Cairans Nervosität wuchs. Obwohl Brian mit seinen Männern wirklich fast zur selben Zeit in Sleat angekommen war und das Boot mit einer solchen Geschwindigkeit über das Wasser eilte, das es unheimlich war, ging es ihm dennoch nicht schnell genug. Dusten hatte bereits mehrfach angerufen und ihm mitgeteilt, dass Gwens Telefon sich jetzt in der Nähe der Uamh Fhraing befand und er ein Boot gefunden hatte, dass ihn ebenfalls zur Isle of Eigg übersetzen würde.
Wenn sie Angst vor Höhlen und engen Felsspalten hatte, dann ... Verflucht! Nicht nur für sie war die Höhle ihr schlimmster Albtraum. Aber dennoch, er würde selbst durch die Hölle gehen, wenn er sie nur auf diese Weise retten konnte.
Während der Überfahrt verschaffte sich Brian bei ihm erst einmal einen genauen Überblick über die Lage. Cairan mochte den jungen Mann, der in etwa sein Alter hatte. Er war aufgeschlossen, freundlich und schien genau zu wissen, was er tat. Dennoch, je länger die Fahrt dauerte, umso unruhiger wurde er. Schließlich aber sah er die Küste von Eigg vor sich auftauchen. Es dämmerte, als Brian das Boot in einer Bucht vor Anker gehen ließ. Von ihrem Standort aus konnten sie sehen, dass dort bereits ein viel kleineres Boot am Strand vertäut worden war.
»Wir lassen eines der Schlauchboote zu Wasser und setzen dann über«, bemerkte Brian an Cairan gewandt.
»Nicht nötig! Ich schwimme! Aber vielleicht wäre es besser, wenn ihr mir folgt. Ich weiß nicht, was mich dort erwartet, deshalb ...«
»Cairan, Dusten hat mir gesagt, dass du wahrscheinlich etwas Kampferfahrung hast. Er hat erwähnt, dass du bereits in mehreren Schlachten gekämpft hast, dennoch, auch wenn deine Ausbildung vielleicht von Vorteil ist, geh kein Risiko ein. Meine Männer sind bewaffnet und können den Dreckskerl jederzeit überwältigen. Wir wissen nicht, ob er nicht ebenfalls bewaffnet ist, und du hast keine Schutzweste, demnach ...« Cairan verstand zwar nur die Hälfte von dem, was er sagte, aber dennoch nickte er.
»Aber vielleicht ist es besser, wenn einer von uns erst einmal die Lage auskundschaftet«, warf er ein.
»Gut, ich gebe dir eine Viertelstunde Vorsprung. Sollten wir in der Zeit nichts von dir hören, folgen wir dir.« Cairan nickte erneut, dann zog er seine Jacke aus und sprang ins Wasser. Als er jedoch den Strand erreichte, hielt er erschrocken inne.
War das ein Feuerschein, der unweit der Uamh Fhraing zu erkennen war?
Unbewusst hielt er den Atem an, kniff seine Augen zusammen und spähte in die Richtung.
Aye! Das war ein Feuer! Verdammt!
Cairan näherte sich vorsichtig der Höhle. Selbst aus der Entfernung konnte er den strengen Brandgeruch, den feuchtes Holz verbreitet, riechen. Doch in den Geruch mischte sich auch etwas, das ihm vollends unbekannt war. Und dann sah er ihn! Ein großer, hagerer Kerl stand mit verschränkten Armen vor dem Feuer und starrte in die Flammen, dabei lachte er so laut und irre, dass es beinahe in den Ohren wehtat. Von Gwen fehlte allerdings jedwede Spur.
Was, wenn sie sich in der Höhle befand? Der Wind wehte vom Meer landeinwärts, sodass der Rauch ... Verflucht noch eins! Ron hatte recht. Alles wiederholte sich. Nicht nur sein Versagen bei Caileigh sondern auch das Feuer an der Uamh Fhraing.
