Tag 41
Ich wache auf und er liegt nicht neben mir. Die Bettseite ist kalt.
Nachdem er mich gestern aufgefangen, das Böse von meinem Körper und meiner Seele geküsst und mich im Zimmer eingeschlossen hat, musste er weg. Etwas erledigen. Er ist nicht wiedergekommen. Wahrscheinlich sucht er den Abstand zu mir. Ist noch wütend, weil ich deinen anstatt seinen Namen gestöhnt habe. Auch wenn dieses Haus wenige Räume besitzt, ist es groß genug, um im Wohnbereich zu schlafen. Vielleicht verbirgt sich auch hinter der anderen Tür auf dieser Etage ein Gästezimmer. Oder sein eigentliches Schlafzimmer? Denn dieser Innenraum sieht nicht nach seinem Schlafraum aus. Es passt nicht zu ihm. Sondern zu meinem früheren Ich.
Die Person, die ich nicht mehr bin und genauso wie dich vergessen sollte.
Rixa kann ich aber eher loslassen. Da sie schon längst gegangen ist und nicht zurückkommen wird. Sie ist tot. Du hingegen wanderst wie ein Geist durch meine Gedanken und verfolgst mich wie ein Fluch.
Die Tür wird aufgeschlossen und ich richte mich im Bett auf.
»Guten Morgen«, begrüßt er mich müde. So, wie sich seine Stimme anhört, sieht er auch aus – als hätte er die Nacht nicht geschlafen. Er öffnet sein Hemd, während er zu mir zum Bett kommt, kniet sich mit einem Bein auf die Kante und beugt sich vor, um mir einen Kuss auf die Stirn zu hauchen. Merkwürdig. Genauso wie dieser Geruch, den ich nicht einordnen kann.
Dann, als er sich abwendet, trifft der Dunst erneut meine Nase.
Benzin? Verbranntes?
»Hast du nicht geschlafen?«, frage ich, während er das Hemd auf die Stuhllehne legt. Sein Blick trifft meinen und ich versuche, nicht seinen verlockenden Körper zu mustern, sondern die Antwort in seinen kalten Augen zu finden.
»Zu wenig.«
»Also hast du geschlafen?!«
Er antwortet nicht, setzt sich ans Bettende, um sich die Schuhe auszuziehen.
»Wo hast du geschlafen?«
Sein genervtes Stöhnen irritiert mich.
»Bist du immer noch von mir enttäuscht?«
Da richtet er sich auf und an seinem sich weitenden Oberkörper kann ich sehen, dass er tief einatmet. Vor dem Bett steht er, dreht sich zu mir um und für einen Moment schlucke ich, als mich sein stählerner Gesichtsausdruck trifft. Doch mein Blick wandert wie von selbst über seine gebräunte Haut, verharrt kurz an den kleinen hellen Narben und fliegt weiter über die Muskeln hinweg.
»So viele Worte am Morgen, Rose? So viele habe ich die ganze Woche nicht gehört.« Dunkel und bedrohlich füllen die Silben das Zimmer, aber ich gebe nichts darauf. Schließlich bin ich diejenige, die es ihm nicht so einfach macht, die ihn sogar verletzt und enttäuscht hat. Ich bin die Böse in diesem Raum.
»Warst du bei einer anderen Frau?«, frage ich, als sich unsere Blicke wieder treffen und schlage mir erschrocken auf den Mund. Ich weiß nicht, wo das jetzt herkommt. Eine Frau riecht nicht nach Benzin. Aber er war die ganze Nacht weg und geschlafen hat er sicher nicht eine Sekunde.
Mit schief gelegtem Kopf mustert er mich.
»Und wenn es so ist?«
Diese Gegenfrage trifft mich so schmerzhaft, dass ich schlucke und keine Antwort darauf weiß, außer der, wie sehr mich das verletzen würde. Ich will nicht, dass er mich allein lässt und diesen tollen Mann auch nicht mit einer Frau teilen, die mit Sicherheit besser für ihn ist. Eigentlich wäre es anständiger, nicht so egoistisch zu sein, aber ich kann dieses Gefühl nicht abschalten, Vicco. Auf eine merkwürdige Weise mag ich ihn nicht teilen.
