Vicco
Dieses eine Spiel. Es war sogar mein Lieblingsspiel. Es geht auch ganz einfach. Ich setze dich der Schutzlosigkeit aus, beobachte deinen zitternden Körper, lausche deinem jämmerlichen Wimmern, rieche deinen Angstschweiß und ergötze mich an jeder verängstigten Reaktion. Ich zeige dir, wie leicht es ist, dich der Wehrlosigkeit auszusetzen, um dir dann die Sorge, ausgeliefert zu sein, zu nehmen und dir ein noch schöneres Gefühl zu geben.
Ich genieße es, dich leiden zu sehen. Es macht mich sogar an. Gleichzeitig war es mir aber immer wichtig, dir einen Teil dieser Welt zu zeigen, den du nicht wahrhaben wolltest, und zur Belohnung einen anderen, von dem du nichts wusstest.
Es war ein Spiel, Rose.
Diesmal habe ich versagt.
Ich habe mein Lieblingsspiel verloren. Dabei diente es bei dieser Gelegenheit nur deinem Schutz.
Wie sagt man so schön: ›Hundertmal geht es gut und beim hundertundeinsten Mal geht es schief‹? Ja, Rose. Vor achtunddreißig Tagen ist das eine Mal schiefgelaufen. Das letzte eine Mal.
Während mir das Blut über die fahle Haut läuft, ich hinabschaue und meine aufgeplatzten Knöchel im gleichen Takt wie der rasende Puls pochen, frage ich mich, wann ich den Moment verpasst habe, wo alles danebengegangen ist.
Der vor mir liegende Kerl, der ein Wort zu viel gesagt hat, gibt kein Lebenszeichen von sich und ich lege meinen Kopf schief, um mich genauer an den Tag zurückzuerinnern, an dem alles in den falschen Bahnen verlief. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, Rose.
An den Tag schon, nur nicht daran, was ausschlaggebend für diese Situation ist. Der Grund für dein Fehlen und meine Unbeherrschtheit. Die Tatsache, warum ich dich verloren habe, und ich den Einzigen, der mir hätte weiterhelfen können, totgeprügelt habe, weil er deinen Namen in den Mund genommen hat.
Welcher Tag war es, Rose, der aus einem ›Uns‹ eine verwelkte Blume und ein Monster geschaffen hat?
War es an jenem, wo ich mich entschieden habe, dich nicht zu belügen und dir einen Teil von mir zu zeigen? Ein weiteres, größeres Detail von mir, das mich so stark ausmacht, dass dir die Freunde weggelaufen sind? Oder war es der Tag, als ich gegen die schlimmsten Befürchtungen meinem Vater dein Leben anvertraut habe?
Ich wünsche mir, es zu wissen und dahin zurückzukehren, um alles anders zu machen. Doch das kann ich nicht, genauso, wie dich zu finden.
Die Besessenheit nach dir macht mich fertig, Rose. Ich kann nicht klar denken, bin zu impulsiv und mein Herz zerbricht mit jedem weiteren Tag, wo du nicht bei mir bist. Niemals zuvor habe ich jemanden so sehr gebraucht wie dich. Oder niemanden so sehr geliebt.
Und jetzt bin ich an einem Punkt, wo es mir sogar schmerzlich leidtut, diesem Idioten das Leben herausgeprügelt zu haben. Denn ich habe die ganze letzte Nacht nach Celine gesucht.
Die Adresse von meinem Vater hat mich zwar zu ihren Eltern geführt, aber dort war sie seit Jahren nicht mehr. Diese waren jedoch gezwungen freundlich genug und haben mich zu ihrem Ex geschickt, der noch ein größerer Idiot ist als Gino. Immerhin hat er mir weitergeholfen und mich geradewegs zu Celines bester Freundin geleitet. Widerwillig konnte ich sie ebenfalls überzeugen, bei der Suche zu helfen, und sie gab mir schließlich die Adresse von dem Pisser, der nun leblos daliegt. Celines Partner, von dem anscheinend keiner etwas wusste. Schön.
Ganz schön scheiße.
Denn er weigerte sich, zu helfen. Verständlich, er wollte ja seine geliebte kostenlose Nutte nicht in Schwierigkeiten bringen, aber hat sich getraut, sich darüber lustig zu machen, dass meine Stute, du
, mir abhandengekommen ist.
