Anton lehnte sich in dem dick gepolsterten Drehstuhl hinter dem höhenverstellbaren Schreibtisch zurück und versuchte sich vorzustellen, was die Kollegen in diesem noblen Bunker den ganzen Tag lang trieben. Das Fenster bot einen Panoramablick auf den Alten Hafen und die Elbmündung. Durch die offen stehende Bürotür konnte er auf einen lichtdurchfluteten Korridor sehen, wo sich ein blaugrauer Teppichboden fleckenfrei über den Fußboden ergoss. Im gesamten Gebäude war es mindestens zehn Grad kälter als draußen, man hatte also sogar eine Klimaanlage installiert, damit die oberen Dienstgrade vor ihren überdimensionalen Full-HD-Flachbildschirmen nicht ins Schwitzen gerieten. Trotzdem war sich Anton nicht sicher, wie lange er es noch ertragen würde, hier sinnlos seine Zeit zu verplempern.
Gerade zog er sein Handy aus der Hosentasche und begann, das Verzeichnis durchzuscrollen, als eine breite Silhouette den Türrahmen verdunkelte.
»Ich hatte mich schon gefragt, wann du hier auftauchen wirst«, sagte Christian Hansen. Er betrat sein Büro und setzte sich kommentarlos auf einen der Besucherstühle.
»Wir hatten da draußen eine Menge um die Ohren«, gab Anton in einem beiläufig klingenden Ton zurück. Gleichzeitig spürte er, wie sein Puls gegen die Halsschlagader pochte, was Hansen zweifellos bemerkte. »Ein Crash mit zwei Schüttgutfrachtern und einem Containerriesen. Ziemlich lästig, das Ganze, wenn du mich fragst. Aber hey, du wirst sicherlich davon gehört haben. Ich möchte dich also nicht langweilen. Erzähle mir lieber, was du in der Zwischenzeit so getrieben hast.«
»Ich komme gerade aus der Rechtsmedizin. Dort hatte ich eine etwas befremdliche Begegnung mit einer Redakteurin, angeblich eine Freundin des vermissten Journalisten«, entgegnete Hansen mit beeindruckendem Pokerface. »Möchtest du mir etwas dazu sagen?«
»Nein, eigentlich nicht.« Anton wippte in dem protzigen Ledersessel und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Nicht, bevor du mit der Sprache herausrückst.
Doch Hansen legte es offenbar auf einen stillen Zweikampf an.
»Und? Ist er es?«, fragte Anton, als ihm das Schweigen zu viel wurde. Er hielt es für unnötig, die Sache weiter zu präzisieren.
»Warum fragst du diese Frau nicht selbst?«
»Weil sie gerade nicht hier ist. Du schon.« Du meine Güte, was soll das werden? Spielte Hansen jetzt die beleidigte Leberwurst?
»Wie wäre es, wenn du mir vorher ein paar Fragen beantwortest?«, sagte Hansen. Zwar behielt er seine undurchdringliche Miene konsequent bei, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihm selbst im kühlen Büro der Schweiß auf die Stirn trat.
»Was ist? Hat dir jemand den Autolack zerkratzt?« Anton konnte sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen, worauf sein alter Kamerad hinauswollte.
Hansen platzte der Kragen. »Raus mit der Sprache: Wem hast du von unserem Bremerhaven-Desaster erzählt?« Er stützte sich mit den Händen auf den Stuhllehnen ab, als machte er sich zum Sprung bereit.
»Wie bitte?« Etwas anderes fiel Anton einfach nicht ein.
»Ich will wissen, ob du an meinem Stuhl sägst«, sagte Hansen mühsam beherrscht.
Anton zählte im Stillen bis zehn, um diesen Quatsch irgendwie einzuordnen. »Nimmst du Medikamente oder so was?«, fragte er schließlich.
