13
I steht für Interview
Als mein Handy in der Hosentasche vibrierte, zuckte ich zusammen. Ich hatte seit Tagen nervös darauf gewartet.
Hey, Rockstar? Wie ist das Interview gelaufen?
Als ich sah, dass die Nachricht von Val kam, durchströmte mich Erleichterung. Wir hatten ein unglaublich schönes Wochenende miteinander verbracht, doch am Montag war ich wieder nach Hause geflogen, und die nächsten drei Tage hatte ich nur paar Textnachrichten von ihr bekommen. Sie hatte viel auf der Arbeit zu tun gehabt, und bei mir hatte dieses Interview angestanden, also war ich nach L.A. zurückgekehrt. Val hatte nicht gesagt, wann wir uns das nächste Mal sehen würden.
Ich warte immer noch,
schrieb ich zurück. Keine Ahnung,
warum das so lange dauert.
Ich würde dir Glück wünschen, aber das brauchst du nicht. Du wirst die Sache rocken.
Eine Fernbeziehung war etwas völlig Neues für mich. Es gefiel mir nicht, dass wir alles so offengelassen hatten. Val ging völlig in ihrer verrückten schnelllebigen Welt auf. Ich fragte mich, ob ihr überhaupt klar war, dass wir in den letzten drei Tagen nicht miteinander geredet hatten. Vielleicht war das für sie in einer Beziehung normal, aber ich war ein Alles-oder-nichts-Typ. Ich wollte nicht direkt fragen, ob sie am Wochenende nach L.A. kommen wollte, aber wie konnte ich ihr einen dezenten Hinweis darauf geben?
Ich wünschte, du wärst hier. Du solltest dieses Interview mit mir zusammen machen.
Ich wäre auch gern bei dir. Ich vermisse dich.
Tja, das war nicht die Antwort, auf die ich gehofft hatte. Aber zumindest vermisste sie mich und dachte an mich, seit ich wieder weg war. Eine weitere Textnachricht folgte.
Ist das bescheuert? Zu sagen, dass ich dich vermisse? Ich weiß, dass du erst drei Tage weg bist.
Ich spürte, wie sich ein Lächeln in mein Gesicht schlich. Das wahrscheinlich erste an diesem Tag. Sie zerbrach sich über so etwas den Kopf, während ich mich zurückhalten musste, um nicht direkt in den nächsten Flieger zu steigen.
Das ist überhaupt nicht bescheuert,
schrieb ich zurück. Ich vermisse dich auch. Meine Freundinnen hier sind nur halb so lustig wie du.
Ha. Ha. Nicht witzig.
Ich lachte. Du bist sexy, wenn du eifersüchtig bist.
Ich muss los. Ich treffe meinen anderen Freund zum Mittagessen.
Du hast recht. Das ist nicht witzig.
Siehst du?
Du gehst doch nicht wirklich mit einem anderen Mann essen, oder?
Aww, du bist so süß, wenn du eifersüchtig bist.
Okay, hab’s verstanden.
Gut. Ich muss jetzt aber wirklich los. Bin spät dran für ein Meeting. Wir telefonieren bald, ja?
Kann es kaum erwarten.
Ich steckte das Handy wieder in meine Hosentasche und bemühte mich, nicht enttäuscht das Gesicht zu verziehen. Ich wusste, dass die Sache mit der Verabredung zum Mittagessen ein Scherz gewesen war, aber ich hasste es trotzdem, weiter darüber nachzudenken. Besonders, nachdem ich Bryce Carmichael kennengelernt hatte, den Wunderknaben von »F is for Families«.
Ich sah mich im Studio um und fragte mich, was hier eigentlich immer noch so lange dauerte.
Meine Manager hatten die Nachricht verbreitet, dass ich mich offiziell der Abstinenz-Challenge verschreiben wollte, und unterschiedliche Medienleute eingeladen, dabei zu sein. Celebrity Gossip
wollte ein Titelbild und eine vierseitige Fotoserie mit Interview bringen. Wer hätte gedacht, dass meine Enthaltsamkeit so ein Topthema sein würde?
