Mit den Renovierungsarbeiten am Fischerfleck flogen die Wochen geradezu dahin. Wie besprochen, überredete Niklas ihre Cousine Lena mitzuhelfen. Sie zeigte sich hocherfreut, dem heimischen Hof für eine Weile zu entkommen und etwas anderes machen zu können, als Traktor zu fahren und Apartments zu vermieten. Und Freya genoss es, die Cousine besser kennenzulernen. Auch Tobias verbrachte seine freien Tage im Fischerfleck . Er nahm das Abschleifen des Holzbodens in der Restaurantstube in Angriff und stellte sich dabei geschickt an.
»Ich finde ja nichts unattraktiver als Kerle, die nicht mal einen Nagel in die Wand schlagen können«, erklärte Lena.
»Puh, da haben Niklas und ich ja Glück, dass wir handwerklich nicht ganz ungeschickt sind.«
»Ja, ihr seid gut zu brauchen.«
Freya brachte Getränke. »Ich stelle sie draußen auf einen Tisch. Hier drinnen ist es viel zu staubig. Und ich finde auch, dass ihr einen super Job macht.«
»Nur dumm, dass ich morgen wieder nach München muss. Wo es gerade so gut läuft.«
»Zeig mir doch, wie das geht, dann mache ich weiter, wenn du wegmusst.« Freya drückte Lena das Tablett in die Hand und sah Tobias erwartungsvoll an.
»Okay.« Er gab ihr einen Staubmundschutz. »Den brauchst du gleich. Und einen Gehörschutz solltest du auf jeden Fall auch aufsetzen, das Ding ist höllisch laut. Also, hier ist Schleifpapier zum Wechseln. Das wird auf diese Walze geschoben. Der meiste Staub wird zwar in den Beutel gesaugt, aber es ist trotzdem eine Sauerei. Wenn du loslegst, muss die Schleifwalze oben sein, dann senkst du sie langsam mit diesem Hebel ab, und sobald du stehen bleiben möchtest, hebst du sie wieder an. Also vorher. Siehst du?«
»Nie anhalten, während die Walze unten ist?«
»Genau. Das wäre ungünstig.« Er hob vielsagend die Augenbrauen. »Mal probieren?«
»Klar.« Freya setzte den Gehörschutz auf, und Tobias stellte die Maschine an. Obwohl sie sehr schwer war, ließ sie sich relativ leicht schieben, und auch das mit der Schleifwalze hatte Freya gut im Griff. Doch dann kam Freya dem gegenüberliegenden Ende des Raums immer näher. Sollte sie eine Kurve fahren? Oder lieber stehen bleiben und wenden? Wie nahe durfte sie überhaupt der Wand kommen? Die näherte sich jetzt überraschend schnell, und Freya war überfordert. Zum Glück kam Tobias ihr zu Hilfe. Er legte seine Hände auf ihre, hob mit dem Hebel die Walze hoch und brachte das laute Gerät zum Stehen.
»Gott sei Dank!«, stieß Freya aus. »Ich habe schon befürchtet, ich krache in die Wand rein.«
Er deutete auf den Gehörschutz. »Den kannst du jetzt abnehmen. Und die Atemmaske auch. Dann musst du nicht so schreien.«
»Stimmt. Und besser atmen kann ich auch.« Sie lachte erleichtert, weil sie keinen Schaden angerichtet hatte.
»Haben wir uns die Limonade verdient?«
»Unbedingt. Komm, lass uns rausgehen.«
Freya leerte ihr Glas durstig in einem Zug. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte ein zufriedenes Stöhnen von sich gegeben, weil die kühle Zitronenlimonade so herrlich schmeckte.
»Du hast dich verändert, seit du hier bist«, sagte Tobias leise und unvermittelt.
»Wie meinst du das?«
»Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, stand dir die Anspannung förmlich ins Gesicht geschrieben. Es war offensichtlich, wie unwohl du dich hier gefühlt hast. Jetzt bist du viel entspannter und wirkst fröhlicher.«
Tatsächlich? Es war Freya nicht bewusst gewesen, dass Tobias sie einer derart genauen Analyse unterzogen hatte.
»Na ja, natürlich stand ich ziemlich unter Druck wegen des Testaments. Es ist eine Erleichterung, dass wir eine Entscheidung getroffen haben und ich mich jetzt in meine neue Aufgabe stürzen kann. Wenn ich nun noch …« Freya verstummte und sah an Tobias vorbei in die Ferne.
»Was?«
»Ach nichts. Alte Geister aus der Vergangenheit, die ausgetrieben werden wollen.« Mehr sagte Freya nicht, als sie sich Tobias wieder zuwandte, aber sie hätte schwören können, er wusste genau, was sie meinte. Ein Anflug von Betroffenheit stahl sich in seine schokoladenbraunen Augen, dennoch ließ er den Blick nicht von ihr.
