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Cairan fühlte sich wie ein gefangenes Tier im Käfig. So sehr er sich auch den Kopf zermarterte, keine der von ihm in Betracht gezogenen Möglichkeiten konnte ihn aus dem Feenreich bringen.

Aye, es war vielleicht möglich, jetzt, nachdem Ron die Trugbilder an den Wänden entfernt hatte, ihnen so nahezukommen, um einen Gang hinaus zu graben, aber wie lange sollte das mit bloßen Händen dauern? Die Zeit verging hier anders. Selbst wenn er nur einen Tag dafür benötigte, war für Gwendoline bereits ein Jahr vergangen. Eine verdammt lange Zeit, in der sie auf sich alleine gestellt war.

Außerdem konnte jeder MacLeod seine Melodie erst kurz vor seinem Tod hören, was nur bedeuten konnte, dass ihrer ebenfalls kurz bevor stand. Die Tür, durch die Morgane immer zu ihm gekommen war, war zwar noch immer da, aber auch durch sie konnte er nicht hindurch. Vielleicht war es ja so, dass nur Angehörige ihres Volkes sie passieren konnten, um zu verhindern, dass ihre menschlichen Lakaien mehr von ihrem Reich sahen als gewünscht. Dennoch ...

Ron! Ron hatte die Trugbilder entfernt und ihm die Möglichkeit gegeben, ins Menschenreich zu kommen. Vielleicht konnte er es ja auch ein zweites Mal. Egal, was auch immer sein Preis dafür wäre, er war bereit ihn zu zahlen. Cairan wappnete sich gegen das, was nun kommen würde und schrie aus Leibeskräften.

»Ron!« Ein lautes, tiefes Gelächter ertönte fast gleichzeitig direkt hinter ihm. Cairan drehte sich abrupt zu ihm herum. Rons eisblaue Augen funkelten amüsiert, während er ihn von oben bis unten musterte.

»Ich frage mich bereits seit geraumer Zeit, wann du endlich auf den Gedanken kommen würdest, mich zu rufen. Erstaunlich, wie lange eure Gehirne manchmal brauchen, um an das Naheliegendste zu denken. Wie ich sehe, hat sie dir noch nicht einmal die Zeit gelassen, dich zu bedecken. Ich hoffe du frierst nicht allzu sehr, oder?« Cairan funkelte ihn wütend an, bewegte sich aber instinktiv dabei rückwärts auf das Bett zu, fingerte nach der Decke und schlang sie sich mit einer schnellen Bewegung um die Hüften. Rons Gelächter wurde noch eine Spur lauter.

»Wenn ich Morgane wäre, dann wäre es durchaus verständlich, dass du deine Blöße vor mir verbirgst, aber ich kann dich beruhigen, ich bin ausschließlich dem weiblichen Geschlecht zugeneigt. Demnach geht von mir für dich keine Gefahr aus. Jedenfalls nicht in dieser Beziehung.«

»Das habe ich auch nicht angenommen!«, knurrte Cairan ihn an.

»Ach? Gut zu wissen, aber du willst mit mir sicher nicht über dein jungfräuliches Hinterteil reden. Was willst du dann?«

»Als wenn Ihr das nicht bereits wüsstet.« Ron grinste ihn breit an und nickte.

»Die kleine Gwendoline hat dich ins Feenreich zurückbeordert und du möchtest, dass ich dich zu ihr zurückschicke. Ja, das weiß ich bereits. Aber ...«

»Aber, dazu bedarf es einen Handel«, ergänzte Cairan seine Ausführungen.

»Auch! Doch eigentlich wollte ich etwas ganz anderes sagen. Nämlich, ich hätte dich für klüger gehalten. Du warst so sehr mit deiner Rache beschäftigt, dass du die wirklich wichtigen Dinge übersehen hast, die ich dir förmlich auf einem silbernen Tablett serviert habe. Ist dir nicht bereits bei eurer ersten Begegnung aufgefallen, dass die kleine Gwendoline der verstorbenen Caileigh erstaunlich ähnlich sieht? Das ist kein Zufall. Setz dich, ich muss dir einiges erzählen.« Cairan ließ sich unbewusst auf die Bettkante fallen und sah Ron wütend dabei an.