Rose, so sehr ich auch versuche, mich zu bändigen, da riss die letzte Fessel um das Monster in mir und ich schlug zu.
Prügelte mit Fäusten drauflos, bis ich rot sah und darüber hinaus. Ich konnte nicht aufhören, weil ich dein schmerzerfülltes, tränenreiches Gesicht vor mir sah, wie du auf dem Boden kniest und nicht ertragen konntest, dass ich die willige Nutte gefickt habe.
Alles, was man falsch machen konnte, habe ich zuverlässig erfüllt. Der Preis geht an mich.
Die Hoffnung, Celine zu finden und damit auch dich wieder zurück zu mir zu holen, verschwand mit dem letzten Atemzug dieses Pissers.
Auf den danebenstehenden Sessel lasse ich mich fallen und stürze das Gesicht in die blutigen Hände und bekomme kaum Luft. Durch die Verzweiflung werden meine Handflächen vom salzigen Nass binnen Sekunden feucht.
Ich will dich einfach nur zurück.
Wir wissen beide, dass ich ohne dich nicht mehr leben kann und es auch nicht will. Denn ohne dich bin ich nicht ich, sondern jemand, der ich nie sein wollte. Ein Monster, das durch Gewalt und Machtsucht erschaffen und nur zum Töten ausgebildet wurde. Dadurch wurde das Band zwischen mir und meinem Vater zwar unzerstörbar, aber du hast gezeigt, was es bedeutet, zu lieben. Hast aus mir einen Mann gemacht, der nicht nur Leben nimmt, sondern auch schützt. Und jetzt bin ich in einer Sackgasse und finde keinen Weg, der mich zu dir führt.
Ich will dich einfach nur in den Arm nehmen, dir meine Liebe geben, wie ich es jeden Tag getan habe, seit wir uns kennen. Will die Zuneigung aufsaugen, die du mir schenkst, und deinen Körper mit allem huldigen, was ich habe. Mich an deinem Lächeln sattsehen und gleichzeitig hungriger nach deiner Ausstrahlung werden.
Wieso ist es so schwer, dich bei mir zu haben, dich zu halten und mein restliches, verkommenes Leben mit dir führen? Warum kann es nicht leichter sein, in einer Stadt, die ich besser kenne als meine Drogengeschäfte?
Weshalb kannst du dich vor mir verstecken, an einem Ort, wo alle Straßen mein Zuhause sind?
Der Einzige, der mir diese Frage beantworten kann, ist mein Vater.
Mein alleiniger Vertrauter in dieser Dunkelheit und derjenige, der Frankfurt noch besser kennt als ich.
Aber bevor ich ihn zum wiederholten Mal anrufe, was ich in letzter Zeit öfters getan habe als üblich, schreibe ich Markus eine Nachricht. Er soll alle verfügbaren Männer auf Celine ansetzen und jemanden schicken, der hier saubermacht, ehe Fragen aufkommen.
Ich schaffe es nicht mehr allein, Rose. Ich muss dich finden. Jeder weitere Tag bringt nur Tote und nimmt mir bald selbst das Leben.
Du bist lebensnotwendig für mich.
Dann rufe ich meinen Vater an, der zum Glück meiner fehlenden Geduld kurz darauf abhebt.
»Hast du sie gefunden?«, fragt er direkt und klingt sogar gelassen, was mich stutzig macht. Schließlich möchte er doch seine Stute zurück.
»Vicco?«
»Äh, ja, ich bin dran. Nein, habe ich nicht. Willst du wirklich wissen, wo sie ist?«
»Selbstverständlich.« Das kaufe ich ihm nicht ab. Zu gelangweilt klingt er. Das ist selbst für seine Verhältnisse zu befremdend.
»Ah ja?! «
Eine lange Stille und ein tiefes Durchatmen seitens meines Vaters.
»Vicco, mir ist das wichtig. Keine meiner Stuten läuft mir davon. Sie ist aber auch nicht die Einzige, um die ich mich kümmere. Falls du es vergessen hast – ich besitze einige Stuten, die alle ihre kleinen Wehwehchen haben.« Diese Antwort habe ich nicht erwartet und sie weckt Zweifel, obwohl sie zunächst logisch wirkt.
