Am Rande des Fischerfleck- Grundstücks, dort, wo es an Onkel Georgs Wiese grenzte, stand das Häuschen, in dem bereits Freyas und Niklas’ Großvater seine Fischaufzucht betrieben hatte, und nach ihm Johannes Siebert zusammen mit seinem Bruder. Onkel Georg hatte vor Jahren aus Zeitgründen damit aufgehört und Niklas war damals für ihn eingesprungen. Seit dem Tod des Vaters fiel ihm nun allein die Aufgabe zu, für die Nachzucht zu sorgen. Das machte ihm nichts aus, wie er seiner Schwester gegenüber betonte. Im Bruthaus konnte er prima nachdenken und zur Ruhe kommen. Allerdings brauchte er bei den wachsenden Aufgaben Unterstützung. Die beschauliche Zeit war vorüber, es wurde betriebsam. Natürlich waren die Sieberts nicht die einzigen Berufsfischer am Walchensee. Insgesamt vier Familien besaßen die Fischrechte und waren seit den 1930er Jahren in einer Zwangsgenossenschaft organisiert. Gemeinsam trugen sie die Verantwortung für den Fischbesatz im See. Die Kosten dafür wurden durch die Einnahmen aus dem Verkauf der Angelerlaubnisscheine weitestgehend gedeckt. Es war ein immerwährender Kreislauf, der bedient werden musste, damit alles im Gleichgewicht blieb. Um den großen Bedarf an Renken zu decken, wurden im späten Frühling Hunderttausende davon eingesetzt, die zuvor in den Fischzuchtanstalten der Gegend aufgepäppelt worden waren.
Anders verhielt es sich mit den Forellen. Im Herbst fingen die Berufsfischer die Laichfische direkt aus dem See und streiften die Eier ab. Während die drei anderen Familien diese anschließend in die Zuchtanstalten gaben, erbrüteten die Sieberts ihre Seeforellen selbst.
Das war zeitaufwendig und eine delikate Angelegenheit, die keine Fehler und Pannen vertrug. Freya verstand, dass Niklas auch aus diesem Grund bereits vor der Neueröffnung des Gasthofs händeringend Personal gesucht hatte und seitdem noch umso dringender. Die Fischerei gehörte nicht gerade zu den begehrtesten Ausbildungsberufen. Frühes Aufstehen, bei Wind und Wetter hinaus auf den See fahren und immer zumindest nasse Hände, wenn es schlecht lief, auch noch nasse Füße haben, stand bei jungen Leuten nicht hoch im Kurs.
»Die Bewerbungen könnten zahlreicher sein«, sagte er lakonisch zu Freya.
»Wie viele haben sich denn auf unsere Annonce hin gemeldet?«
»Zwei. Davon ein Mädchen.«
»Warum sagst du das so komisch?«
Sie standen nebeneinander vor einem runden Becken im Bruthaus. Für den Fall, dass Niklas mal ausfiel, sollte Freya lernen, was zu tun war.
»Na, weil ich auf Fachpersonal gehofft hatte. Aber das Mädel ist achtzehn und der Bub erst sechzehn. Das heißt, beide müssten eine Ausbildung zum Fischwirt machen. Die können noch gar nix.«
Sie grinste ihn an. »Und ich habe befürchtet, du hast Vorbehalte gegen Frauen in der Fischerei.«
»Mitnichten. Am liebsten wär mir eine, die sich schon auskennt. Aber die scheint es weder auf dem Arbeitsmarkt noch in meiner Familie zu geben.« Er hob vielsagend die Augenbrauen und schob dabei die Ärmel seines Shirts bis an die Ellenbogen. »Also lass uns anfangen, damit wir an diesem Zustand was ändern.«
Auch im Sommer war es im Bruthaus kühl. Freya dachte nicht daran, ebenfalls die Ärmel hochzukrempeln, im Gegenteil, sie zog ihre Strickjacke über dem T-Shirt enger zusammen. Ehrlicherweise brannte sie nicht gerade darauf, sich in der Fischzucht zu engagieren, aber die gehörte nun mal auch zu ihrem neuen Leben. Hier stand sie also jetzt inmitten von Becken und Wannen, Futterpellets, Schläuchen und anderen Gerätschaften, die allesamt ein mehr oder weniger dezentes Fischaroma verströmten.
