Sie muss sich irren, aber es sieht wirklich so aus, als würde jemand in ihr Haus einziehen.
Der Lieferwagen ist halb auf der Trinity Avenue geparkt, sein viereckiges Maul steht weit offen, während ein großes Möbelstück die geriffelte Metallzunge hinabrutscht. Fi sieht zu, blinzelt gegen das buttrige Sonnenlicht an – ungewöhnlich für diese Jahreszeit, ein echtes Geschenk –, als das Möbelstück von zwei Männern geschultert und durch das Tor und den Weg entlanggetragen wird.
Mein Tor. Mein Weg.
Nein, das ist unlogisch: Natürlich ist es nicht ihr Haus. Es muss das der Reeces sein, drei Türen weiter. Im Herbst hatten sie ihr Haus auf den Wohnungsmarkt geworfen, und niemand wusste genau, ob der Verkauf bereits über die Bühne gegangen war. Die Häuser auf dieser Seite der Trinity Avenue sehen alle vollkommen gleich aus – edwardianische Doppelhaushälften aus rotem Backstein, ihre Besitzer vereint in ihrer Vorliebe für schwarz gestrichene Eingangstüren und in der allgemeinen Übereinkunft, wie leicht man sich verzählen konnte.
Einmal, als Bram von einer seiner »kurzen Stippvisiten« im Two Brewers nach Hause getaumelt war, stand er vor der falschen Tür, und durch das geöffnete Schlafzimmerfenster hörte sie das wiederholte Kratzen und Schnaufen, während es ihrem betrunkenen Gatten nicht gelang, seinen Schlüssel ins Schloss von Nummer 87, Merles und Adrians Haus, zu stecken. Seine Beharrlichkeit und sein unerschütterlicher Glaube, dass, wenn er es nur lang genug versuchte, der Schlüssel irgendwann passen würde, waren erstaunlich.
»Aber sie sehen alle gleich aus«, hatte er am nächsten Morgen protestiert.
»Die Häuser vielleicht, aber selbst völlig besoffen kann man doch die Magnolie nicht übersehen«, hatte Fi lachend entgegnet. (Das war damals gewesen, als es sie noch amüsiert und nicht mit Traurigkeit oder, je nach Stimmungslage, Verachtung erfüllt hatte, wenn er betrunken war.)
Ihre Schritte werden nun zögerlicher: die Magnolie. Sie ist eine Landmarke, ihr Baum – ein herrlicher Anblick, sobald er in voller Blüte steht, und selbst dann schön, wenn er kahl ist, so wie jetzt, die äußeren Zweige mit einem künstlerischen Schwung in den Himmel gereckt. Und er steht definitiv im Vorgarten des Hauses mit dem Transporter.
Denk nach! Es muss eine Lieferung sein, etwas für Bram, das er vergessen hat zu erwähnen. Nicht mehr jedes Detail wird besprochen – sie haben beide akzeptiert, dass ihr neues Arrangement nicht perfekt ist. Jetzt beeilt sie sich wieder, die Finger als Sonnenblende über den Augen, und ist nah genug, um die Aufschrift an der Seite des Fahrzeugs zu lesen: UMZÜGE DELUXE . Also doch ein Umzug. Freunde von Bram bringen wohl etwas auf dem Weg zu ihrem neuen Domizil vorbei. Ginge es nach ihr, wäre es ein altes Klavier für die Jungs. (Bitte, lieber Gott, kein Schlagzeug!)
Augenblick mal. Die beiden Umzugshelfer sind wieder aufgetaucht, und jetzt werden weitere Gegenstände aus dem Wagen zum Haus getragen: ein Esszimmerstuhl; ein großes, rundes Metalltablett; eine Kiste mit dem Aufdruck zerbrechlich ; ein kleiner, schmaler Wandschrank von der Größe eines Sargs. Wem gehört dieses Zeug? Wut bringt ihr Blut zum Kochen, als sie zur einzig möglichen Erklärung gelangt: Bram lässt hier jemanden wohnen. Zweifellos irgendeinen in Not geratenen Zechkumpan, der sonst auf der Straße landen würde. (»Du kannst so lange bleiben, wie du willst, wir haben genug Platz.«) Wann zum Teufel wollte er ihr das sagen? Es kommt nicht infrage, dass ein Fremder bei ihnen einzieht, egal wie vorübergehend, egal wie löblich Brams Absichten sein mögen. Die Kinder stehen an erster Stelle: Ist das nicht Sinn und Zweck des Ganzen?
