27
Kurz nach sieben. Das Poseidon war gerammelt voll. Die Kellner, die Küche – alle waren schwer beschäftigt. Nur Georgios nicht. Er stand bei mir, an meinem winzigen Tisch für zwei. Er wollte mir Gesellschaft leisten.
»Es ist einfach nicht schön, allein zu essen«, meinte er. »Aber ich bin ja da.«
Ich lächelte ihn an. »Eben, Georgios. Und mir tut es auch einmal gut, wenn ich meine Ruhe habe.«
»Das kann ich mir vorstellen. Als Psychologin …« Er verstummte und sah zur Tür. Drei Männer in Anzügen traten ein. Sie verharrten und reckten suchend die Köpfe. Vermutlich hielten sie nach einem freien Platz Ausschau.
»Ach«, sagte Georgios zu mir, ohne den Blick von den Neuankömmlingen zu wenden. »Ist das nicht Herr…«
»Gutenberg«, ergänzte ich trocken.
»Der Oberstaatsanwalt, nicht wahr?« Georgios wartete meine Antwort nicht ab. Stattdessen stellte er sich auf die Zehenspitzen, winkte mit der großen Speisekarte, die er in der Hand hielt, und rief dazu laut: » Juhu!«
Das ganze Lokal inklusive Gutenberg, Strobelsohn und Breiter starrten in unsere Richtung.
Eigentlich bin ich ziemlich robust im Nehmen, mich bringt so leicht nichts aus der Fassung. Aber in diesem Moment wäre ich am liebsten im Erdboden versunken.
Gutenberg und die zwei Polizisten kamen quer durch das Lokal zu uns herüber und blieben vor uns stehen.
Ich nippte an meinem Wasser und nickte ihnen zu.
»Guten Abend, Frau Dr. Wolf«, sagte Gutenberg.
»Guten Abend, die Herren«, erwiderte ich. Und an die beiden Polizisten gewandt: »Darf ich vorstellen? Georgios Papadopoulos, der Inhaber des Poseidon. Und das sind Herr Strobelsohn und Herr Breiter vom Hamburger LKA.«
Die Männer schüttelten sich die Hände.
»Nett, Sie hier zu treffen«, sagte Gutenberg zu mir. »Wir wollen Sie aber nicht stören. Wir wollten nur eine Kleinigkeit essen…«
»Papperlapapp«, unterbrach ihn Georgios freundlich, jedoch sehr bestimmt. »Sie stören Evi nicht. Sie sehen doch, sie ist ganz allein. Stimmt’s, Evi?«
Ich versuchte erst gar nicht, etwas zu erwidern. Wenn Georgios in seinem Flow war, hatte das keinen Sinn.
»Sie werden zusammen speisen«, stellte er fest.
»Ähm«, meinte Gutenberg nicht unbedingt besonders geistreich.
Georgios hob einen Finger in die Höhe. »Keine Widerrede. Das ist mein Lokal. Hier kenne ich mich aus. Wie Sie sehen, ist Evis Tisch für vier Personen zu klein. Alle anderen Plätze sind belegt. Und Sie brauchen sicher Abgeschiedenheit und etwas …«, er grinste vielsagend, »Intimität. Ich weiß doch, was solch wichtige Herrschaften wie Sie benötigen.« Er beugte sich zu mir herab. »Evi, was meinst du? Das Nebenzimmer, wäre das nicht passend?«
Ich runzelte die Stirn. »Hast du das nicht an den Shanty-Chor fest vermietet? «
»Ach.« Georgios fuchtelte mit der Karte in der Luft herum. »Das ist Jahre her.« Er wies auf die gegenüberliegende Wand zu einer weißen Tür. »Wenn Sie mir bitte folgen würden?« Obwohl er bitte gesagt hatte, war das eher ein Befehl.
Ich erhob mich, und gemeinsam schlängelten wir uns durch den voll besetzten Gastraum.
Georgios griff an seine schwarze, stramm sitzende Weste und förderte einen imposanten Schlüsselbund zutage. Er sperrte auf, fasste an den Lichtschalter, und es wurde hell im Nebenzimmer.
Ich kannte es bereits. Deswegen konnte ich mich auf die Reaktion konzentrieren, die die gewagte Innenarchitektur und insbesondere die zahlreichen Accessoires bei meinen Kollegen hervorrufen würden: In der Mitte des vielleicht dreißig Quadratmeter großen Separees befand sich ein Tisch mit sechs Stühlen. Zwei Reservestühle standen in einer Ecke bereit. Der Raum selbst war noch bombastischer ausgestattet als das Lokal: vollgestopft mit griechischen Statuen, an den Wänden gemalte Bilder von Tempeln und antiken Göttern, dazwischen grobe Schiffstaue mit dicken Seemannsknoten. Und über die Decke waren Netze gespannt, in denen Plastikfische und -muscheln samt Seesternen um die Wette glitzerten. Zwei, drei bunte Leuchttürme rundeten das Ambiente geschmackvoll ab.
