Verhalt dich natürlich. Normal. Sei einfach du selbst.
Ich öffnete die Tür und setzte ein Lächeln wie für einen neuen Kunden auf. »Hallo, ich bin Bram. Sie müssen Rav sein?«
»Challoner’s Property. Das ist ein wunderschönes Haus, Bram.«
»Ja. Ja, ist es. Treten Sie ein und schauen Sie sich in Ruhe um.«
Mike hatte seine Hausaufgabe gemacht und Wheeler’s in Battersea gefunden, einen der führenden Marktspezialisten für Käufer, die der hohen Preise wegen aus den innerstädtischen Vierteln gedrängt wurden und offen dafür waren, in die nächstgelegenen Gebiete zu ziehen, in Nachbarschaften wie etwa Alder Rise.
Ich hatte die Schätzung auf einen Mittwochvormittag gelegt, bei dem unser gemeinsamer Kalender anzeigte, dass Fi in aller Früh für eine Handelsmesse nach Birmingham aufgebrochen war, und ich problemlos Homeoffice anmelden konnte. Ich war nicht besorgt, dass Nachbarn meine Anwesenheit Fi petzen könnten – die meisten, die uns gut genug kannten, um über unsere Sorgerechtsregelung unterrichtet worden zu sein, waren in der Arbeit, und selbst wenn die eine oder andere zu Hause war (es wäre definitiv eine »sie«), würde sie wohl kaum wissen, dass ich ohne Fis Einverständnis hier war oder dass es sich bei meinem Gast um einen Immobilienmakler handelte.
Das Haus zu betreten, hatte sich dennoch genau wie das Vergehen angefühlt, das es war, selbst bevor ich rasch durch die Zimmer gehuscht, Kleidungsstücke vom Boden aufgehoben und – auf Mikes Anweisung hin – sämtliche Fotografien mit Fi entfernt hatte. Zumindest hatte er nicht darauf bestanden, dass stattdessen Bilder von Wendy aufgestellt wurden oder, noch schlimmer, sie bei dem Treffen an meiner Seite wäre. »Sie kommen auch allein gut zurecht«, erklärte er großzügig, mit der unterschwelligen Botschaft: »Ich werde es als Erster erfahren, sollte dem nicht so sein.«
Wenn Rav meine gedrückte Stimmung während des Rundgangs gespürt hatte, interpretierte er sie wohl als eine Zurückhaltung der profaneren Art. »Wie sicher sind Sie und Ihre Frau, dass Sie verkaufen wollen?«
»Oh, zu hundert Prozent. So schnell wie möglich. Das ist auch der Grund, weshalb wir einen realistischen Preis ansetzen wollen. Und wir wollen, dass es vollkommen diskret gehandhabt wird. Deshalb beauftragen wir exklusiv Ihr Maklerbüro. Wir wollen nicht, dass die Nachbarn vom Verkauf erfahren, also darf es keine Einzelheiten in Ihrem Schaufenster oder online geben. Außerdem geht es nicht, dass Leute abends während der Woche herkommen. Die Jungs gehen in der Schulzeit sehr früh zu Bett.«
»Verstanden.« Offensichtlich war Rav, der diese letzte Bitte auf seine zuvorkommende, aufmerksame Weise notierte, schon schwierigeren Verkäufern als mir begegnet. »Ich würde ein Open House vorschlagen. Um alle Interessenten auf einen Schlag unterzubringen. Jeder, der einen weiteren Besichtigungstermin will, kann dann zu einem Ihnen passenden Zeitpunkt vorbeikommen oder vielleicht, wenn Sie in der Arbeit sind?«
Ich nannte ihm den Tag, der für uns am besten passte, der Samstag in einer Woche, der neunundzwanzigste Oktober.
»Das ist das letzte Wochenende der Herbstferien«, sagte er. »Nicht gerade ideal … einige meiner Kandidaten werden auf der Rückfahrt vom Urlaub sein und nicht kommen können.«
Es hatte mich wie der Schlag getroffen, als Fi damit anfing, über Reisepläne in den Ferien zu sprechen, als hielte die Welt eine Zukunft bereit, die man mit Freude herbeisehnte, während ich von einem Tag auf den nächsten lebte – atmete –, meine einzige Emotion in Bezug auf ein Morgen der blanke Horror. Doch aus Sicht eines Betrügers war der Zeitpunkt hilfreich: Die Hälfte der Straße wäre im Urlaub oder bei Verwandtenbesuchen, einschließlich die, die mit Fi in Alisons Ferienhaus in Kent wären.
