in dieses Auto ein, oder muss ich dich zwingen? Aber bitte auf die Beifahrerseite. Deinen Fahrkünsten vertraue ich nämlich nicht.« Da Weglaufen vermutlich eh zwecklos war, nickte sie. Gordon nickte ebenfalls. »Ich wusste, dass du noch vernünftig wirst. Setz dich! Wir haben noch eine lange Strecke vor uns.« Gwen fühlte wie Panik in ihr aufstieg. Wenn sie erst einmal neben ihm im Auto saß, gab es kein Zurück. Nichts und niemand könnte ihn dann noch aufhalten.
»Was hast du vor?«, brachte sie gequält hervor.
»Das, mein kleiner Liebling, wirst du noch früh genug erfahren. Aber eines kann ich dir versprechen, die Erinnerung daran, wird dich bis in den Tod begleiten.«
Gordon drängte sie nun auf die Beifahrerseite, öffnete die Tür, warf seine Tasche auf den Rücksitz und stieß sie dann unsanft hinein.
»Wag es ja nicht, irgendetwas zu versuchen. In meinem Hosenbund steckt ein Revolver und ich würde ihn ohne zu zögern benutzen. Du weißt ja: Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich!« Gwen hielt den Atem an.
Hatte sie vorhin Cairan tatsächlich als Bestie bezeichnet? Wer hier die Bestie war, war ja wohl offensichtlich. Himmel, wo war sie hier hineingeraten? Wenn nicht noch ein Wunder geschah, dann würde sie bald wirklich die Klänge der Phìob bis in alle Ewigkeiten hören.
Aye! Und sich dabei vorstellen, mit ihrem Erzeugen noch einmal reden zu können, um ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebte. Liebte? Ja, verdammt! Sie liebte diesen flötenspielenden Mistkerl und dass, obwohl es im Grunde genommen völlig unlogisch war. Aber war nicht auch Cats Beziehung zu Dusten unlogisch?
Gordon steuerte den Wagen in Richtung Armadale.
Vielleicht hatte er vor, die Fähre nach Mallaig zu nehmen, um von dort aus nach Glasgow zurückzukehren. Doch warum wählte er dann nicht die Brücke, über die sie und Cairan auf die Isle of Skye gekommen waren?
Während der ganzen Zeit hatten sie geschwiegen. Nicht, weil sie ihm nicht gerne gesagt hätte, was sie von seinem Verhalten hielt, sondern weil sie Angst davor hatte, was er in dem Fall, dass sie ihm dabei zu nahe trat, mit ihr anstellen würde. Gordon war unberechenbar.
Was hatte er gesagt? Er hatte eine narzisstische Persönlichkeitsstörung? Aye! Und das nicht erst, seitdem er in den Staaten gewesen war. Hätte ihr nicht bereits damals auffallen müssen, dass Empathie ein Fremdwort für ihn war? Dass er sich nur mit Menschen umgab, die ihn anhimmelten und sich wie gefügige Lakaien verhielten? Dass Liebe für ihn etwas war, das nicht er empfand, sondern nur diejenige, die er zu seinem Besitz auserkoren hatte? Und dass er, wenn er ihrer überdrüssig wurde, sie wie ein Stück Müll in den Dreck warf, um sie den Ratten vorzuwerfen? Verdammt? Wie hatte sie jemals auch nur annehmen können, dass er etwas für sie empfand? Ganz im Gegenteil, sie war für ihn nichts weiter als eine Trophäe in seiner Sammlung gewesen. Allerdings eine, die er so gut manipuliert hatte, bis sie selbst daran glaubte, er hätte nur Augen für sie. Doch dann war das böse Erwachen gekommen, das ihre Trennung zur Folge hatte. Seine Rache waren all die erbaulichen Fotos samt Sprüchen auf seiner Website gewesen. Hätte sie nicht bereits zu diesem Zeitpunkt merken müssen, dass etwas mit ihm nicht stimmte?
Gwen starrte weiterhin schweigend aus dem Fenster. Sie wollte ihn nicht ansehen. Nichts von seinem Irrsinn mitbekommen, der über ihr schwebte wie ein Damoklesschwert. Die Landschaft zog an ihnen vorbei, wie eine Szene in einem Thriller, bei der das Opfer sich geradewegs in die Gefahr begab und noch nicht wusste, was auf es zukommen würde, der Zuschauer allerdings schon. Genauso fühlte sie sich jetzt. Sie war sein Opfer und hatte nicht die leiseste Vorstellung, was er mit ihr vorhatte.
Gordon steuerte den Wagen an Armadale vorbei in Richtung Aird of Sleat.
Was wollte er in dieser abgelegenen Gegend? Sie vergewaltigen und dann töten?
Inzwischen erschien ihr alles möglich. Sie passierten Sleat und fuhren noch ein Stück weiter in Richtung Küste. Schließlich aber lenkte Gordon den Wagen auf eine Wiese neben der Straße und schaltete den Motor aus.
»Endstation! Aussteigen! Den Rest schaffen wir zu Fuß.« Gwens Herz rutschte in die Hose.
Hier gab es nichts! Niemanden, der ihre Schreie hören konnte. Das Dorf lag bereits viel zu weit entfernt.
Als Gordon ihr Zögern bemerkte, riss er vehement seine Autotür auf, rannte um den Wagen herum, öffnete ihre und zog sie an den Haaren hinaus. Gwen schrie vor Entsetzen und Schmerz laut auf. Doch Gordon war unerbittlich. Er zog sie an den Haaren hinter sich her, bis zu einer kleinen Bucht, in der ein vertäutes Schnellboot lag. Gwen wehrte sich mit aller Kraft gegen ihn. Sie trat um sich, und versuchte dabei Gordon in die Hand zu beißen, damit er sie endlich losließ, doch er quittierte ihre Bemühungen nur mit einem diabolischen Grinsen, dann holte er aus und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Der Schlag kam so unerwartet, dass sie taumelte, während ihr Tränen in die Augen schossen.
»Entweder du folgst mir jetzt freiwillig oder du wirst den Rest unserer Reise bewusstlos sein. Du kannst es dir aussuchen«, bemerkte er genauso hart, wie zuvor sein Schlag gewesen war.
»Wohin bringst du mich?«, stammelte sie unter Tränen.
»Dahin, wo du mir nicht mehr entkommen kannst! Wir fahren nach Eigg und wenn mich nicht alles täuscht, dann gibt es dort einen Ort, der dir die Fähigkeit nimmt, dich überhaupt noch zu bewegen.«