»Du hast Staub auf deiner rechten Augenbraue«, murmelte sie und wischte vorsichtig mit dem Finger darüber. Er hielt ganz still.
»Besser.« Freya freute sich, als er ihr Lächeln erwiderte.
Wie viel Zeit, in der sie einander einfach nur angesehen hatten, war vergangen, als die Stimme ihres Bruders ertönte?
»Ist noch Limonade übrig?« Niklas tauchte mit zwei Eimern Hartwachs auf, die er neben sich abstellte. »Das ist für den Boden im Restaurant.« Dankbar nahm er das Glas entgegen, das Freya ihm reichte. Dann sah er zwischen den beiden hin und her. »Was ist los? Stimmt was nicht? Habt ihr Stress?«
»Nein!«, riefen Freya und Tobias wie aus einem Mund.
»Ich trage das Wachs schon mal rein«, sagte Tobias. »Aber Freya, es reicht wirklich, wenn du den restlichen Boden abschleifst. Ich komme ja schon übermorgen wieder und kann dann das Wachs auftragen.«
»Dabei kann ich dir helfen.«
»Gern.«
Freya blickte Tobias hinterher, als er wieder ins Haus ging.
»Sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte Niklas. »Es ist mir echt wichtig, dass ihr euch gut versteht. Wo wir doch so eng zusammenarbeiten werden, ist eine gute Stimmung im Team das A und O.«
Zustimmend machte Freya »Hm, hm.« Zwischen ihr und Tobias würde es keine Streitigkeiten geben.
Der überdurchschnittlich schöne April ging über in den Mai, und die Eisheiligen sparten nicht mit frostigem Wetter. Besonders die Kalte Sophie am Fünfzehnten brachte noch mal ein höchst unerwünschtes Schneegestöber. Nach einer milderen Verschnaufpause setzte Anfang Juni die Schafskälte ein und Freya fragte sich langsam, ob das Klima in Bayern tatsächlich so viel angenehmer war, als das in Schweden. Oder hatte sie das möglicherweise falsch in Erinnerung?
Das Abschmirgeln von Holz nahm kein Ende. Nach dem Fußboden kamen die Möbel dran, und davon gab es reichlich. Gemeinsam mit Lena schleifte Freya im Schuppen neben dem Haus unzählige Tische und Stühle für drinnen und draußen ab. Anschließend versiegelten sie die aufgearbeiteten Oberflächen. Einstimmig hatten sie dafür plädiert, die Einrichtung des Restaurants nicht farbig zu streichen, sondern die schönen Holzoberflächen natürlich zu belassen. Im Gastgarten hingegen würde es strahlend weiße Tische und Stühle geben, die einen frischen Kontrast zum türkisblauen Seewasser bieten würden. Es war eine Wahnsinnsarbeit. Dazu regnete es hartnäckig, aber im Schuppen duftete es wunderbar nach Holz, Öl und Bienenwachs. Niklas hatte extra für Lena und Freya einen Heizlüfter aufgestellt.
»Mir selber würde ja warme Kleidung reichen«, betonte er, »aber ich weiß, wie verfroren ihr seid.«
»Also, wenn ich bei Stuhl Nummer dreitausendacht auch noch kalte Finger habe, kann ich morgen nicht wiederkommen.«
»Gottchen, Lena, das darf nicht sein. Soll ich dir vielleicht einen heißen Tee bringen?« Niklas und seine Cousine neckten einander unaufhörlich.
»Kannst du gerne machen. Oder du bepinselst Stuhl dreitausendneun.«
Mit Geschnatter und Musik aus dem Radio ging es gut voran.
Freya erfuhr, dass Lena tatsächlich seinerzeit ihr Auslandsjahr angetreten hatte.
»Allerdings waren wir kein volles Jahr unterwegs, nur sieben Monate. Dann ist uns das Geld ausgegangen, und wir mussten heimfahren. Aber es hat gereicht.«
»Wie meinst du das?«
»Es hat gereicht, um mich die Heimat wieder schätzen zu lassen. Nach der Schule wollte ich unbedingt in die Welt hinaus. Walchensee kam mir vor, wie der hinterwäldlerischste Ort, den es gibt. Die Leute, die Traditionen. Von der Volksmusik über den Schweinsbraten bis hin zum Trachtenverein fand ich alles nur noch doof.«
»Du warst eben schon immer eine kleine Rebellin«, warf Niklas ein.
»Es kann nicht jeder ein passionierter Fischer sein, der noch nie woanders hinwollte«, gab Lena zurück. »Außerdem bin ich schließlich auch zur Vernunft gekommen und habe erkannt, dass die Welt zwar spannend, aber nirgendwo schöner ist als hier.«
Ein wenig beneidete Freya die beiden um ihre Heimatliebe. Sie schien absolut unerschütterlich zu sein, ein Teil von Lenas und Niklas’ Persönlichkeit. Und auch bei Tobias verhielt es sich nicht anders. Einen Spitzenjob aufzugeben, um daheim am See zu arbeiten, das zeugte von ausgeprägter Liebe zur Heimat. Würde sie selbst eines Tages auch so empfinden? Sie wusste, dass das nur gehen würde, wenn sie sich gestattete, endlich Wurzeln zu schlagen.
