Wir waren zu viert bei diesem Herbstferienwochenende – Alison, Merle, Kirsty und ich – jede mit zwei Kindern, also zusammen ein volles Dutzend. Als ich am Donnerstag ankam, das Licht über dem Ärmelkanal nur noch ein schmaler Silberstreifen, machten Leo und Harry sich nicht einmal die Mühe, ihre Jacken auszuziehen, sondern stürzten sich schreiend in das Knäuel aus Kindern und Hunden in dem weitläufigen Garten, der an den Strand grenzte. Sie würden den Großteil der Zeit draußen verbringen, doch wir zogen die rote Linie beim Camping: Der Wind an der Küste konnte nachts beißend kalt werden.
Ich fand die anderen Frauen im Wohnzimmer vor, mit einer geöffneten Flasche Wein vor dem Feuer. Obwohl dies unser fünftes Jahr war, war es das erste seit dem Scheitern meiner Ehe, und ich konnte im Zimmer das Echo eines feierlichen Schwurs hören, das Thema unter keinen Umständen anzusprechen. Von mir aus, dachte ich. An diesem Wochenende sollten sämtliche Horrorgeschichten allein auf das Konto von Halloween gehen.
»Hallo, alle zusammen!« Ich zog mein Mitbringsel hervor: handgemachter Gin vom Wochenmarkt.
Alison sprang auf, um mich mit einer Umarmung zu begrüßen. »O mein Gott, dieses Zeug ist schwarzgebrannt – wir werden alle blind. Gläser her, Mädels!«
»Ich kümmere mich darum«, bot Merle an, nahm mir die Flasche aus der Hand und eilte in die Küche.
»Du zitterst. Komm aufs Sofa neben das Feuer«, sagte Alison. »Wir haben Daisy die Verantwortung für die Kinder übertragen. Elf ist alt genug, um einen Mord zu melden, oder?«
Ich lachte. Es war so schrecklich einfach, sich in dem lichterfüllten Raum, dessen Steinmauern die Elemente abhielten, wohlzufühlen, und die Gin Tonics, die Merle verteilte, lösten jede Anspannung aus der realen Welt.
»Bitte, können wir dieses Wochenende nicht über Schulanmeldungen sprechen«, sagte Kirsty. Eine Aufforderung, keine Bitte. »Sonst kriege ich einen Schreikrampf.«
»Von mir aus gern«, erwiderte Alison. »Ginge es nach mir, würden Kinder für immer in der Grundschule bleiben, und es käme ihnen niemals in den Sinn, dass wir nicht immer bei allem recht haben.«
»Das ist das Glück, Jungs zu haben«, sagte ich. »Wie ich das verstehe, glauben sie das ewig .«
»Oh, und auch Häuserpreise«, fügte Merle an. »Mein Sättigungspunkt ist erreicht.«
Alisons Augen wurden groß. »Das wird hart werden, aber wir können es auf jeden Fall versuchen. Darf ich zuerst allerdings schnell fragen, ob sonst noch jemand von dem Haus in der Alder Rise Road gehört hat, das gerade die Drei-Millionen-Marke geknackt hat?«
»Drei Millionen? Ist das dein Ernst?«
Ein vertrauter Schauder der Genugtuung erfasste uns: Das Einzige, was besser war, als Millionärin zu sein, war, Millionärin zu sein, ohne auch nur einen Finger dafür gekrümmt zu haben.
(Falls das selbstgefällig und anmaßend klingen sollte, dann vergessen Sie bitte nicht, warum ich jetzt hier zu Ihnen spreche. Auf meinem Bankkonto liegen keine Millionen, das kann ich Ihnen versichern.)
»War das ein Makler, den ich neulich bei dir gesehen habe?«, fragte mich Kirsty.
»Nein, du musst die Reeces meinen«, sagte ich. »Ich glaube, die haben ihren Makler gewechselt.«
»Das Haus ist schon eine Weile auf dem Markt, nicht wahr?«, erwiderte Alison. »Ich frage mich, was das Problem ist.«
»Sophie Reece hat mir verraten, dass sie drei niedrige Angebote ausgeschlagen hätten«, sagte Merle. »Sie bestehen auf zwei Komma drei Millionen.«
»Wohin ziehen Sophie und Martin?«
»Nur auf die andere Seite des Parks«, sagte ich. »Eine Gartenwohnung. Sie wollen sich verkleinern.«
»Verkleinern« war eines der gefürchtetsten Wörter im Alder-Rise-Lexikon: es assoziierte, wie es mit Scheidung, ausgezogenen Kindern und finanziellen Problemen war – vielleicht sogar alles drei auf einmal.