In letzter Zeit, denkt sie besorgt, hatten sie den Sinn und Zweck aus den Augen verloren.
Sie ist jetzt fast da. Als sie an Nummer 87 vorbeigeht, sieht sie Merle am Fenster im ersten Stock, die Stirn in Falten gelegt, einen Arm gereckt, um Fis Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Fi erwidert den Gruß mit einer kaum merklichen Handbewegung, während sie durch ihr Tor und über den gepflasterten Weg schreitet.
»Entschuldigung? Was soll das?« Doch in dem Durcheinander scheint niemand sie zu hören. Dann lauter, schärfer: »Was tun Sie hier mit all den Sachen? Wo ist Bram?«
Eine Frau, die sie nicht kennt, taucht aus dem Haus auf und stellt sich lächelnd auf die Türschwelle. »Hallo, kann ich Ihnen behilflich sein?«
Fi keucht auf, als wäre die Frau eine Geistererscheinung. Das soll Brams Freund sein, der in der Patsche steckt? Die Frau ist Fi zwar fremd, aber diesen Typ hat sie schon tausend Mal gesehen. Sie erinnert Fi an sich selbst – wenn auch eine jüngere Version, Mitte dreißig –, blond und aufgeweckt und fröhlich, die Sorte, die zupackt und Dinge in die Hand nimmt. Die Sorte, die, wie die Geschichte zeigte, einen Freigeist wie Bram zähmen kann. »Ich hoffe, ja. Ich bin Fi, Brams Frau. Was ist hier los? Sind Sie … eine Freundin von ihm?«
Die Frau tritt näher, entschlossen, höflich. »Tut mir leid, wessen Frau?«
»Von Bram. Ich meine Exfrau, natürlich.« Die Verbesserung bringt ihr einen eigentümlichen Blick ein, gefolgt von dem Vorschlag, dass sie zwei einen Schritt beiseitetreten und »den Männern« aus dem Weg gehen. Während ein riesiges, in Luftpolsterfolie eingewickeltes Gemälde vorbeigleitet, lässt Fi sich unter das Gerippe der Magnolie führen. »Wozu in aller Welt hat er sich hier nur breitschlagen lassen?«, will sie wissen. »Was auch immer es ist, ich weiß nichts davon.«
»Ich bin nicht sicher, was Sie meinen.« Die Stirn der Frau kräuselt sich leicht, während sie Fi mustert. Ihre Augen sind goldbraun und wirken ehrlich. »Sind Sie eine Nachbarin?«
»Nein, natürlich nicht.« Fi wird allmählich ungeduldig. »Ich wohne hier.«
Das Stirnrunzeln vertieft sich. »Das bezweifle ich. Wir ziehen gerade ein. Mein Mann wird gleich mit dem zweiten Umzugswagen hier sein. Wir sind die Vaughans.« Sie betont den Namen, als hätte Fi womöglich schon von ihnen gehört, und streckt sogar die Hand zu einer förmlichen Begrüßung aus. »Ich bin Lucy.«
Baff erstaunt müht sich Fi vergeblich ab, ihren Ohren zu trauen und die falschen Botschaften zu entschlüsseln, die sie an ihr Gehirn weiterleiten. »Sehen Sie, mir gehört nämlich dieses Haus, und ich schätze, ich wüsste es, wenn ich es vermietet hätte.«
Ein verwirrtes Hellrosa kriecht über Lucy Vaughans Gesicht. Sie senkt die Hand. »Wir mieten es nicht. Wir haben es gekauft .«
»Das ist nicht lustig!«
»Das soll es auch nicht sein!« Die Frau wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Offiziell sind wir seit zwölf Uhr die neuen Besitzer, aber der Makler hat uns die Schlüssel schon etwas früher gegeben.«