»Warum sonst führst du hinter meinem Rücken Ermittlungen durch?«, schnappte Hansen. »Wozu, wenn nicht, um mich vor der gesamten Behörde bloßzustellen?«
»Hinter deinem was?« Nur sehr langsam dämmerte Anton, wovor sich sein früherer Kamerad fürchtete. »Du weißt, dass es immer dummes Gerede gibt. Nichts von alldem kratzt auch nur an der Wahrheit. Also wer zum Teufel stellt ausgerechnet mich als Klatschweib dar?« Im Geiste zogen die Gesichter aus der Fischhalle vorüber, bis endlich seine Alarmglocken schrillten. »Doch nicht etwa Dorothea?«
Endlich kam Bewegung in Hansens Pokerface. Über Augen- und Mundwinkel zuckte ein wahres Unwetter, das Anton nicht einmal ansatzweise zu deuten vermochte. Schließlich öffnete Hansen die Lippen. Fast schien es, als wollte er Anton erneut zur Rede stellen, dieses Mal mit anderen Argumenten. Dann entschied er sich offenbar anders. Erschöpft lehnte er sich zurück, zückte ein Taschentuch und tupfte sich damit den Schweiß von der Stirn.
»Die Redakteurin glaubt nicht, dass unser Zombie Benno Frey ist«, sagte er müde.
Anton nickte nur. Wie er es sich gedacht hatte also.
»Benno Frey ist dein Informant, richtig?«, fragte er jetzt geradeheraus, um die Sache abzukürzen. »Du hattest einen großen Coup geplant, der die Katastrophe vom letzten Jahr wettmachen soll.«
Er deutete Hansens Schweigen als Ja.
»Ich bin hier, um dir zu helfen«, legte er nach. Das stimmte zwar so nicht, doch er hielt es für sinnvoll, seinen alten Kameraden etwas versöhnlicher zu stimmen. Den Kleine-Jungs-Streit könnten sie auch später noch zu Ende führen. Er griff in seine Hosentasche und zog den USB-Stick hervor.
»Frey hat ein paar interessante Aufnahmen gemacht. Wir müssen einen alten Tonnenleger identifizieren und dessen Schiffsbewegungen der letzten Tage zurückverfolgen. Gut möglich, dass wir anschließend einigen Drogenkurieren mächtig in den Arsch treten können.«
Hansens Augenbrauen wanderten ruckartig in die Höhe.
»Die AIS-Daten werden im Überwachungsraum gespeichert«, sagte er, während er sich aus dem Stuhl erhob und zur Tür hinauseilte. »Was ist? Kommst du?«
Für einen winzig kleinen Moment sah Anton wieder den Freund vor sich, der Christian Hansen ihm so lange Jahre gewesen war. Er schüttelte den Schauer der Wehmut ab. Wortlos folgte er ihm den Flur entlang.
Wie jedes Mal, wenn er das vor modernster Technik strotzende Großraumbüro betrat, fühlte sich Anton wie an Bord der USS Enterprise gebeamt. Gleichzeitig rätselte er, wo man die fette Kriegskasse ausgebuddelt hatte, um den ganzen Firlefanz zu finanzieren.
Sein Blick wanderte ganz automatisch zum Wandbildschirm, auf dem die »Beluga« als rotes Dreieckssymbol zu sehen war.
»Von hier aus haben wir das ganze Desaster beobachtet«, sagte Hansen. »Zu den beiden kleineren Frachtern hatten wir Funkkontakt, aber sie konnten nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Schöne Scheiße, das Ganze.«
Hansen führte ihn zu einem Schreibtisch, der ein wenig abseits der anderen stand. Eine schlanke Gestalt mit komplizierter rabenschwarzer Hochsteckfrisur tippte in Lichtgeschwindigkeit auf einer Tastatur herum. Dabei verfolgte sie kryptische Zahlen- und Buchstabenreihen, die leicht zeitversetzt über den Bildschirm wanderten.
»Das ist Jeanne, Herrin der Rechner«, sagte Hansen.
Unwillkürlich dachte Anton darüber nach, wie sehr sich die Einstellungskriterien dieser Behörde in den letzten Jahren gewandelt hatten. Jeanne trug ein schwarzes, großzügig mit Spitze besetztes Kleid, dazu altertümlichen Schmuck. Ihre makellos weiße Haut hob sich drastisch von der allgemeinen Düsternis ab. Mit ihrer auffallend aufrechten Körperhaltung wirkte diese Frau beinahe furchteinflößend.
»Hallo, Jungs«, sagte sie, ohne in ihrer Arbeit innezuhalten. »Was kann ich für euch tun?«
»Du könntest uns helfen, ein paar Kokainschmuggler in den Knast zu befördern.« Anton reichte ihr den USB-Stick, den sie ohne Umschweife in den Rechner stöpselte. Stirnrunzelnd beobachtete er, in welch irrem Tempo die Fotos auf dem Monitor erschienen. Er deutete auf die letzten Bilder in der Reihe.
