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E steht für Erinnerungen
Cara schafft es immer wieder, mich zu überraschen. Sie und Shane hatten erst vor zwei Wochen ihr neues Haus gekauft, und dennoch war es ihr gelungen, eine Einweihungsparty auf die Beine zu stellen, die genauso glamourös war wie ihre Hochzeit. Das 3,5 Millionen Dollar teure Anwesen im Laurel Canyon war fast genauso schön wie mein Zuhause in Malibu und heute Abend mit so vielen frischen Blumen und Lichterketten dekoriert, dass man es schon von Weitem sehen und riechen konnte. Die eingetopfte Orchidee, die ich als Gastgeschenk besorgt hatte, wirkte plötzlich ziemlich lächerlich.
»Kyle!« Ich stand keine zwei Sekunden in der Haustür, als Cara ihre Arme um mich warf und mich auf die Wange küsste. »Du hast es geschafft!«
»Glückwunsch zum neuen Haus.« Ich reichte ihr die Blume. »Der Typ im Blumenladen hat mir gesagt, dass sie ein Symbol für
Wohlstand, Schönheit, Liebe und Eleganz ist.«
»Also genau die passende Blume für mich.«
Cara grinste. Sie wirkte so zufrieden, dass sie praktisch funkelte. Vielleicht lag es auch an ihrem Make-up, aber glücklich war sie auf jeden Fall.
»Und für Shane …«, sagte ich und hielt ein Sixpack Corona hoch.
Cara starrte mich an. »Bier?«
»Hey, das ist das gute Zeug«, verteidigte ich mich. »Außerdem dachte ich, du würdest mich umbringen, wenn ich mit dem Flipperautomaten angekommen wäre, den ich ihm eigentlich besorgen wollte.«
Cara lachte. »Du hast recht. Danke. Ich glaube, Shane ist auf der Terrasse.« Sie deutete auf das Bier in meiner Hand. »Nehmt das bloß nicht als Ausrede, um euch davonzuschleichen und den ganzen Abend zu verschwinden. Ich habe ihn mehrfach gewarnt, dass er der Gastgeber ist. Er muss sich unter die Leute mischen. Und was dich
angeht, da ist jemand, den ich dir vorstellen will.«
War es zu spät, um mir vom Parkservice meine Autoschlüssel zurückgeben zu lassen? Ich drehte mich um und wollte das Haus verlassen.
Cara packte mich am Kragen meiner Lederjacke. »Oh nein, keine Chance!« Als sie mein Stirnrunzeln sah, sagte sie: »Komm schon, Kyle. Sie ist bezaubernd und wirklich witzig. Du wirst sie mögen. Ich verspreche es.«
»So wie die letzte?«
Cara rollte mit den Augen. Das letzte Mal hatte sie versucht, mich mit einer Frau aus ihrem Yoga-Kurs zu verkuppeln. Ich würde eine einstweilige Verfügung beantragen müssen.
»Nein, nicht wie die letzte. Candy ist eine Freundin von mir«, erklärte Cara. »Geprüft und für nicht psychotisch befunden.«
»Candy?«
Cara winkte ab. »Wir sind in L.A. Du weißt doch, wie es ist.«
Ja, das wusste ich nur zu gut. »Vielleicht ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um dir zu sagen, dass ich es mir anders überlegt habe. Ich bin jetzt vom anderen Ufer. Spiele fürs andere Team. Wie auch immer du es nennen willst. Frauen interessieren mich nicht mehr, also hat es keinen Sinn, mich weiter mit jeder einzelnen Frau auf
diesem Planeten bekannt zu machen.«
Cara verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch. »Homosexualität? Das
ist diesmal deine Ausrede?«
»Genau. Ich habe mich mit meiner Identität neu auseinandergesetzt.« Ich klopfte ihr tröstend auf die Schulter. »Tut mir wirklich leid, dich zu enttäuschen, Cara. Bitte entschuldige mich bei deiner Freundin.«
»Keine Sorge.« Sie grinste breit. »Wenn du jetzt auf Männer stehst, habe ich sogar zwei
Kandidaten, die ich dir heute Abend vorstellen kann. Edwin wird ausrasten. Er ist ein Riesenfan von dir.«
Ich drehte mich um und schlug meinen Kopf spielerisch gegen die Wand. »Cara, bitte. Ich bin zu der verdammten Party gekommen. Ist das nicht ausreichend?«
»Ich mache mir Sorgen um dich, Kyle.«
Ich hörte auf, meine Stirn zu misshandeln, und drehte mich zu ihr um. »Es geht mir gut. Ich habe einfach keine Lust mehr auf Blind Dates. All diese Frauen, die mir seit Adrianna aufgedrängt werden, sind gleich. Ich will etwas Echtes. Ich will, was du und Shane habt, und das werde ich sicherlich nicht mit Muffin oder Lollipop oder wie sie auch immer heißt finden.«
»Candy.« Cara seufzte und sah mich mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck an, den ich ziemlich beunruhigend fand. Ich hatte diese Frau wirklich gern, aber sie war eine Strippenzieherin, und ihre Pläne hatten die Tendenz, in einer Katastrophe zu enden.