»Schau nicht so traurig, Rose. Ich war bei keiner anderen. Die einzige Frau, die ich will, liegt in meinem Bett.«
»Ist es denn dein Bett?« – Was ist nur los mit mir, weshalb provoziere ich den Streit heraus, obwohl ich keinen weiteren Schmerz aushalte? Wieso bin ich nicht dankbar für seine überwältigenden Worte? Warum ist da dieses erdrückende Gefühl um meinen Brustkorb?
»Das ganze Haus gehört mir. Das ganze Grundstück, also auch das Bett, in dem du geschlafen hast.«
»Das wollte ich nicht wissen.« – O Mann, Vicco, stoppe mich. Wenn du irgendwo in meinem Kopf bist, finde den Teil für das Sprachzentrum und schalte es ab, bevor er wütend wird, weil die forschende Ablehnung es unentwegt heraufbeschwört.
»Ich weiß. Und du hast es richtig erkannt. Das hier ist ein Gästezimmer. Wie dir sicher aufgefallen ist, teile ich trotzdem jede Nacht das Bett mit dir.«
»Bis auf letzte Nacht.«
»Ja.«
»Und du willst nicht, dass ich in deinem Bett schlafe.«
»Weil dieses hier schöner für dich ist. Dir würde mein eigentliches Schlafzimmer nicht gefallen.«
»Wenn du es mir nicht zeigst, wirst du es nie erfahren.«
»Damit kann ich leben, Rose.«
»Ich will …«
»Schluss jetzt mit deinen Fragen. Ich vermisse ja schon die Zeit, wo du nur genickt hast.« Er verschränkt die Arme vor der Brust und mir bleibt der Mund tonlos offen stehen.
»Lass das jetzt und komm her. Wenn du schon endlich mit mir redest, dann lass uns über Wichtiges sprechen.«
Ich runzle die Stirn und schlage die Decke weg.
»Wie geht es dir?«
»Besser, wenn ich mehr Antworten hätte.«
»Lass das jetzt, Rose!«, knurrt er noch gefährlicher. Bei dieser klaren Warnung bleibe ich wie erstarrt und rühre mich nicht. Zu weit trieb meine Neugier das Leid an. Demütig lasse ich den Kopf hängen und stoppe mich selbst, bevor es ausartet.
»Komm jetzt her.«
Vorsichtig krabble ich auf allen vieren über das Bett zu ihm und knie am Ende vor ihm, ohne hinaufzuschauen.
»Rose, du bist frei.« Diese Worte machen mir Angst. Vicco, das beklemmende Gefühl wächst. Ich sehe schon, wie er mich vor die Tür setzt, weil mein Fehler, deinen Namen zu sagen, während ich den Höhepunkt erreicht habe, nicht mehr gutzumachen ist.
»Du kannst gehen, wohin du willst.«
Mit tränengefüllten Augen sehe ich nun doch zu ihm auf und er betrachtet mich kühl.
»Aber du hast Angst, zu gehen. Bist durch die vielen Gefahren, die auf dich warten, verunsichert. Sich jedoch bewusst für diese Stille im Wald zu entscheiden, funktioniert nur dann, wenn du zu jeder Zeit diesen Schutz verlassen kannst.«
Ahnungslos, was er damit meint, höre ich ihm gespannt zu.
»Du bist noch nicht bereit, zu gehen, Rose, und ich auch nicht. Ich bin verantwortlich für dich. Denn ich habe dich befreit und kein anderer. Nur ich. Und du bleibst für dich und alle anderen eine Gefahr, wenn du dich so fürchtest, so wie ich es gestern gesehen habe.«
Aus seiner Hosentasche zieht er etwas heraus und lässt es vor meinen Augen von seinen langen Fingern herunterbaumeln.
»Ich kann dich aber nicht in diesem Zimmer einsperren.«
Stirnrunzelnd betrachte ich das Leder und schrecke ein Stück zurück, als ich erkenne, was es ist.
»Du willst mich wie einen Hund an die Leine nehmen?«
Er lacht, doch es klingt einen Hauch zu diabolisch.