»Wow«, flüsterte Breiter. Strobelsohn hatte es offensichtlich ganz die Sprache verschlagen.
Gutenberg fasste sich als Erster wieder. »Und hier hat tatsächlich ein Shanty-Chor geprobt?«, fragte er ungläubig. »Ist das nicht ein wenig zu …« Er setzte zweimal an, seinen Satz zu Ende zu bringen, räusperte sich schließlich und meinte: »Eng?«
Georgios legte ihm einen Arm um die Schultern. Dafür musste er sich erneut auf die Zehenspitzen stellen. »Die Sänger waren allesamt schon etwas älter«, sagte er zu ihm. »Zuletzt waren es nur ein paar wenige. Um genau zu sein: Es wurden jedes Jahr weniger.«
Er schob Gutenberg vorwärts an die linke Seite des Tisches und wartete, bis dieser sich gesetzt hatte. Dann bugsierte er mich daneben. Strobelsohn und Breiter nahmen uns gegenüber Platz.
»So. Das wäre geschafft.« Georgios wirkte zufrieden.
Die Männer bestellten ihre Getränke, und Georgios meinte: »Für die Auswahl der Mahlzeit könnte ich Ihnen die Karte geben, doch ich empfehle den Barsch.«
»Barsch?«, murrte Strobelsohn skeptisch. »Klingt interessant, aber ich möchte lieber zuerst die Speisekarte haben.« Er sah auf die ledergebundene Mappe, die Georgios in der Hand hielt.
Georgios presste sie sich gegen den Bauch. Fest. »Den Barsch habe ich heute früh ganz frisch am Hafen gekauft. Ich kann ihn wärmstens empfehlen.«
»Barsch klingt gut, a…« Weiter kam Strobelsohn nicht.
»Wunderbar!«, rief Georgios. »Barsch für den Herrn Polizeioberrat.«
»Oberkommissar«, verbesserte ihn Strobelsohn, völlig aus dem Konzept gebracht.
»Natürlich!« Georgios machte eine nachlässige Handbewegung. Er wandte sich an Breiter.
»Ich hätte gerne Gyros«, meinte der junge Polizist tapfer.
Georgios fixierte ihn mit einem durchdringenden Blick.
»… oder doch lieber Barsch«, beeilte sich Breiter, anzufügen.
»Eine ausgezeichnete Wahl«, kommentierte Georgios. »Und der Herr Gerichtspräsident?« Er sah Gutenberg an.
Gutenbergs Mundwinkel kräuselten sich leicht. »Ich habe verstanden. Barsch.«
Georgios atmete gelöst aus und strahlte in die Runde. »Evi hat ohnehin Barsch bestellt. Sie verlässt sich immer auf meinen Rat.«
Die erste Aussage stimmte, die zweite nicht.
»Nur ein paar Minuten, dann können Sie dinieren. Die Getränke bringt Ihnen ein Kellner. Ich ziehe mich in die Küche zurück. Wenn ich solch hohen Besuch habe, übernehme ich das Kochen selbst.«
Georgios ließ uns allein, und nach erstaunlich kurzer Zeit standen die Getränke auf dem Tisch. Wir prosteten uns zu.
»Einen Toast auf unsere Zusammenarbeit«, sagte Gutenberg.
Wir nahmen einen Schluck.
Ich betrachtete die drei Männer. Mit einem Mal schienen sie müde und abgekämpft.
»Sie hatten einen ereignisreichen Tag, nicht wahr?«, stellte ich an die Adresse der beiden Polizisten gerichtet fest. »Gibt es neue Erkenntnisse im Carstens-Fall?«
Strobelsohn wischte sich den Bierschaum von der Oberlippe. »Wie man es nimmt. Wir haben die Bänder der Überwachungskamera des Nachbarn ausgewertet, um Westphals Aussage zu überprüfen.«
»Haben Sie auf den Tapes etwas gefunden, was Ihnen weiterhilft?«
»Nicht wirklich. Am besagten Samstagabend kam außer einem Van, der anhielt und nach nicht einmal fünf Minuten wieder abfuhr, niemand zum Tor. Und am Sonntag: Fehlanzeige.«
»Wir haben aber einen weiteren Eingang entdeckt«, ergänzte Breiter mit eifriger Miene. »Im rückwärtigen Teil des Grundstücks, verborgen hinter einer Hecke.«
»Genau.« Strobelsohn nickte. »Ich habe Peter Westphal darauf angesprochen, und er hat mir bestätigt, dass er diese Tür kennt und sie immer für die Besuche bei Frau Carstens genutzt hat.«
»Dann können wir Westphals Aussage, er sei am Sonntag früh um sechs zur Villa gekommen, weder bestätigen noch widerlegen?«, vergewisserte ich mich.