Die vergangenen Tage hatte Freya ausschließlich am Fischerfleck verbracht. Nach dem Gespräch mit Pfarrer Talhofer musste sie erst einmal das Gehörte verdauen und einen Umgang mit seiner abscheulichen Theorie finden. Sie rief sich selber zur Räson. Es war ja nicht so, dass sie auf offener Straße beschimpft wurde. Vermutlich bildete sie sich das nur ein – wer sollte nach zwanzig Jahren überhaupt noch ein Interesse an ihr haben? Freya war hin und her gerissen. Mal hatte ihr klarer Verstand die Oberhand, dann wieder war sie erfüllt von Unsicherheit und Angst. Selbst wenn ein Gutteil ihres Problems nur in ihrem Kopf existierte und jeglicher Realität entbehrte, musste sie die Sache aufklären. Nur so würde sie frei sein können.
»Was wir hier züchten, sind Salmoniden«, legte Niklas los und forderte die Aufmerksamkeit seiner Schwester. »Saibling, Renke, Seeforelle. Wobei wir hauptsächlich Forellen aufziehen. Aber nicht nur.«
Freya klopfte mit der Fingerspitze leicht gegen eine große, umgekehrt aufgestellte Glasflasche, die an einen Schlauch angeschlossen war.
»Nicht!« Niklas’ panische Stimme ließ sie schuldbewusst innehalten. »Das ist ein Zugerglas. Da sind megaempfindliche Fischeier drin.«
»Tut mir leid.«
Niklas hatte sich schnell gefangen. »Ist benannt nach der Stadt in der Schweiz. Ein Fachausdruck.«
Er schob Freya ein Stück weiter. Die kühle Luft roch nass und fischig und erinnerte sie mit jedem Atemzug an ihre Kindheit.
»Hier, Station eins. Wenn die Eier abgestreift sind – also aus dem Fischweibchen raus sind – dann werden sie in dieser Wanne befruchtet. Und damit auch aus möglichst vielen Eiern was wird, verrühren wir die Milch, also das Fischsperma, vorsichtig hiermit.« Er hielt ihr eine lange weiße Schwanenfeder vors Gesicht, die Freya auf keinen Fall anfassen würde.
»Danach haben wir zwei Möglichkeiten«, fuhr er fort und ignorierte ihren Ekel. »Entweder die Zugergläser, siehst du? Von unten wird Wasser hineingespült, dabei dürfen sich die Eier in den ersten Tagen um Himmels willen nicht bewegen. Deswegen«, er machte eine künstlerische Pause, »runter mit dem Wasserdruck.«
»Die hier liegen aber nicht still.«
»Gut beobachtet. Schau, die dunklen Punkte in den Eiern sind die Augen der Babyfische. Wenn man die erkennt, wird der Druck wieder vorsichtig erhöht, damit sie ständig mit Frischwasser umspült werden und sich kein Pilz bildet. Der ist nämlich unser Feind Nummer eins in den Gläsern. Wie ein Krake klammert er sich an den Eiern fest und macht sie kaputt.« Mit dramatisch aufgerissenen Augen untermalte er seine Worte.
»Du bist pädagogisch herausragend, Niklas. Wenn du das deinen Azubis auch so erklärst, lernen die sicher schnell.«
»Sobald die Brut geschlüpft ist, schwimmen die Eierschalen nach oben und werden aus dem Glas gespült und die Jungfische ernähren sich eine Weile von ihrem Dottersack.«
»Du bist ja ein richtiger Fischpapa?«
»Und du nimmst die Sache wohl gar nicht ernst, Freya! Solltest du aber. Falls ich mal ausfalle, trägt nämlich die Fischmama die volle Verantwortung.«
»Ich?«
»Korrekt.« Niklas grinste und zog sie mit sich zu einer langen Wanne, die parallel zu einer Wand aufgestellt war. »Das ist die zweite Kinderstube. Man nennt das eine Brutrinne, die ist praktischer als die Gläser. Schau, hier auf diesen Einsätzen liegen die Eier und werden sanft umspült.«
»Warum sind manche heller?«
»Das sind die abgestorbenen.« Niklas griff nach einer Pipette, mit der er eines der Kügelchen ansaugte. »Die entfernen wir hiermit. Probier du es mal.« Er hielt ihr das Instrument hin und Freya gab sich Mühe, ebenso vorsichtig zu sein wie ihr Bruder.
»Gut«, lobte er. »Das klappt.«
»Was ist mit den runden Becken?«, wollte Freya wissen.
»In denen sind die schon etwas älteren Fische. Nach Größen sortiert. Die hier setze ich im Oktober in den See.« Er nahm sich einen Becher mit Fischfutter und ließ ein paar Körner ins Wasser rieseln. Sofort kamen zahlreiche kleine Forellen angeschwommen und schnappten danach.
