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Bram, Word-Dokument

Neues Jahr, neue Vereinbarungen, die es angesichts der Durchführung eines schweren Betrugs zu treffen galt.

Wendy und ich trafen unseren Anwalt zum ersten und letzten Mal am Freitag, dem sechsten Januar, um die Verträge zu unterschreiben, bevor sie an die Gegenpartei weitergeleitet wurden. Wir saßen nebeneinander an seinem Schreibtisch in dem kleinen, schäbigen Büro über einem Käseladen im Crystal Palace. Graham Jenson mit seinen wässrigen Augen und der niedergedrückten Körperhaltung machte den Anschein, als habe er seine Lebensmitte mit einem sehr viel grausameren Erleben von Niederlagen erfahren, als er es sich erhofft hatte, was meine eigene Stimmung zu einem unangenehmen Grad widerspiegelte. Unter anderen Umständen hätten wir uns vielleicht über ein paar Pint unsere Lebensgeschichten erzählt und um die Aufmerksamkeit seiner flotten Praktikantin Rachel gebuhlt.

Stattdessen legte ich zwei Pässe auf den Schreibtisch: meinen und Fis.

»Wir können von Glück reden, dass sie als Nachweis keinen Führerschein verlangen«, sagte Wendy in einem vielsagenden Flüstern zu mir. Ihre Finger huschen über den Tisch zu meinem Pass, und während sie ihn auf die Seite mit dem Foto umdreht, berührt sie meinen Arm, als erinnerte sie sich voll Zärtlichkeit an diese jüngere Version ihres Ehemanns. In ihrer Interpretation unseres perversen Rollenspiels waren wir nicht getrennt, sondern sehr wohl noch zusammen.

Was »ihr« Foto betraf, musste ich es nicht an ihr Gesicht halten, um zu wissen, dass sie genug getan hatte. Wenn auch deutlich weniger attraktiv und mindestens fünf Kilo schwerer als Fi, war ihre Gesichtsform ähnlich genug, um als sie durchzugehen. Sie hatten beide dunkle Augen und blonde Haare – Wendy hatte sich ihre gefärbt, um Fis gedeckteren Farbton nachzuahmen, und sich einen Pony schneiden lassen, um ihre dünneren, höher liegenden Augenbrauen zu verdecken. Fi hatte ein süßes spitzes Kinn, aber es war kein vorherrschendes Merkmal und nichts, was einem zufälligen Beobachter – etwa einem staatlich vereidigten Immobilienanwalt mit der Befugnis, Millionen von Pfund abzuwickeln – aufgefallen wäre. (Sie sollten Bluttests verbindlich vorschreiben, dachte ich, oder Fingerabdrücke.) In unserem Fall wurde nur der oberflächlichste Vergleich zwischen der Pass-Fi und der Fake-Fi angestellt, das Abheften von Fotokopien offensichtlich als Einhaltung der gebührenden Sorgfaltspflicht erachtet.

Ich steckte die Pässe wieder ein. Beide würden bei nächstbester Gelegenheit im Ordner in der Trinity Avenue landen.

»Na schön, ich schätze, wir haben es fast geschafft«, sagte Jenson zu uns. Der Papierkram war erledigt, sämtliche Rückfragen waren beantwortet, die vielen Überprüfungen der Verkäufer vonstattengegangen. Wendy überprüfte mehrmals die Angaben des Bankkontos, auf das die Restsumme bei Abschluss des Kaufvertrags überwiesen werden würde, sobald die Hypothek getilgt und die Maklergebühren und das Honorar des Anwalts automatisch abgeführt waren. (So wie ich die Betrugsmasche von meiner eigenen Recherche verstanden hatte, würde das Geld wenige Minuten auf einem in Großbritannien gemeldeten Konto bleiben, bevor es zu einer nicht zurückverfolgbaren Offshore-Bank überwiesen wurde.) Wir bestätigten, dass Challoner’s sich darum kümmern würde, den Energieversorger zu wechseln, wobei sie die strikte Anweisung hatten, dass sämtliche Endabrechnungen digital und, wie die übrige Korrespondenz, an »unseren gemeinsamen« geheimen E-Mail-Account geschickt werden sollte.

»Dann lassen Sie uns die Verträge unterschreiben«, sagte Jenson, und ich wusste, dass es nur meiner Einbildung geschuldet war, doch bei ihm klang es wie ein Todesurteil.