Die finanziellen Reserven gingen zur Neige. Freya kontaktierte eine Freundin in Stockholm, die einen Teil von Freyas persönlichen Sachen aus ihrer Wohnung holte und bei sich im Keller unterstellte. Sie würde die Wohnung jetzt erst einmal untervermieten, das brachte auch ein wenig Geld, und ein Mieter war rasch gefunden. Zusätzlich nahm Freya einen neuen Übersetzungsauftrag an. Mit den Renovierungsarbeiten war sie eigentlich vollkommen ausgelastet und jeden Abend todmüde, aber wenn sie wenigstens ein paar Stunden am Tag am Text arbeitete, würde das helfen. Neue Anschaffungen waren allerdings nicht drin. Für Baustoffe und Materialien ging das ganze Geld drauf.
Lena brachte mit dem Anhänger Europaletten, die ursprünglich auf dem elterlichen Hof hatten zu Brennholz zersägt werden sollen. Daraus fertigte Niklas eine Loungeecke samt Outdoorbar, die sie mit Blick zum See aufstellen würden. Noch mehr schleifen, schmirgeln und streichen, aber als endlich die türkisenen Kissen, die Tante Gabi, die Frau von Onkel Georg, extra für sie genäht hatte, auf den neuen Sitzmöbeln lagen, sah das wunderbar sommerlich-kuschelig aus. Die Arbeit hatte sich absolut gelohnt. Der Fischerfleck sollte entspannt, individuell und gleichzeitig angesagt wirken – und das tat er!
Die To-do-Liste schrumpfte, der Eröffnungstermin rückte näher. Aber vorher stand noch Tobias’ Abschiedsfeier in München an, zu dem die Sieberts eingeladen waren. Und endlich wurde auch das Wetter sommerlich warm.
»Ist ewig her, seit ich zuletzt in der Stadt war«, sagte Lena vom Rücksitz aus. Niklas saß am Steuer des alten Kombis, mit dem er sonst seine Fische ausfuhr. Weil er vergessen hatte, ein nasses Netz aus dem Kofferraum zu nehmen, müffelte es im Wagen entsprechend, worüber sich seine Mitfahrerinnen bereits mehrfach beschwert hatten. Was würde das für einen Eindruck machen, wenn sie hübsch zurechtgemacht im feinen Lokal erscheinen und dabei nach Fisch stanken?
»Das ist doch wirklich unglaublich nett, dass Tobias’ Chef eine Abschiedssause für ihn schmeißt!«
Freya drehte sich zu ihrer Cousine um. »Die beiden verstehen sich offenbar wirklich sehr gut. Aber wahrscheinlich ist er in erster Linie erleichtert, dass Tobias keinen Gourmettempel in direkter Nachbarschaft eröffnet, sondern raus an den Walchensee zieht. Keine Konkurrenz.«
»Ach, du bist so was von realistisch.«
»Klar. Ich freue mich einfach, dass die beiden im Guten auseinandergehen und noch mehr, dass das gefeiert wird.«
Das Fest fand im Restaurant und in dem dazugehörigen Außenbereich statt. Der war ein von einer hohen Mauer umgebener, typischer Münchner Innenhof, der mit Oleanderbüschen und Zitrusbäumchen mediterran dekoriert war. Es gab reichlich zu trinken, dazu Fingerfood, das, wie zu erwarten war, umwerfend schmeckte.
Der Restaurantbesitzer, ein bekannter Fernsehkoch, dankte Tobias in einer herzlichen Rede für seine Arbeit und sein Engagement und schloss mit den Worten: »Natürlich kommen wir alle raus an den See, sobald der Fischerfleck aufsperrt. Nachdem du uns seit Wochen davon vorschwärmst, wollen wir auch wissen, ob euer Räucherfisch tatsächlich zarter ist als unserer.«
Tobias sprach ebenfalls ein paar Worte. Er machte dabei einen entspannten, selbstsicheren Eindruck. Freya hatte ihn bisher eher zurückhaltend erlebt und fand diese neuen Facetten an ihm reizvoll. Dabei stellte er sein Können überhaupt nicht prahlerisch zur Schau, was sie noch mehr beeindruckte und für ihn einnahm. Später legte ein Kellner, der nebenher in einem Schwabinger Club als DJ arbeitete, Musik auf.
Freya beobachtete, wie Lena mit einem Glas in der Hand auf Tobias zutänzelte und mit ihm anstieß. Dabei sah sie ihm tief in die Augen.
»Sie flirtet eben gern. Schon immer«, meinte Niklas lakonisch, der Freyas Blick gefolgt war.