»Früher oder später ist das unser aller Schicksal«, sagte Merle, »und so wie ich das sehe, sollte man, wenn die Zeit kommt, dagegen nicht ankämpfen.«
Genauso gut hätte sie vom Tod reden können.
»Nun, ich kann das nicht akzeptieren«, erklärte Alison.
»Lustig, ich schon. Das zeigt wohl, dass ich älter bin als du.«
Natürlich sah Merle so blendend aus, dass sie diese Bemerkungen ohne einen Hauch von Selbstzweifel machen konnte. Früher mochten mich genug Zweifel für uns beide geplagt haben, aber heute, mit meinem Pilates und der Generalüberholung, die damit einherging, mit jemand Neuem zu schlafen, sah es anders aus.
»Ich stimme Merle zu. Ich träume auch davon, mich zu verkleinern«, sagte Kirsty. »Oder zumindest das Haus behalten, aber mit weniger Zeug drin.«
»Vielleicht war das der Grund, warum ausgerechnet bei dir eingebrochen wurde.« Alison lachte. »Sie haben deine innere Minimalistin gespürt.«
»Nun, sie werden es nicht wagen, das noch mal zu tun, nicht mit den hübschen gelben ›Aufmerksame Nachbarn‹-Schildern von der Polizei, die jetzt überall hängen«, sagte ich.
»Die sind ein echter Schandfleck«, sagte Merle. »Aber sie scheinen definitiv zu funktionieren, denn seitdem ist nichts mehr passiert.«
»Fis Auto«, rief Alison ihr ins Gedächtnis. »Wie lang ist das jetzt her?«
»Fast einen Monat«, beschwerte ich mich. »Wir warten immer noch auf das Geld von der Versicherung.«
»Die sitzen halt am längeren Hebel«, sagte Kirsty. »Ich habe euch erzählt, dass wir nichts bekommen werden, oder?«
»Und Carys meinte, ihr Sohn liegt wegen des Betrugs immer noch mit der Bank im Clinch«, sagte Alison. »Laut Polizei ist das Geld unauffindbar, also ist es allein Ermessenssache der Bank, ob sie sich bereit erklärt, es ihr zu ersetzen.«
»Ich wette, das werden sie nicht!«
»Fast ist der Punkt erreicht, wo es wahrscheinlicher ist, dass sie die Kriminellen ausbezahlen anstatt die Opfer«, sagte Alison. »Sie glauben wohl, ihnen steht das unantastbare Menschenrecht zu, sich nicht schuldig fühlen zu müssen.«
Und so ging es in einem fort weiter. Für den zufälligen Zuhörer war es die alte Leier, das beiläufige Geplänkel von Freundinnen, die zusehends betrunkener werden, aber ich kam nicht umhin, einen neuen, winzigen Riss zwischen den anderen und mir zu bemerken. Ich war jetzt anders, Single, oder quasi Single – und eine Frau, die gedemütigt und betrogen worden war. Wenn sie mich über Toby ausfragen würden – was zwangsläufig bald passieren würde –, dann mit diesem köstlichen Wohlgefühl, das echte Angst maskiert: Angst um ihre eigenen Königreiche, die genauso zerfallen könnten. Das hätte auch mich treffen können .
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will nicht zu kritisch sein. Alle drei sind großartige Freundinnen. Es ist nur so, dass ich nicht mehr dazugehöre, und jetzt verstehe ich, dass es ein Prozess war, der nicht begann, als mir mein Haus gestohlen wurde, sondern als mein Vertrauen in meinen Ehemann verloren ging.
»Also, darf ich zusammenfassen«, sagte Alison, »wir reden nicht über Schule, wir reden nicht über Immobilien, wir reden nicht übers Älterwerden …«
»Was bleibt uns dann noch?«, kicherte Kirsty. »Männer?«
Na also , dachte ich.