Freya hatte noch viele Fragen, aber da klingelte das Handy in ihrer Jeanstasche.
»Das ist Jonas«, erklärte sie entschuldigend nach einem Blick aufs Display. Niklas rollte mit den Augen.
»Ich gehe kurz raus zum Telefonieren.«
»Aber bitte beeil dich. Wir müssen gleich mit dem Ausliefern anfangen.«
Hinter dem Haus pumpte ein Motor Tag und Nacht frisches Seewasser in die Becken, was für die Fische lebenswichtig war. Freya entfernte sich ein paar Schritte weg vom Pumpengeräusch und stellte sich in den Schatten der Heckenrose, die auf der Grenze zu Onkel Georgs Wiese wuchs. Fast alle der weißen Blüten waren schon verwelkt.
»Hallo, Freya, wie geht es dir? Stimmt was nicht?«, fragte Jonas.
»Wie kommst du darauf?«
»Weil ich ständig anrufe und du nie abhebst.«
Freya streckte die Hand nach einer der letzten vollen Blüten aus und streichelte sie zart. »Das war keine Absicht. Bei der Arbeit trage ich mein Handy nicht bei mir. Und es war ziemlich viel los.«
»Ach ja?« Seine Stimme klang verändert. War er enttäuscht? Oder etwas missgünstig? »Also läuft der neue Fischerfleck gut an?«
»Besser als erhofft. Wir freuen uns sehr. Aber deswegen habe ich eben wenig Zeit.«
»Vielleicht schaue ich mal vorbei, dann könntest du mir alles zeigen.«
»Die Gelegenheit dazu hättest du bei der Eröffnungsparty gehabt. Aber deine ganze Familie hat ja die Einladung nicht angenommen. Weißt du, dieser Familienfehdenquatsch ist absolut lächerlich. Wir sind hier kein bayerischer Ableger des Paten. Es hätte sich schon gehört, dass wenigstens einer von euch auftaucht – natürlich nur, wenn den Hirschbergs auch nur ein Hauch daran liegt, dass wir miteinander auskommen.« Freya redete sich in Rage, aber er durfte ruhig merken, wie dumm sie dieses Verhalten fand.
Nach einer kurzen Stille sagte Jonas. »Es tut mir leid, dass ich nicht gekommen bin.«
Wie? Das war alles? Nicht gerade überzeugend.
»Ich mache es wieder gut. Was hältst du von einem Ausflug mit Picknick? Ich könnte von unserer Hotelküche einen Korb zusammenstellen lassen mit Erdbeeren, Champagner und allem, was du möchtest. Wie wäre es mit morgen?«
Ernsthaft? Mit einem Date sollte alles wieder gut sein? Noch dazu mit einem, bei dem er sich selber keinerlei Mühe gab, sondern die Arbeit an die Hotelangestellten delegierte? Falls Jonas dachte, Freya damit beeindrucken zu können, täuschte er sich. Von einem erwachsenen Mann erwartete sie mehr. Zum Beispiel, dass er seine eigenen Entscheidungen traf. Und zu ihnen stand.
Die Tür des Bruthauses ging auf, Niklas kam heraus und schloss sie mit hörbarem Nachdruck.
»Du, ich kann gerade schlecht telefonieren. Ich melde mich wieder.« Sie beendete das Gespräch und folgte ihrem Bruder. Mittlerweile war sie nicht mehr sicher, ob Jonas tatsächlich an ihr interessiert war oder nur die Konkurrenz nicht aus den Augen lassen wollte. Würde sie ihm wirklich etwas bedeuten, wäre er zur Einweihung erschienen. Niklas und Tobias hatten gemeint, dass die Hirschbergs das wohl unterbunden hätten und dass Jonas immer tat, was seine Eltern wollten. Aber auch noch mit dreißig Jahren? Schwer vorstellbar. Aber da er ihr keinen Grund für seine Abwesenheit genannt hatte, lagen Niklas und Tobias womöglich richtig, immerhin kannten die beiden Jonas und seine Eltern weit besser als Freya.
Dennoch verurteilte Freya Jonas nicht. Sie sah sich selbst in ihm. Jahrelang hatte sie ihr Leben nach den Bedürfnissen ihrer kranken Mutter ausgerichtet, ohne Fragen zu stellen oder Zeit für sich einzufordern. Wie könnte sie von Jonas erwarten, sich mit einem Mal gegen die Eltern zu stellen, nur um ihr zu gefallen?