»Wovon reden Sie denn? Welcher Makler? Kein Makler hat einen Schlüssel für mein Haus!« Fis Gesicht verkrampft sich vor widerstreitenden Gefühlen: Angst, Frustration, Wut, sogar eine dunkle, unfreiwillige Belustigung, denn das muss ein Scherz sein, trotz des schier unglaublichen Ausmaßes. Was sollte es sonst sein? »Ist das ein Witz?« Über der Schulter der Frau sucht sie nach Kameras, einem Handy, das ihre Überraschung zur Unterhaltung anderer filmt, findet jedoch nichts – nur eine Karawane großer Kartons, die an ihnen vorbeischweben. »Denn ich finde es nicht lustig. Sie müssen dafür sorgen, dass die Leute hier aufhören.«
»Ich habe nicht die Absicht, dafür zu sorgen, dass die Leute hier aufhören«, sagt Lucy Vaughan klar und entschieden, genau wie Fi normalerweise redet, wenn sie nicht von etwas wie dem hier überrumpelt wird. Ihr Mund zieht sich gereizt zusammen, bevor sie ihn jäh verwundert öffnet. »Augenblick mal, Fi, sagten Sie? Für Fiona?«
»Ja. Fiona Lawson.«
»Dann müssen Sie …« Lucy hält inne, als sie die fragenden Blicke der Umzugshelfer bemerkt, und senkt die Stimme. »Ich glaube, Sie sollten lieber reinkommen.«
Und im nächsten Moment wird Fi wie ein Gast durch ihre eigene Tür geführt, in ihr eigenes Haus. Sie betritt ihre geräumige Diele mit der hohen Decke und bleibt sprachlos stehen. Das ist nicht ihre Diele. Der Grundriss ist derselbe, ja, das silberblaue Farbkonzept ebenfalls, und die Treppe ist nicht verschoben worden. Aber der Raum ist vollkommen kahl, bis auf den letzten Gegenstand geplündert: der Konsolentisch und die antike Truhenbank, der Berg an Schuhen und Taschen, die Fotos an den Wänden. Und ihr geliebter Palisander-Spiegel, ein Erbstück ihrer Großmutter – alles verschwunden! Sie berührt die Stelle, an der er hängen sollte, als erwarte sie, ihn im Putz versunken zu finden.
»Was haben Sie mit all unseren Sachen gemacht?«, will sie von Lucy wissen. Panik lässt ihre Stimme schrill klingen, und ein vorbeikommender Umzugshelfer wirft ihr einen strafenden Blick zu, als sei sie der bedrohliche Part.
»Ich habe gar nichts getan«, sagt Lucy. »Sie haben Ihre Sachen ausgeräumt. Gestern, schätze ich.«
»Ich habe nichts dergleichen getan. Ich muss nach oben«, sagt Fi und drängelt sich an ihr vorbei.
»Also …«, setzt Lucy an, doch es ist keine Bitte. Fi fragt nicht um Erlaubnis, ihr eigenes Haus besichtigen zu dürfen.
Nachdem sie nach oben gestürzt ist, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, bleibt sie auf dem obersten Treppenabsatz stehen, die Hand auf dem gewundenen Mahagonigeländer, als erwarte sie, das Gebäude könne sich aufbäumen und unter ihr zusammenbrechen. Sie muss mit eigenen Augen sehen, dass sie im richtigen Haus ist, dass sie nicht den Verstand verloren hat. Gut, sämtliche Türen scheinen am richtigen Platz zu sein: zwei Bäder, eins vorne raus, das andere auf der Rückseite, zwei Schlafzimmer links und zwei rechts. Selbst als sie das Treppengeländer loslässt und einen Raum nach dem anderen betritt, rechnet sie immer noch damit, die Habseligkeiten ihrer Familie dort stehen zu sehen, wo sie sein sollten, wo sie immer gewesen sind.