»Wie aufregend!«, sagte Wendy mit einem leichten Zittern des Frohlockens zu mir.

»Hmm.« Als ich Augenkontakt mit ihr aufnahm, stellte ich mir Fis Abscheu anstelle von Wendys gespielter Hingabe vor, die gesamte Zurücknahme jeglichen Vertrauensbonus, den ich womöglich noch bei ihr genossen hatte, das letzte Fünkchen Hochachtung für mich.

Mit meiner Unterschrift verhökere ich unser Haus! Hier und jetzt, in diesem Augenblick tue ich genau das.

Unvermittelt traf mich ein Moment der grotesken Wahrheit: Wie konnte ich jemals nur so kurzsichtig gewesen sein? Hätte ich mich sofort nach dem Silver-Road-Vorfall gestellt, wäre ich ins Gefängnis gekommen, aber das Verbrechen – und die Bestrafung – hätten zumindest an diesem Punkt geendet. Stattdessen war es immer größer geworden und hatte entsetzliche Auswüchse angenommen. Genau so funktionieren menschliche Katastrophen: Man fängt an, einen Fehler zu kaschieren, und endet schließlich hier, als Täter Hunderter weiterer Fehler. Um ein paar Jahre in einer Zelle zu vermeiden, opfert man sein ganzes Leben – zumindest solange man gewillt ist, diesen Mist von einem Dasein zu ertragen.

Hau ab , befahl ich mir. Hau ab, bevor du irgendetwas unterschreibst, vor dem Austausch der Verträge . Ich würde den gefälschten Ausweis nicht erhalten, der an den Verkaufsabschluss geknüpft war, aber es gab nichts, was mich davon abhielt, meinen richtigen zu benutzen oder irgendwo in Großbritannien unterzutauchen – immerhin war ich nicht auf Kaution auf freiem Fuß.

Tu es jetzt. Verschwinde!

Dann würde Mike sich aber an Leo und Harry rächen, oder? Könnte ich die Polizei vorwarnen? Sie irgendwie schützen lassen?

Nein, die Polizei hätte ein viel größeres Interesse an mir .

»Du bist dran mit unterschreiben, Babe.« Wendy zeigte auf die freie Stelle neben ihrer Unterschrift, eine beeindruckende Kopie von Fis, die sie im Lauf der vergangenen paar Wochen perfektioniert hatte. »Du zitterst ja«, fügte sie zärtlich hinzu. »Das sind wohl noch die Nachwirkungen der Grippe. Über Weihnachten und Silvester war er völlig ausgeknockt«, erklärte sie Jenson.

»Mir geht’s gut«, protestierte ich. Verrückt, in Anbetracht des Ausmaßes ihres Diebstahls, aber ich widersprach ebenso heftig dem Lügengespinst, mit dem sie eine Vertrautheit unseres Lebens als Pärchen heraufbeschwor.

Ich unterschrieb.

Das träge Auftreten und die Unzulänglichkeit unseres Rechtsvertreters zeigten sich deutlich in seinen gelangweilten Glückwünschen. »Ein bisschen zu früh, um darauf anzustoßen«, fügte er mit sichtlicher Betroffenheit an.

»Vielen Dank«, erwiderte Wendy und ahmte seinen nicht gerade überschwänglichen Tonfall nach. »Wir freuen uns darauf, von Ihnen zu hören, sobald die Verträge gegengezeichnet wurden.« Sie war sehr gut. Entspannt, höflich, aber irgendwie nichtssagend. Unscheinbar. Nicht die Frau, die an der Bar im Two Brewers meine Aufmerksamkeit erregt hatte.

»Kopf hoch«, munterte sie mich auf, als wir die Straße erreichten. »Hier, lass mich dir rasch einen Kuss geben, nur für den Fall, dass uns Wie-auch-immer-sein-Name-ist vom Fenster aus beobachtet. Auch wenn er das nicht tun wird. Er ist nicht gerade die hellste Leuchte auf der Torte, findest du nicht auch?«

»Das ist der Grund, weshalb Mike ihn ausgesucht hat«, murmelte ich. »Tu nicht so, als wüsstest du das nicht.«

»Es gibt keinen Grund, gleich so grantig zu sein«, erwiderte Wendy.

