„Diese Bastarde!“, sagt Samuel ganz empört, als er die Schlagzeilen im Internet liest.
„Wenn man zu viel mit dem Feuer spielt, verbrennt man sich die Flügel!“ Was für eine Ironie, ich bin wirklich beeindruckt! Oder noch mieser: „Im Lucifer geht es heiß her!“ Und diese hier: „Das Hanson Imperium bricht nach dem Tod des Familienoberhaupts zusammen. Der Vater besaß wenigstens den Stil der großen Mafiosi, die Söhne sind nur kleine Nummern ohne Format!“
Ich sehe Samuel an, wie dieser auf den Bildschirm starrt, und lehne mich dabei an die Küchenspüle, weil ich soeben aufgewacht bin, und mich jetzt erst von den Strapazen des gestrigen Tages erholt habe. Er steht da mit freiem Oberkörper, Boxershorts, schlecht rasiert, und er wirkt auf mich wie ein Löwe im Käfig.
„Warte mal! Das Beste kommt noch! Lies dir das hier durch!“, flüstert er mir zu.
Ich beuge mich zum Bildschirm vor und lese. Mir wird sogleich übel! Ich verstehe nun, wieso Samuel außer sich ist. Und auch zurecht! Wenn ich den Dreckskerl in die Finger bekommen würde, der diesen Artikel verfasst hat, dann könnte er was erleben! Der unverschämte Journalist beschreibt die Hanson-Familie und wühlt Samuels Vergangenheit auf, überzieht und verzerrt dabei seine Probleme mit der Justiz. Er stellt ihn wie einer der schlimmsten Gauner dar, der weder Recht noch Gesetz achtet, ein Ex-Knacki.
Luke entgeht auch nicht den Schmähungen des Journalisten, doch ich muss leider zugeben, dass es auf gewisse Weise der Wahrheit entspricht. Alkoholiker, unfähig, spielsüchtig, streitsüchtig und verantwortungslos, so stellt man ihn dar. Owen wird auch nicht verschont, er wird als hirnloses Vatersöhnchen mit Borderline-Syndrom dargestellt.
„Es ist mir egal, was sie schreiben!“, sagt er ganz zornig und dreht sich dabei mit wutentbrannten Augen zu mir. „Was ich kaum noch ertragen kann, ist wieder an all das erinnert zu werden, vor dem ich mein Leben lang geflohen bin! Ich habe meine Familie vergessen, die äußerst zwielichtig war, die Kasinos und das schmutzige Geld, die Intrigen meines Vaters, Lukes Verrat, den Knast, meine furchtbare Jugend und jetzt holt mich wieder die Vergangenheit ein! Noch schlimmer, ich frage mich sogar, ob mein Vater nicht bloß ein Intrigant war, sondern auch ein Mörder!“
Und er schlägt mit der Faust gegen die Glasfront, was mich aufschrecken lässt, dann vergräbt er das Gesicht ein paar Augenblicke in den Händen und stützt sich regungslos ans Fenster. Ich gehe schweren Herzens zu ihm und streichle sanft durch seine Haare. Sein Schmerz durchbohrt mich förmlich, ich möchte ihm helfen, aber wie?
„Ich bin in Vegas, denn mein Vater hat mich überlistet! Ansonsten wäre ich nie nach Vegas gekommen. Ich habe überhaupt keine Lust, den Geschäftsmann zu spielen und noch viel weniger dieses verfluchte Imperium zu leiten!“
„Dein Vater hat dich reingelegt, was meinst du genau damit?“, frage ich ganz verwundert.
„Ich hatte schon seit Langem auf die Erbschaft verzichtet. Ich wollte nichts haben und hatte den festen Entschluss gefasst, meinen Vater und Luke den Rücken zu kehren. Ich hatte einen Strich über Las Vegas gezogen, doch mein Vater, der es nie ertragen konnte, dass ich unabhängig wurde, brachte es Zustande, eine Sonderklausel in seinem Testament zu vermerken. Er hat absichtlich keine Erbverteilung unter seinen Söhnen vorgenommen. Das Testament ist ganz eindeutig, wir müssen unter Hansons alleine klarkommen. Doch Vorsicht! Wenn nur einer von uns ablehnt, verlieren die anderen beiden alles! Kannst du es jetzt besser verstehen? Geschickt eingefädelt, oder?“, sagt Samuel höhnisch mit einem verzweifelten und niedergeschlagenen Lachen.