»Die sind am Donnerstag auf der Tiefwasserreede von der ›Beluga‹ aus entstanden, dem Sonnenstand nach um die Mittagszeit. Wir brauchen den Namen des Tonnenlegers und die Routen, auf denen er sich in den Tagen davor und danach bewegt hat.« Er deutete auf den unscheinbaren weißen Farbtupfer im Bildhintergrund.
Ohne sich mit etwaigen Rückfragen aufzuhalten, wechselte Jeanne das Programm, sogleich erschien der entsprechende Ausschnitt der Seekarte.
»Hier ist die ›Beluga‹ am 12. Juli um zwölf Uhr siebenundvierzig«, sagte sie und deutete auf eines der Symbole. »Alle anderen sind ebenfalls Containerschiffe. Ein Tonnenleger ist nicht dabei.« Rasch wechselte sie zu früheren und späteren Zeitfenstern, dabei sprang sie so schnell hin und her, dass Anton beim Zusehen schwindelig wurde.
»Nichts«, verkündete Jeanne noch einmal. »Entweder es ist das falsche Datum, oder –«
»– sie hatten ihr AIS deaktiviert«, vollendete Hansen ihren Satz.
Wie jedes andere Funksignal ließ sich das AIS per Knopfdruck ausschalten. Auf diese Weise verschwand das betreffende Schiff jedoch nicht nur von den Bildschirmen anderer, sondern nahm sich selbst die elektronische Sicht für seine Umgebung. Zwar benutzte man in den Steuerständen nach wie vor klassische Radarsysteme, allerdings bildeten diese stets nur einen kleinen Ausschnitt der Umgebung ab. Zudem zeigten sie die Objekte auf See lediglich als gleichförmige Punkte. Es war unmöglich, zu unterscheiden, ob es sich dabei um einen Frachter, einen Eisberg oder Godzilla handelte. Anders ausgedrückt, stellte es bei dem dichten Schiffsverkehr in der Deutschen Bucht ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar, ohne das Automatic Identification System unterwegs zu sein.
»Wenn der Kapitän nicht total lebensmüde ist, hat er es irgendwo unterwegs wieder eingeschaltet«, sagte Jeanne. »Was nichts anderes heißt, als dass wir ihn finden werden.«
Anton trat einen halben Schritt zurück und rieb sich die Augen. Ohne jeden Zweifel bewunderte er die Frau für ihre Fähigkeit, doch der schnelle Wechsel der Bildschirmansichten bereitete ihm Übelkeit. Obwohl er keine weitere Bestätigung benötigt hätte, wurde ihm abermals klar, dass dieser Computerbunker nicht seine Welt war. Anton brauchte die salzige Seeluft, Wellengang unter dem Kiel und einen freien Blick zum Horizont. Trotz der tadellos arbeitenden Klimaanlage fiel ihm in diesem abgeschotteten Raum das Atmen schwer. Er öffnete einen Hemdknopf in der Hoffnung, seine Ungeduld so besser im Zaum halten zu können.
Hansen hingegen stand breitbeinig wie ein Seemann da, die geballte Faust an die Lippen gepresst. In seinem Gesicht stand eine Anspannung, die ihn innerlich zum Bersten brachte. Ein Ausdruck, den Anton schon einmal bei ihm wahrgenommen hatte. Damals, als ihr letzter gemeinsamer Einsatz so fatal aus dem Ruder gelaufen war.
Die Sonderkommission Fishtown bestand aus sieben Männern und drei Frauen, handverlesene Beamte aus Zollbehörde, Drogenfahndung und Wasserschutzpolizei. In der Mittagshitze des 15. August pirschten sie sich durch das Labyrinth des Bremerhavener Containerterminals. Keiner von ihnen wusste, woher das Kommando zum Alarmstart gekommen war. Christian Hansen, dem die Soko unterstand, hatte sich nicht einmal Anton anvertraut, wodurch die Situation zwischen ihnen so angespannt war wie das Fell einer Kriegstrommel. Trotzdem näherten sie sich Schulter an Schulter, mit ihren Dienstpistolen im Anschlag, einem Container, dessen Anstrich so zerschrammt war, dass man das Speditionslogo bestenfalls erahnen konnte. Laut Deklaration befand sich darin kolumbianischer Rohkaffee auf dem Weg zu einer bekannten Bremer Rösterei. Doch Hansen war sich hundertprozentig sicher, dass zwischen den Kaffeebohnen Kokain in einem Marktwert von rund einer Million Euro versteckt lag.
