15
K steht für Klammern
An diesem Abend schwebte ich auf Wolke sieben. Der Videodreh lief besser als jeder andere zuvor, und danach ging ich mit meinen besten Freunden und Val aus. Als ich mich mit Val in das Restaurant in Pasadena setzte, wo wir uns mit Robin und ihrem Mann treffen wollten, zog ich sie an mich und grinste Cara und Shane über den Tisch hinweg an.
Seitdem ich mein Armband angelegt und wieder zu schreiben begonnen hatte, war meine Beziehung zu Cara und Shane an den Punkt zurückgekehrt, an dem sie vor Reids Tod gewesen war. Mir wurde erst bewusst, wie sehr ich meinen besten Freund vermisst hatte, als ich ihn zurückbekommen hatte. Es war, als ob ich die letzten paar Jahre meines Lebens in Schwarz und Weiß gelebt hatte, nur dass es mir nicht aufgefallen war – bis durch Val plötzlich alles in leuchtenden Farben erstrahlt war.
»Wisst ihr, das ist genau das, was ich mir immer gewünscht habe, als ihr beiden damals zusammengekommen seid«, sagte ich und deutete in die Runde. »Dass wir zu viert Zeit verbringen.«
»Ich mir auch«, stimmte Cara zu. »Ich habe es so oft versucht.« Sie lächelte Val verlegen zu. »Ich bin unglaublich froh, dass du hier bist. Ohne dich hat es sich einfach nie richtig angefühlt.«
Vals Antwort war ein verlegenes Lächeln, und das machte mich traurig. Die Tatsache, dass Cara und ich immer wieder versucht hatten, ihr dieses Doppeldate aufzuzwingen, war letztendlich das gewesen, was Caras und Vals Freundschaft zerstört hatte.
Momentan näherten sie sich wieder an. In gewisser Hinsicht funktionierte es, doch es würde nie wieder so sein wie vorher. Sie standen sich nicht mehr so nah und fühlten sich auch nicht mehr so wohl miteinander. Ich war mir nicht sicher, ob sie jemals wieder an diesen Punkt kommen würden.
Ich fühlte mich furchtbar wegen der Anspannung zwischen ihnen und wünschte mir, dass Robin und ihr Mann nicht nachkommen würden, damit die beiden mehr Zeit hatten, ihre Freundschaft wieder zusammenzuflicken. Doch das konnte ich Val nicht sagen. Ich wusste, dass es ihr schwerfiel, sich in diesem neuen Leben, das ich ihr aufgezwungen hatte, zurechtzufinden. Robin miteinzubeziehen war bestimmt ihre Art, die Kluft zu überwinden.
Wenn ich mir dessen nicht zuvor schon sicher gewesen wäre, war die Art und Weise, wie sie aufsprang und Robin nach ihrer Ankunft umarmte, der Beweis. Sie klammerte sich an sie wie an eine Rettungsboje in stürmischer See und war sichtlich erleichtert. Doch eine Frage stellte sich mir dadurch unwillkürlich: Warum hatte sie sich so unwohl gefühlt, dass sie diese Rettungsboje überhaupt erst brauchte?
»Als du mir die Adresse geschickt hast, dachte ich erst, du machst Witze. Ein Rockstar und ein Fernsehstar, die um vier Uhr nachmittags bei Coco’s
essen?«, sagte Robin, während sie sich auf ihren Platz fallen ließ. »Nicht, dass ich was dagegen hätte. Ich mag den Kuchen hier.«
Ich lachte. Val hatte mal genau die gleiche Reaktion gezeigt. »Es gibt nicht viele Orte, an denen sich ein Rockstar und eine bekannte Schauspielerin unerkannt aufhalten können«, erklärte ich. »Die
Kundschaft hier ist normalerweise um die 65 Jahre aufwärts und nicht gerade unsere Zielgruppe. Na ja, zumindest nicht meine. Miss Daytime hier ist wahrscheinlich mehr in Gefahr, von den alten Damen belagert zu werden.«
»Neidisch auf meine Fans, Kyle? Mir war gar nicht klar, dass du auf Gebisse und Rosenparfüm stehst.«
Val räusperte sich und beendete damit das Wortgefecht zwischen Cara und mir. »Leute, Robin kennt ihr ja alle, aber das hier ist ihr Mann Alan. Alan, das sind Kyle, Cara und Shane.«
Val benahm sich immer noch seltsam, also entschied ich, mich von meiner besten Seite zu zeigen. Ich stand auf und schüttelte Alan die Hand. Er begrüßte uns höflich aber zurückhaltend. Er sah aus wie der typisch amerikanische Vororttraumtyp. Er hatte leichte Geheimratsecken und einen kleinen Wohlstandsbauch. Und ich war mir sicher, dass er jeden Tag in einem weißen Hemd und einer Krawatte zur Arbeit ging. Nicht dass daran irgendwas falsch wäre, aber es war einfach nur das komplette Gegenteil zu der Welt, in der Cara, Shane und ich lebten. Die Unterschiede zwischen uns waren schmerzhaft offensichtlich, und ich versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass Val viel mehr mit ihm und Robin gemein zu haben schien als mit uns anderen.