„Hinterhältig, meinst du wohl!“
„Mein Vater hat die Schwachstelle gefunden, um mich wieder nach Vegas zu locken, er wusste, dass ich ihn trotz Lukes Verrat nicht fallen lassen würde und Owen noch viel weniger! Er hat auf meinen Sinn für Verantwortung gesetzt und da lag er wohl richtig! Er konnte gut wetten und die Schwächen seiner Gegner ausspielen. Doch das ist vorbei! Heute gehe ich zum Rechtsanwalt, ich weiß, was ich jetzt zu tun habe, um mich aus diesem Schlamassel zu befreien. Ich unterschreibe alles, was ich zu unterschreiben habe, verziehe mich und verlasse Vegas! Mein Vater hat keine Macht mehr über mich. Ich habe jetzt die Oberhand und bin niemand, der sich gerne geschlagen gibt. Ich habe mich immer gegen ihn gestellt, ich werde ihn diesmal nicht gewinnen lassen, obwohl er jetzt nicht mehr unter uns weilt. Luke soll mit seinen Süchten, seinen Kasinos und seinen verdammten Problemen alleine zurechtkommen!“
„Was?! Willst du etwa alles aufgeben?“, protestiere ich. „Nach all den Risiken, die wir in Kauf genommen haben, willst du einfach aufgeben? Du scheinst stolz, deinem Vater eins auszuwischen, doch was ist mit all diesen Dreckskerlen, die Jane gefoltert haben und uns gestern beinahe bei lebendigem Leibe verbrannt hätten? Was machst du mit den Sanders? Verdammt!“
„Ich gebe nicht auf, Chloé! Ich möchte frei leben, kannst du das verstehen?! Es war noch immer meine Stärke, in die Zukunft zu blicken und voranzugehen. Wie hätte ich sonst zu dem werden können, was ich jetzt bin? Kannst du mir das sagen?! Ich bin ein lebenslustiger Mensch. Vor allem jetzt, da ich dir begegnet bin. Ich werde diese Dreckskerle mir nicht das Beste verderben lassen, das mir je in meinem Leben widerfahren ist, also du! Du und ich, verstehst du?!“
Samuel ist ganz außer sich, er sieht mich ganz wütend an, doch seine Wut jagt mir keine Angst ein, ganz im Gegenteil. Bei diesem Geständnis habe ich Schmetterlinge im Bauch und nur noch eines im Sinn, mich ihm um den Hals werfen und mich verführen zu lassen. Mich auch für das Leben zu entscheiden. Ein gemeinsames Leben mit ihm. Ich sehe ihn ganz zitternd an. Beinahe gebe ich nach, und es scheint ihm auch aufzufallen. Er folgt seiner Eingebung:
„Das Feuer hat die einzigen Beweise vernichtet, die Sanders hätten gefährlich werden können“, fährt er etwas ruhiger fort. „Deine Schwester ist in Sicherheit in San Francisco, wir sollten zu ihr gehen. Ich möchte mit dir zusammenleben, Chloé“, gesteht er und führt die Hand über meinen Nacken. „Ich will, dass du Samuel Brooke besser kennenlernst und dich in ihn verliebst.“
Das ist schon geschehen!
Jetzt ist es zu spät, ich bin völlig mitgenommen und weiß, dass er recht hatte. Es wäre ja Wahnsinn, hierzubleiben.
„Okay. Bring mich weit weg von hier“, flüstere ich, bevor ich mich an ihn schmiege.
***
Gesagt, getan! Wenn Samuel eine Entscheidung trifft, dann zögert er nicht lange. Am gleichen Abend, nachdem er all seine Vollmachten an Luke übertragen hat – ein Detail, das der alte Vater Hanson nicht vorgesehen hatte, das aber nicht gegen die Klauseln im Testament verstößt und das auch beweist, dass Samuel ein besserer Spieler ist als er! – sind wir in ein Flugzeug gestiegen und haben Las Vegas ganz ohne Bedauern verlassen.
Samuel hat auch vorgeschlagen, Owen mitzunehmen, damit er studieren kann, doch er hat abgelehnt. Er hat versprochen, seinen Unsinn zu lassen und Luke im Kasino zu helfen, da er sich nicht vorstellen kann, Las Vegas zu verlassen. Doch für Samuel war es am schwersten, sein Motorrad in der Garage abzustellen und einen geeigneten Zeitpunkt abzuwarten, um es wieder abzuholen.