Kein Grund, grantig zu sein? Meinte diese Frau das ernst? Als sie den Kopf hob, um mich auf den Mund zu küssen, presste ich die Lippen zusammen. Der Verkehr bremste beim Umschalten der Ampel ab, der Nieselregen verwandelte das Dröhnen in eine Art ersticktes Seufzen.

»Spielverderber«, sagte sie. »Wenn ich jetzt deine Ehefrau bin, sollte ich wohl meine ehelichten Rechte einfordern, oder? Deine Wohnung ist doch nur einen Katzensprung von hier entfernt.«

»Wir haben gerade gemeinsam ein Haus gestohlen«, sagte ich erbittert. »Nicht geheiratet.« Flüchtig kehrten meine Gedanken zum Weihnachtsabend zurück.

Schubs die diebische Elster vor einen Bus , dachte ich. So, wie der Verkehr an der Ampel Gas gab und knapp neben uns am Bürgersteig vorbeipreschte, mit Fahrern, die blind hinter beschlagenen Windschutzscheiben saßen, und Fahrgästen, die stur auf ihre Handys starrten, wäre es ein Kinderspiel.

Na gut, dann würde ich eben für zwei Tote anstelle von einem angeklagt werden, aber was spielte das noch für eine Rolle?

Es gab ein letztes Treffen mit Mike, eine surreale Angelegenheit, die so freundschaftlich anfing, dass die Illusion von gemischten Gefühlen in mir aufstieg – als wären wir Partner, die ein Geschäft abwickelten, für das wir einmal beide gleichermaßen gebrannt hatten.

»Was ist mit Fi?«, fragte ich. »Sie sagten, Sie würden mit ihr wegfahren, aber sie hat noch nichts gesagt.«

»Alles unter Dach und Fach«, erwiderte er. »Ich bin von Mittwochnachmittag bis Freitagabend mit ihr unterwegs. Sobald das Geld da ist, spätestens am frühen Freitagnachmittag, wird Wendy Ihnen Ihren Krempel in die Wohnung bringen. Dann können Sie sich aus dem Staub machen.«

Ausnahmsweise einmal war Mikes saloppe Sprache tröstlich. »Krempel«, nicht »illegaler Pass und die Beweise der Erpressung«, die seit drei Monaten wie eine Schlinge über mir baumelten. »Sich aus dem Staub machen«, nicht »um mein Leben rennen«. Ich nahm an, Wendy und er würden sich am Freitagabend Richtung Dubai aus dem Staub machen, um ihren Gewinn zu verprassen, und sich gerade in Heathrow die Gurte anlegen, wenn Fi heimkam und Fremde in ihrem Zuhause vorfand, die nun dort wohnten.

»Wohin fahren Sie mit ihr?«

»Da muss ich einen Blick in die Kaffeekasse werfen«, sagte er, »mal sehen, was wir uns leisten können.«

Die Kaffeekasse, die ich bereitgestellt hatte.

Ich hatte längst meinen eigenen Topf aufgemacht und den Rest meiner Ersparnisse eingezahlt. Von jetzt bis zu meinem letzten Tag würde ich jeden Penny von meinem eigenen Konto abheben, minus dem Anteil, der am Ende des Monats auf unser gemeinsames Sparkonto überwiesen wurde. Das gemeinsame Konto würde ich nicht anrühren – offensichtlich keine noble Geste angesichts dessen, was ich mir tatsächlich nehmen würde, aber dennoch eine Geste, so unbedeutend, wie sie auch sein mochte.

»Und ist für Donnerstag«, fragte Mike, »alles vorbereitet, damit Sie sich den Tag Arbeit freinehmen und das Haus ausräumen können?«

»Ja. Aber wir müssen damit rechnen, dass Fi eine Textnachricht von Nachbarn bekommt, die sie vorwarnen, dass hier etwas im Gange ist. Ich werde es gewiss nicht schaffen, ein riesiges Haus zu leeren, ohne dass es jemandem auffällt.«

»Guter Einwand. Binden Sie einfach allen neugierigen Nachbarn auf die Nase, dass Sie sie mit einer Renovierung überraschen wollen, und falls sie mit ihr sprechen, sollen sie die Klappe halten. Könnte das funktionieren?«

Ja, das könnte klappen. Diejenigen in der Straße, die von der Trennung wussten, wussten auch, dass wir einen freundschaftlichen Umgang pflegten. Sie wussten auch, dass ich der schuldige Part war – es wäre also kein allzu ungewöhnlicher Schritt von mir, den Versuch zu wagen, sie mit einer großen symbolischen Geste zurückzugewinnen. »Was, wenn Fi sich so kurzfristig nicht freinehmen kann, so bald nach Weihnachten?«

»Dann werde ich sie überreden, einfach blauzumachen. Sollte kein Problem sein.«

Ich versteifte mich. Er war auf so widerliche Art überzeugt von seinen Überredungskünsten, dass er mir mein Haus stehlen und gleichzeitig meine Frau ablenken konnte, indem er mit ihr in einem Hotel abstieg und mit ihr vögelte.

