KAPITEL 3

Einen Tag später hatte sich Frank immer noch nicht beruhigt. Ganz im Gegenteil. Guido hatte natürlich alles abgestritten und behauptet, Eberhard hätte nie und nimmer mit ihm telefoniert. Frank glaubte ihm kein Wort. Jetzt saß er im Zimmer seiner Schwester Jacki und schmiedete mit ihr zusammen Rachepläne. Denn auch Jacki war alles andere als erfreut über Guidos Verhalten; schließlich hatte Guido bislang sie umschwärmt und alle anderen Mädchen links liegen gelassen.

»An allem ist nur diese Angelina schuld«, meinte Jacki und strich sich eine Strähne ihres langen schwarzen Haares aus der Stirn. »Die hat Guido den Kopf verdreht. Und der arme Idiot merkt nicht einmal, dass sie ihn bloß an der Nase rumführt!«

»Na, na«, brummelte Frank und lehnte sich tief in den aufblasbaren Sessel zurück, der das mit einem hässlichen Quietschen quittierte. »Es kann ja sein, dass Angelina Guido den Kopf verdreht hat. Aber dafür kann sie doch nichts.«

Jackis Augen schleuderten flammende Blitze in Franks Richtung. »Ach nein? Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«

»Ja, eh, ich meine ...« Franks Fingernägel bohrten sich vor lauter Verlegenheit tief in den nachgiebigen Kunststoff des durchsichtigen Sessels. »Eigentlich ...« Seine Stimme erstarb fast zu einem Flüstern. »... ist Angelina doch ganz ... niedlich.«

»So niedlich wie der Hamster von Onkel Hugo?«, fragte Jacki scharf. »Oder so niedlich wie Britney Spears?«

»Eh, ja ...« Frank suchte nach einer Ausrede. »Ich meine ja nur. Sie ist halt schon ...«

»Das habe ich mir gedacht.« Jacki stieß einen langen, anhaltenden Seufzer aus. »Jungen! Sobald ein Mädchen 'ne lange blonde Mähne hat und ganz süß guckt, schmilzt euer Verstand wie ein Eiswürfel in der Sommersonne. Mann, Frank, merkst du denn nicht, dass das eine ganz falsche Schlange ist ...«

Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden. Etwas rumste draußen, dann wurde die Türklinke nach unten gedrückt und eine Sekunde später knallte die Tür auf und Jan stürmte mit hochrotem Kopf ins Zimmer.

»Frank!«, stieß er hervor. »Gut, dass ich dich hier finde. Hast du dein Handy nicht eingeschaltet?«

»Ist was passiert?«, fragte Frank erschrocken, doch bevor Jan antworten konnte, sagte Jacki schon sauer: »Ja. Dein Freund Jan hat mir fast die Tür eingeschlagen. Was sucht der Typ eigentlich in meinem Zimmer?«

»Äh, ja, entschuldige«, sagte Jan ganz zerknirscht. »Ich hätte anklopfen sollen.«

»Bloß nicht«, wehrte Jacki ab. »Wenn du das genauso schwungvoll gemacht hättest, wie du ins Zimmer gestürmt bist, dann wäre die Tür wahrscheinlich gleich aus dem Rahmen gefallen ... aber du siehst ja furchtbar aus. Was ist los?«

Jan nickte mechanisch. »Ich bin auch den ganzen Weg von unserer Fußballwiese bis nach Wilnshagen zurückgeradelt«, japste er. »Es ist nämlich was Schreckliches passiert.«

»Ist was mit Guido?«, fragte Frank beklommen.

Jan brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig den Kopf zu schütteln und zu nicken. »Weniger mit Guido. Vielmehr ist was mit unserem Fußballplatz.«

»Mann, mach's nicht so spannend!«, sagte Jacki. »Was ist denn nun los?«

»Ein Vermessungstrupp«, sagte Jan kurzatmig. »Auf unserer Wiese laufen zwei Typen rum, stecken Stäbe in den Boden und messen ihn aus.«

»Oh«, machte Frank.