Die Situation war ein bisschen unangenehm, aber wenigstens kam kurz darauf die Kellnerin, um unsere Bestellungen aufzunehmen, was die Atmosphäre ein wenig auflockerte. Als Robin an der Reihe war, sagte sie: »Für mich nichts, danke.«
»Du willst nichts?«, fragte ich erstaunt nach. Sie war hochschwanger, und ich hatte sie noch nie ohne etwas zu essen in der Hand gesehen.
Sie lachte. »Mein Magen ist ein bisschen durcheinander. Ich bin nicht so hungrig, also werde ich einfach bei Alans Spaghetti mitessen.«
»Das wirst du nicht«, sagte Alan. Er sah zur Kellnerin. »Bringen Sie uns bitte zwei Portionen Spaghetti.«
Robin runzelte die Stirn. »Schatz, ich brauche keinen eigenen Teller.«
»Oh doch, denn ich würde meine Spaghetti gern selbst essen, und wenn du dir keine eigene Portion bestellst, wirst du meine
auffuttern.«
»Werde ich nicht.«
»Doch, das machst du immer.« Er hielt zwei Finger hoch. »Wir hätten gern zwei Teller Spaghetti.«
»Und den Schokoladenkuchen.«
»Kein Kuchen«, sagte Alan streng, was ihm ein weiteres Stirnrunzeln seiner Frau einbrachte. Doch er blieb hart. »Du weißt, was die Ärztin gesagt hat. Du neigst zu Schwangerschaftsdiabetes. Keine Süßigkeiten mehr.«
»Dazu zu neigen, bedeutet nicht, es zu haben«, brummte Robin.
Alan sah die Kellnerin kopfschüttelnd an. »Kein Kuchen, bitte. Nur die Spaghetti.«
»Zwei Portionen«, erwiderte die Frau lächelnd.
Ich wusste nicht, weshalb sie lächelte. Robin und Alan zu beobachten war wie ein schwindelerregendes Tischtennismatch zu verfolgen. Wenn sie sich den ganzen Abend so verhielten, würde ich Kopfschmerzen bekommen. Unweigerlich begann ich mich zu fragen, ob Shane und Cara auch so enden würden.
»Also«, sagte Robin fröhlich, nachdem sich die Kellnerin zurückgezogen hatte. Dabei lächelte sie, als hätte der Streit mit ihrem Mann nie stattgefunden. »Genießt du deinen Urlaub, Val?« Sie grinste, als hätte sie gerade einen lustigen Scherz gemacht, den ich nicht verstand.
Val stöhnte. »Du kennst mich.«
Robin lachte, aber ich begann zu schmollen. Worüber sie auch scherzten, ich kapierte die Pointe nicht. Eine andere Person kannte Val viel besser als ich. Das fühlte sich nicht besonders gut an.