»Oh, Bram«, sagte er, als er meine niedergeschlagene Stimmung spürte und noch genüsslich darauf herumtrampelte. »Wer hätte gedacht, dass Sie als derselbe Loser wie Ihr Vater enden würden?«

Mit einem Mal war jegliche Illusion von Kameradschaft wie weggeblasen, und ich packte ihn am Kragen, meine Fingerknöchel an seiner Kehle. Wäre ich der Stärkere gewesen, dann hätte ich seinen Kopf in die Hände genommen und ihn gegen die Wand geschlagen. Aber das war ich nicht, und er hielt mich am ausgestreckten Arm, bis ich losließ und taumelnd zurückwich. »Warum haben Sie die Liste beim Haus eingeworfen?«, zischte ich.

»Was? Sie war doch an Sie adressiert, oder?«

»Dachten Sie, Fi würde das nicht mitbekommen? Natürlich weiß sie davon – sie weiß alles über mich.«

»Nicht alles, Bram. Nicht die Vorstrafe wegen Körperverletzung, hm? Und nicht das von uns . Das hoffe ich zumindest.« Er gluckste, ehrlich amüsiert. Er war ein mieses Schwein, durch und durch. Fast so grausam wie das, was er gerade tat, war die Einsicht, dass nichts von alledem, kein einziger Penny vom Haus, kein einziger Moment mit Fi persönlicher Natur war.

Es hätte jeder sein können.

»Fionas Geschichte« > 02:38:27

Neues Jahr, neues Level bei Toby. Er lud mich für ein paar Tage in ein schickes Hotel in Winchester ein. Den Ausdruck »romantischer Kurzurlaub« werde ich nicht benutzen, nicht heute. Ich weiß, der Zug ist längst abgefahren, dass ich mir irgendetwas auf meine Menschenkenntnis einbilden könnte. Lassen Sie mich wenigstens anfügen, dass ich nicht überstürzt zugesagt habe. Ich hatte Zweifel: Unsere regelmäßigen Samstage waren das Eine, aber zwei Nächte fort von zu Hause etwas Anderes. Ich wandte mich sogar an Polly um Rat, denn ich baute unbewusst darauf, dass sie es mir ausreden würde.

»Fahr«, sagte sie. »Ist doch nichts dabei.«

»Auf einmal schlägst du einen anderen Ton an?«, fragte ich.

»Es ist nur ein Urlaub! Ich an deiner Stelle würde ihn gut nutzen.«

»Ihn nutzen?«

»Ja. Um die Wahrheit herauszufinden. Schau in seinem Geldbeutel nach, in seinem Handy.«

»Wonach, Polly?«

»Nach Fotos seiner Ehefrau, Fi.«

Ich stöhnte. »Vielleicht sollte ich mich auch verkabeln lassen?«

»Du kannst doch nichts verlieren. Wenn du herausfindest, dass er nicht verheiratet ist, toll. Wenn du herausfindest, dass er es ist – und ich meine, wirklich mit ihr zusammenlebt, kein Nestmodell oder irgendein neumodischer Schnickschnack – nun, dann ist es doch besser, es zu wissen.«

»Vielleicht solltest du an meiner Stelle fahren.« Ich lachte.

Später erinnerte sie mich an meine Worte. »Bram hätte das alles nie tun können, wenn du die ganze Zeit über im Haus gewesen wärst«, sagte sie. »Er hat die Sorgerechtsregelung gegen dich verwendet.«

»Im Nachhinein ist man immer schlauer«, erwiderte ich.

War ich gerade dabei, mich in Toby zu verlieben? Ich glaube nicht, nein. Oh, keine Ahnung. Vielleicht ein bisschen, während des kleinen Miniurlaubs. Aber was spielt das schon für eine Rolle? Abgesehen davon, mit Ihnen über ihn zu reden, habe ich mein Bestes gegeben, nicht mehr an ihn zu denken.