»Ja, genau.« Jan nickte heftig. »Oh! Und noch dazu hat es viel früher angefangen, als wir geglaubt haben.«

Jacki sah irritiert von einem zum anderen. »Was hat angefangen?«

»Ja, verstehst du denn nicht?« Jan drehte sich zu Jacki um. Er sah ganz verzweifelt aus. »Wir dachten, die kommen niemals vor dem Spiel am Wochenende!«

»Wer kommt nicht vor dem Spiel?«, fragte Jacki ungeduldig.

»Na, der Vermessungstrupp eben.«

Jacki langte sich an die Stirn. »Ich fass es nicht. Könntet ihr zwei Idioten mir nicht erklären, was das mit den zwei Typen auf sich hat, die bei euch Stäbe in den Boden jagen?«

»Doch, das kann ich.« Franks Fingernägel bohrten sich noch ein Stück tiefer in die dünnen Kunststofflehnen. »Irgend so ein bescheuerter Klub hat Bauer Sendler eine stolze Jahrespacht für die Wiese geboten. Dabei sind die bestimmt überhaupt erst durch unser Klubhaus und die gepflegte Wiese auf die Idee gekommen, dass das ein klasse Standort für einen Klub ist. Und jetzt will ihnen Sendler die Wiese verpachten, wenn wir beim Auswärtsspiel am Samstag nicht das Tor vom 1. FC Klarshütten mit einem genialen Angriffsspiel zum Erzittern bringen.«

»Das sieht Sendler gar nicht ähnlich«, überlegte Jacki. »Er hat euch doch bis jetzt immer großzügig unterstützt. Und das nicht nur, weil ihr seinen Sohn Luki bei euch mittrainieren lasst.«

»Ich weiß auch nicht genau«, gestand Jan. »Guido hat mit ihm telefoniert. Sendler hat wohl gesagt, dass der Bauernhof nicht mehr so viel abwirft und er jetzt sehen muss, wie er an Geld kommt.«

»Na ja, wenn Guido das gesagt hat, muss es ja noch lange nicht stimmen«, schimpfte Frank. »Der lügt doch, was das Zeug hält.«

»So ein Blödsinn«, widersprach Jan. »Nur weil ihr euch wegen Angelina in den Haaren habt, musst du nicht gleich so übertreiben.«

»Es ist ja nicht nur ...«, begann Frank, aber Jacki übertönte ihn mit einer berechtigten Frage.

»Nun mal ganz langsam«, donnerte sie. »Was soll denn das überhaupt für ein Klub sein, der euch das Wasser abgraben will?«

Frank und Jan zuckten gleichzeitig mit den Achseln. »Tennis, glaube ich«, murmelte Frank und Jan sagte: »Soviel ich weiß, irgendwelche Naturfreunde.«

»Also noch nicht einmal das wisst ihr«, schimpfte Jacki. »Ich hab beinahe das Gefühl, euch liegt gar nicht so viel an der Wiese.«

»Aber natürlich liegt uns daran«, widersprach Frank und Jan sagte: »Ohne die Wiese sind wir aufgeschmissen. Dann haben wir keine zusätzliche Trainingsmöglichkeit mehr und können unseren Wunsch, fest in einem Profiverein zu spielen, so ziemlich vergessen.«

»Das könnt ihr sowieso, wenn ihr euch gegenseitig wegen irgendwelcher Angelinas fertig macht«, nörgelte Jacki. »Ich dachte, ihr wärt die drei coolsten Kicker weit und breit! Und jetzt seht euch an. Frank sieht aus, als wäre er gestern unter einen Mähdrescher geraten, und du, Jan, hechelst wie ein Hund, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hat.«

»Danke schön«, sagte Jan. »Aber so ganz Unrecht hast du nicht. Die Fußballwiese ist eben mein Lieblingsspielzeug.«

»Und nicht nur deins.« Frank sprang mit einem Satz auf. Im nächsten Moment bedauerte er es, denn ein scharfer Schmerz jagte durch seinen Rücken. »Mann, Mann, Mann!« Er humpelte auf Jan zu. »Wir müssen unbedingt was unternehmen! Lass uns gleich zurückradeln.«

»Vielleicht wäre es besser, wenn ihr erst einmal euer Gehirn einschalten würdet«, mischte sich Jacki ein.