»Wollt ihr uns anderen das vielleicht erklären?«
»Ach, es ist nichts.« Val lehnte sich gegen meine Schulter und drückte meine Hand, wodurch ich mich ein bisschen entspannte. »Ich werde nur manchmal ruhelos.«
»Manchmal?« Robin lachte auf. »Diese Frau hier kann einfach keinen Urlaub machen. Sie ist dazu vollkommen unfähig. Sie ist jetzt schon ganze vier Tage hier, was bedeutet, dass sie kurz davor steht, verrückt zu werden, weil sie nichts zu tun hat.«
Ich runzelte erneut die Stirn. »Wieso nichts zu tun?«, fragte ich Val. »Dein Terminplan ist so voll, dass es ganze drei Tage gedauert
hat, dich zu Gesicht zu bekommen.«
»Familie und Freunde zu besuchen ist toll, aber es fühlt sich trotzdem irgendwie … unproduktiv an. Außerdem habe ich inzwischen alle Besuche abgehakt, also ist mein Terminplan ab jetzt vollkommen leer. Ich kann nur einfach nicht lange untätig herumsitzen. Ohne die Arbeit oder das Studium brauche ich etwas, das mich diesen Sommer erfüllt.«
»Ich dachte, das wäre ich.
«
Als Cara und Shane beide zu kichern begannen und Val mir einen strengen Blick zu warf, wurde mir klar, was ich da gesagt hatte. Das unbeabsichtigte Wortspiel ließ mich grinsen. »Das habe ich so
nicht gemeint.«
»Ausnahmsweise«, scherzte Cara.
Ich warf ihr einen bösen Blick zu und hob Vals Hand an meine Lippen. »Ich dachte, du wärst hergekommen, um ein wenig Zeit mit mir zu verbringen?«
Val lächelte mich an, als hätte ich etwas Drolliges gesagt. Es war nicht herablassend, dennoch verärgerte es mich ein bisschen. Plötzlich fühlte ich mich wie ein jammerndes Kleinkind.
»So ist es ja auch«, versicherte mir Val. »Wir können jede Menge Zeit miteinander verbringen, aber tagsüber wirst du viel zu tun haben. Bald beginnen die Proben für deine Tour, und du wirst viele Pressetermine für dein neues Album haben.«
»Aber du kannst doch zu all diesen Sachen mitkommen. Das wird Spaß machen. So wie heute.«
Vals Lächeln erstarb. »Du fandest, das heute hat Spaß gemacht?«, fragte sie leise.
»Du nicht?« Ich war verwirrt.
Meine Frage ließ Val erbleichen, aber so sehr ich mich auch bemühte, verstand ich einfach nicht, was das Problem war. Der Videodreh heute hatte mir nicht nur Spaß gemacht – er war unglaublich gewesen. Einer der besten Tage seit langem.
»Kyle, das heute war …« Sie biss sich auf die Lippe, als ob sie nicht sagen wollte, was sie dachte, und änderte dann ihren Satz. »Ich kann dir nicht den ganzen Sommer über hinterherlaufen und stundenlang warten, während du dein Ding machst. Ich würde mich zu Tode langweilen.«
Sie wollte nicht gemein sein, dennoch fühlte es sich wie eine Ohrfeige an, und ich vergaß die Tatsache, dass sie meiner ursprünglichen Frage ausgewichen war. »Du findest das, was ich tue – meine Musik – langweilig?«
»Natürlich nicht«, erwiderte sie schnell. Dann begann sie ihre Schläfen zu massieren, als ob ich ihr Kopfschmerzen bereiten würde. »Ich meinte ja nur, dass ich dir bei nichts helfen konnte, als ich da gewesen bin. Ich konnte nicht wirklich teilnehmen. Du wärst immer beschäftigt, und ich würde nur herumsitzen. Zu einer Anprobe oder einem gelegentlichen Interview mitzukommen, ist das eine, aber dich den ganzen Sommer lang üben und trainieren zu sehen? Das kann ich genauso wenig wie den ganzen Sommer am Strand sitzen, lesen und Margaritas trinken.«
Als ich die Stirn runzelte, drückte sie meine Hand. »Es ist okay für mich, dass du arbeitest, Kyle. Ich muss nur etwas finden, um mich zu beschäftigen. Ein Projekt oder so etwas.«
Ich verstand diese Frau wirklich absolut nicht. »Denkst du, ich habe dich gebeten, zu meinen Proben zu kommen, weil ich das Gefühl habe, dich beschäftigen zu müssen?«
»Was für einen anderen Grund gäbe es denn, mich zu deiner Arbeit mitzuschleifen?«, fragte sie erstaunt.
Wir sprachen eindeutig nicht die gleiche Sprache. Sie war genauso verwirrt wie ich. »Ähm … wie wäre es damit, dass ich deine Gesellschaft genieße und dich einfach dabeihaben will?«
Sie blinzelte mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
»Kyle, sie ist doch kein Groupie.