Cairan ließ sich instinktiv auf den Boden fallen und robbte weiter vorwärts. Der Kerl schien dermaßen fasziniert von den Flammen, dass er ihn scheinbar gar nicht bemerkte. Vorsichtig zog er den Sgiann Dubh aus seiner Scheide und nahm ihn in seine Hand, suchte im Schatten neben der Höhle Deckung und richtete sich wieder auf. Wenn er jetzt auf den Hundsfott zu stürmte, dann konnte er ihn schnell und leise ausschalten, ohne sich selbst dabei in Gefahr zu begeben. Doch darin irrte er. Kaum dass er leise aus dem Schatten trat, drehte sich der Mann grinsend zu ihm um.
»Ah, der Liebhaber! Ich habe viel eher mit dir gerechnet. Schade, dass du nicht früher gekommen bist. Jetzt ist es leider zu spät. Die kleine Gwendoline ist mit Sicherheit schon von uns gegangen. Ein Jammer! Aber Strafe muss sein!« Cairan war außer sich.
Dieser verfluchte Hundsfott! Dieses elende Schwein! Wenn Gwendoline wirklich bereits tot war, dann war ein gezielter Kehlenschnitt bei Weitem nicht genug, um seinen Rachedurst zu stillen. Ohne zu überlegen, stürmte Cairan auf den Kerl zu, doch das schien den anderen nur noch mehr zu amüsieren. Der Mann grinste diabolisch, dann hörte Cairan einen Knall, sah gleichzeitig einen Gegenstand in dessen Hand aufblitzen und fühlte, wie etwas in seine Seite eindrang. Es tat höllisch weh, doch so schnell gab er nicht auf. Er rannte einfach weiter, direkt auf seinen Gegner zu. Dort angekommen, stürzte er sich mit seinem gesamten Gewicht auf den Mann. Dieser brach erneut in lautes Gelächter aus, das nur von einem weiteren Knall unterbrochen wurde, der ihm einen Schmerz in seinem rechten Oberarm einbrachte. Obwohl er bereits auf ihm lag, lachte der andere noch immer.
»Mit einem kleinen Messer, willst du mich besiegen? Wie bescheuert kann man sein?«, hörte er ihn lachend sagen. »Das ist, als würde man mit einem Löffel einen Tunnel durch ein Bergmassiv graben. So richtig helle bist du nicht, aber vielleicht war ja der Sex mit dir so gut, dass sie dich deshalb mir vorgezogen hat. Wie sagt man so schön? Dumm ...« Weiter kam er nicht. Cairan holte aus und schlug ihm mit seiner Faust ins Gesicht. Schlagartig verstummte der andere. Anstatt ihn auch weiterhin anzugrinsen, verzog er nun sein Gesicht zu einer wütenden Fratze.
»Das hättest du besser nicht tun sollen. Niemand schlägt mich! Und vor allen Dingen nicht so ein jämmerliches Würstchen wie du.«
»Ihr!«, brachte Cairan wutschnaubend zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Meinetwegen beleidigt mich ruhig, aber nicht Ihr sondern ich werde es sein, der am Ende lacht.«
»Meinst du?« Er sah es nicht kommen, dafür fühlte er es umso mehr. Ein weiterer Knall und Cairan spürte wie sich der Schmerz, der von seinem Bauch ausging, wie ein Feuer in seinem ganzen Körper ausbreitete. Und dann sah er das Blut, das aus seinem Arm und aus seinem Bauch sickerte.
Verdammt! Es war offensichtlich, dass der Kerl ihn töten würde, aber wenn, dann würde er ihn mitnehmen. Die Hölle war groß genug für sie beide. Nur, wenn er hier starb, dann war Gwendoline wirklich verloren. Jedenfalls, wenn Brian nicht bald mit seinen Männern hier auftauchte.
Cairans Gedanken rasten.