»Warum haben wir keine Hunde dabei?«, flüsterte Anton, dem die gespenstische Stille im Hafen an den Nerven fraß.
»Es sind welche auf dem Weg. Doch so lange können wir nicht warten. Die Kuriere versuchen längst, abzuhauen. Aber sämtliche Zufahrten zum Hafen sind vom SEK blockiert, und auf der Weser patrouillieren zwei Küstenboote. Sie müssen uns einfach in die Falle gehen.«
»Ich will gar nicht wissen, wer dir diese Informationen gesteckt hat. Aber was, wenn sie falsch sind?«
»Das ergäbe keinen Sinn. Mein Informant hat für die Zusammenarbeit persönliche Gründe. Ihm liegt genauso viel an der Wahrheit wie mir.«
»Jeder kann sich irren«, gab Anton zu bedenken.
»Aber nicht jeder macht sich gleich vor Angst in die Hose«, zischte Hansen. »Also halt endlich die Klappe!«
Sie standen nun direkt vor der Luke des schäbigen Containers. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sich Hansen, dass sich die Kollegen strategisch verteilten, um die Umgebung zu sichern. Ein Vorgehen, das Anton plötzlich für einen riesigen Fehler hielt. Doch bevor er Hansen warnen konnte, war dieser bereits dabei, die Tür zu entriegeln. Mit einem kraftvollen Ruck riss er sie auf.
Dann geschah alles auf einmal.
Aus der Dunkelheit stob ein Monster mit glühenden Augen hervor und warf Hansen zu Boden. Die Wucht des Aufpralls schleuderte ihm die Pistole aus der Hand. Während er auf dem Rücken lag, tasteten seine bloßen Hände nach dem Hals des Angreifers, dessen Fangzähne nach seiner Kehle schnappten. Zeitgleich sprang ein schlaksiger Mann aus dem Container hervor, richtete seine Waffe auf Anton und schoss.
Bis heute wusste Anton nicht, wie er der Kugel entronnen war. Vermutlich hatte ihn ein metallisches Aufblitzen gewarnt. Davon abgesehen zählte jede Sekunde, wollte er seinen Freund davor bewahren, als Hundefutter zu enden. Wahrscheinlich war es jedoch purer Instinkt, der ihm befahl, sich auf den irren Köter zu stürzen, der geifernd mit Hansen rang. Anton packte das Tier am Pelz, riss es einige Zentimeter in die Höhe und rollte sich auf die Seite.
Das Nächste, was in sein Bewusstsein drang, war ein gellendes Aufjaulen, das mehr denn je nach einem Monster klang. Am Ende begriff er nur, dass die abgefeuerte Kugel den Deutschen Schäferhund getötet hatte, der nun blutend auf seinem Brustkorb lag.
Mit einem Anflug von Ekel schleuderte er den leblosen Tierkörper von sich und hastete zu der Stelle, an der sein Freund gelegen hatte. Ein neuer Schock überkam ihn, als er bemerkte, dass Hansen fort war. Bis ihn eine kräftige Hand auf die Beine zerrte. Schockstarr hielt er den Atem an, als er in Hansens verbitterte Miene starrte.
»Der Typ ist weg, nehme ich an«, brachte er schließlich hervor.
»Wie vom Erdboden verschluckt. Die Kollegen sind in Alarmbereitschaft. Aber …« Hansens Stimme brach.
»Der Container?«
»So leer wie mein Kühlschrank.«
»Dein Informant hat dich also gründlich verarscht.«
»Es war eine Falle. Nur hat er sich da mit dem Falschen angelegt. Ich werde diesen Scheißkerl finden. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
Eine leise Stimme in Antons Kopf mahnte ihn, dass er von nun an selbst eine Rolle in diesem Spiel bekleidete. Doch er war zu erledigt, um diesen Gedanken zu Ende zu denken.
»Da haben wir ihn doch!« Der triumphierende Ausruf drang wie durch dichten Nebel in seine Ohren.