Und sie hatten sich richtig ins Zeug gelegt – überall waren Lichter und Kameras. Es waren drei verschiedene Hintergründe geplant, es gab eine Snackbar, und ich hatte meinen eigenen Wartebereich. Das war schon gut so. Zumindest wurde ich so nicht von der Presse belagert, während ich wartete. Aber warum dauerte das so lange?
Schließlich zog ich aus Langeweile wieder mein Handy heraus. Diese dämliche Sache sollte endlich anfangen, damit ich mir nicht weiter vorstellte, wie Bryce »P steht für Perfekt« Carmichael mit meiner Freundin bei einem kühlen Getränk einen Plan ausheckte, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Oder vielleicht auch dieser Mike Trout.
»Nervös?«
Als ich aufsah, stand Robin vor mir und lächelte mich an.
Ich verfluchte meine innere Unruhe. Hoffentlich sah es für die anderen hier nicht so aus, als hätte ich Angst. All diese Reporter, die am anderen Ende des Studios saßen, warteten nur darauf, der Welt zu erzählen, dass ich die Nerven verlor.
Ich zwang mich dazu, still zu sitzen. »Wegen des Interviews mache ich mir keine Sorgen.«
»Dann freust du dich also darauf, deine Enthaltsamkeit zu verkünden?«, neckte sie mich.
»Ja, genau so ist es. Wie hast du das erraten?«
Robins Lächeln wurde zu einem Grinsen. »Was hat Val getan, dass du so durcheinander bist?«
Ich verzog mein Gesicht. »Ist es so offensichtlich?«
»Ich erkenne ein Beziehungsdrama, wenn ich es sehe. Was ist los? Ich dachte, der Besuch bei ihr lief gut.«
Würde ich mich jetzt wirklich mit ihr darüber unterhalten? Ich sah mich erneut um und wünschte, dass mich irgendjemand abholen würde, aber niemand schien meine Misere zu bemerken.
Robin verschränkte ihre Arme und warf mir einen ernsten Blick zu.
Seufzend steckte ich mein Handy weg und deutete auf den leeren Stuhl neben mir. »Setz dich, leg deine Füße hoch.«
Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, und sie nahm Platz. Sie sah sich im Raum um und senkte ihre Stimme. »Verstoße ich gegen irgendeine Regel, wenn ich mit dem Promi rede?«
Ich schmunzelte. »Nicht, wenn du ihn persönlich kennst. Du bist eine willkommene Ablenkung.«
»Also, was ist los bei Val und dir?«
»Hast du schon die Snackbar gesehen?«, erwiderte ich. »Ich habe sie vorgewarnt, dass heute eine Schwangere zu Besuch sein wird. Es
sollte jede Menge Erdnussbutter und Gürkchen geben.«
Robin lachte und rieb sich unwillkürlich ihren Bauch. Meine Vermeidungsstrategie funktionierte, und sie war abgelenkt. »Leider habe ich diesmal ganz andere Gelüste. Ich bin verrückt nach Bananenpudding und diesen Taquitos von der Tankstelle. Ekelhaft, ich weiß, aber …«
»Oh, die mit dem Pepper-Jack-Käse? Die liebe ich.«
Sie lachte wieder und legte mir einen Arm um die Schulter. »Kyle, ich glaube, du könntest ein Seelenverwandter sein.«
Robin war in Ordnung. Ich lehnte mich vor und sprach leise, als würde ich ihr ein Geheimnis verraten. »Willst du was Cooles sehen? Schau mal.«
Ich sah auf und winkte der ersten Person zu, die ich sah. Der Junge war etwa achtzehn oder neunzehn und hatte die Arme voller Kabel. Er wirkte begeistert, dass ich ihn ansprach. »Was kann ich für Sie tun, Mr Hamilton?«
Ich zwinkerte Robin zu. »Wir haben hier einen Schwangerschaftsnotfall. Jemand muss zur nächsten Tankstelle laufen und ein paar von diesen Pepper-Jack-Taquitos und einen Bananenpudding besorgen.«
Ich schmunzelte, als der Junge einen seiner Mitarbeiter herbeiwinkte und ihm die Kabel in die Hände drückte. »Kannst du die zum Kameramann bringen? Ich muss etwas für Mr Hamilton erledigen.« Er drehte sich wieder zu mir um. »Einen Bananenpudding und zwei Taquitos?«
»Die mit Pepper-Jack.«
»Bin gleich zurück.«
Ich stoppte ihn, bevor er weg war. »Mach vier daraus.« Ich tätschelte meinen Bauch. »Solidaritätsgelüste.«
Sobald der Junge gegangen war, fing Robin an zu lachen. »Macht er das jetzt wirklich?«
»Oh ja. Und er wird sich beeilen.«
Robin schüttelte den Kopf. »Das hättest du nicht tun müssen.« Doch sie konnte ihre Belustigung nicht verbergen.