»Das stößt bei den Männern sicher nicht auf Ablehnung. Lena sieht ja auch echt super aus.«
»Beschwert hat sich noch keiner. Aber wenn’s drauf ankommt, kneift sie meistens. Unsere Cousine tut sich mit dem Verlieben ein wenig schwer, glaub ich. Das liegt wohl in der Familie.«
Neugierig musterte Freya ihren Bruder. »Ach ja? Sprichst du aus Erfahrung?« Sie überlegte. »Ich kann mich tatsächlich auch nur an ein einziges Mal erinnern, wo du bis über beide Ohren verliebt warst. Zumindest hast du mir nur einmal in einem Brief davon geschrieben. Und das ist schon eine Ewigkeit her …«
»… und hat in einem Fiasko geendet. Ich rede nicht gern drüber«, fiel Niklas ihr ins Wort. Damit war das Thema beendet. Freya überlegte, wie das Mädchen geheißen hatte, aber der Name wollte ihr nicht einfallen. Was sie gut in Erinnerung hatte, war Niklas’ Liebeskummer, den er ihr in einem herzzerreißend traurigen Brief gestanden hatte.
Tobias kam, gefolgt von Lena, zu ihnen.
»Schön, dass ihr da seid.«
»Natürlich. Wir sind doch ein Team. Außerdem lasse ich mir diese stinkvornehmen Häppchen nicht entgehen«, sagte Niklas.
Die Musik wurde lauter, und einige Gäste begannen zu tanzen.
»So stelle ich mir das bei uns am Seeufer auch vor. Guter Sound, entspannte Stimmung und cooles Publikum. Wirst sehen, das kriegen wir hin.« Tobias legte seinen Arm um Niklas’ Schultern und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen.
»Wollen wir tanzen?«, rief Lena über die Musik hinweg, und Niklas nickte.
»Macht ihr ruhig. Ich würde Freya gern kurz die Küche hier zeigen, damit sie weiß, was ich mir für den Fischerfleck vorstelle.«
Dankbar folgte Freya Tobias. »Hast du mir angesehen, dass ich gerade überhaupt keine Lust auf Tanzen habe?«
»Dein Gesichtsausdruck war zumindest nicht ganz so begeistert wie der deines Bruders. Niklas macht zwar gern einen auf einsamer Wolf, aber wenn er in Feierstimmung ist, ist er nicht zu bremsen. Ich bin davon überzeugt, dass er sich wahnsinnig schnell mit dem neuen Style des Fischerflecks identifizieren wird. Auch wenn er sich jetzt noch etwas sträubt.« Tobias lächelte schelmisch. »Schau mal, hier werden Männerträume wahr. Zumindest meine.« Mit ausgestreckten Armen drehte er sich langsam um die eigene Achse und deutete auf zwei riesige Arbeitsflächen zu beiden Seiten.
In der großen Restaurantküche spiegelten sich die Tageslichtlampen auf den polierten Edelstahloberflächen. Alles war blitzsauber, der Boden geschrubbt und die Geräte vom Feinsten. An einer magnetischen Metallleiste entlang der Wand hingen japanische Messer jeglicher Größe. Wahrscheinlich kosteten allein die ein kleines Vermögen.
»Wahrhaftig, der Traum eines jeden Küchenchefs. Bis wir dir daheim so was hinstellen können, wird es ein, zwei Jahre dauern, Tobias. Ich hoffe, das ist dir klar.« Freyas Stimme klang neckend.
»Ach, wenn wir uns ranhalten, schaffen wir das pünktlich zum nächsten Sommer. Ganz bestimmt. Das neue Konzept wird einschlagen wie eine Bombe. Da bin ich mir absolut sicher.« Er stellte sein Glas auf die Arbeitsfläche und nahm auch Freya das ihre ab. »Bis dahin gibt es das ein oder andere, was mich die Uraltküche tolerieren lässt.«
Er machte einen Schritt auf Freya zu. Beim Anblick seiner dunklen Augen wurde ihr ganz warm. Hatte sie zu viel getrunken?
»Die schöne Landschaft?«
»Zum Beispiel.« Tobias kam noch näher, seine Stimme klang tief und weich. Es musste am Champagner liegen, dass Freyas Herz plötzlich schneller schlug.
»Vielleicht auch die Freizeitmöglichkeiten?«
»An denen könnte man arbeiten.« Jetzt stand er ganz dicht vor ihr. Waren seine Augen oder seine Lippen anziehender? Sie ertappte sich dabei, wie sie ihr Gesicht dem seinen entgegenhob.
»Stör ich? Niklas meint, wir sollten uns langsam auf den Heimweg machen. Er muss morgen früh raus.« Jäh zerstörte Lenas Stimme den Zauber des Augenblicks. Schnell machte Freya einen Schritt zurück. Auch Tobias trat zur Seite und warf Freya dabei einen Blick zu, in dem unverhohlenes Bedauern lag.