Es hat nicht lange gedauert, um mich davon zu überzeugen, dass Samuel recht hatte und es wohl besser wäre, ein neues Kapitel aufzuschlagen, diese finstere Geschichte vergessen, auch wenn wir dabei Sanders und seine Bande laufen lassen. Es widert mich an, doch man muss schon zugeben, dass wir dieser Sache nicht gewachsen sind, ganz alleine vor einem solchen Mafia-Netzwerk. Es wäre wohl zu gefährlich! Die Aussicht, Jane früher als geplant wiederzusehen, mich um sie zu kümmern und mit dem Mann, den ich liebe zusammenleben zu dürfen, hat mich schließlich davon überzeugt, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben.
In dieser Stimmung entdecke ich San Francisco in der untergehenden Sonne. Ich sitze an Samuel geschmiegt auf der Rückbank des Taxis, das wir am Flughafen genommen haben, und entdecke die berühmte Brücke, die Straßenbahnen, die die langen steilen Straßen hinabfahren, für die die Stadt weltweit bekannt ist.
Unweigerlich muss ich daran zurückdenken, wie ich am Ende des Sommers in Vegas mit meinem alten Kombi ankam. Ich war genauso beeindruckt, diese Stadt mit ihren abertausenden, glitzernden Lichtern zu entdecken. Ich wusste nicht, was mich dort erwartet, doch ich war etwas ungeduldig ... Ich habe den Eindruck, es sei schon eine Ewigkeit her. Heute ist alles etwas anders, ich bin mit dem Mann, den ich liebe zusammen, in vollster Vertrautheit und schaue auf unser künftiges gemeinsames Leben. Ich möchte am liebsten meine Eltern anrufen, mein Glück mit ihnen teilen, ich hoffe, sie werden stolz auf mich sein. Vielleicht kann ich sie auch mit Jane besuchen, sobald es ihr besser geht? Das heißt, wenn sie auch damit einverstanden ist!
„Wir werden bald bei mir ankommen!“, sagt Samuel, während das Taxi eine kleine Straße zur Anhöhe von San Francisco hochfährt.
Er bezahlt den Fahrer und wir steigen aus dem Taxi.
„Willkommen bei dir zuhause!“, ruft mir Samuel zu und bittet mich, einzutreten.
Dieses „bei dir“, das er mir zuruft, klingt so rührend. Ich habe schon so lange Zeit kein eigenes Zuhause mehr! Er sieht mich ganz sanft mit einem Lächeln auf den Lippen an, während ich die Räume erkunde. Es ist gar kein Vergleich mit dem kalten und seelenlosen Loft in Vegas. Die Innenräume wirken eher schlicht, aber elegant mit einem unkonventionellen Hauch, der die Häuser von Künstlern charakterisiert. Bücher, Schallplatten, Zeichnungen liegen überall in einem bunten Durcheinander herum.
„Aber du wohnst ja in einem Glashaus!“, sage ich ganz enthusiastisch. „Da sind ja nur große Glasfronten.“
„Um in jedem Winkel des Hauses die Aussicht besser genießen zu können“, erwidert er.
Und zurecht! Dieses alleinstehende Haus steht ganz oben auf einer Anhöhe, die die ganze Bucht von San Francisco überragt. Die Aussicht auf die Stadt und den Ozean ist wirklich atemberaubend!
„Wow!“
Das sind die einzigen Worte, die mir einfallen und ich lasse mich auf ein großes, gemütliches Ledersofa mitten auf die Kissen nieder. Samuel eilt sogleich herbei.
„Darf ich dir dabei behilflich sein, deine Kleider auszuziehen, solange, bis ich dir eine Garderobe geschenkt habe, um die zu ersetzen, die sich in Rauch aufgelöst hat ...“
Und er wirft mich aufs Sofa, bevor er mich vollmundig küsst.
„Ich liebe es einfach, so empfangen zu werden!“, flüstere ich und schlinge dabei meine Beine um sein Becken, während er die Lippen so voller Sinnlichkeit über meinen Hals führt, dass ich dabei schwach werde.