»Ah, mach dir keine Gedanken. Er wird bezahlt. Außerdem habe ich ihm wahrscheinlich den Tag gerettet. Jetzt kann er nach Hause gehen und seiner Familie erzählen, dass er Kyle Hamilton getroffen
und mit ihm über Taquitos geplaudert hat.«
Als mir Robin einen weiteren skeptischen Blick zuwarf, musste ich grinsen. »Es hat seine Vorteile, ein Promi zu sein.«
»Klingt ganz so.« Robin streckte sich und schloss ihre Augen. »Aber so leicht lasse ich dich nicht vom Haken, auch wenn du mich mit Essen zu bestechen versuchst. Raus mit der Sprache.«
»Du bist schlimmer als Cara.« Lachend entschied ich, dass ich den Kampf verloren hatte. »Es ist nichts los. Es ist dämlich.«
Robin zuckte mit den Schultern. »Aber offensichtlich stört dich etwas.«
»Na ja, schon. Wir leben sechs Stunden Fahrt voneinander entfernt, und bevor ich zurück nach L.A. musste, haben wir nicht darüber gesprochen, wie diese Fernbeziehung funktionieren soll. Sie war am Zug, aber sie hat nichts gesagt. Ich bin schon seit drei Tagen weg, und sie hat es immer noch nicht angesprochen. Normalerweise bin ich nicht so eine Klette, aber Val hat immer so viel zu tun. Was, wenn sie es einen ganzen Monat lang nicht schafft, mich in ihrem Zeitplan unterzubringen?«
Ich war überrascht, dass ich das alles gerade zugegeben hatte. Ich kam mir wie ein Idiot vor, doch Robin lachte mich nicht aus. Sie schwieg einen Moment und stieß dann ein tiefes Seufzen aus. »Um ehrlich zu sein, wird das bei Val immer ein Problem sein. Sie und ich stehen uns nicht mehr so nah wie damals in der Schule. Wir sind immer noch gute Freunde, halten uns über Facebook auf dem Laufenden, treffen uns alle paar Monate – und ich habe das ›V is for Virgin‹-Projekt für sie übernommen, als sie zum College gegangen ist. Ich weiß, wie sie funktioniert und arbeitet. Sie ist immer beschäftigt, hat immer viel zu viel zu tun. Sie lebt nach dem Terminplaner auf ihrem Tablet. Du wirst wahrscheinlich darum kämpfen müssen, Zeit mit ihr verbringen zu können.«
Ich runzelte die Stirn. Sollte man sich durch so ein vertrauliches Gespräch nicht eigentlich besser fühlen? Bestanden Frauen deshalb nicht immer darauf, zu reden?