Was die Arbeit betraf, war das Timing perfekt, insofern, dass eine Präsentation, an der ich mit Clara arbeitete, an unser Designbüro geschickt werden musste, und da das Feedback Anfang der folgenden Woche zu erwarten war, gab es für mich eine natürliche Pause.

»Ich müsste mich um die Betreuung der Jungs kümmern«, sagte ich zu Toby. »Sonst kann ich nicht mitkommen.«

»Dein Ex könnte einspringen, oder? So wie ich das sehe, hat er seine anfängliche Ablehnung uns gegenüber aufgegeben.«

»So könnte man es auch sagen.«

Selbst wenn Bram keine Zeit hätte, wusste ich, dass eine der Großmütter oder Nachbarinnen einspringen würde, doch er stimmte anstandslos zu, überglücklich, der Familie den Vorrang vor der Arbeit zu geben, und jedes noch so kleine Detail ihrer Betreuung zu übernehmen. Trotzdem fragte ich bei Alison an, nur für alle Fälle.

»Du hast mir gar nicht erzählt, wie Weihnachten lief«, sagte sie, als ich kurz auf einen Kaffee bei ihr vorbeischaute. »Mit Bram.«

»Es war schön. Um ehrlich zu sein, versuche ich immer noch zu vergessen, wie schön es war.«

»Alles klar. Aber sonst hat sich nichts geändert?«

Ich zögerte, während ich den glänzenden Stein ihrer Kücheninsel bewunderte, die erlesenen Rosen in der bauchigen Vase, die ich vor vielen Jahren aus unserer recycelten Keramiklinie ausgewählt hatte.

Sie stieß ein reumütiges Seufzen aus und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das blonde Haar, das wie meines mit Strähnchen durchzogen war, um das Grau zu vertuschen. »Ich sage nicht, dass ich mir Hoffnungen gemacht habe, aber, du weißt schon, als ihr nach dem Weihnachtskonzert zusammen bei Kirsty aufgetaucht seid …«

»Ich weiß. Wie in alten Zeiten.« Ich blickte auf. »Aber nein, es hat sich nichts geändert. Es ist zu spät.«

Wir verfielen in Schweigen, fast ein stilles Gedenken.

Apropos, wo ich schon vom Verlieben spreche, es ist fast so schwer, genau zu bestimmen, wann man sich entliebt hat, nicht wahr? Ich bin der festen Überzeugung: Nur weil das passiert, gibt es einem nicht das Recht, zu bestreiten, dass die Liebe jemals da war.

Ich mag vieles sein, aber ich bin keine Revisionistin.

#OpferFiona

@DY eagernews: Wie wahr! Allmählich fange ich an zu hoffen, dass die beiden wieder zusammenkommen … #Bram&Fi

@crime_addict @DY eagernews: Das ist nicht Ihr Ernst, oder? Sie sind ja genauso schlimm wie sie!

Bram, Word-Dokument

Der Anwalt teilte uns in einer E-Mail mit, dass die Verträge ausgetauscht waren. Die zehnprozentige Anzahlung der Käufer – zweihunderttausend Pfund, eine Summe, bei der mir die Medikamente halfen, sie mir in Pokédollars vorzustellen – war eingetroffen, und die abschließenden Unterlagen waren an ihre Anwältin geschickt worden. Der Abschluss war auf den folgenden Freitag, den dreizehnten Januar, festgelegt worden (es war viel zu spät, um auf das schlechte Omen dieses Datums hinzuweisen), das Guthaben – minus der Hypothekenschuld, den Gebühren des Maklers, den Anwaltskosten und anderen Auslagen – war pünktlich um ein Uhr mittags zu erwarten. Fast eine Million sechshunderttausend Pfund.

Am Samstag, dem siebten Januar, traf Rav die Vaughans für eine letzte Begutachtung am Haus, doch ich entschied mich, nicht anwesend zu sein, sondern brachte die Jungs gleich nach dem Schwimmunterricht zum Mittagessen zum Pizza Express.

»Es ist nicht real«, war mein neues Mantra.

Am nächsten Tag, meinem allerletzten Sonntagmorgen im Haus, trat Sophie Reece genau in dem Moment an den Gartenzaun, als ich die Jungs nach einer Radtour im Park zurück ins Haus scheuchte.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich und kam einen Schritt auf sie zu.