Später im Auto, als sie auf dunklen Landstraßen in Richtung Walchensee fuhren, fragte sich Freya, wie um Himmels willen es dazu hatte kommen können, dass Tobias sie in der Küche fast geküsst hätte. Einfach so! Und schlimmer noch, sie hatte seinen Kuss regelrecht herbeigesehnt. Das ging überhaupt nicht und konnte nur an der feuchtfröhlichen Feierlaune gelegen haben. Tobias war Niklas’ bester Freund und ihrer beider Geschäftspartner, mit dem sie auf lange Sicht zusammenarbeiten würden. Da durften ihnen keine Gefühle in die Quere kommen. Jedenfalls nicht solche. Ganz sicher war die plötzliche Unvernunft dem Augenblick geschuldet gewesen. Und dem Alkohol.
Freya lehnte den Kopf gegen die kühle Fensterscheibe des Wagens und tat, als würde sie schlafen.
Am darauffolgenden Tag kletterten die Temperaturen bis auf dreißig Grad. Freya hatte mit Jonas Hirschberg vereinbart, auf den See zu paddeln, falls das Wetter gut genug wäre. Schon mehrmals hatte er sie zu einem Paddleboard-Ausflug eingeladen, und immer hatte sie abgelehnt und ihn vertröstet. Nun gab es keine Ausreden mehr. Auch gut. Jonas würde ihre gesamte Aufmerksamkeit fordern und so jeden Gedanken an Tobias aus Freyas Kopf vertreiben.
Über ihren schwarzen Badeanzug zog Freya Shorts und ein T-Shirt. Sie suchte nach ihrem Sonnenhut, fand aber nur ein altes Basecap von Niklas, auf dem das Logo eines Fischfutterherstellers prangte. Alles besser, als einen Sonnenstich zu bekommen.
Sie starteten nicht vom öffentlichen Badestrand am Surfcenter, weil Jonas fand, dort herrsche zu viel Betrieb. Stattdessen fuhren sie nach Urfeld, ans nördliche Ende des Sees, wo die bewaldeten Hänge bis unmittelbar ans Wasser herunterreichten. Ein schmaler Bergrücken zwischen Jochberg und Herzogstand, über den die gewundene Kesselbergstraße führte, trennte hier den Walchensee vom Kochelsee. Gleich in der Nähe durchzogen die Druckstollen des Walchenseekraftwerks den Berg. Das Kraftwerk selbst lag zweihundert Meter tiefer am Kochelsee.
»Wusstest du, dass es schon seit 1924 in Betrieb ist und inzwischen zu einem Industriedenkmal erklärt wurde?«, fragte Jonas und bog dabei in eine nur für Anwohner freigegebene Straße ab. »Es gilt auch heute noch als technische Meisterleistung und sieht dazu bemerkenswert schön aus. Du solltest dir mal das Besucherzentrum dort anschauen, das ist wirklich interessant. Ich mache gern einen Ausflug mit dir rüber nach Kochel. Dann könnten wir auch ins Franz-Marc-Museum gehen. Der war ein berühmter Maler und Mitbegründer des Blauen Reiters. «
»Jonas, nett, dass du mir das alles erzählst, aber das ist nichts Neues für mich. Ich mache hier nicht Urlaub, sondern bin hier geboren – wenn auch nicht wirklich aufgewachsen.« Sie zeigte zurück in Richtung der Hauptstraße, von der sie abgefahren waren und an der sich das Walchensee-Museum befand. »Und ob du’s glaubst oder nicht, ich kenne mich ein wenig aus in unserer Gegend und war auch schon in unserem kleinen Museum. Kann es sein, dass du dir für all die vielen Urlaubsschönheiten ein Sightseeing-Programm zurechtgelegt hast?«
Er parkte den VW -Bus neben einem Schild, auf dem »Privatparkplatz« stand und stellte den Motor ab.
»Autsch. Das denkst du von mir, Freya? Hältst du mich für einen Hallodri?«
»Auf keinen Fall.« Sie lachte.
»Damit tätest du mir nämlich unrecht.«
»O ja, ganz gewiss.«
Er stieg aus, lief um das Auto herum und öffnete ihr galant die Tür. »Und nur damit du’s weißt, dieses Haus hier und der Parkplatz gehören einem Freund. Ich darf den Bus hier abstellen und auch den Anlegesteg benutzen.«
Freya hob beschwichtigend die Hände. »Ich sehe schon, du bist ein ganz ordentlicher, braver Kerl.«
Freyas Übermut schwand schnell, als sie auf dem wackeligen Board stand. Jonas war noch auf dem Steg geblieben, hatte beide Arme nach ihr ausgestreckt, um sie zu halten, aber sobald er losließ, plumpste Freya ins eiskalte Wasser.
Prustend tauchte sie wieder auf. Erst nach zwei weiteren Versuchen gelang es ihr, sich auf dem Brett zu halten. Zumindest einigermaßen. Doch jetzt lernte sie schnell, und bald paddelte sie neben Jonas dicht am Ufer entlang. Mit einem baulich nicht gerade ansprechenden Apartmentkomplex ließen sie die letzten Häuser hinter sich.