«
Val und ich drehten uns beide zu Cara um, die ein Lachen unterdrückte. »Du musst ihm das nachsehen«, sagte sie zu Val. »Seine letzte Freundin war
ein Groupie und während der Dauer ihrer Beziehung vierundzwanzig Stunden am Tag an ihm festgeschweißt. Er ist nicht an eine Partnerin gewöhnt, die ein eigenes Leben führt, das sich nicht
um ihn dreht.«
Alle lachten herzlich – auf meine Kosten. Ich versuchte es mit Humor zu nehmen, aber ich war nicht besonders glücklich. Cara hatte mich an Adrianna erinnert, und das war nie gut. Inzwischen sah ich ein, warum sie nicht zu mir passte, aber ich hatte immer an ihr geliebt, wie viel ihr meine Musik bedeutet hatte. Sie war über
Jahre hinweg meine größte Unterstützerin gewesen. Immer an meiner Seite. Sie hatte mich geliebt, mich ermutigt und immer zu würdigen gewusst, was ich getan hatte.
Val war anders. Sie war nicht mal ein Fan. Von unserer ersten Begegnung an war sie von meiner Arbeit nie beeindruckt gewesen. Cara hatte mir sogar viele Male gesagt, dass ich es nicht persönlich nehmen sollte, weil sie sich generell nicht groß für Musik interessierte. Sie hörte zwar zu, nickte mit dem Kopf oder sang mit, wenn ein Lied lief, das sie kannte, aber sie war nicht so besessen davon wie Cara, Shane und ich es waren.
Ich wusste, dass Val meinen Beruf und das, was ich erreicht hatte, respektierte. Sie freute sich für mich und war froh, dass ich ihn so liebte. Sie verstand, wie viel er mir bedeutete, doch ihr persönlich war es einfach nicht wichtig. Das hatte ich gewusst, und ich akzeptierte es, dennoch machte es mich auch irgendwie traurig. Ich wünschte, ich könnte sie irgendwie dazu bringen, die Musik ebenfalls zu lieben.
Ich hatte gehofft, dass mein neuer Song das erreichen würde – ihr eine echte Verbindung zur Musik geben könnte. Sie sagte, dass sie ihn mochte, und sie hatte eingewilligt, mit mir auszugehen, also vielleicht hatte es ein bisschen geholfen – aber den Videodreh heute hatte sie eindeutig gehasst.
Ich war ganz in meine Gedanken vertieft, als unser Essen serviert wurde, und ich war froh über die willkommene Ablenkung. Ich haute direkt rein, und nach meinem ersten Bissen begann Val sanft neben mir zu lachen. Dieses leise Geräusch besserte meine Laune ein wenig. Sie hatte heute noch nicht viel gelacht. Irgendetwas beschäftigte sie.
»Was ist denn so lustig?«, flüsterte ich.
Ihre Augen funkelten, als sie schmunzelnd zu mir aufsah. »Du bist eine Naschkatze.« Dann klaute sie ein bisschen Sahne von meinem French Toast.
Als ich sah, wie sie die weiße Creme von ihrem Finger ableckte, wurde mein Mund ganz trocken. Sie neckte mich, aber nicht so, wie sie beabsichtigt hatte. Sie hatte keine Ahnung von der Wirkung, die sie auf mich hatte. Ich entschied, dass ihre Naivität für uns beide gefährlich war und zerstört werden musste.
»Man stiehlt einem Mann niemals die Sahne, Val.« Ich warf ihr
einen warnenden Blick zu, der sie prompt zum Lachen brachte. »Mach es noch mal«, sagte ich herausfordernd. »Du wirst schon sehen, was du davon hast.«
Sie dachte kurz über meine Warnung nach, dann griff sie nach meinem Teller. Ich schob ihre Hand zur Seite und verteilte im selben Moment die Sahne über ihren Mund. Bevor Val sie wegwischen konnte, lehnte ich mich vor, küsste sie und begann, ihr dabei die Sahne von den Lippen zu lecken.
Sie erstarrte. Ganz eindeutig hatte sie noch nie zuvor mit Essen gespielt. Sie war so überrascht, dass ihr wahrscheinlich noch nicht einmal der Gedanke gekommen war, dass man das tun und dass es sexy sein könnte.