»Ja, alles gut. Außer dass ich gestern fast die Polizei gerufen hätte!«

Warum zum Teufel das denn?

»Warum?«

»Da standen ein paar Leute direkt vor eurem Fenster, und ich wusste, dass ihr beim Schwimmen seid. Sie sahen völlig normal aus, aber Einbrecher sind heutzutage so verschlagen, nicht wahr? Haben Werkzeug dabei, als würden sie Installationsarbeiten durchführen, oder geben vor, wegen dem Ausmessen der Vorhänge zu kommen, solches Zeug.«

Ich lächelte sie an. »Das muss mein Freund Rav gewesen sein. Er ist Raumausstatter. Nächste Woche wird er ein paar Arbeiten für mich erledigen, also wirst du vielleicht auch einen Teil seines Teams zu Gesicht bekommen. Er war mit ein paar Klienten hier, um mit ihnen seine Pläne durchzugehen.«

»Ah, alles klar. Wie gut, dass ich es dann sein gelassen habe. Es heißt immer nur, man könne nicht vorsichtig genug sein, aber im Grunde kann man es schon, nicht wahr? Er ist ziemlich gut gekleidet für einen Raumausstatter«, fügte sie hinzu.

»Ja, nicht wahr?« Jahrzehnte im Vertrieb hatten mich gelehrt, dass es keinen effizienteren Weg gab, ungewollte Nachfragen im Keim zu ersticken, als einfach zuzustimmen. »Er ist mehr eine Art Designer – die eigenen Hände macht er sich nicht mehr schmutzig. Apropos, es sollte eine Überraschung für Fi werden, ich wäre dir also wirklich dankbar, wenn …«

Sie riss die Augen auf, wie es Frauen häufig tun, wenn ihnen ein Geheimnis anvertraut wird. »Oh! Natürlich. Ich habe sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Du weißt, wie das ist.«

»Jeder ist so schrecklich beschäftigt«, stimmte ich ihr zu.

Jetzt musste ich nichts mehr weiter tun, als den Lagerraum zu mieten, den Umzugsservice zu bestellen und die Habseligkeiten eines ganzen Lebens zu packen, ohne dass meine Familienmitglieder oder Arbeitskollegen davon Wind bekamen.

Obwohl ich so diskret wie möglich vorging, hörte Neil zufällig mit, wie ich einen Anruf annahm, und drückte sich an meinem Schreibtisch herum, bis ich auflegte. »Was ist los? Du ziehst doch nicht etwa um, oder?«

»Nein, nein, ich helfe nur meiner Mutter. Sie will ein paar Sachen einlagern.«

Würde die Polizei ihn vielleicht befragen, überlegte ich mir, und herausfinden, dass es keine derartige Vereinbarung gegeben hatte? Es spielte keine Rolle. Er könnte ihnen erzählen, was auch immer er gehört hatte, Wort für Wort. Zu dem Zeitpunkt wäre ich längst über alle Berge.

»Genauso gut könnte sie es gleich wegwerfen«, sagte er. »Ich weiß, das hört sich hart an, aber anscheinend macht sich der Großteil der Menschen, die Zeug einlagern, nicht die Mühe, es jemals wieder abzuholen. Ich bin überrascht, dass sie es nicht spendet, als gute Christin, die sie ist.«

»Es ist nur Schnickschnack«, erwiderte ich vage. »Niemand würde das haben wollen.«

»Ist das der Grund, warum du dir Donnerstag und Freitag freinimmst?«

»Teilweise.«

Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Aber sonst ist alles gut? Ich meine, gesundheitlich.«

»Ja, alles in Ordnung. Abgesehen von der Wahnvorstellung vom ewigen Leben, natürlich.«

»Nicht sie, du Idiot. Du . Und ich meine nicht dein mysteriöses Virus.«

Was er meinte, war wohl der Alkohol. Meine hängenden Wangen und blutunterlaufenen Augen, die nachmittägliche Bierfahne. »Nein, mir geht’s schon viel besser«, sagte ich.

Er hatte ein wachsames Auge auf mich – so viel war offensichtlich –, und nicht nur als profitgieriger Verkaufsleiter, sondern auch als Freund. Der Umstand, dass ich ihn in beiden Bereichen enttäuschen würde, war aus irgendeinem Grund schlimmer, weil ich wusste, dass er es mir nicht nachtragen würde. Vielleicht fände er sogar einen Weg, mir zu verzeihen.