Außer ihnen waren auf diesem Teil des Sees lediglich ein paar Leute mit Tretbooten unterwegs. In Urfeld gab es einen Verleih im 50er-Jahre-Look, der mit bunten Sonnenschirmen und nostalgischen Schildern lockte.
»Die Straße dort drüben ist für den öffentlichen Verkehr gesperrt.« Jonas zeigte ans Ufer. »Wenn wir noch ein Stück weiter Richtung Osten paddeln, kommen wir an eine Stelle, an der wir gut an Land gehen können.«
Freya war froh, Niklas’ altes Basecap zu tragen. Mittlerweile tropfnass, schützte es dennoch ihr Gesicht vor der Sonne, deren Intensität sie nach einer Weile deutlich auf Schultern und Rücken spürte. Es machte ihr Spaß, auf diesem wackeligen Brett herumzupaddeln, aber gegen eine kleine Pause im Schatten hatte sie nichts einzuwenden.
Das Ufer schien völlig unzugänglich, es war dicht bewachsen und fiel steil zum Wasser ab. Doch Jonas fand zielsicher ein winziges, flach auslaufendes Stück, gerade groß genug, um die beiden Boards darauf zu ziehen. Er half Freya beim Aufstieg auf einen flachen Felsbrocken, auf dem eine kleine, schattenspendende Buche wuchs, unter deren Zweigen sie Platz nahmen.
»Wunderschön«, entfuhr es Freya beim Blick aufs Wasser und die Berge.
»Nicht wahr? Zurecht wird das die Bayerische Karibik genannt.«
Freya hob die Augenbrauen.
»Ich weiß, ich weiß, du bist keine Touristin, und ich muss dir unsere Heimat nicht schmackhaft machen. Aber hey, ich bin ehrlich selber begeistert. Immer wieder. Was für ein Privileg, hier leben zu dürfen. Dass du hierbleibst, hast du schon ganz richtig entschieden, alles andere wäre dusselig gewesen.«
»Na, da bin ich aber froh, dass du das so siehst.«
Er stand auf und sprang hinunter ins Wasser. »Komm rein!«, rief er hinauf.
»Das ist aber hoch.«
»Na und?«
Na und! Freya gab sich einen Ruck und sprang kurzerhand hinterher. Unter Wasser öffnete sie die Augen. Um sie herum sprudelten Luftblasenwirbel durch das Türkis. Ihre Füße berührten den Boden, sie stieß sich ab und schwamm nach oben, zurück ins Sonnenlicht.
Jonas wartete im flachen Uferbereich auf sie, saß bis zur Hüfte im Wasser, die Knie angezogen.
»Wenn du so strahlst, erkenne ich das kleine Mädchen von damals wieder. Weißt du, dass mich das immer schon an dir fasziniert hat, wie du lächelst?«
Sie schwamm auf ihn zu. »Echt? Also als ich acht war, hat mich an Jungs rein gar nichts fasziniert. Die meisten fand ich blöd.«
»Warum schmetterst du jedes meiner Komplimente ab?«
Sie hielt in der Bewegung inne. Ihre Füße berührten den Grund. »Wie meinst du das?«
»Sobald ich dir was Nettes sage, sagst du was dagegen, machst dich darüber lustig oder wechselst das Thema.«
»Das stimmt nicht.«
»Doch. Mache ich dich verlegen?«
Mittlerweile war sich Freya nicht mehr sicher, ob sie einander noch neckten oder das Ganze schon in ein ernstes Gespräch umgeschlagen war. Sie mochte Jonas, fand ihn attraktiv und witzig. Gegen einen Flirt hatte sie nichts einzuwenden, doch für mehr würden ihre Gefühle nicht reichen, das wusste sie tief in sich. Aber es war Sommer, und sie war frei und ungebunden, weshalb sollte sie also nicht ein wenig Spaß haben? Seine Direktheit überraschte sie.
»Überhaupt nicht.«
Langsam stand Jonas auf und watete tiefer ins Wasser. »Ich komme zu dir.«
»Schön.«
Einer seiner Mundwinkel hob sich zu einem schiefen, leicht skeptischen Lächeln. Er sagte nichts.
Als er vor ihr stand, reichte das Wasser bis zu ihren Schultern. Freya spürte, wie sich seine Hände um ihre Hüften legten. Sie schlang ihre Arme um Jonas’ Hals. Einen Moment lang taxierten die beiden einander.
Aus der Nähe bemerkte Freya eine dünne, helle Narbe neben seinem linken Mundwinkel, die ihr vorher nie aufgefallen war. Als er sie küsste, fühlten sich seine Lippen warm an und seine Haut kühl vom Seewasser. Seine Hand wanderte ihren Rücken hinauf bis zu ihrem Nacken, den er sanft umfasste. Um sie herum war es still, nur das leise Plätschern der Wellen war zu hören. Sein Kuss wurde intensiver, Freya verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Dabei spürte sie etwas Glitschiges. Schlagartig wurde sie von Panik ergriffen und verlor den Halt. Jonas reagierte blitzschnell und hielt sie, bevor sie untergehen konnte.