Denn das war es eindeutig – so unglaublich sexy, dass ich mich nicht beherrschen konnte. Ihr erstauntes Keuchen ließ ein Feuer in mir entflammen. Ich nutzte ihren offenen Mund und vertiefte den Kuss.
Sie stieß mich zurück und schüttelte den Kopf. Ihre Wangen waren knallrot. »Kannst du das bitte nicht in der Öffentlichkeit tun?«, flüsterte sie.
Ich zog sie näher an mich. Meine Antwort klang fast wie ein Knurren. »Meinetwegen. Dann lass uns irgendwohin gehen, wo es nicht so öffentlich ist.« Ich brauchte sie. Auf der Stelle. So viel von ihr, wie sie mir geben würde.
Sie überraschte mich mit einem strengen Blick, überspielte ihre Verärgerung aber schnell, als ob es ihr unangenehm wäre, dass sie ihre Gefühle so offen gezeigt hatte. Ihr Gesicht glättete sich zu einem nicht zu deutenden Ausdruck, und sie erklärte sich nicht, als ich sie danach fragte.
»In der Öffentlichkeit jemanden so anzufallen ist verboten«, warnte sie mich mit einem Lachen, das mit ziemlicher Sicherheit aufgesetzt war.
Robin schnaubte amüsiert. »Ja bitte, es reicht jetzt. Davon wird mir ganz schlecht, und wenn ich meinen Appetit verliere, steckst du in großen Schwierigkeiten.«
Das wäre tatsächlich nicht gut, aber es sah nicht wirklich so aus, als würde ihr die Lust aufs Essen vergehen. Sie schien meinen Gedanken zu erraten und verdrehte die Augen.
»Wie auch immer. Worüber haben wir geredet, als ich so unanständig versuchte habe, von meiner unwiderstehlichen Freundin ein bisschen Liebe zu bekommen?«
Val verdrehte ebenfalls die Augen und wirkte nicht besonders amüsiert, doch der Rest der Gruppe lachte, und auch der letzte Rest Spannung löste sich auf.
»Wir sprachen darüber, dass Val ein Projekt für den Sommer braucht«, sagte Cara.
Alan hatte bis jetzt nicht viel gesprochen, aber nun räusperte er sich. »Du solltest mit Robin in der Stiftung arbeiten. Sie scheinen ein bisschen überfordert, seit Christina ihren Job gewechselt hat.«
Robin fand diese Idee offenbar großartig. »Ja, das solltest du auf jeden Fall! Du könntest mir bei so vielen Dingen helfen, bevor dieser kleine Albtraum hier da ist. Wir müssen sogar eine Aushilfe
einstellen, solange ich in der Babypause bin.« Die Aussicht darauf ließ sie erschaudern.
Val seufzte und lehnte sich zurück, ohne das Essen auf ihrem Teller anzurühren. Sie war immer noch wegen irgendetwas aufgebracht und versuchte, es zu überspielen. Lag es an dem Kuss von vorhin? Ich hielt das für unwahrscheinlich, aber ich wusste einfach nicht, was es sonst sein könnte.
»Das kann ich bestimmt mal machen«, sagte sie zu Robin. »Um jeden Tag vorbeizuschauen ist es aber von Huntington aus zu weit.«
»Wie ich schon sagte, meine Tür ist immer offen.«
Leider heiterte mein Scherz ihre Stimmung nicht auf. Wenn überhaupt verschlechterte er sie nur noch. »Wir haben doch schon darüber gesprochen, dass das nicht in Frage kommt«, sagte sie genervt. »Außerdem ist Malibu von Pasadena genauso weit entfernt wie Huntington Beach.«
Während wir damit beschäftigt waren, uns gegenseitig böse Blicke zuzuwerfen, legte Shane seinen Arm um Cara. »Von Laurel Canyon aus ist es nicht so weit dorthin. Wir haben ein paar Gästezimmer, wenn du bei uns schlafen willst.«
Cara riss die Augen auf und quietschte: »Wirklich? Das würde dir nichts ausmachen?«
Shane zuckte mit den Schultern. »Warum sollte es?«
Das musste man ihm lassen. Er würde es niemals zugeben, aber er
versuchte dabei zu helfen, Caras und Vals Freundschaft wieder in Ordnung zu bringen. Ich wünschte mir das ebenso sehr, also stieß ich Val an und sagte: »Das ist doch eine tolle Idee.«
»V, du musst einfach!«, quietschte Cara.