Der Gegenstand, den der andere in seiner Hand hielt, war schuld an seinen Verletzungen. Vielleicht war es eine Art Steinschlosspistole, die damals in seiner Zeit gerade an Beliebtheit gewonnen hatten, nur musste man nicht erst eine Lunte entzünden, um sie abfeuern zu können? Aber, wenn er es bedachte, in einer Zeit, in der man Wasser durch Wände leiten und mit Menschen über Meilen hinweg reden konnte, war es vermutlich auch möglich, gleich mehrere Kugeln hintereinander abzufeuern, ohne dafür eine Lunte zu benutzen. Wie dem auch sei, wenn er wenigstens so lange überleben wollte, um Gwendoline noch zu retten, dann musste er auf jeden Fall verhindern, dass der Kerl ihn noch einmal benutzte.
Cairan drehte sich so zur Seite, dass er die Hand des Kerls zu fassen bekam. Doch langsam schwanden seine Kräfte.
Was war das nur für eine Zeit, in der Männer nicht mehr ihre Kämpfe mit Breitschwert und Sgiann Dubh ausfochten, sondern mit knallenden steinschlosspistolenartigen Gegenständen, die sogar aus der Ferne Verletzungen verursachen konnten. Eines war sicher, noch einmal durfte der andere, ihn nicht benutzen, denn eine weitere Verletzung würde es ihm unmöglich machen, sich weiterhin gegen ihn zur Wehr zu setzen.
Cairan versuchte mit aller Gewalt, die Hand des anderen zu öffnen, um den Gegenstand aus ihr zu entfernen. Mittlerweile wälzten sie sich über den Boden. Mal gewann Cairan die Oberhand, mal der andere. Schließlich, als er es wieder einmal geschafft hatte, den Kerl auf den Boden zu drücken und sich auf ihn zu setzen, knallte es erneut.
Cairan wartete auf den Schmerz, der jedem Knall gefolgt war, doch er blieb aus. Zögernd richtet er daraufhin seinen Blick auf den Mann. Ein riesiger Blutfleck breitete sich auf dessen Brust aus, während Blut aus seinen Mundwinkeln lief.
»Gratuliere!«, murmelte dieser kraftlos. »Du hast mich schachmatt gesetzt, nur leider viel zu spät!«, dann verloren seine Augen, die sich anklagend auf ihn richteten, jedweden Glanz und es war vorbei.
Erst jetzt spürte Cairan, wie schwach er wirklich war. Als er versuchte, sich auf die Beine zu stellen, knickten sie einfach unter ihm weg. Er sah sich hilfesuchend nach Brians Männern um, doch noch immer war keiner von ihnen zu sehen. Ihm war es so vorgekommen, als hätte er stundenlang mit dem Kerl gekämpft, doch anscheinend war es weit weniger als eine Viertelstunde gewesen, wie lang das auch immer sein mochte. Wenn nicht bald Hilfe kam, dann war es mit Sicherheit zu spät, Gwendoline noch retten zu wollen und zu können.
Er hatte keine Ahnung, wie lange das Feuer vor der Höhle bereits brannte, aber damals hatte es nicht sehr lange gedauert, bis all die Menschen um ihn herum eingeschlafen und gestorben waren. Da er der Einzige war, der sich in ihrer Nähe befand, war er auch der Einzige, der sie noch retten konnte.
Und hatte er nicht geschworen sie selbst dann zu retten, wenn es seinen Tod bedeutete? Aye!
Cairan suchte im Gras nach dem Sgiann Dubh, der ihm bei dem Kampf aus der Hand gefallen war. Als er ihn fand, steckte er ihn zurück in seine Scheide und richtete sich auf. Der Schmerz war unerträglich, dennoch musste er es schaffen. Mit der Kraft der Verzweiflung brachte er es tatsächlich fertig, sich bis an den Eingang der Höhle zu schleppen. Er zog einen brennenden Ast aus dem Feuer und bewegte sich anschließend auf den Eingang der Höhle zu. Dort angekommen lehnte er sich erst einmal gegen die Wand und atmete einige Male hektisch tief ein und aus. Auch das Atmen fiel ihm inzwischen schwerer. Dass dies nicht nur an dem Rauch des Feuers lag, war ihm mehr als bewusst. Anschließend zwängte er sich durch den schmalen Spalt in die Uamh Fhraing hinein.