Zugegeben, die Ehemänner blieben zurück, aber meiner Erfahrung nach bekamen Männer sehr wenig mit.
»Es gibt leider keinen anderen Tag, der uns passt«, erklärte ich Rav.
»Dann bleibt es dabei. Es wird trotzdem noch genügend Interesse geben. Viele Menschen haben kleinere Kinder, die noch nicht eingeschult sind, weshalb die Herbstferien kein Problem für sie darstellen. Sie sind natürlich auf den Sprengel der Alder Rise Grundschule aus.«
»Natürlich«, pflichtete ich ihm bei.
Ich dachte nicht an meine eigenen Jungs und ob sie weiterhin auf die ausgezeichnete staatliche Grundschule mit den Meerschweinchen und der Hilfslehrkraft gehen würden, die sich eine Träne nicht verkneifen konnte, wenn ihre Klasse beim Jahresabschlusskonzert den Eltern vorsang. Ich dachte nicht an sie, während wir die Provision besprachen, und als an Ort und Stelle eine Vereinbarung getroffen wurde, unterschrieb ich. Ich redete mir ein, dass die Justiz, Recht und Ordnung, die Moral, irgendetwas einschreiten würde, um dem Wahnsinn, in den ich hineingezogen wurde, ein Ende zu setzen. Um Mike zu stoppen, der meinen Kopf unter Wasser drückte, bis meine Lunge platzte.
»Sobald ich zurück im Büro bin, werde ich meine Kandidaten anrufen«, sagte Rav.
Kandidaten, wie er immer wieder betonte. Kandidaten für unser Leben.
Nachdem er fort war, warf ich die zuvor aufgesammelte Kleidung auf den Boden der Kinderzimmer zurück und stellte die Fotografien an ihre angestammten Plätze.
Mike lungerte vor meinem Bürogebäude herum, als ich genau vor der Mittagspause eintraf.
»Wie viel?«, wollte er wissen.
»Wir haben uns auf zwei Komma zwei geeinigt.«
»Die Nachbarn unterbieten. Gut gemacht. Sie nehmen jedes Angebot über zwei Millionen an.«
»Ja, Sir.«
Er rührte sich nicht. Eine meiner Kolleginnen kam an uns vorbei, ein Lunchpaket von dem Imbiss nebenan in der Hand. »Hi, Bram!«, rief sie.
Na toll! Sie kannte meinen Namen, obwohl ich ihren vergessen hatte. Und sie hatte mich mit Mike gesehen. Obwohl er eine schwarze Wollmütze bis tief in die Stirn gezogen hatte, waren seine knochigen Gesichtszüge und seine stämmige Statur markant. (»Ja, das war definitiv der Mann, den ich mit Bram gesehen habe. Ehrlich gesagt hatte ich das Gefühl, als hätten die beiden irgendwas ausgefressen.«)
»Hören Sie, Mike, Sie müssen verschwinden. Wir dürfen nicht zusammen gesehen werden. Können Sie mich das nächste Mal auf die übliche Weise kontaktieren?«
Er bedachte mich mit einem langen Blick, der bedeutete: Sie erteilen keine Befehle – nur ich .
»Stellen Sie nur sicher, dass Sie diesen Makler im Griff haben, okay?«, sagte er schließlich. »Und wir brauchen bis Ende nächster Woche das Geld vom Auto … Ich treffe mich mit jemandem.«
»Mit wem?«
»Vertrauen Sie mir. Es ist besser, wenn Sie das nicht wissen.«
Ihm vertrauen? Na klar.
»Wenn der Scheck bis dahin nicht eingetrudelt ist, müssen Sie einen anderen Weg finden, um an das Bargeld zu kommen«, fügte er hinzu. Er stand da, die Hände in den Taschen, seine Körpersprache unerträglich entspannt. »Immer noch nichts von der Polizei gehört?«
»Nein. Nicht, seit sie mit meiner Frau gesprochen haben.«
»Sie können ruhig ihren Namen aussprechen, Bram. Fi, so heißt sie doch?«
»Ich darf ihren Namen aussprechen, aber es wäre mir lieber, wenn Sie es nicht täten.«
»Oh, nun ja, wie Sie wollen«, höhnte er.