»Was ist los?«, fragte er verdutzt.
»Raus!«, stieß Freya hervor. »Ich muss sofort aus dem Wasser.«
Jonas zog sie ans Ufer. Schwer atmend stand sie neben den Paddleboards, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, und versuchte, sich zu beruhigen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich gefangen hatte. Schließlich setzte sie sich auf den Rand eines Boards. Jonas neben sie.
»Geht’s wieder?«
Sie nickte. »Tut mir leid. Da war plötzlich irgendwas Weiches unter meinem Fuß. Ich hab mich erschreckt und bin durchgedreht, weil …« Sie brach ab. Wahrscheinlich hielt er sie für total hysterisch. Aber Jonas sah sie mit besorgtem Blick an und nahm ihre Hand. Sie schuldete ihm eine Erklärung.
»Der See und ich – das ist wie eine Art Hassliebe. Seit damals.« Sie musste nicht ausführen, was sie mit »damals« meinte, er wusste sofort Bescheid.
»Ich verstehe.«
»Als Niklas mich frühmorgens mit zum Fischen genommen hat, habe ich gemerkt, wie ich anfange, mich mit ihm zu versöhnen. Ich weiß, dass der See ein Teil von mir ist. Aber wenn dann so was wie gerade passiert, kommt schlagartig die Angst hoch.«
»Nachvollziehbar, nach allem, was du erlebt hast.«
Freya beschloss, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Die Romantik war ohnehin verflogen, warum also nicht nachfragen? Sie hatte es lange genug vor sich hergeschoben.
»Jonas, ich habe kaum Erinnerungen an das, was damals passiert ist. Was weißt du davon?«
Sein Blick wich ihrem aus. »Ah, praktisch nichts. Nur das, was mir meine Eltern erzählt haben. Dass du mit deiner Freundin Rosalie allein beim Baden warst und sie dabei ertrunken ist.«
Die Worte trieben Freya Tränen in die Augen. Auch noch nach zwanzig Jahren. »Warum war kein Erwachsener mit?«, flüsterte sie.
»Ich weiß es nicht.«
»Was erzählen sich die Leute?«
Jonas fühlte sich sichtlich unwohl und begann, alles für den Aufbruch vorzubereiten. Er holte die Paddel und schob eines der Boards ins Wasser. Dann reichte er Freya die Hand und half ihr hoch.
»Es ist ewig her, Freya. Niemand spricht mehr darüber.«
»Vielleicht, wenn ich deine Eltern frage? Die waren doch damals viel mit meinen zusammen.«
»Nein.« Das klang bestimmt. »Lieber nicht. Was bringt es, in der Vergangenheit herumzustochern? Dabei wird alles aufgewühlt, und hinterher ist alles noch unklarer als vorher.«
Freya wollte noch etwas sagen, aber Jonas schien es plötzlich eilig zu haben. »Komm, ich helfe dir beim Aufsteigen. Lass uns zurückfahren. Und echt, mach dir keinen Kopf wegen damals. Das führt zu rein gar nichts, glaub mir.«
Nachdenklich folgte sie Jonas zurück zur Anlegestelle. War ihm das Thema unangenehm? Warum? Wenn irgendjemand zurecht nicht darüber reden wollte, dann doch sie und niemand sonst. Sie versuchte, sich ihre Enttäuschung, nichts Neues erfahren zu haben, nicht anmerken zu lassen.
Daheim am Fischerfleck stieg Jonas nicht mit aus dem Wagen. Er beugte sich zu Freya hinüber und küsste sie. Dann streichelte er ihre Wange und sagte leise: »Am besten, du vergisst die Sache. Es war ein Unfall. Lass dir davon nicht deine Freude am See nehmen. Wenn du magst, machen wir nächstes Mal was anderes, etwas, das nichts mit Wasser zu tun hat.«
Sie nickte.
»Schön. Dann überleg ich mir was und ruf dich an.« Er küsste sie noch einmal, und sie verabschiedeten sich.
Sie stieg aus und sah ihm nach, bis der VW -Bus außer Sichtweite war. Als sie sich zum Haus umdrehte, entdeckte sie Niklas und Tobias, die wie ein Ehepaar, das auf die halbwüchsige Tochter wartet, auf der Bank saßen. Normalerweise hätte Freya gelacht. Aber in ihren Gesichtern erkannte sie klar und deutlich einen Vorwurf. Der stand ihnen nicht zu!
»Bist du nicht ein wenig zu alt, um im Auto rumzuknutschen?« Niklas klang sarkastisch.