»Kann ich jetzt Shane suchen?«
»Versprichst du mir, dass ihr nicht verschwinden werdet?«
»Ich schwöre es bei meinem Leben.«
Cara kniff die Augen zusammen. »Wenn du meinen Ehemann dazu überredest, seine eigene Party zu verlassen, werde ich dich beim Wort nehmen. Ich werde dir so weh tun, dass du um Gnade winseln wirst.«
»Verstanden.«
Cara warf mir einen letzten warnenden Blick zu, dann trat sie beiseite. »Versuch es mal am Pool.«
Der Garten war noch spektakulärer als das Haus selbst. Die Dekorateure, die für das Meer aus Lichterketten verantwortlich
waren, hatten auch die Bäume und Büsche am Rand der Rasenfläche nicht vergessen. Auf der Terrasse loderte eine Feuerstelle, und selbst der Pool war beleuchtet. Kerzen ließen die Wasserlilien leuchten und warfen Schatten, die durch den Garten tanzten. Und dann war da noch die Aussicht. Das Haus lag auf einer Anhöhe, und ganz Los Angeles erstreckte sich meilenweit vor unseren Augen.
Ich fand Shane in der Nähe der Gartenlaube. Er wirkte absolut unglücklich, während jemand auf ihn einredete. Shane nickte, doch es war offensichtlich, dass er überhaupt nicht zuhörte. Als ich ihm zuwinkte und das Sixpack hochhielt, sah ich die Erleichterung in seinen Augen aufleuchten, und er lief mir über den Rasen entgegen.
»Du bist ein Heiliger! Ich war mir sicher, du würdest mich sitzen lassen.«
Ich lachte. Er war wirklich verzweifelt. »Bitte sag mir, dass du hier irgendwo in diesem Schuppen eine Männerhöhle versteckt hast.«
Shane nahm sich eines der Biere und öffnete es lässig am Terrassengeländer. Nachdem er die Flasche in einem Zug halb geleert hatte, ging er zurück ins Haus. »Hier entlang.«
»Wir dürfen uns auf keinen Fall von deiner Frau erwischen lassen. Sie hat mir geschworen, mich leiden zu lassen, wenn wir verschwinden.«
Shane lachte, ging jedoch trotzdem nicht weiter in Richtung Wohnzimmer, sondern führte mich zu einer Treppe am anderen Ende des Hauses. »Sie weiß, dass ich diesen Mist hasse. Du weißt doch, was man sagt. Hunde, die bellen, beißen nicht.«
»Sagt der Mann, der vorsichtig um die Ecke späht, um zu sehen, ob die Luft rein ist.«
Shane zeigte mir den Mittelfinger, dann schob er mich die Treppe hinauf. »Schnell. Hier sind so viele Leute, dass sie uns sicher nicht vermissen wird. Aber wenn sie sieht
, wie wir gehen, sind wir erledigt.«
Wir schafften es sicher in Shanes Zimmer. Es gab einen Billardtisch, eine Minibar und einen riesigen Fernseher. Grinsend betrachtete ich den Raum. Ich hätte mich wohl doch für den Flipper entscheiden sollen.
»Schon besser«, sagte ich und ließ mich auf das Ledersofa fallen.
Shane machte ein weiteres Bier auf und reichte es mir.
»Hey, kann man diese Tür abschließen?«, fragte ich. »Ich muss dringend in Deckung bleiben. Deine Frau versucht mich mal wieder zu verkuppeln. Mit einer Jolly Rancher, Snickers oder so ähnlich.«
»Candy.« Shane erschauerte. »Lauf um dein Leben, Alter. Die ist total irre.«
Während wir unser Bier tranken, verfielen wir in angenehmes Schweigen.
»Und? Wie ist die Ehe so?«, fragte ich.