Ich ignorierte es. »Hören Sie, das Alibi, das Sie erwähnt haben?«
»Yep. Half Moon, Clapham Junction.«
»Ich brauche Ihren vollen Namen und eine Telefonnummer, nur für alle Fälle.«
»Sagen Sie einfach Mike. Ich hänge oft da ab. Die Bedienungen werden die Polizei zu mir schicken. Wir sind keine Freunde, haben keine Nummern ausgetauscht, nichts Schwules – wir haben uns einfach unterhalten, ein langes Pläuschchen geführt.«
Obwohl seine Instinkte richtig waren, trieb es mich zur Weißglut, weiterhin seinen vollen Namen verwehrt zu bekommen. Meine Online-Recherche zu seiner und Wendys Identität hatte lächerliche Ergebnisse erzielt: Man tippe »Mike, South London« bei Google ein. Und bei den Reinigungsfirmen, die ich in und um Beckenham gefunden hatte, gab es keine Festangestellte mit dem Namen Wendy. »Kein langes Pläuschchen. Ich musste wegen der Jungs um sieben zurück in Alder Rise sein.«
»Na schön. Wir hatten zwei Pint zwischen halb sechs und halb sieben. Wie ist das? Wir haben uns über Fußball unterhalten. Nichts zu Tiefsinniges. Es kann wohl kaum erwartet werden, dass man sich an Details erinnert. Ich kenne dort einen der Barkeeper – für ein paar Pfund wird er für uns bürgen.«
»Apropos Geld«, sagte ich, »falls wir das hier durchziehen, und es vorüber ist, was ist dann mein Anteil?«
Er lachte und stieß dampfende Atemwolken in die kalte Luft. »Ich habe mich schon gewundert, wann die Frage kommt.«
»Nun, dann raus mit der Antwort.«
Sein Gesicht schob sich näher an meines, ein bedrohliches Blitzen in seinen Augen. »Mein Freund, Ihr Anteil ist die Freiheit. Sonst würden Sie wohl zehn Jahre kriegen, Minimum . Und wir wissen alle, dass man da drinnen Fischfutter ist, wenn man ein Kind auf dem Gewissen hat. Stellen Sie sich zehn Jahre vor, in denen Sie verprügelt und in den Arsch gefickt werden und was die sonst noch für Sie auf Lager haben, einen mittelalten Kindsmörder in einer Zelle mit einem zwanzigjährigen Psychopathen. Oder sind es heutzutage drei pro Zelle? Ganz, wie Sie wollen.«
Mit hämmerndem Herzen sog ich scharf die Luft ein.
»Da hab ich wohl einen empfindlichen Nerv getroffen, oder?«, zog er mich auf. »Denken Sie nur an all die Nerven, die dort drinnen getroffen werden, hm? Die werden vor Ihrer Zelle Schlange stehen.«
Ich begann, vor ihm zurückzuweichen, als wäre er der Fürst der Finsternis höchstpersönlich.
»Keine Sorge wegen Geld«, rief er. »Wenn alles über die Bühne gebracht wurde, werden wir Ihnen eine kleine Aufmerksamkeit zukommen lassen. Nennen wir es eine Art Finderlohn.«
Nein, ich hatte Toby Bram nicht vorgestellt. Ich hatte ihn niemandem vorgestellt. Ich wollte ihn bei den immer abwechselnd stattfindenden Dinnerpartys der Trinity Avenue nicht vorführen, und er seinerseits hatte kein Interesse an den sozialen Strukturen von Alder Rise.
»Warum lädt er dich nie zu sich nach Hause ein?«, fragte Polly.
»Wenn ich richtig zwischen den Zeilen lese: Er glaubt nicht, dass ich von seiner Wohnung sonderlich beeindruckt wäre«, sagte ich. »Nach seiner Scheidung hat er sich wohnlich verkleinert, also ist es wohl ziemlich bescheiden.«
»Er ist nicht verheiratet, oder?«
»Nun, sollte er es sein, kann ich mich kaum beschweren, immerhin bin ich es auch noch.«
»Du lebst getrennt «, verbesserte sie mich. »Hat Alison ihn kennengelernt?«
»Niemand. Es ist nichts Ernstes, Polly.«
»Trotzdem, nicht zu wissen, wo er wohnt? Vielleicht solltest du seine Frau fragen«, sagte sie mit gedehnter Stimme.
Es wäre nicht das letzte Mal, dass sie die Verheiratete-Mann-Theorie ins Spiel brachte – und zugegebenermaßen, Brams zwei Affären gaben ihr guten Grund, mein Urteilsvermögen in puncto Männer infrage zu stellen –, doch ich ignorierte lieber das Dröhnen der Alarmglocken. Ich wollte meine Zeit nicht darauf verwenden, Fehler zu finden oder mich auf das Schlimmste vorzubereiten. Vielleicht passt eine solche Einstellung nicht in unsere zynische Welt, aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen, es zumindest versucht zu haben.