Aber da ist nichts. Alles, was ihnen gehört, ist fort, kein einziges Möbelstück übrig, nur Abdrücke im Teppich, wo noch vor vierundzwanzig Stunden die Betten und Bücherregale und Kleiderschränke gestanden hatten. Auf dem Teppich in einem der Kinderzimmer ein knallgrüner Fleck von einem Glibberball, der während eines Kampfs bei einer Geburtstagsfeier aufgeplatzt war. In der Dusche der Jungs, unten in der Ecke, steht ein Duschgel, das mit Teebaumöl – sie erinnert sich, wie sie es bei Sainsbury’s gekauft hat. Hinter den Wasserhähnen finden ihre Finger die Fliese, die erst kürzlich gesprungen ist (der Grund für die Zerstörung wurde nie gänzlich geklärt), und sie presst die Hand darauf, bis es wehtut, um sich zu vergewissern, dass sie immer noch aus Fleisch und Blut ist, ihre Nervenenden unversehrt sind.
Überall liegt der scharfe Zitronengeruch von Putzmitteln in der Luft.
Zurück im Erdgeschoss, weiß sie nicht, ob der Schmerz aus ihrem Innern herrührt oder aus den Wänden ihres entkernten Hauses.
Bei ihrem Näherkommen löst Lucy die Versammlung mit zwei Umzugshelfern auf, und Fi spürt, dass sie das Hilfsangebot abgelehnt hat – sich um sie zu kümmern, den Eindringling. »Mrs Lawson? Fiona?«
»Das ist unglaublich«, sagt Fi und wiederholt das Wort, das einzige, das passt. Nur ihre Fassungslosigkeit hält sie davon ab, zu hyperventilieren und hysterisch zu werden. »Ich verstehe das nicht. Können Sie mir bitte erklären, was um alles in der Welt hier los ist?«
»Das versuche ich doch schon die ganze Zeit. Vielleicht, wenn Sie sich die Beweise ansehen«, schlägt Lucy vor. »Kommen Sie in die Küche … hier stehen wir nur im Weg.«
Auch die Küche ist leer, abgesehen von einem Tisch und Stühlen, die Fi nie zuvor gesehen hat, und einer geöffneten Schachtel mit Teeutensilien auf der Arbeitsfläche. Lucy ist taktvoll genug, hinter sich die Tür zu schließen, damit die Augen ihres Gasts nicht vom Anblick der anhaltenden Invasion auf der anderen Seite beleidigt werden.
Gast.
»Hier sind die E-Mails«, sagt Lucy und reicht Fi ihr Handy. »Sie sind von unserer Immobilienanwältin, Emma Gilchrist von Bennett, Stafford und Co.«
Fi nimmt das Handy und befiehlt ihren Augen, sich scharf zu stellen. Die erste E-Mail ist von vor einer Woche und scheint den Austausch der Verträge in der Trinity Avenue 91, Alder Rise, zwischen David und Lucy Vaughan und Abraham und Fiona Lawson zu bestätigen. Die zweite stammt von diesem Morgen und verkündet den Abschluss des Hausverkaufs.
»Sie sagten Bram, nicht wahr?«, fragt Lucy. »Deshalb hat es ein bisschen gedauert, bis der Groschen gefallen ist. Bram ist natürlich die Abkürzung von Abraham.« Sie hat auch einen echten Brief zur Hand, die Anmeldung bei British Gas, adressiert an die Vaughans in der Trinity Avenue. »Wir haben die Strom- und Gasversorgung auf online umgestellt, aber aus irgendeinem Grund haben sie uns die Unterlagen per Post geschickt.«
Fi reicht ihr das Handy zurück. »All das bedeutet gar nichts. Die Mails könnten gefälscht sein. Phishing oder so was.«
»Phishing?«
»Ja, vor ein paar Monaten hatten wir drüben bei Merle einen Vortrag über Internetkriminalität, und die Polizistin hat uns alles darüber erzählt. Gefälschte E-Mails und Rechnungen sehen heutzutage erschreckend echt aus. Selbst Experten sind sich nicht immer sicher.«
Lucy deutet ein verzweifeltes Lächeln an. »Sie sind echt, das schwöre ich. Es ist alles echt. Das Geld müsste jetzt auf Ihrem Konto sein.«
»Welches Geld?«
»Das Geld, das wir für dieses Haus bezahlt haben! Es tut mir leid, aber ich kann mich nicht ständig wiederholen, Mrs Lawson.«
»Das verlange ich auch gar nicht von Ihnen«, faucht Fi. »Ich versichere Ihnen, Sie müssen sich irren. Ich versichere Ihnen, es ist unmöglich, dass Sie ein Haus gekauft haben, das nie zum Verkauf gestanden hat.«
»Aber es hat zum Verkauf gestanden, ganz sicher. Sonst hätten wir es ja nicht kaufen können.«
Fi starrt Lucy völlig verwirrt an. Was sie sagt, was sie tut , ist purer Wahnsinn, und dennoch sieht sie nicht wie eine Wahnsinnige aus. Nein, Lucy sieht aus wie eine Frau, die der festen Überzeugung ist, dass die Person, mit der sie spricht, die Verrückte ist.