»Noch Gin?« Alisons Blick glitt über die Oberflächen des Raums, ein Suchscheinwerfer, der leere Gläser ortete. »Nun, Fi, gib uns ein Update zum Verkehrsexperten …«
In die Gläser schwappte der Rest des Gins. Es würde nicht lang dauern, bis die Flaschen sich anhäuften und wir Witze darüber rissen, wie es auf einen Mitarbeiter vom Jugendamt wirken mochte, der zufällig bei uns vorbeischaute. Vielleicht, wenn die Kinder wieder im Haus waren, auf ihr Abendessen warteten und sich dabei die Zeit vertrieben – so wie sie es in einem anderen Jahr getan hatten –, indem sie die leeren Flaschen nebeneinander aufreihten und über die Öffnungen bliesen. Musik aus dem Untergang ihrer Mütter machten.
#OpferFiona
@alanaP: Hört sich an, als wäre sie dieselbe Schnapsdrossel wie ihr Ex.
@NJB urton @alanaP: Frage mich, was er zu Hause anstellt?
@alanaP @NJB urton: Big Party, sobald die Katze aus dem Haus ist. Ist jemandem aufgefallen, dass sie Witze über Kinder gerissen haben, die ermordet werden?
@NJB urton @alanaP: Nicht! Die Sache mit dem Haus ist schlimm genug, da muss nicht auch noch jemand sterben.
Das Überleben, so temporär, wie auch immer es sein mochte, verdankte sehr viel meinem Schubladendenken, und allmählich wurde ich sehr geschickt darin, jegliche Ritzen und Ecken dieser Schubladen zu versiegeln. Die Alternative wäre, den Verstand zu verlieren, mich selbst in die Psychiatrie oder auf die Waterloo Bridge zu begeben, je nachdem, was zufällig näher lag. Selbst als Rav mit einer Kollegin von Challoner’s kam, um das Open House vorzubereiten, stellte ich mir meinen eigenen Körper vor, der in die Tiefe stürzte, beobachtete seinen unaufhaltsamen Fall in den Fluss, den gierigen Schlund des Wassers. Und die Zuschauer dieses Selbstmords – riefen die Leute überhaupt noch die Polizei, oder filmten sie den Tod einfach auf ihren Handys und stellten ihn ins Internet?
»Es hat viel Interesse gegeben«, sagte Rav, und ich heuchelte Enthusiasmus, während er mehrere Besichtigungen verkündete, und noch ein paar, die er noch bestätigen musste.
»Sie wissen alle, dass sie nicht mit anderen Maklern sprechen dürfen, ja?« Meine jüngste Angst: Ein Interessent, der sich das Haus der Reeces angesehen hatte und den niedriger veranschlagten Preis als Aufhänger nahm, um mit ihnen zu verhandeln. Sophie Reece würde vorbeikommen, um die Situation mit Fi zu besprechen. »Ich schätze, da musst du etwas in den falschen Hals bekommen haben«, würde Fi sagen, die Augenbraue amüsiert in die Höhe gezogen, eine Eigenart, die ich früher so süß gefunden hatte. Sie hasste Zwistigkeiten zwischen Nachbarn und gab sich redlich Mühe, für Frieden zu sorgen. »Glaub mir, ich denke, davon wüsste ich«, würde sie sagen, und Sophie würde ihr zustimmen, es müsse ein Missverständnis vorliegen.
Was sich als noch nützlicher herausstellte, war der Umstand, dass die Reeces ein zweites Haus in Frankreich besaßen und ausnahmslos alle Schulferien dort verbrachten. Sofern ich nicht Riesenpech hätte, wären sie genau zum richtigen Zeitpunkt nicht in der Straße.
»Ihre Frau wird heute nicht hier sein?«
»Nein, sie ist für ein langes Wochenende mit den Kindern weggefahren. Nur Frauen und Kinder.« Die Vorstellung, dass diese Frauengruppe sich drei Tage betrank und die Welt verbesserte, war beunruhigend – aber andererseits war es wohl kaum das Beunruhigendste, das mir durch den Kopf ging. Würden sie auch nur den kleinsten Verdacht hegen, was ich hier gerade anstellte, eine eheliche Gräueltat, so entsetzlich, dass ihnen selbst ein Seitensprung wie eine Wohltat vorkäme …
»Dann haben Sie wohl den Kürzeren gezogen, hm?«, sagte Ravs Assistentin. Mit geübter Hand arrangierte sie auf der Konsole im Gang ein atemberaubendes Gesteck aus Lilien, deren grüne Stiele wie Geweihstangen verzweigt waren, die pinken Münder bereit, jeden zu verführen, der das Haus betrat.