***
Ich bin wieder beruhigt! Ich habe bei Dean vorbeigeschaut, um Jane zu sehen. Es geht ihr besser. Natürlich ist sie noch ganz schwach, doch sie bekommt wieder etwas Farbe ins Gesicht und ich habe wirklich den Eindruck, dass sie sich gut mit Dean versteht, der Tag und Nacht über sie wacht. Sie hat nach ihrer Ankunft in San Francisco einen Arzt aufgesucht, der ihr Vitamine und Ruhe verordnet hat. Ich durfte nicht lange bei ihr bleiben, damit sie sich ausruhen kann, obwohl ich sie nicht verlassen wollte, aber ich werde sie morgen wieder besuchen. Es gibt keinen Grund zur Eile. Wir haben alle Zeit der Welt, jetzt da wir in der gleichen Stadt leben.
„D&S steht das für Samuel und Dean?“, frage ich, als ich die beiden verschlungenen Initialen über der Theke des Tattoo-Salons sehen kann.
„Man kann dir einfach nichts verheimlichen!“, neckt mich Samuel.
„Jaja, mach dich doch über mich lustig!“
„Das würde ich mich niemals trauen, ich weiß, wozu du imstande bist!“
Er ist einfach wunderschön in seinem eng anliegenden T-Shirt, das sowohl seine Tätowierungen wie auch seinen muskulösen Körper zur Geltung bringt. Ich würde ja gerne auf einer der Liegen Sex mit ihm haben. Ich schlinge die Arme um Samuel, doch schon kommt ein Kunde ins Geschäft, anscheinend ein Stammkunde, seinen vielen Tattoos nach zu urteilen. Ich lächle, etwas verlegen, aber ganz stolz, als Samuel mich ihm als seine Freundin vorstellt.
„Sieh mal einer an!“, ruft uns der Neuankömmling zu. „Das ist das erste Mal, dass du mir ein Mädchen vorstellst ...“
Ich lache über diese Bemerkung und fühle mich ganz seltsam geschmeichelt.
„Hast du Lust zu sehen, wie ich arbeite?“, fragt mich Samuel. „Stört es dich nicht, Jack?“
„Ganz im Gegenteil! Es könnte dich vielleicht stören! Wenn deine Freundin meine Armmuskeln entdeckt, wird sie dich auf der Stelle verlassen!“
Das glaube ich kaum!
„Dass ich nicht lache!“, ruft ihm Samuel zu, der sichtlich pikiert ist, während ich ihm in eine der Kabinen folge.
Wenn nicht all diese Farben wären und keine Musik im Hintergrund laufen würde, könnte man fast meinen, wir wären in einem OP-Saal. Ich setze mich in eine Ecke, Samuel bereitet sich vor, ich bin ganz aufgeregt und kann es kaum erwarten, ihn am Werk zu sehen.
Er ist so sexy. Sitzt auf seinem Hocker, zieht sich eine chirurgische Maske und Latex-Handschuhe über. Er bindet seine Haare mit einem schwarzen Stirnband hoch, damit sie ihn nicht beim Tätowieren stören. Als er noch ein wenig Farbe auf die Tätowierung seines Kunden aufträgt, sehe ich ihm dabei so voller Bewunderung zu, dass mir die Worte fehlen. Ein Drachenkopf, der anscheinend direkt aus seinem Bauch hervorragt.
Er dreht sich zu mir und schenkt mir ein Lächeln, während er Jacks Schulter abwischt. Ich sehe ihn ganz verzaubert und verliebter denn je an!
***
„Nein! Das kommt nicht in Frage! Ich will arbeiten, Samuel. Ich danke dir, aber es kommt nicht in Frage, in finanzieller Abhängigkeit von dir zu leben. Ich werde schon Arbeit finden, das ist alles ... Das sollte in San Francisco nicht so schwierig sein.“
Er sitzt mir gegenüber an der Küchentheke und schüttelt den Kopf. Er sieht mich mit einem verschmitzten Lächeln an.
„Aber das ist doch lächerlich, ich verdiene genug, um für uns beide zu sorgen. Du bist erst seit zwei Tagen hier. Nimm dir etwas Zeit, um dich hier einzuleben.“
„Vielleicht! Aber ich will nicht, dass du ...“
„Es geht nicht darum, finanziell von mir abhängig zu sein oder nicht, Chloé! Es geht nur darum, dass du dir etwas Zeit nimmst, darüber nachzudenken, was du wirklich willst. Du willst als Croupier arbeiten? Hier gibt es genügend Kasinos ...“
„Nein, ich bin aus Perspektivlosigkeit und ohne irgendeine bestimmte Berufung Croupier geworden, doch ich bereue es nicht! Ohne diesen Job hätte ich dich niemals kennengelernt“, rufe ich ihm zu und stoße mit dem Champagnerglas mit ihm an.