Frank drehte sich zu ihr um und blickte sie zornig an. »Hör mal, wenn du ...«

Jacki drehte die Handflächen nach außen und schüttelte den Kopf. »Ich will keinen Streit. Ich weiß ja, dass bei euch die Nerven im Augenblick blank liegen. Aber überlegt mal: Vor einem wichtigen Fußballspiel informiert ihr euch doch über euren Gegner, oder?«

Frank nickte. »Schon.«

»Und jetzt steht eine ganz besondere Art von Spiel an, nicht wahr?«, fragte Jacki. »Der Kampf um eure Fußballwiese.«

»Tja«, überlegte Jan. »Da hast du irgendwie Recht.«

»Also müsst ihr erst einmal rausbekommen, wer euer Konkurrent ist«, schloss Jacki. »Und dann sehen, dass ihr ihm irgendetwas entgegensetzen könnt.«

Jan nickte langsam. »Ich dachte zwar, wir konzentrieren uns am besten auf das Auswärtsspiel und dann sieht Sendler schon, was er an uns hat ...«

»Aber rauszubekommen, wer uns dazwischenfunken will, macht Sinn«, sagte Frank ungeduldig. »Also düsen wir doch am besten gleich los, wie ich das vorgeschlagen habe.«

»Und wo ist Guido?«, fragte Jacki.

»Der beobachtet den Vermessungstrupp«, sagte Jan. »Angelina hilft ihm dabei.«

Franks linkes Auge fing nervös an zu zucken. Die Vorstellung, dass Guido und Angelina jetzt irgendwo hinter einem Baum hockten, ganz nah beieinander, und vielleicht den Vermessungstrupp im Auge behielten, vielleicht aber auch etwas ganz anderes taten, brachte ihn fast zur Weißglut.

»Guido und Angelina, so so«, sagte Jacki und auch ihre Stimme klang plötzlich um mehrere Grade kälter. Immerhin war Guido bislang immer ihr hinterhergelaufen – und auch wenn sie ihn nicht so richtig ernst genommen hatte, schien sie sich jetzt doch zunehmend darüber zu ärgern, dass er plötzlich nur noch Interesse für ein anderes Mädchen zeigte. »Aber wie auch immer.« Jacki warf kämpferisch den Kopf in den Nacken. »Wenn Guido an der Fußballwiese Wache schiebt, dann sollten wir uns um etwas anderes kümmern: nämlich herauszubekommen, wer Sendler die Pacht angeboten hat.«

»Pacht angeboten!«, prustete Jan. »Das klingt doch viel zu vornehm. Ganz gemeine Wiesenräuber sind das.«

»Wiesenräuber ist gut«, meinte Jacki. »So nennen wir die Typen ab jetzt, die euch die Wiese abluchsen wollen.«

»Ja«, pflichtete Jan ihr mit wildem Blick bei. »Und die machen wir fertig. Wer zieht mit in den Kampf gegen die Wiesenräuber?«

Frank und Jacki sahen sich kurz an und nickten dann.

»Also geloben wir feierlich«, sagte Jan ernsthaft, »dass wir einen Bund gegen Wiesenräuber und übriges Gesindel schließen.«

»Ja, das geloben wir«, sagten Frank und Jacki wie aus einem Munde.

Jan kratzte sich am Kopf. »Aber ... wie machen wir das am besten?«

»Sicher nicht, indem wir jetzt Guido und Angelina besuchen«, sagte Jacki bestimmt und drehte sich zu Frank um. »Oder müssen wir uns das wirklich antun, Bruderherz?«

»Nein«, sagte Frank fast entsetzt, dem die letzte Begegnung mit den beiden noch in den Knochen steckte.

»Dann auf in die Höhle des Löwen«, sagte Jan bestimmt. »Fahren wir zum Sendler-Bauernhof und sehen zu, dass wir dort die Spur der Wiesenräuber aufnehmen!«

Als Frank neben den beiden anderen den Hügel hinaufradelte, hinter dem das Tal mit Sendlers Bauernhof lag, fragte er sich, was er hier eigentlich tat. Sendler hatte zwei Kinder, den kleinen Luki und seine Schwester Karin. Letztere hatte es Frank ganz besonders angetan – bis Angelina in sein Leben getreten war. Ausgerechnet jetzt Karin unter die Augen zu treten, hielt er für keine gut Idee. Aber Jan hatte sich in diesem Punkt nicht erweichen lassen.