Wie Rav versprochen hatte, gab es mehrere Interessenten – zu viele, um sich einzeln an sie zu erinnern, aber nicht genug, um einen Stau hervorzurufen. Ich hielt mich im Hintergrund, meine gesamte Konzentration darauf gerichtet, nicht zu rauchen, und warf jedem, der sich mir näherte, ein gespenstisches Lächeln zu.
»Sie besitzen ein fantastisches Haus«, sagten sie, einer nach dem anderen. »Liegen Sie definitiv im Sprengel der Alder-Rise-Grundschule?«
»Ja, und dem des Two Brewers«, erwiderte ich dann, aber der Witz kam nicht sonderlich gut an, wahrscheinlich, weil ich so glaubwürdig einen Mann verkörperte, der dringend auf Entzug müsste.
Schließlich, als die letzten Kandidaten des Tages ihre Runde drehten, erlaubte ich mir eine Zigarette hinten im Garten und setzte mich auf eine Kante des Spielhauses. Der Boden bildete durch die erste Kälte allmählich eine harte Kruste, und sich kräuselnde goldene Blätter warteten darauf, von den Kindern weggekickt und zertreten zu werden. An jenem Abend im Juli, als meine Glückssträhne endgültig endete, war es weich unter den Füßen gewesen. Die Natur hatte keine nützliche Warnung ausgestoßen, während Fi den Gartenweg in unsere Richtung geschlichen war.
Oh, Fi! Was ihr bevorstand, verdiente keine Frau weniger als sie.
»Das ist sehr gut gelaufen«, sagte Rav, als die Haustür sich schloss. »Ich bin überzeugt, dass wir nach dem Wochenende Anfragen für eine zweite Besichtigung bekommen werden, wenn nicht gar ein erstes Angebot.«
Ich holte uns Bier aus dem Kühlschrank. Das Spielchen zu spielen war mit Alkohol leichter – selbst dieses Spielchen. »Wie können die sich einen solchen Preis leisten?«, fragte ich. »Sie können nicht alle fette Jobs im Bankensektor haben.«
»Sie verkaufen eine Wohnung oder ein Häuschen in Battersea oder Clapham oder Brixton. Vielleicht sogar zwei. Aber Sie suchen einen Käufer, der nicht selbst erst noch verkaufen muss – ich weiß.«
»Ja, wir würden es vorziehen, nicht in der Schwebe zu sein, sollte ihr Verkauf doch noch platzen. Wir müssen die Sache rasch über die Bühne bringen.«
»Das wird unsere höchste Priorität sein. Häufig ist auch eine Erbschaft im Spiel. Warten wir also ab, ob wir nicht einen von denen finden.«
Was mich – mal wieder – an Fi denken ließ und ihre Entschlossenheit, das Haus an Leo und Harry zu vererben, und für einen Moment kam mir der Umstand, dass ich hier mit dem erklärten Ziel stand, ihnen das Haus unter den Füßen wegzureißen und zu verkaufen, als wissenschaftlich unmöglich vor, völlig losgelöst von der Realität. Irgendein karmisches Gesetz würde dem Einhalt gebieten: Niemand würde ein Angebot abgeben, egal, wie tief der Preis läge, und dann hätte ich getan, was Mike von mir verlangt hatte, ohne echten Schaden anzurichten. Er und Wendy würden aus meinem Leben verschwinden und das eines anderen armen Mistkerls zerstören.
Ja, genau.
Am Ende war es die unheimliche Vertrautheit der Interessenten, die mir am meisten missfiel: Die Frau, die gesellschaftliche Ambitionen hatte, der Ehemann, der vorsichtiger oder zumindest geschickter darin war, sein Bestreben zu verheimlichen. Er bildete sich vielleicht etwas auf sein Verhandlungs-Pokerface ein, genau wie ich vor all den Jahren. »Ich handle sie noch runter«, hatte ich Fi über das in Scheidung lebende Lehrerpärchen gesagt, und schon bald hatten wir, uns für siegreiche Helden haltend, mit Champagner gefeiert.
Nein, ich hätte vorgezogen, wenn es eine Millionärstochter aus Peking oder ein Lottogewinner aus Burnley gewesen wäre. Nicht Fi und ich in einem früheren Leben.