Seine provisorische Fackel erhellte den Bereich, in dem er sich gerade befand. Die Flamme warf tanzende Schatten an die Wand, doch noch ging sie nicht aus, was nur bedeuten konnte, dass das Feuer noch nicht lang genug brannte, um die Luft in der Höhle so schlecht zu machen, dass man in ihr nicht mehr atmen konnte. Cairan tastete sich vorsichtig vor.
Wenn die Wunde selbst ihn nicht umbrachte, dann der Schmerz, den sie bei jedem Schritt verursachte.
Als er schließlich fast am Fuß der Höhle angekommen war, sah er sie endlich. Sie lag zusammengekauert auf dem Boden. Ihre Augen waren geschlossen. Der Kerl hatte sie an Beinen und Armen gefesselt und ihr einen Knebel in den Mund gesteckt. Zudem zeigte sich ein dunkelblauer Fleck auf ihrer Wange.
Schon dafür hätte er ihn noch einmal töten können.
Cairan schleppte sich zu ihr und ließ sich neben ihr auf die Knie fallen. Er stöhnte laut, und drückte seine flache Hand auf die Wunde an seinem Bauch, doch das Blut sickerte unablässig weiter aus ihr heraus.
Gut so, dann starb er hier neben ihr. Und sie würden endlich vereint sein.
Doch, als sein Blick erneut auf sie fiel, sah er zu seinem Erstaunen, dass sie noch atmete. Dann war sie demnach nur bewusstlos. Er schickte ein Stoßgebet gen Himmel und vergewisserte sich noch einmal, indem er seinen Kopf auf ihre Brust legte.
Aye! Sie atmete wirklich noch. Demnach bestand noch Hoffnung, wenigstens für sie.
Als Erstes musste er sie jedoch von ihren Fesseln befreien. Sie würden ihn nur behindern, wenn er sie aus der Höhle trug. Cairan griff nach seinem Sgiann Dubh und durchtrennte die Seile, danach zog er ihr den Knebel aus dem Mund. Er konnte hören, wie sie, endlich davon befreit, laut durch den Mund Luft einsog.
»Bleib ganz ruhig, mo chridhe, du wirst leben. Ich bringe dich von hier fort.« Er warf die Fackel in etwa in die Mitte der Höhle, damit er wenigstens einen Punkt hatte, an dem er sich orientieren konnte, und atmete erleichtert aus, als sie nicht sofort ausging. Obwohl er kaum noch selbst auf den Beinen stehen konnte, schaffte er es, sie irgendwie auf seine Arme zu heben. Dann tastete er sich langsam zum Ausgang vor. Der Spalt war eine Qual. Da er nicht wollte, dass sie verletzt wurde, schrammte sein gepeinigter Körper gegen die schroffen Felskanten und wurde auf diese Weise noch mehr malträtiert. Letztendlich spürte er jedoch die frische, sanfte Brise, die ihnen vom Meer aus entgegenwehte, als sie endlich ins Freie traten. Er war sich bewusst, dass es für ihn das letzte Mal sein würde, sie auf diese Weise zu spüren. Deshalb atmete noch einmal tief durch.
Aye! Das hier war sein Ende und es kam nicht im Feenreich zu ihm, sondern an der Stelle, wo es bereit vor 500 Jahren hätte enden sollen.
Da er es geschafft hatte, sie zu retten, war er dennoch glücklich. Er hörte die aufgeregten Stimmen einiger Männer, die sich ihm nun näherten, schaffte es gerade noch, sich auf die Knie zu werfen, um Gwendoline sanft auf den Boden zu legen und noch einmal ihre Lippen mit seinen zu berühren, bevor er endgültig zusammenbrach und die Besinnung verlor.