Shane atmete tief aus und nickte. »Gut. Nicht viel anders als die drei Jahre vorher, die wir zusammengelebt haben, aber Cara wirkt glücklicher.«
Ich musste zustimmen. »Sie strahlt heute Abend regelrecht.«
Shane lächelte. »Diese Frau liebt es, Gastgeberin zu spielen.«
Mir fiel auf, dass eine Ecke des Zimmers Shanes Musik gewidmet war. An der Wand hingen gerahmte Fotos zusammen mit einigen Auszeichnungen unserer Band, und dort standen auch all seine Instrumente, poliert und glänzend.
Ich trank mein Bier aus, dann ging ich hin und nahm eine Bassgitarre in die Hand. Meine Stimme war zwar mein Hauptinstrument, aber ich spielte ein bisschen Klavier und kannte mich einigermaßen mit Bass-, E- und Akustikgitarren aus.
Meine Finger krümmten sich um den Gitarrenhals. Ich hatte seit Monaten kein Instrument mehr in den Händen gehalten, aber das Zupfen der Saiten funktionierte instinktiv.
»Hey, kennst du das noch?«, fragte ich grinsend. Ich stöpselte die Gitarre in den Verstärker und spielte die Basslinie von Metallicas »Orion«.
Shane lachte. Er stöpselte seine Gitarre ebenfalls ein und nickte mir zu. Bevor wir wussten, wie uns geschah, war es plötzlich wieder wie damals in der Highschool. Aus einem Lied wurden zwei, dann drei. Metallica. Pink Floyd, die Beatles. Verdammt, sogar ein bisschen Chili Peppers.
Dann plötzlich, aus welchem Grund auch immer, spielte ich das Intro von »Cryin' Shame«. Shane wunderte sich nicht, sondern spielte einfach mit, und ich geriet in eine Art Rausch. Als ich den Mund öffnete, kamen die Worte leidenschaftlich heraus – voller
Verwirrung, Wut und sogar Verzweiflung. Ich sang mir die Seele aus dem Leib, wie ich es seit Jahren nicht mehr getan hatte.
She’s smokin' hearts with a burnin' flame
She’s got a wild side without a name
And when she’s riled it’s a cryin' shame
Yeah! Yeah! Yeah! I’ve got it bad
Yeah! Yeah! Yeah! I’m goin' mad
Cause in your head you’ve got it right
Won’t go to bed without a fight
You think you’re wise, you think it shows
So show me wise without those clothes
She’s playin' hardball and it’s nothin' new
Short skirts so enjoy the view
She’s a coldblooded tease baby through and through
Yeah! Yeah! Yeah! I’ve got it bad
Yeah! Yeah! Yeah! I’m goin' mad
Cause in your head you’ve got it right
Won’t go to bed without a fight
You think you’re wise, you think it shows
So show me wise without those clothes
Come on Legs don’t go to waste
I could be your only savin' grace
Put those morals on the back burner
Something tells me you’re a fast fast learner
Yeah! Yeah! Yeah! I’ve got it bad
Yeah! Yeah! Yeah! I’m goin' mad
Cause in your head you’ve got it right
Won’t go to bed without a fight
You think you’re wise, you think it shows
So show me wise without those clothes
Als der Song vorbei war, stand ich einfach nur da: außer Atem, mit
klopfendem Herzen und zitternden Händen. Ich hatte keine Ahnung, woher das gerade gekommen oder warum es ausgerechnet jetzt aus mir herausgebrochen war, aber es war eine Art Befreiung gewesen, die ich dringend gebraucht hatte.
»Fühlst du dich jetzt besser?«
Shane sah mich neugierig an.
Ich atmete tief durch und versuchte mich zusammenzureißen. »Ein bisschen«, gab ich zu, während ich die Gitarre zurückstellte. »Keine Ahnung, warum mich der Song immer noch verfolgt.«
»Es ist nicht der Song, der dich verfolgt«, sagte eine sanfte Stimme.
Shane und ich wirbelten erschrocken herum und sahen Cara in der Tür stehen. Sie hatte Tränen in den Augen.
Shane geriet in Panik. »Babe! Hey! Ich habe Kyle nur gerade das Haus gezeigt. Ich schwöre, wir wollten gerade wieder nach unten gehen.«
»Natürlich.« Cara lächelte wissend und schüttelte den Kopf. »Schon in Ordnung … dieses Mal.«
Sie betrat den Raum und schloss die Tür hinter sich. Shane eilte an ihre Seite und flüsterte Entschuldigungen und Dankeschöns und andere Sachen, die ich nicht hören wollte, in ihr Ohr. Aber sie brachten Cara dazu, ihm die Zunge in den Hals zu stecken. Sie waren schon immer diese Art
von Paar gewesen.