Dass ihr Leben bisher fremdbestimmt gewesen war, hatte Freya erst nach und nach gemerkt. Und Jonas’ Verhalten führte es ihr wie ein Spiegel vor Augen. Verdankte sie ihre neuen Erkenntnisse am Ende doch Papa und seinem seltsamen Testament?
An den meisten Tagen stand Freya früh auf und machte einen Spaziergang am See. Luft und Landschaft machten ihr den Kopf frei und schenkten Einsichten, vor denen sie sich bisher gescheut hatte. Nie wieder würde sie sich einem anderen Menschen derart unterordnen wie ihrer Mutter, mochte derjenige es noch so gut mit ihr meinen. Und sie hoffte, dass auch Jonas sich eines Tages freischwimmen würde. Allerdings schien er, trotz seines Alters, wirklich arg unter der Fuchtel seiner Eltern zu stehen. Es würde für ihn mehr als nur einen Augenblick des Mutes erfordern, um das zu verändern. Noch immer nachdenklich stieg Freya zu Niklas ins Auto.
»Was wollte er?«
Sie steckte das Handy weg. »Jonas? Sich mit mir treffen.«
»Erlauben das denn Mami und Papi?«
Seufzend zuckte Freya mit den Schultern, da wurde die hintere Autotür aufgerissen und Tobias warf sich auf den Rücksitz.
»Kommst du auch mit?«, fragte sie überrascht.
»Niklas meint, ich soll mir die Runde anschauen, dann könnten wir uns künftig abwechseln.« Er trug Jeans und ein schlichtes T-Shirt dazu, duftete nach frischem Brot, das er offensichtlich soeben aus dem Ofen geholt hatte, und machte einen entspannten Eindruck. Das konnte Freya auch.
Sie fuhren zu den Hoteliers und Gastronomen, die bei Niklas Fisch bestellt hatten. Und auch zu ein paar Privatleuten. Vorrangig solche, die recht betucht waren, hier einen Zweitwohnsitz besaßen, das Wochenende am See verbrachten und Gäste empfingen.
»Machen Sie auch Catering?«, fragte gleich der Erste, ein Herr Doktor Schulze-Braun, ehemaliger Vorstandsvorsitzender irgendeiner Firma aus Ulm, als Freya ihm den neuen Werbeflyer des Fischerfleck s zusammen mit seinen Räucherforellen überreichte.
»Derzeit noch nicht, aber wir arbeiten daran. Einen stilvollen Cateringservice anzubieten ist eines der Vorhaben, die wir bald noch umsetzen werden.«
Leider hatte sie nur einen kurzen Blick auf das Interieur des Landhauses von Herrn Doktor Schulze-Braun werfen können, aber das, was sie gesehen hatte, war ziemlich aussagekräftig gewesen. Neu erbaut im alpenländischen Stil, mit Holz und traditionellen wie modernen Elementen, hätte sein Haus überall zwischen Kitzbühel und dem Tegernsee stehen können. Es hatte das typische Flair der Zugezogenen, das durch die Kombination von Hirschdekoelementen, drapierten Schaffellen und auf antik gemachten Balken entstand. Freya fand diesen Trend austauschbar. Wenig individuell. Aber er war gefragt. Und wer ihn sich leisten konnte, sparte sicherlich auch nicht, wenn es um die Bewirtung seiner Gäste ging.
»Ehrlich jetzt? Wir planen einen Cateringservice? Hummer auf Bestellung mit hausgemachtem Kartoffelsalat? Das wäre mir neu«, raunte ihr Tobias an der Haustür zu.
Freya wartete, bis sie sich weit genug entfernt hatten, um außer Hörweite zu sein. »Unbedingt.«
»Wir haben doch schon kaum genug Personal für eine vernünftige Bewirtung zu den Stoßzeiten.«
»Die Idee ist trotzdem gut.«
Herr Doktor Schulze-Braun hatte bei Freya einen Funken gezündet. Sie hakte sich bei Tobias unter und redete auf dem Weg zum Wagen nachdrücklich auf ihn ein. »Überleg mal. Zum Beispiel während der Wintersaison, wenn viele Ferienhausbesitzer die Feiertage hier verbringen, wollen die nicht immer essen gehen, sondern auch gern mal daheim bleiben. Aber kochen möchten sie selber nicht. Dann rufen sie uns an, und wir liefern. Oder im Sommer – Gartenpartys, Freunde, die zu Besuch kommen und versorgt werden wollen. Wer hat das beste Essen und ist im Trend? Der Fischerfleck .« Freya merkte, dass sie Tobias’ Aufmerksamkeit hatte.