»Exakt«, brummte Strobelsohn.
»Das bedeutet aber auch«, übernahm Gutenberg, »dass der oder die Mörder ebenfalls auf diese Weise hereingekommen sein könnten. Hier sind wir so schlau wie vorher.«
»Dafür ist es uns gelungen, den Halter des Vans zu ermitteln«, sagte Breiter.
»Und?«, fragte ich .
»Gehört zu Big Karls Bordellkette. Das Pink Playhouse.«
Gutenberg beugte sich vor. »Sie hatten vor, sich heute dort umzusehen. Haben Sie das geschafft?«
»Ja«, bestätigte Strobelsohn. »Wir haben die Damen, die anwesend waren, befragt. Und wir haben mit dem sogenannten Geschäftsführer gesprochen.«
»Was ist dabei herausgekommen?«
»Die Damen waren nett.« Breiter grinste und wackelte mit den Augenbrauen, was ihm einen scharfen Blick von Strobelsohn einbrachte. Die Ohren des jungen Polizisten nahmen einen leichten Rotstich an. Betont sachlich fuhr er fort: »Die Frauen waren nicht gerade gesprächig. Sie hatten eindeutig Angst vor möglichen Konsequenzen.«
»Und der Geschäftsführer?«, hakte Gutenberg nach.
»Vom Aussehen her ein langweiliger Buchhaltertyp. Der hat ebenfalls gemauert«, sagte Strobelsohn. »Gleichzeitig hat er aber mehrfach versichert, dass er kooperieren will. Er wird morgen mit seinem Anwalt zum LKA kommen.«
Gutenberg horchte auf. »Ach! Wann?«
»Wir haben uns schon gedacht, dass Sie dabei sein wollen«, erwiderte Strobelsohn. »Der Termin ist um elf. Ihre Sekretärin meinte, das ginge bei Ihnen.«
»Perfekt.« Gutenberg wandte sich an mich. »Ich denke, es wäre gut, wenn auch Sie, Frau Dr. Wolf, an dem Gespräch teilnehmen könnten. Ich weiß, das ist jetzt etwas kurzfristig…«
»Kein Problem«, versicherte ich. »Das will ich nicht verpassen.«
Georgios erschien mit einer langen Holzlatte, auf der volle Schnapsgläser in einer Reihe standen. Er streckte sie uns entgegen. »Eine kleine Aufmerksamkeit des Hauses.«
Wir bedienten uns.
Gutenberg roch an seinem Aperitif. »Das ist ja gar kein Ouzo«, meinte er erstaunt.
»Ouzo, Ouzo!« Georgios schüttelte tadelnd den Kopf. »Wir sind nicht in Athen. Wir sind in Hamburg. Da wird Helbing Kümmel getrunken. Wohl bekomm’s!« Er verschwand eilig aus unserem Zimmer.
Ich nippte an meinem Schnaps und stellte das Glas ab. »Herr Gutenberg war so freundlich, mich zur Carstens-Villa zu begleiten. Ich kannte das Anwesen bislang nur von Fotos, und es war wichtig, dass ich es einmal in natura erleben konnte.«
»Das Gebäude ist bedrückend, nicht wahr?«, meinte Strobelsohn.
»Ja«, bestätigte ich. »Das ist es.«
»Frau Dr. Wolf hat dort innerhalb von kürzester Zeit einen Geheimraum entdeckt«, sagte Gutenberg.
Breiter sah mich an, sein Ausdruck eine Mischung aus Unglauben und Bewunderung. »Aber wir haben in der Villa jeden Winkel abgesucht. Das ist doch unmöglich! Wie haben Sie das geschafft?«
Der junge Polizist war entwaffnend ehrlich, man musste ihn einfach mögen.
»Ich hatte heute eine Sitzung mit Frau Carstens. Sie hat mir einen Hinweis gegeben«, erwiderte ich. Mehr ins Detail gehen wollte ich nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt waren die anderen Informationen, die ich von Suzanne erhalten hatte, für die Polizisten nicht relevant.