Ich räusperte mich, und Cara lächelte. »Es klang gut«, sagte sie.
Ich zuckte verlegen mit den Schultern und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.
Sie hielt ein riesiges Buch in den Armen. »Ich habe etwas für dich.«
»Was ist das?«
Sie legte das Buch auf den Billardtisch und schlug die erste Seite auf. »Das Erinnerungsbuch, das ich während der ›S is for Sex‹-Tour geführt habe.«
»Du hast Tagebuch geführt?«
Ich stellte mich neben sie und starrte auf die Seiten, die sie langsam umblätterte. Sie waren voller Fotos, Magazinausschnitte, Ticketabrisse … Jede Seite brachte ein ganzes Minenfeld voller Erinnerungen zurück.
»Es ist nicht der Song, der dich verfolgt, Kyle«, wiederholte sie. »Erinnerst du dich noch daran?«
Sie blätterte zur letzten Seite des Buchs, wo ein kleines durchsichtiges Stiftemäppchen eingeheftet war.
Beim Anblick meines alten Abstinenz-Armbands rührte sich etwas in mir. Ich nahm das lederne Band heraus und strich über den kleinen silbernen A-Anhänger. »Ich dachte, ich hätte es verloren.«
»Das hast du auch fast«, sagte Cara. »Ich war an dem Abend, als Adrianna es fand, mit ihr im Backstagebereich. Ich konnte sie gerade noch davon abhalten, es wegzuwerfen. Es war gegen Ende der Tour, und das Armband war in der Tasche der Hose, die du beim Auftritt getragen hattest. Adrianna war stinkwütend, als ihr klar wurde, dass du es die ganze Zeit bei dir gehabt hattest – dass es während der Konzerte in deiner Tasche war wie eine Art Talisman.«
Als ich das Gesicht verzog und einen Schritt zurücktreten wollte, ergriff Cara meine Hand. »Schon gut«, sagte sie, was die Situation für mich nur unangenehmer machte. »Ich habe meine Kette auch noch. Du warst nicht der Einzige, der ihren Verlust gespürt hat.«
»Keine Ahnung, warum ich es behalten habe.« Das Geständnis war kaum mehr als ein Flüstern.
»Weil du sie geliebt hast, Kyle.«
Bis jetzt hatte ich das Armband angestarrt, doch nun sah ich auf. Cara erwiderte meinen Blick mit feierlicher Entschlossenheit. Sie würde nicht zulassen, dass ich es abstritt.
Ich ließ das Band fallen und trat vom Billardtisch zurück. »Warum behaupten das immer alle?«, fragte ich und fuhr mir durch die Haare, als würde dies das Rätsel lösen. »Adrianna hat mir das Gleiche vorgeworfen. Verdammt, es war sogar der Grund, warum wir Schluss gemacht haben. Aber ich habe sie nicht geliebt.
«
Cara sah mich an, als wollte sie »Ja, klar« sagen.
Sie war verrückt. Ich mochte Val. Natürlich. Wollte ich sie? Und ob, mehr als alles andere. Ich würde sogar zugeben, dass sie mir wichtig war. Aber sie lieben? Wie kann man jemanden lieben, mit dem man nie zusammen war?
»Vielleicht war ich mal ein bisschen in sie verknallt, aber …«
»Über so etwas kommt man irgendwann hinweg. Man nimmt nicht seinen größten Hit von der Setlist, obwohl selbst das eigene
Management mit einer Klage droht.«
Wenn sie es so formulierte …
Aber das war doch verrückt. Es war unmöglich. Oder?
»Vielleicht wusstest du es nicht«, riss mich Cara aus meinen Gedanken. »Aber du hast sie geliebt.«
Aus Gründen, die ich nicht erklären konnte, stieg Wut in mir auf. »Und selbst wenn«, blaffte ich. »Was für eine Rolle spielt es? Das ist Jahre her. Es ist vorbei.
«
»Ist es das?«
Jetzt warf sie mir auch noch vor, nicht über Val hinweg zu sein? Cara war genauso schlimm wie Adrianna. Was zum Teufel sollte das? Warum hatte sich plötzlich die Welt gegen mich verschworen? Warum konnten die anderen es nicht einfach vergessen? Wenn ich Val tatsächlich immer noch hinterherhängen würde, verstand ich erst recht nicht, wie es mir helfen sollte, dass die anderen es mir ständig unter die Nase rieben.