Anton massierte sich die Schläfen und zwang seine Aufmerksamkeit in die Gegenwart zurück. Der Tonnenleger. Natürlich. Jeanne hatte ihn also ausfindig gemacht.
»Alle anderen Arbeitsschiffe, die am Donnerstag, 12. Juli, im Einsatz waren, haben sich völlig unauffällig verhalten. Bis auf diesen Kahn hier. Die ›Oland‹. Sie taucht um siebzehn Uhr siebenunddreißig wie aus dem Nichts auf dem AIS auf. Und zwar genau hier.« Sie wies mit ihrem blutrot lackierten Fingernagel auf eine unscheinbare Stelle, die sich etwa auf halbem Wege zwischen Helgoland und Bremerhaven befand. »Aber was hat sie da zu suchen, so weit außerhalb der Fahrrinne? Da ist doch überhaupt nichts.«
»Oh doch«, entgegnete Anton wie elektrisiert. »Er ist kein offizielles Seezeichen mehr. Aber es gibt ihn noch.«
»Der Leuchtturm Roter Sand«, sagten sie alle drei wie aus einem Mund.
»Was zur Hölle …« In Antons Schädel breiteten sich die Szenarien schneller aus, als er einen Satz zu Ende sprechen konnte.
»Wird der Leuchtturm noch von Fahrgastschiffen angefahren?«, fragte Hansen.
»Nein«, entgegnete Anton heiser, »jedenfalls nicht offiziell.«
»Also könnte quasi jeder Idiot dort ein- und ausgehen, ohne dass sich jemand daran stört?«, hakte Jeanne vorsichtig nach. Offenbar konnte sie die elektrisierte Spannung der Männer noch nicht vollständig einordnen.
»Ja. Na ja, nicht ganz«, antwortete Anton. »Es ist verdammt schwierig, dort anzulegen. Man muss die Gewässer sehr gut kennen, den richtigen Zeitpunkt abpassen und von der Seefahrt einiges verstehen. Aber –«
»Ihr denkt, Drogenschmuggler benutzen ihn als eine Art Zwischenlager?« Jeanne lehnte sich verblüfft zurück.
»Nein. Wir glauben, es ist weitaus komplizierter.« Anton machte sich nicht die Mühe, Hansen dabei anzusehen. Spätestens jetzt war er sich vollkommen sicher, dass Benno Frey nicht in der Leichenhalle der Sankt-Magnus-Klinik lag, sondern quicklebendig war. Wer genau dem Journalisten half, sich auf dem Leuchtturm zu verstecken, und welche Beweggründe im Detail dahintersteckten, dürfte er in Kürze erfahren.
»Finde heraus, wem die ›Oland‹ gehört und was es über den Besitzer sonst noch so gibt«, sagte Hansen zu Jeanne. Dabei milderte er seinen Befehlston etwas ab, indem er flüchtig ihre Schulter berührte.
»Bin schon dabei.« Ihre Finger flogen bereits wieder über die Tastatur. »Aber wenn ihr Jungs momentan nichts zu tun habt, könnte mir jemand vielleicht einen Kaffee bringen? Die Maschine steht gleich dort drüben.«
»Schwarz, nehme ich an«, sagte Anton, den der Gedanke an einen mehrfachen Espresso ein wenig aufmunterte.
Doch bevor sie etwas entgegnen konnte, begann das Handy in seiner Hosentasche zu summen. Irritiert zog er es hervor und starrte auf die Nummer, die das Display anzeigte. Mit einem dumpfen Gefühl in der Magengegend nahm er das Gespräch entgegen. »Fritz, alles klar bei dir?«
Was natürlich nicht der Fall war.
Er beendete das Telefonat, ohne den Fischer nur einmal unterbrochen zu haben. Erst jetzt bemerkte er, dass ihn Hansen und Jeanne mit besorgten Mienen anstarrten.
»Es gibt noch eine Leiche. Auf dem Knechtsand.«
Der Knechtsand bezeichnete eine Gruppe von Sandbänken, die bei ablaufendem Wasser freilagen und vor allem Robben und Seehunden als Rastplatz dienten.
»Dann sollten wir uns beeilen, bevor die Flut kommt«, sagte Hansen.
»Wir?«
»Ich begleite euch. Es ist ohnehin viel zu lange her, dass ich auf der ›Rungholt‹ gefahren bin.«