»Bist du nicht ein wenig zu jung, um dich wie ein Moralapostel aufzuführen? Was geht es dich an, was ich in meiner Freizeit mache?«
Niklas verschränkte die Arme vor der Brust. »Selbstverständlich nichts. Du kannst dich rumtreiben, mit wem du willst. Auch wenn ich deinen Männergeschmack mehr als fragwürdig finde. Aber irgendwann wirst du verstehen, warum man sich nicht mit einem Hirschberg einlassen sollte.«
Das Ganze war lächerlich. Eine Familienfehde – wirklich? Freya presste die Lippen aufeinander und wollte an den beiden vorbei ins Haus marschieren.
»Tobias ist extra früher aus München gekommen. Wegen dir.«
Sie hielt überrascht inne. »Wieso?«
»Weil er dich fragen wollte …«
»Danke, Niklas, aber ich kann gut für mich allein sprechen«, ging jetzt Tobias dazwischen.
»Na schön.« Mit einem Ruck stand Niklas auf. »Dann werde ich wohl nicht weiter gebraucht.« Nun war er es, der ins Haus lief und damit Freyas Fluchtweg abschnitt.
»Was ist denn los?«, fragte sie, sobald ihr Bruder außer Hörweite war.
»Er kann Jonas Hirschberg eben nicht leiden und meint, seine Schwester wäre zu schade für ihn. Aber vielleicht hat er ja unrecht?«
Sie stand vor der Bank. Tobias erhob sich, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein.
»Ich habe keine Lust, mich mit euren Spitzfindigkeiten auseinanderzusetzen. Wenn dir was nicht passt, sag es mir bitte direkt.«
Er hob die Augenbrauen. »Das steht mir nicht zu.«
»Und warum bist du heute schon hier? Ich dachte, du kommst erst am Montag«, wechselte Freya mit einem Seufzen das Thema.
»Weil ich dich fragen wollte, ob du morgen mit mir einen Ausflug machen möchtest.« Er sah sie bedeutungsvoll an. Dachte er an ihren Beinahekuss in München? »Aber ich merke schon, du bist gut beschäftigt«, sagte er dann schnell. »Wir sehen uns.« Er hob wie beiläufig zum Abschied die Hand und schlenderte davon.
Jetzt hatten die beiden sie tatsächlich einfach so stehen gelassen! Verwirrt blieb Freya zurück. Sie fühlte sich gescholten und unfair behandelt. Aber sie hatte doch nichts falsch gemacht! Warum fühlte es sich dann so an?
Freya ging ums Haus herum und setzte sich auf einen der neuen Loungesessel, die unter dem Balkon standen. Hier war es angenehm schattig.
Die Aussicht aufs Wasser beruhigte ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken.
Tobias’ Ablehnung traf sie überraschend hart, sie tat sogar weh. Aber eigentlich war das gut so. Daraus konnte sie nur lernen. Schon an dem Abend in München hatte sie gewusst, dass sie jegliche intime Vertrautheit zwischen ihnen im Keim ersticken musste. Sie würden einfach nur Geschäftspartner sein – so wie es sich gehörte und so wie es das Beste für alle Beteiligten war.
Ohnehin erschien es Freya viel wichtiger, Antworten auf Fragen zu finden, die sie zu lange aufgeschoben hatte, als sich in Herzensangelegenheiten zu verlieren. Heute hatte sie einen ersten Schritt gewagt. Schon alleine deshalb weigerte sie sich, ein schlechtes Gewissen Tobias gegenüber zu haben. Nur weil er ihren Puls deutlich mehr beschleunigte, als Jonas das tat, hieß das noch lange nicht, dass sie das auch wollte.
Obwohl Jonas ihre Fragen nach der Vergangenheit abgeblockt hatte, würde sie nicht gleich aufgeben. Vielleicht bot sich die Gelegenheit, Herrn oder Frau Hirschberg anzusprechen. An wen konnte sie sich noch erinnern? Frau Bachmann vom Souvenirladen an der Hauptstraße. Von der hatte ihre Mutter immer gesagt, dass sie über alles Bescheid wüsste, was in der Gegend passierte. Und was war mit dem Pfarrer? Nur weil Papa den nicht gemocht hatte, musste Freya ihn ja nicht meiden. Auch er war damals schon in Walchensee gewesen und kannte jeden. Sie beschloss, unmittelbar nach der Eröffnung des neuen Fischerflecks einen Vorstoß zu wagen und gezielt nachzufragen.
Bis dahin musste sich auf die große Einweihungsveranstaltung konzentrieren, denn davon hing viel ab. Doch trotz all ihrer vernünftigen Vorsätze drängten sich unablässig zwei Dinge in ihre Gedanken und ließen kaum Raum für anderes.
Was war damals genau mit Rosalie passiert? Und wie würde es sein, Tobias jeden Tag zu sehen und mit ihm zu arbeiten?
Was Freya kaum beschäftigte, war das offen gezeigte Interesse von Jonas Hirschberg.