Außerdem war es stressig in der Arbeit, und danach ging es mit Volldampf auf die Herbstferien und unser Wochenende in Kent zu, für das ein gewisses Maß an Planung vonnöten war. Dank unseres abgesagten Sommerurlaubs war Harry wegen der Reise so aufgeregt, dass er den Großteil der Woche davor nicht schlafen konnte. Es half auch nicht, dass an einem Abend ein Polizeihelikopter stundenlang über Alder Rise kreiste. Das ist South London: So etwas passiert hier manchmal.
»Da gibt es nichts, weswegen man sich Sorgen machen müsste«, sagte ich, als er zu mir ins Bett kletterte. »Es ist nur die Polizei, die Verbrecher jagt.«
»Wie können sie die in der Dunkelheit fangen?«, fragte er.
Ich erzählte ihm von einem Zeitungsartikel, den ich über Wärmebildkameras an Polizeihubschraubern gelesen hatte. Man wähnte sich in seinem Versteck unter Büschen in Sicherheit, aber hoch oben glühte man hellweiß auf den Bildschirmen auf.
»Es ist genau wie mit euren UV -Stiften. Sie benutzen spezielles Licht, um Dinge zu sehen, die wir nicht erkennen können.«
»Sie sind klüger als die Bösen«, sagte Harry.
»Viel klüger«, stimmte ich ihm zu.
So ironisch, wie es jetzt klingen mag, dachte ich mir jedoch im Stillen, während ich dort im Bett lag und dem unbarmherzigen Stakkato der Rotorblätter lauschte, wie grässlich es sein muss, auf der Flucht zu sein vor dem Gesetz mit all seinen modernen Technologien des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Es gab keinen Ort, an dem die Polizei einen nicht finden konnte, sobald sie einem auf den Fersen war. Ganz kurz dachte ich sogar: Armer Kerl .
Nun, ich nahm einfach an, dass es sich um einen Mann handelte.
Es gab einen Zeitungsbericht – und nur einen –, den ich nicht Wort für Wort auswendig lernen musste, da ich einen Ausdruck behielt. Sie werden ihn zwischen meinen letzten Habseligkeiten im Hotelzimmer finden.
Eltern trauern um ihren »Besonderen Sonnenschein«
Die Beerdigung des Opfers im tragischen Silver-Road-Unfall, Ellie Rutherford, fand heute in der St. Luke’s Church in Norwood mit der Mutter des Mädchens statt, die aus dem Krankenhaus entlassen worden war, um sich von ihrer geliebten Tochter zu verabschieden.
Viele Trauergäste trugen Gelb, Ellies Lieblingsfarbe, und gelb-weiße Blumengestecke schmückten ihren Sarg. Tim Rutherford, der bei dem Gottesdienst eine Rede hielt, beschrieb seine Tochter als »unseren besonderen Sonnenschein«, ein Kind, das gern Geschichten schrieb und stolz darauf war, im letzten Jahr der Grundschule zur Klassensprecherin gewählt worden zu sein. »Zehn Jahre ist alt genug, um zu erkennen, zu was für einer wunderbaren Erwachsenen sie geworden wäre«, sagte er.
Ellie starb vor einer Woche nach einem Unfall im September, als das Auto ihrer Mutter von einem Wagen mit überhöhter Geschwindigkeit von der Straße gedrängt worden war. Während Verwandte und Verbände von Verkehrsopfern nach einer Personalaufstockung bei der polizeilichen Untersuchung verlangen, sagte der Onkel des Mädchens, Justin Rutherford: »Man würde annehmen, dass sie längst einen Verdächtigen verhaftet haben. Die ganze Familie ist verzweifelt, weil sie weiß, dass dieser Kriminelle immer noch auf unseren Straßen ist und das Leben anderer Kinder gefährdet.«
Detective Inspector Gevin Reynolds sagte: »Polizeiarbeit ist oft ein mühsamer Prozess im Ausschlussverfahren. Aber wir sind zuversichtlich, den verantwortlichen Fahrer aufzuspüren und den genauen Hergang dieses tödlichen Unfalls rekonstruieren zu können. Unsere Gedanken sind heute bei Ellies Familie«, fügte er hinzu.
Während ich das hier niederschreibe, kann ich nur annehmen, dass die Rutherfords inzwischen meinen Namen kennen. Ganz gewiss, wenn sie das hier lesen. Ich kann nur annehmen, dass sie hoffen, dass ich in der Hölle verrotte.