»Was wollt Ihr mir berichten? Dass ich den Sinn meines Lebens verfehlt habe. Das braucht ihr mir nicht zu sagen, das weiß ich bereits.«

»So würde ich es nicht nennen, aber es kommt dem, was ich sagen will, verdammt nahe. Ihr Menschen seid für uns so faszinierend, weil ihr in unseren Augen so töricht seid. Ihr schwört euch ewige Treue, doch was Ewigkeit bedeutet, ist euch vollkommen fremd. Wie solltest ihr auch eine Vorstellung davon bekommen, wenn eure Lebensspanne nichts weiter als ein Wimpernschlag in unserer ist. Doch nicht nur darin liegt eure Gedankenlosigkeit. Nehmen wir dich als Beispiel. Dein einziger Lebenssinn bestand nur noch aus deinem Wunsch, sich an denen zu rächen, die du für dein Unglück verantwortlich gemacht hast. Und wie sollte sie aussehen? Du wolltest sie töten.« Cairan wollte etwas einwerfen, doch Ron hielt ihn davon ab.

»Sag jetzt nichts, ich bin noch nicht fertig. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei ihrem Tod. Für euch ist er eine gerechte Bestrafung, denn Blut muss mit Blut bezahlt werden, doch was dann? Dann wird Blut wieder mit Blut bezahlt, solange, bis ihr euch selbst ausrottet. Für mein Volk hingegen wäre der Tod manchmal eine Erlösung, denn in einem ewigen Leben ist nichts schlimmer als das tägliche Einerlei und die Langeweile. Deshalb befassen wir uns mit euch, damit ihr uns Kurzweil verschafft und uns unser Leben erträglicher macht. Ich bin derjenige, der, sagen wir es einmal in Gwens Sprache, all den Dreck, den die anderen anrichten, wegschafft. Was mich zu dir bringt. Dein Leben, mein junger Freund, war eine Ansammlung von glücklichen Fügungen, die du allesamt verstreichen ließest. Deine kleine Caileigh hat dich mehr geliebt als ihr Leben. Du hättest auf sie hören sollen, als sie mit dir fliehen wollte. Aber du musstest dich ja in deinem Selbstmitleid suhlen, weil du der Meinung warst, nicht gut genug für sie zu sein. Der arme kleine Pächtersohn, der ihr nichts zu bieten hatte. Welch schwerwiegender Irrtum! Dein Zögern hat ihr das Leben gekostet. Und es war ganz alleine deine Schuld.«

»Das weiß ich«, gab Cairan zu. »Wir hätten gemeinsam fliehen sollen. Ich hätte sie niemals zurücklassen dürfen.«

»Davon spreche ich nicht. Zu diesem Zeitpunkt war es längst zu spät und deine Caileigh wusste es. Wenn sie mit dir gegangen wäre, wäre Williams Rache noch fürchterlicher geworden als ohnehin schon. Eure beiden Clans waren immer erbitterte Gegner, aber eure gemeinsame Flucht, hätte zu einem offenen Krieg geführt, der den Untergang beider Clans zur Folge hätte haben können. Das war ihr bewusst, dir allerdings nicht. Als sie dich bat, mit ihr zu fliehen, damals am Strand, da wusste sie bereits, dass jeder weitere Moment, den du zögerst, unweigerlich zu einem Debakel führen würde. Damals wärt ihr unentdeckt geblieben. Doch ... Cairan sie trug bereits da dein Kind unter ihrem Herzen und wusste es. Sie wusste, dass niemals ein anderer Mann bei ihr liegen konnte, ohne dass ... Bei deiner Verhaftung hat sie William belogen, und als deine Flucht dann entdeckt wurde, musste er schnell handeln, um zu verhindern, dass du ihm noch einmal in die Quere kommen konntest. Doch leider sah Caileigh das etwas anders. Sie hat sich von einer Klippe ins Meer gestürzt, um ihrem Schicksal zu entgehen, denn sie glaubte an die ewige Liebe, an eure Treueschwüre bis über den Tod hinaus.«

»Was sagt Ihr da? Ihr lügt! Caileigh hätte mir gesagt, wenn sie ...«, schrie Cairan ihn wütend an.