»Aber
«, ergänzte Robin, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte, »sie wird immer da sein, wenn du sie wirklich brauchst. Und es gelingt ihr, das Unmögliche möglich zu machen. Ich denke, sie könnte dich durchaus überraschen.«
Die Überzeugung in Robins Stimme war schwer zu ignorieren, und das sorgte tatsächlich dafür, dass ich mich etwas besser fühlte. Robin kannte
Val, und wenn sie der Meinung war, wir würden es schaffen, dann konnte ich ebenfalls daran glauben. Plötzlich wurde eine Tür zugeknallt, und Absätze klackerten eilig über den Boden. Ich wusste nicht, warum Robin so breit lächelte, bis ich Val rufen hörte: »Ich bin da! Tut mir so leid! Es gab einen Unfall auf der Grapevine. Die Straße war fast zwei Stunden lang gesperrt. Was soll man machen?«
Ich drehte mich zu Robin um und hatte das dumpfe Gefühl, reingelegt worden zu sein. »Du wusstest die ganze Zeit, dass sie kommt?«
Robin lachte und schien meine Überraschung sichtlich zu genießen. Sie tätschelte mein Bein und zwinkerte mir zu, dann kam sie mühevoll auf die Beine. »Ich habe es arrangiert.«
Sie ließ mich verdattert sitzen und eilte zu Val. Sie umarmten sich und plauderten einen Moment, bevor Robin in meine Richtung deutete und Val zu mir sah. Mein Mund musste immer noch offenstehen, denn Val presste die Lippen zusammen und versuchte nicht zu lachen.
Ich stand auf, um sie zu begrüßen, und sie kam mir auf halbem Weg entgegen. »Hey.«
In ihrer Erwiderung lag ein Hauch Unsicherheit. »Überraschung?«
Ich war immer noch ein bisschen fassungslos, als ich sie in meine Arme zog und sie flüchtig küsste. »Du bist hergekommen, um das Interview mit mir zu machen?« Meine Zweifel verwandelten sich in Dankbarkeit, und endlich gelang es mir, zu lächeln.
»Na ja …« Sie zögerte und begann, auf ihrer Unterlippe herumzukauen. »Eigentlich hat mich Bryce überredet, mir den Sommer freizunehmen. Meine Eltern meinten, ich könnte bei ihnen bleiben, bis die Uni anfängt. Sie haben sich ziemlich darüber gefreut.«
Ich konnte kaum glauben, was sie da sagte. »Du hast deinen Job geschmissen?«
Sie zuckte mit den Schultern, als wäre das keine große Sache, doch ihre Wangen liefen rot an. »Ich habe ja ohnehin schon meinen
Nachfolger angelernt, weil ich die Organisation spätestens abgeben muss, sobald das Programm der Uni anfängt. Ich hab es nur ein paar Monate früher getan als ursprünglich geplant. Aber ich glaube, ich kann diese Pause gut gebrauchen.«
Sie wartete auf eine Antwort, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich sah vor meinen Augen einfach nur einen riesigen Terminplaner, in dem außer dem Wort KYLE in großen Buchstaben nichts stand.
Als ich nichts erwiderte, begann sie zu plappern. »Es wird natürlich gelegentlich Konferenzanrufe geben, und ich bin Stephanies Trauzeugin, was bedeutet, dass ich …«
Ich unterbrach sie mit einem Kuss. Diese Frau hatte gerade ihren Job für mich gekündigt. Ich zog sie an mich und vertiefte unseren Kuss, bis sie regelrecht dahinschmolz. Val sah mit geröteten Wangen zu mir auf und lächelte schüchtern. »Dann ist es okay, dass ich hier bin?«
»Ob es okay ist, dass meine Freundin den Sommer in der gleichen Stadt verbringen will wie ich?« Ich gab vor darüber nachzudenken. »Ich werde es wohl überleben.«
Ihr Lächeln wurde selbstsicherer. »Und ist es okay, wenn ich heute das Rampenlicht mit dir teile? Nach der Nummer vor meinem Haus haben mich so viele Leute angesprochen. Ich dachte, es würde eine Menge offene Fragen klären, wenn wir das Interview zusammen machen. Als Robin es deinem Team gegenüber erwähnt hat, wirkten sie ziemlich begeistert.«
»Zuerst stiehlt sie mir meine Fans, dann will sie auch noch mein Interview übernehmen«, sagte ich mit einem gespielten Seufzen. »Und du behauptest, ich
wäre die Rampensau.«
Val verdrehte die Augen, und ich konnte nicht anders, als sie erneut zu küssen. »Danke, dass du gekommen bist.«
In dem ersten Interview bestätigten Val und ich, dass wir ein Paar waren. Ich erklärte, dass ich für sie enthaltsam leben und mich der »V is for Virgin«-Kampagne sowie der Nicht-alle-tun-es-Stiftung anschließen würde. Ich präsentierte mein Armband, erzählte, wie viel Prozent der Albumverkäufe ich spenden würde, und sang sogar »Worth Waiting For« unplugged.