»Der Hinweis war ziemlich verschlüsselt«, übernahm Gutenberg das Wort. »Aber Frau Dr. Wolf hat das Rätsel gelöst.«
Das stimmte nicht. Streng genommen hatte Gutenberg den Eingang gefunden. Das war sein Verdienst, nicht meiner. Und eigentlich wollte ich das richtigstellen. Ehre, wem Ehre gebührt. Doch als ich mit meinem Protest ansetzen wollte, lächelte er mich an. Ein warmes, offenes Lächeln, das seine Augen erreichte. Ich konnte nicht anders, ich gab ihm sein Lächeln zurück. Dann sah ich weg.
»Wo ist dieser Raum?«, erkundigte sich Strobelsohn, und ich war froh über diese Frage.
»Unter der Treppe«, beeilte ich mich, zu antworten. »Ich nehme an, dass sich Frau Carstens dort als Kind öfter versteckt hat, aber beweisen kann ich es nicht.«
»Sag ich doch, das Haus ist bedrückend«, meinte Strobelsohn.
Erneut öffnete sich die Tür. Georgios trat ein. Auf seinen Armen balancierte er vier große Fischplatten und stellte vor jedem von uns einen Teller ab. Danach verschränkte er die Hände vor seinem Bauch und wartete.
Gutenberg probierte als Erster. »Hervorragend«, lobte er.
Auch Strobelsohn nahm einen Bissen. »Vorzüglich!«
Breiter schien großen Hunger zu haben. Er hielt sich nicht damit auf, den Barsch zu kommentieren, sondern nickte Georgios kauend zu, zwinkerte und hob einen Daumen in die Höhe.
Georgios strahlte wieder. »Wenn Sie mich brauchen, ich bin draußen.« Er ließ uns allein.
Wir blieben eine Weile still. Alles, was man gelegentlich vernahm, war das leise Klappern von Besteck auf Porzellan, begleitet von verhaltenen Lauten, wie sie immer dann unbewusst entstehen, wenn eine Mahlzeit besonders gut schmeckt.
Strobelsohn wischte sich mit einer Serviette über den Mund und trank einen Schluck von seinem Bier. Er stellte das Glas ab. »Ansonsten haben wir uns mit dem Container vom Burchardkai beschäftigt. Interessiert Sie das auch, Frau Dr. Wolf?«
Ich musste an die verwackelten Aufnahmen denken, die Strobelsohn mit seinem Handy gemacht hatte. »Seitdem ich den Film mit der Sterbenden gesehen habe, geht mir das nicht mehr aus dem Kopf«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Also ja, es interessiert mich.«
»Kann ich verstehen«, meinte Breiter. »Die Stahlbox, in der die toten Mädchen lagen …« Er räusperte sich. »Wir haben das nachgeprüft. Jedes Frachtgut dieser Firma scheint immer von ein und derselben Zollbeamtin abgefertigt worden zu sein.«
»Und da vermuten Sie …?«, setzte ich an.
»Wir glauben«, sagte Gutenberg, »dass diese ominöse Firma regelmäßig Frauen in den Containern geschmuggelt hat.«
Ich war mit meinem Fisch fertig und legte das Besteck beiseite. »Das wäre Menschenhandel im großen Stil.«
»Exakt«, bestätigte Strobelsohn. »Bislang haben wir in den Zollunterlagen mindestens fünfundzwanzig dieser Lieferungen allein in den letzten zwei Jahren gefunden. Und das ist noch lange nicht das Ende.«
»Haben Sie mit der Zollbeamtin gesprochen?«, erkundigte sich Gutenberg. Auch sein Teller war inzwischen leer.
»Sie heißt Mathilde Hauke«, sagte Strobelsohn. »Allerdings konnten wir nicht mit ihr reden, weil sie zu ihrer Nachmittagsschicht nicht erschienen ist. Sie fehlte unentschuldigt. Daraufhin haben wir einen Beamten zu ihrer Wohnung geschickt, aber da war sie auch nicht.«
Gutenberg runzelte die Stirn. »Seltsam«, murmelte er.
»Aber wir haben die Zollunterlagen mitgenommen«, warf Breiter dienstbeflissen ein. »Kollegen von uns, die sich damit auskennen, gehen die Papiere durch.«
Ein drittes Mal öffnete sich die Tür. Diesmal trug Georgios ein Tablett mit vier riesigen Eisbechern in den Händen – garniert mit ordentlich Sahne und gespickt mit einigen Eiswaffeln. Und er kam nicht allein. Der Kellner von vorhin begleitete ihn, räumte unsere leeren Fischplatten ab und versorgte uns mit frischen Getränken.