»Ich wünschte, es wäre so, aber wir Túatha Dé Dannan können nicht lügen.«

»Dennoch, wie könnt Ihr das alles wissen? Ihr ...«

»Sagte ich nicht bereits bei unserer ersten Begegnung, dass ich so einiges weiß und wenn du mich ausreden lassen würdest, könnte ich dir noch viel mehr sagen«, unterbrach Ron ihn. Cairan starrte ihn an, schwieg aber.

»Gut, ich werte dein Schweigen, als Aufforderung«, entgegnete Ron ihm.

»Kommen wir nun zu unsere kleinen Gwendoline. Erinnerst du dich noch, an den Liebesschwur, den ihr, Caileigh und du, euch gegeben habt? Wenn ich dich so betrachte, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass du es tust. Sie hat ihren gehalten. Sie hat dich bis über den Tod hinaus geliebt. Ich weiß nicht, ob du die Geschichte von der Entstehung der Menschen kennst, wie wir sie uns erzählen, deshalb werde ich sie kurz für dich zusammenfassen. Der Mensch war einmal etwas, das gleichzeitig Mann und Frau war. Er besaß genau wie wir das ewige Leben, doch im Gegensatz zu uns lebte er in völligem Einklang mit sich selbst, denn er musste nicht mehr nach seiner anderen Hälfte suchen. Allerdings hatte er auch einen Schwachpunkt. Magie war ihm völlig fremd. Einige der Túatha Dé Dannan fanden es ungerecht, dass er all diese Dinge besaß, nach denen sie ständig auf der Suche waren. Der Neid begann sie zu zerfressen. Deshalb schlossen sie einen Pakt. Sie lockten den Menschen in eine Falle und rissen ihn in zwei Teile. In einen Männlichen und einen Weiblichen. Zudem missbrauchten sie ihre Magie, um ihn sterblich zu machen. Sie hofften, ihn dadurch zu zerstören, doch genau das Gegenteil war der Fall. Der Mensch wurde stattdessen stärker als sie, denn wenn sich beide Hälften erneut fanden, dann war er wieder vollkommen und auch sein Leben währte ewig, denn die beiden Seelen verbanden sich wieder zu einer und fanden im Jenseits, wie ihr es nennt, das ewige Glück. Das Glück, das den Túatha Dé Dannan noch immer verwehrt blieb, denn sie besaßen keine Seelen, die sich verbinden konnten. Das soll nicht heißen, dass wir seelenlos sind. Nur unsere Seelen bleiben immer allein. Sie fristen ein einsames Leben und diese Einsamkeit ist der Grund dafür, dass wir manchmal ... Was ich dir wirklich sagen will, ist, dass wenn eine Seele ins Jenseits geht, ohne ihr Gegenstück, dann kehrt sie immer wieder zurück, solange, bis sich beide Teile wieder vereinen können.« Cairan sah ihn nachdenklich an.

»Ihr wollt mir damit sagen dass Caleigh und Gwendoline ...« Ron nickte.

»Ja, sie haben dieselbe Seele in sich. Doch leider hast du es nicht begriffen, selbst dann nicht, als ich euch Träume schickte, die euch förmlich darauf stießen. Das Schlimme daran ist aber nicht nur, dass ihr beide es nicht verstanden habt, sondern dass das Ganze so enden wird, wie es schon einmal endete.«

»Von Euch waren die Träume?« Ron nickte.

»Aber warum? Was hat das zu bedeuten?«

»Muss ich es wirklich aussprechen?« Cairan schüttelte unbewusst seinen Kopf.

»Nein!«

»Ich werde es aber dennoch tun. Du, mein junger Freund wirst hier solange festsitzen, bis dich ein natürlicher Tod ereilt. Wie lange ist eure Lebensspanne? 80 Jahre, 100 Jahre? Demnach kannst du dir ausrechnen, wie lange du hier festsitzen wirst.«

»19000 Tage in etwa, was genauso viele Jahre bedeuten würde«, Cairan murmelte die Zahl geistesabwesend vor sich hin. Während Ron nickte.