„Also, was würdest du gerne tun?“
„Ich weiß nicht so recht ... Also doch, Fotos haben mir schon immer zugesagt“, gestehe ich.
„Wunderbar! Morgen werden wir einen Fotoapparat kaufen.“
„Aber wenn ich dir doch sage, dass ich nicht von dir abhängig sein will!“
„Hmm hmmm“, erwidert Samuel bloß und steht auf, bevor er zu mir kommt.
Er dreht meinen Hocker zu sich. Ich sehe ihn lächelnd an, als wollte ich ihn anmachen. Er nimmt mir das Champagnerglas ab, das er auf die Bar stellt, während er mich wie ein Raubtier betrachtet, das seine Beute ansieht, dann führt er meine Beine auseinander und drückt sich an mich.
„Ich mache, was ich will“, sagt er und verschlingt beinahe meine Lippen.
„Ach ja? Denkst du das wirklich?“
Schon ganz erregt, schlinge ich die Arme um ihn. Sex auf der Bar zu haben scheint mir gar nicht so abwegig, und auch ein außergewöhnliches Erlebnis, doch plötzlich beginnt sein Handy, zu vibrieren.
„Willst du nicht antworten?“
„Nein, ich habe Besseres zu tun“, flüstert er mir zu und hebt mein Top an.
„Was, wenn es sich dabei um Dean handelt? Wenn es ein Problem mit Jane gibt?“, frage ich ganz besorgt.
Samuel unterbricht nur widerwillig seine Berührungen und nimmt sein Telefon aus der hinteren Tasche seiner Jeanshose.
„Nein, es ist Luke. Ich werde ihn zurückrufen.“
Und er legt das Handy auf die Bar, bevor er wieder die Lippen auf meine drückt. Doch Luke zeigt sich beharrlich und das Handy klingelt wieder.
„Vielleicht ist es wichtig“, sage ich, während er mich küsst.
„Du hast recht“, sagt Samuel und nimmt den Anruf entgegen.
Er hört zu, ohne ein Wort zu sagen, dabei verändert sich sogleich seine Miene.
„Kannst du das wiederholen, was du gerade gesagt hast, Luke?“, sagt Samuel beharrlich in einem skeptischen Ton. „Bist du dir ganz sicher? Der Befund des Gerichtsarztes ist eindeutig? Okay. Ich rufe zurück.“
„Was ist los?“
Samuel antwortet nicht und starrt auf den Horizont, wie die Nacht über San Francisco Bay anbricht. In weniger als einer Sekunde ist er wieder der unergründliche Mann, den ich in Vegas kennengelernt habe.
„Mein Vater wurde ermordet“, sagt er mit einer tonlosen Stimme.
„Was?! Aber wie kann er das denn wissen?“
„Als er gestorben ist, hat Luke eine Autopsie angefordert, wenn ich richtig verstanden habe ... Der Gerichtsmediziner hat gerade die Ergebnisse erhalten.“
„Ein medizinisches Gutachten? Aber warum? Gab es irgendwelche Zweifel?“
„Ich weiß es nicht ... Das ist einfach Vegas, dort sollte man auf alles gefasst sein. Die Untersuchung ist eindeutig: Unser Vater wurde vergiftet. Man hat Spuren von Curare in seinem Blut gefunden!“
Samuel hat es ganz mechanisch gesagt, ich habe das Gefühl, dass er selbst kaum daran glaubt. Diese Nachricht wirkt auf mich wie ein Schlag ins Gesicht! Mir fehlen die Worte, ich bin beinahe wie erstarrt. Alles drängt sich in meinem Kopf. John Hanson wurde ermordet, das ändert alles! Ist er wohl in den Drogenhandel im Lucifer verwickelt? Hat er diesen in die Wege geleitet? Oder warum?
„Denkst du, dass Sanders vielleicht dahinterstecken könnte?“, frage ich etwas nervös.