Dann gab es eine kurze Fragerunde. Die meisten Fragen waren an Val gerichtet. Was sie von dem neuen Song hielt. Wie wir uns kennengelernt hatten. Was sie darüber dachte, dass wir nun wieder zusammen waren. Wie es mir schließlich gelungen war, sie für mich zu gewinnen.
»Oh, das ist leicht zu beantworten«, sagte sie. »Er hat mich bereits vor vier Jahren herumbekommen, als man ihm den Titel des Sexiest Man Alive
verliehen hatte. Die Fotos haben mich damals umgehauen.«
Val fächerte sich scherzhaft Luft zu, und alle im Raum begannen zu lachen. Ich lachte mit, aber innerlich war ich schockiert. In all den Jahren, in denen ich sie kannte, hatte sie noch nie mit mir geflirtet. Ich mit ihr schon – ich hatte nie etwas anderes getan, als sie anzumachen – aber sie hatte es nie erwidert. Nicht ein einziges Mal hatte sie mir gesagt, dass sie mich gutaussehend fand. Ich wusste, dass sie sich zu mir hingezogen fühlte, bemerkte, dass sie körperlich auf mich reagierte, aber noch nie zuvor hatte sie es laut zugegeben.
»Aber jetzt mal im Ernst«, sagte sie, nachdem das Gelächter abgeebbt war. »Ich weiß nicht genau, wann er mich für sich eingenommen hat.«
Sie sah mich nachdenklich an und schüttelte dann leicht den Kopf. »Er hat mich in den Wahnsinn getrieben, aber ich mochte ihn seit unserer ersten Begegnung. Hinter seinem Ego ist er ein wirklich unglaublicher Mann. Er ist leidenschaftlich und ambitioniert. In dieser Hinsicht sind wir uns ähnlich – wir haben nur unterschiedliche Ziele. Manchmal treibt er mich immer noch in den Wahnsinn, aber jetzt, wo uns die Sexsache nicht mehr im Weg steht«, sie hob eine Schulter und errötete, »ist es schwer, ihm zu widerstehen.«
Val lächelte mich an, und ich grinste zurück. Innerlich jedoch gab ich mein Bestes, mit einem unerwarteten Ansturm von Gefühlen umzugehen. Dies war eine Seite von ihr, die sie mir nie zuvor gezeigt hatte. Ich wusste, dass sie mich mochte und dass sie sich anderen gegenüber durchaus so verhielt, aber ich persönlich hatte noch nie diese kokette, liebevolle Val erlebt, die viel von mir hielt und mir Komplimente machte. Bis jetzt war sie mir gegenüber immer eher vorsichtig gewesen.
»Sie sind ja ganz schön schweigsam, Kyle.«
Die Bemerkung war eher eine Frage und kam von jemandem aus dem Publikum. Ich fragte mich, wie lange ich wohl still dagesessen hatte.
»Ich bin nur leicht geschockt«, scherzte ich. »Keine Ahnung, wer die unglaubliche Frau ist, die neben mir sitzt, oder was sie mit dem bissigen, sarkastischen Mädchen von vor vier Jahren gemacht hat.«
Val drückte meine Hand und sagte in einem vor Aufrichtigkeit nur so strotzenden Tonfall: »Sie ist erwachsen geworden.«
Mein Herz setzte einen Sprung aus, und ich hatte das Gefühl, nicht atmen zu können. Danach musste ich das Interview beenden, weil ich einfach zu aufgewühlt war.