»Und was bedeutet das für die kleine Gwendoline? Wie viel Leben soll sie noch verbringen, bis ihre Seele ihrem Gegenstück im Jenseits begegnet? Aber viel Zeit bleibt ihr sowieso nicht mehr. Dann steigt ihre Seele auf, sucht, findet nicht und kehrt zurück. Aber genau das hast du ja gewollt. Jeder MacLeod sollte leiden und eine wird wirklich bis in alle Ewigkeit leiden.«

»Wie kann ich es verhindern?«, Cairan war kaum in der Lage zu sprechen. Das, was Ron ihm zu erklären versuchte, war unfassbar und höchstwahrscheinlich auch wieder eine der Geschichten, die die Túatha Dé Dannan entsannen, um ihn in die Irre zu führen. Doch wie dem auch sei, in einem hatte Ron dennoch recht. Er hatte in Bezug auf Caileigh versagt und war gerade dabei genauso bei Gwendoline zu versagen.

»Ihr müsst mich zu ihr zurückschicken.«

»So, muss ich das? Und was geschieht dann?«

»Ich werde den Fluch von ihr nehmen und sie retten.«

»Du vergisst dabei eines. Der Fluch kann nicht zurück genommen werden. Nicht solange du das Feenmal trägst. Ich weiß, was du jetzt denkst. Du denkst, dass dein Tod den Handel null und nichtig macht. Aber das stimmte nicht. Nur Morganes Tod würde dafür sorgen, dass er seine Wirksamkeit verliert, denn nicht du bist die ausführende Gewalt, sondern sie und so lange du ihr Feenmal trägst ist sie daran gebunden. Und da sie eine Túatha Dé Dannan ist ... Du siehst also, so einfach, wie du es dir vorstellst, ist es bei Weitem nicht.«

»Aber ich kann wenigstens dafür sorgen, dass er sie nicht bereits jetzt trifft. Vielleicht kann ich später dann ... Ron, ich flehe Euch an, schickt mich zurück zu ihr.« Ron sah ihn eine Weile nachdenklich an.

»Du liebst sie wirklich«, bemerkte er schließlich.

»Aye! Mehr als mein Leben.«

»Gut, dann bin ich bereit, dir zu helfen. Du weißt aber, dass es nicht ohne einen Handel geht.« Cairan nickte.

»Ich weiß und ich bin bereit, jeden Preis dafür zu bezahlen.« In Rons Augen trat dieses unheimliche Glühen, dass jedoch schnell einem amüsierten Funkeln wich.

»Dann mein lieber junger Freund, habe ich eine Aufgabe für dich, die dir vielleicht gefallen wird. Als Gegenleistung verlange ich von dir, dass du sie glücklich machst.«

»Was?« Cairan war so überrascht, dass ihm die Worte fehlten. Hatte er gerade richtig gehört?

»Du hast mich schon richtig verstanden. Doch, Gnade dir Gott, wenn du deinen Teil des Handels nicht erfüllst. Aber jetzt solltest du dich wirklich sputen, denn Eile ist geboten. Geh und rette sie, solange es dafür nicht zu spät ist.«

Cairan spürte das ihm bekannte Ziehen, das durch seinen Körper fuhr. Gleichzeitig sah er Ron, das Bett und die braunen Wände verschwimmen, solange, bis sie sich vollständig auflösten und er somit aus dem Feenreich verschwand.

Ron lief grinsend zum Bett und ließ sich leichtfüßig darauf fallen. »Showdown«, flüsterte er vor sich hin. Seine Rechnung war wieder einmal aufgegangen. Fehlte nur noch das Ende. Diesmal war es sogar einfacher als gedacht gewesen. Ein Gespräch hier, ein Traum da und schon fügte sich zusammen, was zusammen gehörte. Das Ende allerdings war immer am kniffligsten. Gut, er mochte die Märchen, die mit »Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende« endeten, doch das Leben war kein Märchen. Demnach musste man sich das »Glücklich bis an ihr Ende« verdienen, ob der MacDonald allerdings bereit war, den Preis dafür zu bezahlen, würde sich bald zeigen. Sehr bald sogar und er konnte es kaum abwarten, zu sehen, wie der Junge sich dabei schlug.