Ich schnappte mir noch ein Bier aus dem Sixpack. Shane hielt schon den Flaschenöffner bereit und sah mich entschuldigend an.
Ich ließ mich wieder auf das Sofa fallen und versuchte, meine Frustration in Bier zu ertränken. Cara setzte sich neben mich und legte mir ihre Hand aufs Knie. »Val und ich haben keinen Kontakt mehr, aber so wie es aussieht, kennt Google sie immer noch ziemlich gut.«
Ich hielt in meiner Bewegung inne und sah Cara an. Ich hatte keine Ahnung, worauf sie hinauswollte, war mir aber sicher, dass es nichts Gutes bedeuten konnte.
»Sie scheint Single zu sein.«
Da verstand ich. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und widerstand dem Drang, mir die Haare büschelweise auszureißen.
»Du hast gesagt, du willst etwas Echtes«, sagte Cara. »Ich denke, wir wissen beide, wo du es finden kannst.«
Ich verfluchte Cara dafür, es auch nur vorzuschlagen, aber gleichzeitig hatte sie diese Idee in meinen Kopf gepflanzt. Hoffnung breitete sich in mir aus. So sehr ich sie auch zu unterdrücken versuchte, wusste ich, dass es nichts nutzen würde.
»Cara«, stöhnte ich. Abgesehen von dem Wunsch, die Frau meines besten Freunds zu erwürgen, wusste ich nicht, was ich gerade
fühlte.
»Wie lange ist es her, dass du mit jemandem geschlafen hast?«, fragte Cara.
Ich starrte sie böse an, doch sie erwiderte meinen Blick trotzig. Diesen Willenskrieg verlor ich. »Seit den drei Cheerleaderinnen mit niemandem mehr«, gab ich seufzend zu.
»Das ist zwei Monate her, Kyle.«
Wieder warf ich ihr einen bösen Blick zu. »Du musst mich nicht daran erinnern.«
Caras Antwort war ein schelmisches Grinsen. Sie ergriff meine Hand. Mein Herz setzte ein, zwei Schläge aus, als sie mir das Abstinenz-Armband am Handgelenk befestigte. »Warum gibst du deiner Trockenzeit nicht einen Sinn?«, fragte sie.
Das Armband fühlte sich schwer an – seine Bedeutung zog mich herunter. In all den Monaten, die ich es bei mir gehabt hatte, bei all den Konzerten, in denen es bei mir gewesen war, hatte ich es nie wirklich getragen. Ich konnte es nicht, weil ich wusste, wofür es stand.
Cara gab mir einen Kuss auf die Wange und verließ den Raum ohne ein weiteres Wort. Ich starrte weiter auf mein Handgelenk, meine Gedanken und Gefühle vollkommen außer Kontrolle. Der silberne Anhänger daran symbolisierte nicht nur sexuelle Enthaltsamkeit. Er repräsentierte die einzige Sache, die zwischen Val und mir stand. Dieses Armband – und alles, für was es stand – war der Schlüssel, um die Kluft zwischen uns zu überbrücken.
War das wirklich möglich? Konnte ich das tun? Hatten Val und ich doch noch eine Chance? Und wollte ich das überhaupt herausfinden?
Die Antwort stand außer Frage. Und ob ich es herausfinden wollte! Wenn auch nur die geringste Chance auf eine gemeinsame Zukunft mit Val bestand, würde ich alles
tun, was nötig war.
»Oh oh.« Shane riss mich aus meinen Gedanken.
»Was?«
»Ich kenne diesen Blick.«
»Welchen Blick?«
Shane grinste. »Diesen Scheiß-auf-die-Welt-ich-schreibe-einen-Hit-Blick.«
Wieder war ich überrascht. Ich hatte mir doch nicht gerade einen
Songtext ausgedacht, oder? Seit Reids Tod und der Auflösung unserer Band hatte ich keinen Song mehr geschrieben. Doch auf einmal bemerkte ich, wie sich das vertraute Verlangen durch Shanes Worte in meinem Hinterkopf stahl.
Wir sahen einander einen Moment lang an, dann begann er zu lachen. »Tja, man glaubt es kaum. Virgin Val schlägt wieder zu.«
Ich stand auf und boxte Shane gegen den Arm. »Halt die Klappe, du Idiot.«
Er boxte zurück. »Lass mich den Song ja hören, wenn er fertig ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Jungs ohne Reid wiedervereinigen würden, aber wenn du auf Solo-Tour gehst, brauchst du einen Leadgitarristen für deine Begleitband – und ich werde dir in den Hintern treten, wenn du jemand anderen nimmst.«