Ich wurde dabei gefilmt, wie ich den offiziellen Abstinenzeid unterschrieb und präsentierte Val das Dokument. »Hier«, sagte ich und tat so, als ob ich mit meiner Unterschrift gerade eingewilligt hätte, in eine Gefängniszelle geworfen zu werden. »Jetzt lebe ich offiziell enthaltsam. Du hast gewonnen.«
Als sie das Dokument annahm, strahlte sie auf eine Weise, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Lächelnd betrachtete sie meine Unterschrift, dann schlang sie ihre Arme um meinen Hals und küsste mich. »Und ich bin jetzt offiziell dein«, sagte sie, »also haben wir wohl beide gewonnen.«
Nach dem Interview wurde die Presse weggeschickt und eine Reihe Pärchenfotos von uns gemacht, auf denen Val ihre V-Kette trug und ich mein A-Armband präsentierte. Es war nicht mein erstes Fotoshooting, aber ich hatte noch nie so viel Spaß dabei gehabt wie an diesem Tag mit Val.
Ich war an verrückte Fotografen gewöhnt, sie jedoch nicht. Sie verlor jedes Mal die Fassung, wenn der Typ sie anwies, mir in die Augen zu schauen, und dann um uns herumsprang und Dinge rief wie »Wir sind so glücklich! Wir sind so verliebt!« oder »Jetzt sind wir sexy! Abstinenz ist sexy!«. Nachdem sie zum sechsten Mal einen Lachanfall bekommen hatte, hätte der Fotograf sie wohl am liebsten erwürgt. Nach ein paar Stunden gab er schließlich auf, erklärte sie zum hoffnungslosen Fall und sagte, dass es nicht seine Schuld sei, wenn die Fotos furchtbar würden. Ich versicherte ihm, dass sie
perfekt seien.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis wir endlich fertig waren und ich Val für mich allein haben konnte. Es war noch zu früh, um zu Abend zu essen, also ließen wir unsere Autos auf dem Studioparkplatz stehen und gingen spazieren. Nicht dass das Stadtzentrum von Burbank besonders aufregend ist, doch es war nie schlecht, sich von den Touristenattraktionen fernzuhalten. Außerdem war es ein wunderschöner Tag.
»Also«, sagte ich, während wir Hand in Hand die Straße entlanggingen. »Bleibst du während deines Besuchs bei deinen Eltern? Wohnen sie noch in Huntington Beach?«
Val nickte abwesend. »Es ist mein Zuhause.«
Ich seufzte, und Val warf mir einen Seitenblick zu. »Warum? Wo wohnst du denn gerade? Mullholland Drive?«
Ich tat so, als würde mich die Vermutung kränken, doch das war bei meiner folgenden Antwort kaum glaubwürdig: »Am Pacific Coast Highway oben in Malibu.«
Schmunzelnd schüttelte Val den Kopf. »War ja klar.«
»Was denn? Es ist hübsch da.«
Sie lachte wieder. »Da bin ich mir sicher.«
»Und es ist ziemlich weit von Huntington Beach entfernt.«
Val seufzte leise, wie um mir zuzustimmen. »Immer noch besser als Sunnyvale.«
»Stimmt.« Ich hob Vals Hand an meine Lippen. »Ich bin froh, dass du hier bist. Danke, dass du hergekommen bist.«
Wir kamen an einem Wochenmarkt vorbei und nahmen uns Zeit, an den verschiedenen Ständen vorbeizuschlendern. Ich liebte es, Val zu beobachten. Ich hatte meine Baseballmütze tiefer in die Stirn gezogen und blieb ziemlich ruhig, um nicht aufzufallen, doch Val kam mit fast jedem ins Gespräch, der uns begegnete.
Sie blieb stehen, um für ein Baby Grimassen zu schneiden oder einen Hund zu streicheln. Sie plauderte mit völlig Fremden, stellte Fragen oder machte ihnen Komplimente, die aufrichtig klangen. Sie redete mit allen Händlern, lobte ihre preisgekrönten Tomaten oder fragte, wie dieses Jahr ihre Ernte ausgefallen war. Sie war ein Sonnenstrahl, der eine Spur ihres Lächelns hinter sich ließ, wohin sie auch ging. Noch nie hatte ich jemanden wie sie gekannt.
»Du solltest bei mir schlafen«, platzte es aus mir heraus, als sie einem jungen Mädchen ein Glas von der Limonade abkaufte, die es neben dem Obststand ihrer Eltern verkaufte. Sie hockte immer noch vor dem kleinen Mädchen, aber nun sah sie mit hochgezogener Augenbraue zu mir auf.