»Vielleicht sollten Sie Ihren Mann anrufen«, sagt Lucy schließlich.
Er liegt im Hotelzimmer auf dem Bett, seine Arme und Beine zucken leicht. Die Matratze ist von guter Qualität, entworfen, um Schlaflosigkeit, Leidenschaft und schlimmste Albträume zu absorbieren, aber sie versagt darin, eine innere Unruhe wie seine zu bekämpfen. Nicht einmal die zwei Antidepressiva, die er geschluckt hat, haben ihn beruhigt.
Vielleicht sind es die Flugzeuge, die ihn verrückt machen, die unbarmherzige Art, wie sie, eines nach dem anderen, knirschend vorbeirollen und unter ihrem eigenen Gewicht stöhnen. Doch es liegt wohl eher an der entsetzlichen Tat, die er begangen hat, an der Erkenntnis, die ihn jetzt mit aller Härte trifft, was er alles geopfert hat.
Denn jetzt ist es real. Die Schweizer Uhr hat geschlagen. Halb zwei hier, halb eins in London. Er ist jetzt auch körperlich, was er seit Wochen im Geiste ist: ein Flüchtiger, ein Mann, der selbstverschuldet auf der Straße sitzt. Ihm wird bewusst, dass er in seiner Trostlosigkeit auf Erlösung gehofft hatte, dass sich jedoch nun, da die Zeit gekommen ist, etwas noch Trostloseres eingeschlichen hat: Nichts. Nur dasselbe ekelhafte Gebräu an Emotionen, das er verspürt, seit er früh am Morgen das Haus verlassen hat, irgendwie erbittert fatalistisch und gleichzeitig auf Überleben getrimmt.
O Gott. Oh, Fi. Weiß sie es schon? Jemand wird es gewiss bemerkt haben? Jemand wird sie wegen der Neuigkeit angerufen haben. Womöglich ist sie schon auf dem Weg zum Haus.
Er stemmt sich hoch, lehnt sich mit dem Rücken gegen das Kopfteil und versucht, im Zimmer einen Anker zu finden. Der Sessel ist aus rotem Kunstleder, der Schreibtisch schwarzes Furnier. Ein Revival der 1980er-Ästhetik, irgendwie verstörend. Er schwingt die Beine über die Bettkante. Der Boden ist warm unter seinen nackten Füßen, Vinyl oder etwas anderes Künstliches. Fi würde wissen, was für ein Material es ist, sie liebt Innenarchitektur.
Bei dem Gedanken durchzuckt ihn ein Schmerz, eine neue Atemlosigkeit. Er steht auf, braucht unbedingt frische Luft – der Raum im fünften Stock wird von einer Zentralheizung gespeist –, aber hinter dem komplizierten Vorhangarrangement sind die Fenster abgeschlossen. Autos, weiß und schwarz und silbern, schießen über die Fahrbahnen zwischen Hotel und Flughafengebäude, dahinter erheben sich, trennend und beschützend zugleich, die Berge, ihre weißen Gipfel mit lichtblauem Schimmer. Wie ein Gefangener dreht er sich erneut zum Zimmer zurück und denkt unerwartet an seinen Vater. Seine Finger greifen nach dem Sessel, umklammern die Lehne. An den Namen dieses Hotels, das er wegen der Nähe zum Flughafen ausgewählt hat, kann er sich nicht erinnern, aber er weiß, dass es so seelenlos ist, wie er es verdient.
Denn er hat seine Seele verkauft. Nicht mehr und nicht weniger.
Aber es ist noch nicht so lange her, dass er vergessen hätte, wie es sich anfühlt, eine zu haben.