Der Hof von Onkel Georg lag zwischen Walchensee und der Jachenau. Ein malerisches Fleckchen, über das Poeten gedichtet und Sänger gesungen hatten. Bis vor einigen Jahrzehnten schien die Zeit hier noch stillzustehen, mittlerweile hatte der Tourismus sogar diesen Winkel alpiner Idylle erobert. Die Autoschlangen waren sicher länger als der Riesenwaller im See. Andererseits brachten die Besucher viel Geld in eine Region, deren Bewohner sich ihr karges Auskommen vormals lediglich mit harter landwirtschaftlicher Arbeit verdient hatten. Es gab immer zwei Seiten einer Medaille, dachte Niklas. Die Geschwister Siebert fuhren auf einer gewundenen Straße durch ein bergumkränztes Tal, in dem Sommerwiesen blühten und Kühe grasten. Auf den Fußwegen tummelten sich die Wanderer.
Der Onkel hatte den Familienrat einberufen, ein Umstand, der Niklas und Freya nervös machte. Zumal sie nicht einmal wussten, was das genau bedeutete – Familienrat.
»Vermutlich zieht er die Notbremse«, sagte Niklas und lenkte den Kombi um eine Kurve.
»Wie meinst du das?«
»Es ist Hochsaison. Alle Ferienwohnungen auf dem Ulmenhof sind ausgebucht. Da gibt es viel zu tun. Und Lena hat die vergangenen Monate mehr Zeit bei uns als dort verbracht. Ich denke mal, dass er an diesem Arrangement was ändern will.«
Der Bauernhof war seit Generationen im Familienbesitz der Sieberts. Wie es üblich war, hatte der älteste Sohn ihn vom Vater geerbt, somit gehörte er Onkel Georg. Sein jüngerer Bruder Johannes hatte den Fischerfleck bekommen. Mit Lena als seinem einzigen Kind würde der Onkel mit dieser Tradition brechen müssen. Wenigstens war die Tochter überhaupt willens, das Erbe anzutreten, was heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr war. Viele junge Leute wanderten in die Städte ab. Sie hatten wenig Lust auf ein beschauliches Landleben, das stets mit harter Arbeit einherging. In München lockten bequemere Jobs, Schreibtische statt Traktoren. Freya hatte Verständnis für alle, die im Sommer einen Urlaub am Meer dem Heumachen vorzogen. Daher fand sie Lenas Liebe zur Heimat und ihre Bereitschaft, den Hof zu übernehmen, bewundernswert, was sie ihr auch sagte. Niklas sah das anders. Seiner Meinung nach gehörte es sich, den Familienbesitz vernünftig weiterzuführen, egal ob als Tochter oder Sohn.
Der Name des Hofs stammte von den uralten Ulmen, die einstmals die Zufahrt gesäumt hatten. Längst abgeholzt, waren sie nur noch auf einem Ölgemälde zu bewundern, das in Onkel Georgs guter Stube hing.
Von der Hauptstraße bog Niklas auf einen schmaleren Weg ab, der zum Bauernhaus führte, einem dreistöckigen Gebäude mit weißer Fassade, grünen Fensterläden und braunen Balkonen. Farben, die mit der umgebenden Natur harmonierten. Zu beiden Seiten der schweren, mit Schnitzereien verzierten Eingangstür standen Holzbänke mit geschwungenen Sitzflächen. Üppige Hängegeranien zierten die Balkone, und in den Beeten blühten Ringelblumen, Rosen, Löwenmäulchen und Tagetes.
»Sicher aufwendig, die alle täglich zu gießen«, sagte Freya, »aber es sieht wunderhübsch aus.«
Zusätzlich zum Haupthaus gab es den Stall und gegenüber ein längliches Gebäude, in dem die Ferienwohnungen untergebracht waren, dazu eine Remise und einen Bauerngarten.
»Ich erinnere mich an rein gar nichts«, stellte Freya beim Aussteigen fest. »Waren wir als Kinder oft hier?«
»Kaum. Obwohl Papa und Onkel Georg nicht weit voneinander entfernt wohnten, haben sie sich selten gesehen. Jeder hatte viel zu tun. Du weißt ja, wie das ist. Und deine Mutter hatte keine enge Beziehung zu ihrem Schwager und ihrer Schwägerin, sie ist eigentlich nie hierhergekommen.«
»Aber Papa und Onkel Georg, die sind sich doch nahegestanden, oder?«
»Es gab keine Streitereien, falls du das meinst. Und sie haben sich immer gegenseitig geholfen. Ich glaube, jeder hat einfach sein eigenes Leben gelebt. Wer weiß, was Onkel Georg darüber denkt. Aber das werden wir wohl nie erfahren, er ist ja noch einsilbiger als unser Vater, sobald es um Gefühle geht.«
Hinter einem Fenster im Erdgeschoss bewegte sich ein Vorhang, dann schwang die Tür auf und Onkel Georg kam heraus, gefolgt von Lena und einer kleinen Frau mit ausladender Oberweite, über die sich eine Küchenschürze spannte.
»Das ist Tante Erika«, raunte Niklas seiner Schwester zu, nur um sicherzugehen, dass sie den Namen nicht vergessen hatte. Weder Erika noch ihr Mann waren zur Einweihungsfeier gekommen, weil sie sagten, das wäre eine Veranstaltung für die jungen Leute, und sie könnten ohnehin jederzeit im Fischerfleck vorbeischauen.