»Ich hoffe nur, dass Karin wirklich weiß, wer die Wiesenräuber sind«, sagte Jan gerade, der zwischen den Geschwistern radelte.

Frank nickte geistesabwesend. »Ja. Ich frage mich nur, warum wir das nicht telefonisch erledigen konnten.«

»Weil ich finde, Jan hat Recht, dass wir persönlich fragen sollten«, sagte Jacki von rechts außen her. »Da kriegen wir bestimmt mehr raus, als wenn wir ...« Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden. Von hinten war plötzlich wummerndes Motorengedröhne zu hören, und dann hupte es auch schon. Frank, der links außen auf dem schmalen Weg fuhr, verriss vor Schreck den Lenker und wäre beinahe in Jan gekracht, was Jan wiederum dazu zwang, nach rechts auszuweichen, wodurch er Jacki in Bedrängnis brachte.

Der Wagen hupte erneut: ein tiefes, dumpfes Röhren wie ein Untier. Frank hatte alle Hände voll zu tun, sein Rad wieder in den Griff zu kriegen, gleichzeitig abzubremsen und sich hinter Jan einzufädeln. Gerade noch rechtzeitig, denn da donnerte der Wagen auch schon haarscharf an ihnen vorbei. Frank spürte den Luftzug und musste sich nach rechts legen, um nicht von dem ausladenden Außenspiegel des überraschend großen Fahrzeugs gestreift zu werden. Als er schlingernd zum Stehen kam, sah er den Wagen gerade noch hinter der nächsten Kurve verschwinden. Soweit er das in diesem kurzen Moment erkennen konnte, war es eine Mischung aus einem total aufgemotzten Wohnmobil und einem Geländewagen mit übergroßen Rädern, bunt, ausladend und mit zig Lichtern, die trotz des hellen Tages um die Wette blitzten und funkelten.

»Du Idiot!«, brüllte er ihm nach und schüttelte wütend die Faust.

Als er ein Stöhnen hörte, drehte er sich erschrocken um. Jacki rappelte sich gerade wieder auf, ihr Rad lag neben ihr im Feld. »Der hat uns glatt von der Straße gedrängt«, sagte sie fassungslos.

»Eigentlich hätten wir ja auch nicht nebeneinander fahren dürfen«, sagte Jan, der blass um die Nase geworden war und es wohl nur mit Mühe geschafft hatte, einen Sturz zu verhindern, so verkrampft, wie er über seinem Sportrad hing.

»Blödsinn«, sagte Frank finster. Er stellte sein Rad ab und eilte zu Jacki hinüber. »Das ist doch bloß die Zufahrt zu Sendlers Hof! Hier fährt sonst niemand wild in der Gegend rum.«

Als er nach Jackis Arm greifen wollte, schüttelte sie abwehrend den Kopf. »Ich bin schon okay. Aber mein Rad ist hinüber.«

Frank folgte ihrem Blick. Jackis neues Rad, das sie gerade zum Geburtstag bekommen hatte, war ein Bild des Jammers. Der Lenker hing schief, die Klingel war abgerissen und das Vorderrad sah aus, als hätte es jemand mit beiden Händen genommen und zusammenzudrücken versucht.

»O Mann«, stöhnte Frank auf. »Papa wird dir den Kopf abreißen.«

»Wohl eher dir«, sagte Jacki trotzig. »Schließlich bin ich ganz rechts gefahren. Du hast Jan und mich abgedrängt!«

»Das sehe ich ein bisschen anders!« Frank starrte in die Richtung, in der das aufgemotzte Wohnmobil verschwunden war. »Der Idiot kann ja nicht weit gekommen sein. Ich glaube, ich werd ihm mal ein paar Takte zu seinem Fahrstil sagen – und dann, das schwöre ich dir, Jacki, wird er auch dein Rad ersetzen!«