„Ich weiß es nicht, Chloé! Verdammt, woher sollte ich es denn auch wissen?! Das ist wohl möglich! Es ist alles möglich in dieser verrückten Stadt! Verdammt!“
„Was willst du jetzt unternehmen?“
„Mein Vater wurde ermordet, die Barbarei ist noch um einiges gestiegen. Wenn du wissen willst, was ich wirklich denke, ja, ich denke, dass Jessie Sanders hinter alldem steckt. Ich denke, dass ich überhaupt nicht durchgedreht habe, als ich mir vorgestellt habe, dass das verschwundene Kind, wieder zurückgekommen ist ... Es ist alles miteinander verbunden, dessen bin ich mir sicher, was deiner Schwester zugestoßen ist, der Brand deines Mobilheims, der Brand des Lucifer und jetzt mein Vater. Das trägt alles die gleiche Unterschrift ...“
„Lass uns dorthin zurück!“, rufe ich und stehe ganz abrupt auf. „Los!“
„Nein, ich gehe alleine hin. Du bleibst hier.“
„Warte mal, Samuel ... Hatten wir das nicht schon einmal besprochen? Habe ich etwas verpasst, willst du etwa alleine hin?“, frage ich ganz angespannt.
„Das habe ich doch gerade gesagt, antwortet er mit zusammengebissenen Zähnen und macht sich daran, den Raum zu verlassen.“
„Soll das etwa ein Scherz sein?!“
„Mir ist nicht nach Scherzen zumute!“
„Das kommt nicht in Frage. Ich komme mit, ob du es willst oder nicht“, erwidere ich und muss mich dabei mühsam zusammenreißen.
„Fang nicht schon wieder damit an, ich habe schon genug Ärger! Es kommt nicht in Frage, dass ich dich noch weiteren Gefahren aussetze. Ich habe schon einmal nachgegeben, das wird kein zweites Mal vorkommen!“
„Aber für wen hältst du dich denn? Ich habe schon einen Vater! Ich tue, was ich will, du hast keine Entscheidungen für mich zu treffen!“, sage ich ganz erzürnt.
Samuel wirft mir einen finsteren Blick zu, der meine Wut noch weiter steigen lässt.
„Wenn du denkst, dass du mir Angst einjagst, dann hast du dich aber geschnitten“, erwidere ich ganz unverschämt. „Als du Vegas verlassen wolltest, habe ich zugestimmt, obwohl ich wusste, dass es eine Dummheit war!“
„Ach ja, willst du etwa damit sagen, dass es dumm ist, mit mir zusammenzuleben?!“, fragt er wütend und wirft mit der Hand alles um, was auf der Bar steht.
„Leg mir nichts in den Mund, was ich nicht gesagt habe! Und du musst nicht auf dein hohes Ross steigen und hier alles zerstören! Das beeindruckt mich nicht mehr! Ich habe dich in diese Sache hineingezogen, es betrifft mich genauso viel wie dich, ich komme mit. Punkt. Fertig. Aus!“
„Aber verdammt! Wie oft soll ich dir sagen, dass ich das nicht will!“, schreit er.
„Und wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich mich mit dir verbunden fühle, mehr als mit sonst jemandem, meine Schwester ausgenommen! Unsere jeweiligen Schicksale sind nun miteinander verbunden, ob du es willst oder nicht“, fahre ich fort und nähere mich ihm. „Ich folge dir nach Vegas, wie ich dir überallhin folgen werde, wo du auch hingehst. Wir sind jetzt für immer und ewig zusammen, verstehst du?“
Samuel sieht mich an, ohne dabei ein Wort zu sagen. Ich zittere am ganzen Leib, doch es kommt nicht in Frage, nachzugeben. Er lässt sich nichts anmerken, doch ich spüre, dass er innerlich kocht.
„In Ordnung“, sagt er plötzlich und schließt die Augen, als ob er sich selber Vorwürfe machen würde, so schnell nachgegeben zu haben. „Okay. Dann pack deine Sachen. Los geht’s!“
Plötzlich habe ich ein dringendes Bedürfnis zu weinen! Das war unsere erste große Auseinandersetzung, meine erste leidenschaftliche Liebeserklärung und ich bin bei der Idee, nach Las Vegas aufzubrechen, ganz entsetzt. Es war so gemütlich hier. Komme, was wolle. Meine Lippen beben, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Er nimmt mich in die Arme, drückt meinen Kopf an seine Brust und wiederholt in einem angsterfüllten Seufzer:
„Los geht’s!“
Hinter den großen Glasfenstern taucht die Sonne hinter dem Pazifik unter.
Fortsetzung folgt!
Verpassen Sie nicht den nächsten Band!