»Zumindest manchmal«, schob ich nach.
Ich wartete, bis Val dem Mädchen sein Geld gegeben, ihre ausgezeichnete Limonade gelobt und ihr gesagt hatte, dass es das Wechselgeld behalten könne. Dann stand sie wieder auf und sah mich ernst an. »Ich halte das für keine gute Idee, Kyle.«
Ich zog sie zum nächsten Stand, fort von den Ohren des kleinen Mädchens, bevor ich flüsterte: »Du müsstest dich ja nicht vor mir ausziehen. Du könntest sogar dein eigenes Zimmer haben. Es würde uns einfach so viel Fahrerei ersparen.«
Einen Moment lang schwieg sie. Als sie schließlich den Kopf schüttelte, rutschte mir das Herz in die Hose.
»Tut mir leid, Kyle.«
»Traust du mir nicht?«
»Nicht im Geringsten.« Val lachte, als ich die Stirn runzelte. »Ich bin mir absolut sicher, dass du die ganze Zeit oben ohne herumstolzieren würdest, um mich mit Absicht verrückt zu machen. Du bist nicht der Einzige, dem ich hier nicht traue, Mister. Ich mag zwar die Stärkere von uns beiden sein, aber auch meine Selbstbeherrschung hat Grenzen. Bei dir zu schlafen wäre eine Katastrophe, die nur darauf wartet, auszubrechen, und das weißt du.«
Der plötzliche Themenwechsel und die Schwäche, die sie gerade zugegeben hatte, überraschte mich. Es war traurig, wie sehr ich mich über ihr Geständnis freute. Ich blieb stehen und legte meine Arme um ihre Taille, um sie an mich zu ziehen. »Tut mir leid. Ich hab nur gehört, wie du gesagt hast, dass du meinen nackten Oberkörper scharf und verlockend findest.«
Sie verdrehte die Augen, lachte aber. »Aber das ist doch nichts Neues.«
»Für mich schon. Mir war nicht klar, dass du überhaupt so etwas wie Hormone besitzt.«
Sie lachte erneut. »Ich bin zwar noch Jungfrau, aber trotzdem ein
Mensch. Noch dazu eine Frau. Es gibt auf dieser Welt keine heterosexuelle Frau, die deinen nackten Oberkörper nicht scharf und verlockend finden würde.«
»Stimmt.« In meinem Gesicht breitete sich das arrogante Grinsen aus, für das ich berühmt war. »Ich bin schon ein echt heißer Feger, oder? Die Abs
in Abstinenz kommen nicht von ungefähr.«
Val starrte mich einen Moment lang sprachlos an, dann presste sie die Hand vor den Mund und schüttelte den Kopf. Sie gab sich alle Mühe, nicht zu lachen, doch es gelang ihr nicht.
»Du schaffst es immer wieder, mich zu verblüffen«, sagte sie, warf mir einen Blick zu, der mir zu verstehen gab, dass ich verrückt war, und ging weiter.
Ich verschränkte unsere Hände wieder ineinander und spürte, wie ihr Körper noch immer von Lachern geschüttelt wurde.
»Ich habe eine Idee«, sagte ich. »Lass uns zum Strand gehen.«
Sie sah mich skeptisch an. »Zum Strand? Im Ernst? Damit du wie ein Pfau in Badehose herumstolzieren kannst? Hat dein Ego es wirklich so nötig?«
»Machst du Witze?« Ich grinste. »Jetzt, wo ich weiß, dass dich mein nackter Oberkörper anturnt? Am liebsten würde ich mich gleich hier an Ort und Stelle ausziehen.«
»Und genau das ist der Grund, warum ich nicht bei dir übernachte werde. Jemals.«
Ich versuchte ihr mit meinem überzeugendsten Schmollen ein schlechtes Gewissen zu machen, doch sie lachte nur und zog mich in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Lass uns zurückgehen. Ich habe meinen Eltern versprochen, zum Abendessen vorbeizukommen.«