»Dann lass du auch nach ihr suchen.«
»Ja.«
Ja? Rose, diese knappe Antwort reicht mir nicht.
»Suchen deine Männer nach ihr?«
»Ja, sage ich doch. Rufst du an, weil du sie nicht gefunden hast, oder hast du sonst noch ein Anliegen?«
Rose, ich kenne meinen Vater und sein Verhalten und die Art, wie er mit mir spricht, verstärkt das Misstrauen.
»Wenn du erfährst, wo Rose ist, würdest du es mir sagen, oder?«
»Was wird das, Vicco? Meinst du, ich interessiere mich für dein kleines Mädchen, das dir den Kopf verdreht?«
»Du hast mir mehr als nur einmal klargemacht, dass ich sie schlecht behandelt habe, obwohl du selbst mit Frauen wie Dreck umgehst.«
»Da hast du dich verhört.«
»Sicher nicht.«
»Ist mir doch egal, wie du das Ding behandelst, das dir den Kopf zerstört. Am besten hörst du auf, nach Celine zu suchen, kümmerst dich um die Geschäfte und lässt meine Männer das erledigen. Wenn Celine zurück ist, kannst du sie ja nach deiner kleinen Rose ausfragen.«
Was für eine Veränderung. Dunkel bestimmend und wie der Boss, den ich kenne. Was hat seinen Sinneswandel ausgelöst?
»Sicher.«
»Nein, Vicco, das ist mein Ernst. Lass es gut sein.«
»Wenn du das so siehst, warum hast du mir überhaupt die Adresse gegeben?«
»Welche Adresse?«
»Von Celines Familie.«
»Ich habe dir nie eine Adresse gegeben.«
Verwirrt stehe ich auf und beginne, Kreise zu laufen. Vor Augen habe ich die Szene, wie mein Vater mir den Zettel gibt. In der Tasche suche ich nach dem Stück Papier und finde es nicht.
»Vater, du hast mir die Adresse gegeben, als ich gestern bei dir war.«
»Wann warst du gestern da?«
»Vater! Ich war gestern da und du hast mir die Adresse auf einem Stück Papier gereicht.«
»Vicco, du warst nicht hier, nicht nach meinem Wissen. Wir haben telefoniert. Sieh dir die Anrufliste an. Gestern Abend haben wir telefoniert und du wolltest nach Celine suchen. Ja, das weiß ich. Aber mehr auch nicht.«
Schweiß perlt sich auf der Stirn und lässt mich erschrocken zurück.
»Ich war da!«, da bin ich mir sicher. »Wir haben uns noch wegen …«
»Vicco. Ich habe dafür keine Zeit, du drehst wegen der Kleinen ja völlig durch. Krieg dein Leben wieder in den Griff, lass meine Männer weiterhin Celine suchen und komme deinen Aufgaben nach.«
»Triffst du ihre Mutter noch?«, fällt mir die Szene ein.
»Ja und dich geht das nichts an.« Damit legt er auf und ich stehe da. Wollte ursprünglich fragen, ob sie weiß, wo du dich aufhältst. Du würdest sie doch benachrichtigen, oder nicht?
Abartiger ist nur, dass er vermutlich weiterhin mit deiner Mutter schläft. Das ist so ekelerregend, Rose. Das muss ich zusätzlich unterbinden. Jetzt am besten, bevor ein Unglück passiert. Nachher bekommen wir beide ein Halbgeschwisterchen, sind Bruder und Schwester. Der Gedanke dreht mir den Magen um. Aber jetzt bin ich zu aufgelöst über seine Worte. Denn ich habe es genau vor Augen. Ich war da. Gleichzeitig weiß ich nicht, warum er es leugnet. Es gibt keinen Grund dafür. Ist er selbst vielleicht verwirrt? Dement? Kommt er jetzt in das Alter, wo er alles vergisst? Mich schocken sein Verhalten und der Stimmungswechsel dermaßen, dass ich für einen Moment vergesse, wo ich bin. Doch als ich mich umdrehe und die Leiche in der Blutlache wieder wahrnehme, mache ich mich auf den Weg. Ich werde es sicher nicht meinem Vater überlassen, dich oder Celine zu finden. Rose, ich will dich zurück und ihm traue ich diese Aufgabe nicht zu, solange er so sprunghaft ist.