28
Halb elf Uhr abends. Die Stoßzeit im Poseidon war vorüber, nur noch wenige Gäste saßen im Hauptraum des Lokals. Strobelsohn und Breiter hatten sich verabschiedet. Gutenberg und ich waren allein.
Georgios steckte seinen Kopf durch die Tür unseres Nebenzimmers. »War alles in Ordnung, Evi?«
»Wunderbar, wie immer«, erwiderte ich, und Gutenberg nickte zustimmend.
»Prima.« Georgios blieb kurze Zeit unschlüssig stehen, dann trat er ein. Er trug ein rundes Tablett in seiner Hand. Darauf standen ein paar Gläser sowie eine Flasche mit goldgelbem Inhalt. Ihr Etikett war bunt, fast kitschig, mit einem Schiff in der Mitte, dessen weiße Segel sich im Wind blähten.
Er stellte das Tablett vor uns ab. »Ich wollte euch zu einem kleinen Abschiedstrunk einladen.«
Gutenberg beugte sich vor, um den Schnaps näher zu inspizieren. »Oh!«, meinte er überrascht. »Ein Linie Aquavit
.«
»Ja!« Georgios strahlte über das ganze Gesicht. »Der ist einmal um die Welt gereist und hat dabei zweimal den Äquator passiert. Das ist etwas Besonderes.
«
Ich blies die Wangen auf und ließ die Luft geräuschvoll wieder ausströmen. »Wenn ich jetzt einen nehme, muss ich meinen Wagen stehen lassen und mir ein Taxi rufen.«
Doch darum ging es mir nicht wirklich. Ich war mir nicht sicher, ob ich allein mit Gutenberg Zeit verbringen wollte, die aus dienstlichen Gründen nicht unbedingt erforderlich war. Andererseits … Was war so schlimm daran? Eigentlich sprach nichts dagegen …
Und uneigentlich
? – hakte die Psychologin in mir sofort nach.
»Ich kann dann auch nicht mehr fahren. Aber das ist es wert, meinen Sie nicht, Frau Dr. Wolf?« Gutenberg musterte mich aufmerksam.
Während ich darüber nachdachte, ob er mit wert sein
auf den besonderen Aquavit anspielte oder aber auf die Tatsache, dass wir beide hier gemeinsam saßen, wandte sich Gutenberg an Georgios. »Möchten Sie uns nicht Gesellschaft leisten?«
Damit hatte ich nicht gerechnet. Das war einfach nur … verdammt nett.
»Ich setze mich gerne zu Ihnen«, beeilte sich Georgios, zu sagen. Er sah zu mir. »Wenn es euch nicht stört.«
»Nein«, erwiderte ich. »Du störst ganz bestimmt nicht.«
Georgios schob einen der Stühle zurück und nahm geräuschvoll Platz. Dann beugte er sich vor und verteilte die Gläser. Gutenberg ergriff die Flasche, schraubte sie auf und goss uns ein.
»Bei mir ruhig ein bisschen mehr.« Georgios machte eine kleine auffordernde Geste mit seinem Zeigefinger, und Gutenberg kippte ihm etwas Schnaps nach.
Georgios hob sein Glas. »Skol«, gab er absolut überzeugend von sich, als würde er nicht von der Peloponnes kommen, sondern von wilden Nordmännern abstammen.
Mühsam unterdrücke ich ein Grinsen. Wir prosteten uns zu.
Ich nahm einen kleinen Schluck. »Schmeckt super!«, sagte ich zu Georgios. »Und dein Barsch war einsame Spitze.
«
»Wir hätten etwas verpasst, wenn wir nicht auf Sie gehört und ein anderes Gericht gewählt hätten«, fügte Gutenberg an. »Nicht wahr, Frau Dr. Wolf?«
»Ach«, winkte Georgios ab, doch ich sah, dass er sich geschmeichelt fühlte. Er machte eine Pause, schaute von Gutenberg zu mir und wieder zurück, und meinte: »Herr Gerichtspräsident, ich weiß ja nicht, wie das heutzutage gehandhabt wird. Aber früher, zu meiner Zeit … wenn man da mit jemandem zusammengearbeitet hat … und dann war man gemeinsam etwas trinken … hat man sich geduzt. Das hat vieles erleichtert.«
»So?« Gutenbergs Mundwinkel kräuselten sich nach oben. Er wandte sich mir zu. Offenbar wollte er mir die Entscheidung überlassen.
Ich zögerte. »Ich heiße Evelin«, sagte ich schließlich.
»Alex«, sagte Gutenberg und zeigte dieses seltene, warme Lächeln.
»Und ich«, meldete sich Georgios zu Wort, »ich bin Georgios. Ich arbeite zwar nicht mit euch, aber ich hoffe, dass ich ab jetzt nicht nur Evi öfter hier sehen werde.«
»Was mich betrifft, gerne«, erwiderte Alex. »Wenn es für Evelin in Ordnung ist.«
Erneut gelang es mir nicht, sofort zu antworten. Ich war zu sehr damit beschäftigt, zu analysieren, was gerade in mir vorging.
Ein jäher Schmerz an meinem Schienbein. Georgios – er hatte mich unter dem Tisch getreten. Ziemlich fest.
Ich riss mich zusammen. »Warum sollte es für mich nicht in Ordnung sein?«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
»Na also!«, rief Georgios und schenkte uns erneut ein. »Damit sich das Taxi lohnt!«
Wieder erhob er das Glas. »Auf dass ihr den schwierigen Fall, den ihr bearbeitet, schnell löst und die Verbrecher ins Gefängnis bringt.«
Wir tranken erneut.
»Eigentlich sind es zwei Fälle«, bemerkte
Alex.
»Wirklich?«, fragte Georgios überrascht.
»Ja«, bestätigte ich.
»Umso wichtiger ist es, dass das aus der Welt geschafft wird. Hamburg ist eine schöne Stadt. Und so soll es bleiben.«
Mein Schnaps war leer. »Bestellst du uns die Taxis?«, bat ich Georgios.
»Zwei?«, vergewisserte er sich.
»Sicher«, erwiderte ich.
Mein Blick streifte Alex. Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht. Für eine Sekunde hatte ich den Eindruck, er hätte sich lieber einen Wagen mit mir geteilt. Und auch ich verspürte für einen winzigen Moment ein Gefühl, das einer Art Enttäuschung ziemlich nahe kam. Vermutlich hätte ich, hätten wir beide, den zweiten Aquavit nicht trinken sollen.
»Zwei Taxis.« Georgios erhob sich. »Mache ich sofort. Sobald ihr die Mäntel angezogen habt, werden sie da sein.«
Alex stand ebenfalls auf. »Hat mich sehr gefreut«, sagte er zu Georgios und streckte ihm die Hand entgegen.
Georgios ergriff sie. »Mich auch, Alex«, sagte er.