»Nein, Rose. Ja, es ist ein Halsband. Aber das dient dazu, dich hier im Haus kontrollieren zu können, auch wenn ich nicht da bin.«
Was hat er vor, Vicco? Ich verstehe es nicht.
»Dieses Halsband schützt dich und andere vor deiner Angst. Ich kann nicht immer hier sein, ich muss auch arbeiten. Irgendwann, vielleicht sogar schon morgen, kann es sein, dass du gehen möchtest. Das ist in Ordnung, Rose. Du kannst gehen, sobald ein Therapeut bestätigt, dass du keine Gefahr bist. Im Moment bist du eine tickende Zeitbombe. Entweder wirst du Selbstmord begehen oder aus Angst jemanden angreifen. Damit will ich beides ausschließen.«
Wie soll mich dieses lederne Ding vor einem Mord schützen? Wozu soll das gut sein?
»So kann ich die Verantwortung übernehmen, wenn du dieses Haus verlässt, Rose. Sonst könnte ich das nicht. Ich kann dich nun mal nicht in diesem Zimmer einsperren. Das wäre kontraproduktiv. Aber ich muss sicherstellen, dass du keine Gefahr darstellst. Komm her.«
Zögerlich, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich das will, krieche ich wieder zu ihm und erkenne sogar die Ironie, dass ich wie ein gepeinigter Hund auf ihn zuschreite. Er legt es mir um den Hals und verschließt es aufwendig.
»Du kannst es nicht öffnen, Rose. Wenn du es aber versuchst, könnte es wehtun. Ich gehe jetzt duschen. Ich muss arbeiten.«
Ohne mir eine Chance zu geben, etwas zu sagen, verschwindet er schon ins anliegende Bad. Derweil betaste ich das Band, was sich gar nicht nach Leder anfühlt, eher synthetisch. Es sitzt nicht zu straff und ich spüre auch kaum das Gewicht. Trotzdem gefällt mir das nicht.
Nach kurzer Zeit kommt er wieder aus dem Bad und legt den Kopf schief.
»Schau mich nicht mit diesem Hundeblick an. Nur weil du ein Halsband trägst, bist du noch lange kein Hund.« Witzig, nein, denn der Ernst in seiner Stimme ist schneidend brutal.
»Ich muss mich beeilen. Bin spät dran. Aber bevor ich gehe …« Er kommt näher und stellt sich nur mit einem Handtuch um den Hüften an die Bettkante. Seine reizende, mich lockende Haut, die leicht glänzt, und die kleinen Wassertropfen, die noch an seinen stählernen Muskeln entlanglaufen, nehmen meine Aufmerksamkeit gefangen. Die Wärme durchzieht mich, genauso wie sein männlicher Geruch.
»Geh nicht nach draußen. Bleib im Haus, ok?«
Ich nicke, mit trockenem Mund und der Hitze, die meine Glieder zum Zucken bringt. Spüre den Herzschlag unter der Haut pulsieren. Vicco, so wie er da steht, halbnackt und voller verheißenden stillen Aufforderungen. Ungewollt rutsche ich hin und her, was er deutlich mitbekommt, aber ignoriert.
»Rose, das hier ist dein Zuhause, vergiss das nicht. Wir sehen uns später.« Er nickt kurz und dreht sich zum Gehen um. Dabei lässt er meine unverhohlene körperliche Reaktion auf ihn unerwidert. Vielleicht ist das besser so, auch wenn es mich verletzt.
Nur mit dem Handtuch bedeckt verlässt er den Raum und zum ersten Mal lässt er die Tür sperrangelweit auf, sodass ich sehen kann, wie er ins gegenüberliegende Zimmer geht. Sein Schlafzimmer. Scheinbar, um sich anzuziehen.
Das, Vicco, ist alles noch merkwürdiger als die letzten Tage zuvor. Auch meine Reaktion auf ihn. Der Altersunterschied ist mir bewusst, Vicco. Dennoch übt er einen Reiz aus. Ungewollt erinnere ich mich an den Tag in der Hölle, als ich das erste Mal diese Haut sah, sie unter meinen Fingerspitzen zucken spürte, und lächele in mich hinein, weil es mich wärmt und aufheitert zugleich.
Es ist er.