Gestikulierend und ohne darüber nachzudenken, stieg Freya mit Tobias hinten ins Auto ein. »Dazu kommt, Vorbestellungen sind planbar. Wir können die Zeit und die Zutaten risikolos kalkulieren.«
»Aber Catering ist nicht nur Lieferservice. Das bedeutet, dass Servierpersonal gebraucht wird«, warf er berechtigterweise ein.
»Stimmt. Auch das ließe sich einteilen. Aber wahrscheinlich wollen die meisten Leute das Essen tatsächlich einfach nur gebracht bekommen. Schön angerichtet und im Fischerfleck- Stil.« Tausend weitere Gedanken schossen Freya durch den Kopf. Sie könnten richtiges Marketing betreiben, ein schickes Logo entwerfen, das sich auf Geschirr und Servietten wiederfand …
»Das sind gute Ideen, Freya«, stimmte Tobias zu. »Trotzdem sollten wir einen Schritt nach dem anderen machen und uns nicht verzetteln. Damit sind schon viele baden gegangen. Ich meine, wir sind noch nicht so weit.«
»Mag sein.« Freya legte eine Hand auf seinen Arm. »Aber das wollte ich Herrn Doktor Schulze-Braun nicht auf die Nase binden. Ist das etwas, was du dir für die Zukunft vorstellen könntest?«
»Schon. Und dazu noch einiges mehr. Zum Beispiel ein Auslieferungsauto mit auffälliger Beschriftung.«
»Ausgezeichnet. Unser Kombi ist ja schon ziemlich betagt.«
Niklas räusperte sich. »Hallo, ihr zwei dahinten! Da habe ich ja wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden, oder? Ihr seid ja abenteuerlich drauf heute.« Er klang amüsiert. Erst jetzt bemerkte Freya, wie eng sie und Tobias die Köpfe zusammengesteckt hatten. Sie waren vollkommen vertieft in ihre Zukunftspläne gewesen. Und weshalb hatte sie sich nicht nach vorne gesetzt, sondern war mit Tobias hinten eingestiegen? Der belustigte Blick ihres Bruders im Rückspiegel sprach Bände.
Ihre nächste Station war ein Gasthof an der Seestraße. Dort wurden die Fische direkt an der Tür vom Koch in Empfang genommen.
»Das sind meine Schwester Freya und unser Kompagnon Tobias«, stellte Niklas die beiden vor. »Kann sein, dass einer von ihnen mal die Auslieferung übernimmt.«
Weiter ging es zu anderen Gaststätten und dann hinüber nach Kochel zum Seehotel Bellevue , einer von Niklas’ Großabnehmern.
Entlang des Hotels verlief eine Terrasse und bot einen malerischen Blick über den kleineren Kochelsee, der aber nicht ganz so schön war wie der Walchensee, was Freya jedes Mal wieder feststellte. Von dort aus konnten die Gäste dem Ausflugsdampfer beim An- und Ablegen zusehen. Das Seehotel hatte ein nostalgisches 50er-Jahre-Flair. Auch die Lampen auf der Terrasse und ihr Waschbetonbelag stammten noch aus der Zeit. Freya konnte sich gut vorstellen, wie es damals ausgesehen haben musste, als der Tourismus am Kochelsee geboomt hatte und die Damen und Herren in Petticoats und feinen Anzügen zum Tanztee eingetrudelt waren.
Als sie auf der Rückfahrt waren, bekam Niklas einen Anruf.
»Mist, ich muss sofort heim. Hatte ganz vergessen, dass jetzt eine Lieferung für das Bruthaus kommt«, sagte er. »Dabei müssten wir noch rauf ins Berggasthaus. Die brauchen die Fische dringend.«
»Ich übernehme das«, sagten Freya und Tobias gleichzeitig.
»Alles klar. Dann lasse ich euch an der Seilbahn raus. Es ist eh besser, ihr fahrt zu zweit rauf, weil die haben ziemlich viel bestellt.«
Er nahm die Serpentinen zum Walchensee in rasantem Tempo und Freya war erleichtert, als sie endlich an der Gondel aussteigen durfte. In ihrem Bauch grummelte es. Niklas drückte ihr eine Kiste voller Räucherfisch in die Hand, gab Tobias eine mit frischen Renken, sprang wieder in den Wagen und brauste davon.
»Das war ja mal eine Fahrt«, stöhnte Freya.
Gemeinsam bestiegen die beiden die Herzogstandbahn und genossen schweigend den Ausblick auf die umliegenden Gipfel, während es in gemächlichem Tempo bergan ging.