Der Spitzname ließ mich lächeln. Cara war die einzige Person, die Val jemals »V« genannt hatte, und seit ihrer Versöhnung hatte ich sie es noch nicht wieder sagen hören. Val schien das ebenfalls zu bemerken, denn endlich lächelte sie ein wenig. »Meinetwegen. Es wäre bestimmt nett, wieder etwas mehr Zeit miteinander zu verbringen.«
»Es wäre großartig.«
»Oh!«, rief Robin plötzlich. »Ich hab’s. Du könntest diese L.A.-Zweigstelle von ›F is for Families‹ aufbauen, von der du seit Monaten sprichst.«
Der Vorschlag ließ Val aufhorchen, und sie begann nachzudenken. Die Rädchen in ihrem Kopf drehten sich. Ich kannte diesen Blick – Entschlossenheit und Aufregung. Ich war selbst Meister dieses Blicks. Sie hatte gerade ihr Projekt gefunden.
»Schaffst du es denn, sie in den zwei Monaten, bevor die Uni anfängt, in Gang zu bringen?«, fragte Robin.
»Das wird nicht so einfach«, gab Val zu. »Aber wenn ich irgendwie die Genehmigungen und Zuschüsse durchbekomme, könnte ich genug auf die Beine stellen, dass Jacinta nach Semesterbeginn herkommen und die Stelle übernehmen kann. Sie will ohnehin zurück nach Südkalifornien.«
Ich war froh, dass sich Vals Stimmung besserte, aber mir gefiel nicht, wie das alles klang. »Ich weiß nicht so recht, Val. Das klingt weniger nach einem Projekt und mehr nach einem sehr zeitaufwendigen Albtraum, der mir meine Freundin stiehlt.«
Val schenkte mir ein schwaches Lächeln und tätschelte meine Hand. »Ich werde nicht vergessen, Zeit für dich einzuplanen, aber Robin hat recht. Ich wollte das schon seit Monaten tun, und es ist die perfekte Gelegenheit. Die kann ich mir nicht entgehen lassen.«
»Aber was ist mit deinem Urlaub? Du wolltest doch vor Semesterbeginn eine Pause machen.«
»Kyle, bevor du aufgetaucht bist, hab ich schon länger kein Date mehr gehabt, als ich zugeben mag. Es wird sich immer noch wie ein
Urlaub anfühlen. Versprochen.«
»Aber …«
»Kyle, hör auf, so zu klammern«, unterbrach Cara mich.
Ich warf ihr einen bösen Blick zu. »Ich klammere überhaupt nicht.«
Sie begann mich auszulachen. Selbst Shane lachte mit, der verräterische Mistkerl.
»Du bist die klammerndste Person, die ich kenne«, sagte Cara schmunzelnd. »Aber keine Sorge – wir lieben dich trotzdem. Es ist nicht deine Schuld, dass du eine verwöhnte Diva bist, die alles bekommt, was sie will und wann immer sie will. Kein Wunder, dass du nicht mehr richtig leben kannst, ohne sofort jeden Wunsch von den Augen abgelesen zu bekommen.«
Mir klappte die Kinnlade herunter. »Ich bin keine Diva!«
»Nein«, entgegnete Cara. »Aber du bist verwöhnt und fängst an zu schmollen, wenn du deinen Willen nicht bekommst.«
Stirnrunzelnd sah ich Val an, die mitfühlend meine Hand tätschelte. »Ich bin nicht verwöhnt«, beharrte ich, und wieder lachten alle.
»Hey«, sagte Shane und grinste in meine Richtung. »Kennt ihr den Unterschied zwischen einem Leadsänger und Gott?«
Ich verdrehte die Augen. Alle warteten gespannt auf die Pointe, die ich schon eine Million Mal gehört hatte.
»Gott weiß, dass er kein Leadsänger ist.«
Ich zeigte meinem besten Freund den Mittelfinger und wartete darauf, dass die anderen zu lachen aufhörten. Und das dauerte. Eine ganze Weile. Diese Penner.