Georgios begann, uns den Nachtisch zu servieren.
Strobelsohn bedachte seinen Eisbecher mit einem sehnsuchtsvollen Blick. Dann seufzte er und schob ihn entschieden zur Seite. »Für mich bitte nichts Süßes. Ich muss auf die Kalorien achten.«
»Kalorien ?«, wiederholte Georgios mit tadelndem Unterton. »Kalorien werden vollkommen überbewertet. Ein Mann von Ihrer Statur«, er tätschelte Strobelsohn wohlwollend die Schulter, »der so viel leisten muss, der muss etwas zu sich nehmen!«
Strobelsohn schaute zu Georgios hoch, sah dann auf den Eisbecher und zog ihn wieder zu sich her. Er ergriff seinen Löffel und hielt ihn wie ein Vorschüler einen Bleistift.
»Na also!« Georgios nickte uns allen zu, und wir waren unter uns .
Ich griff mir eine der Waffeln, tunkte sie in die üppige Sahnehaube und biss ein Stück ab. »Steckt wirklich dieser Dmitri Ivanov hinter dem Menschenhandel?«
»Keine Ahnung«, kam Strobelsohns knappe Erwiderung, und er schob sich einen gehäuften Löffel Eis in den Mund. »Wir hatten heute einen Kurier vom BND da. Kam extra aus Berlin angeflogen. Er hat uns Aufzeichnungen zu diesem Mann mitgebracht.«
»Und?«
Breiter zuckte mit den Schultern. »Es ist schwierig. Dieser Ivanov war mal beim KGB. Er scheint in viele kriminelle Machenschaften im großen Stil verwickelt zu sein. Aber es gibt nicht einmal ein Foto von ihm.«
»Wirklich?«
»Wirklich«, bestätigte Gutenberg. »Als wäre Ivanov ein Phantom … Allerdings hat uns dieser BND-Mann eine schauerliche Geschichte erzählt.«
»Über Ivanov?«
»Der muss ein absoluter Geisteskranker sein«, übernahm Breiter. »Ein echter Freak.«
»Wie kommen Sie darauf?«
Breiter schob sein halb gegessenes Eis beiseite und beugte sich zu mir vor. »Der Kurier hat uns erzählt, dass eine konkurrierende Gangsterbande Ivanovs Zwillingsschwester und deren Kinder entführt hatte und ein Lösegeld haben wollte. Der Austausch fand in einer vollbesetzten Kirche statt. Dmitri Ivanov hat seine Verwandten rausgeholt und alle anderen in die Luft gesprengt.« Er machte eine kunstvolle Pause. »Und danach, was glauben Sie, was er gemacht hat?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Schwer zu sagen. Was denn?«
»Anstatt mit Schwester und Nichten wegzufahren, hat er sie alle drei mit Kopfschüssen getötet. Einfach so.« Breiter hob seine Rechte und formte sie zu einer Pistole. Mit dem Zeigefinger zog er den imaginären Abzug. »Peng!« Er hielt erneut kurz inne. »Wenn das kein Irrer ist, dann weiß ich auch nicht.«
Ich blieb still. Drei Augenpaare sahen mich an.
»Sie sind nicht der Meinung?«, fragte mich Gutenberg.
»Dass Ivanov geisteskrank ist?«, entgegnete ich.
»Ja.«
Ich schürzte die Lippen. »Es gibt einen Zweig der Psychologie, der meint, dass jeder, der einen anderen Menschen tötet, sich im Zustand der geistigen Verwirrung befindet.«
Gutenberg musterte mich. »Sie denken aber nicht, dass das auf diesen Ivanov zutrifft.«
»Ganz und gar nicht«, bestätigte ich. »Wenn diese Geschichte tatsächlich stimmt, hat Ivanov völlig kalt und überlegt gehandelt. Er hat das, was er am meisten liebte, für sein Geschäft geopfert, weil es ihn verwundbar gemacht hat. Ab diesem Moment wusste jeder, dass es für Dmitri Ivanov nichts Wichtigeres gibt als seine kriminellen Unternehmungen und dass er vor nichts, aber auch rein gar nichts haltmacht.« Ich lehnte mich zurück. »Von der Logik eines Geschäftsmannes her betrachtet, war sein Handeln einzig und allein konsequent.«
Die drei Männer schwiegen.
Nach einer Weile meinte Strobelsohn: »Frau Doktor, Sie bieten uns heute Abend aber starken Tobak.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Sie haben danach gefragt.«