»Ich weiß. Ihre Frisur hat sich in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert, deswegen hab ich sie gleich erkannt.«
Niklas verkniff sich ein Grinsen. Es stimmte, die Tante sah immer gleich aus. Sie hatte seit jeher dieselbe Frisur und die Haare gerade so lang, dass sie sie hinter die Ohren klemmen konnte, was sie auch immer tat. Dazu trug sie meistens Dreiviertelhosen, irgendein Shirt und darüber die Schürze. Ging sie allerdings aus, sei es in die Kirche oder zum Einkaufen, machte sie eine frappante Wandlung durch. Dann legte Tante Erika Make-up auf und zog sich richtig schick an. Nur die Frisur, die blieb tatsächlich durchweg gleich.
Zur Begrüßung wurden die Geschwister herzlich gedrückt, und Freya bedankte sich bei der Tante nochmals für die selbst genähten Sitzkissen für die Seelounge. Anschließend gab es Kaffee und Kuchen im privaten Garten, der uneinsehbar hinter dem Haupthaus lag und mit einem Swimmingpool und einer großen Terrasse aufwarten konnte. Auch hier blühten überall Blumen, und in den Beeten steckten große bunte Glaskugeln auf Stöcken, die im Sonnenlicht funkelten.
»Schön habt ihr es hier«, sagte Freya.
»Danke. Es hat eine Weile gedauert, euren Onkel davon zu überzeugen, den Pool zu bauen, wo doch der See mehr oder weniger direkt vor der Haustür liegt. Aber wir alle wissen, wie saukalt der ist. Da geh ich nicht rein. Also hab ich den Georg vor die Wahl gestellt, entweder er macht es uns daheim maximal angenehm, oder er fährt jedes Jahr mit mir in den Urlaub, damit ich mal ausspannen kann. Da war die Sache dann schnell entschieden.«
Niklas wusste, dass Onkel Georg nichts mehr widerstrebte, als seine gewohnte Umgebung zu verlassen. Und die hörte für ihn auf der Kesselbergstraße zum Kochelsee auf. Schon wenn er mal nach München musste, betrachtete er das als Zumutung.
»Eure Feriengäste dürfen aber hier nicht schwimmen, oder?«, fragte Freya nach und Niklas sah, wie Onkel Georg aufschnaufte.
»Um Gottes willen, nein«, protestierte auch Tante Erika entsetzt. »Das ist unser Refugium, da haben die keinen Zutritt.«
»Apropos Gäste«, setzte Onkel Georg an, und Niklas befürchtete, er würde ihnen nun die Flügel stutzen, was Lenas Arbeitszeit betraf. Schnell schob er sich ein Stück Apfelkuchen in den Mund. Er brauchte Nervennahrung.
»Wir haben ja mittlerweile sechs Ferienapartments, und die sind alle ausgebucht. Und dann gibt es da noch irgendeinen Künstler von außerhalb, der sich dafür interessiert, eines in Dauermiete zu nehmen. Das wäre natürlich praktisch.« Er sah hinüber zu Lena, die prompt zwischen zwei Bissen sagte: »Ich bin dagegen.«
»Darum geht es jetzt nicht«, meinte Tante Erika und legte ein zweites Stück Kuchen auf den Teller, als wollte sie ihre Tochter damit beschwichtigen.
Niklas beschloss, dem Onkel zuvorzukommen. »Falls ihr Lena wieder mehr auf dem Hof braucht, finden wir sicher eine Lösung. Wir wollten sie nicht abspenstig machen, aber sie ist uns eine große Hilfe, weil der Fischerfleck sensationell anläuft. Und es ist auch nicht so, dass nur auswärtige Gäste den Weg zu uns finden. Der komplette Schützenverein, in dem Lena Schriftführerin ist, war kürzlich da. Und die hatten alle mächtig Spaß.«
»Wir kommen schon zurecht. Sollte es uns zu viel werden, haben wir mit Lena schon vereinbart, dass wir Bescheid sagen.«
»Ach.« Niklas stutzte. Und Freya war derart in den Genuss ihres Kuchens vertieft, dass sie sich gar nicht zu Wort meldete. »Es ist also in Ordnung, wenn Lena weiterhin bei uns arbeitet? Worum geht es dann, Onkel Georg?«
»Kann ich denn nicht einfach mal meine Nichte und meinen Neffen zum Kaffee einladen? Freya, deine Tante hat dich noch überhaupt nicht gesehen, seit du zurück bist. Du hättest schon längst mal vorbeikommen können.«
Schuldbewusst schluckte Freya und legte die Gabel weg. »Das ist richtig. Tut mir leid, Tante Erika, aber ich bin nicht dazu gekommen. Der Kuchen ist übrigens gigantisch.«
»Lass doch die Kinder, Schorsch, die haben alle Hände voll zu tun und keine Zeit für Verwandtschaftsbesuche. Deswegen haben wir euch auch nicht hergebeten. Der Grund ist, dass leider Ärger ansteht und wir euch vorwarnen wollten.«
Daher der also Familienrat. In Niklas’ Bauch grummelte es, er hasste schlechte Nachrichten.
»Ich bin Mitglied im Frauenbund«, fuhr Tante Erika fort, »ebenso wie Anette Hirschberg. Und bei den Treffen erfahre ich immer einiges. Zum Beispiel dass das Sporthotel erweitert wird. Um einen Pavillon, direkt am Seeufer, mit einer – wie hat sie gesagt? – Strandlounge.«
Niklas’ Laune wurde mit jedem Wort der Tante schlechter. Man blies zum Gegenangriff, und Strandlounge klang verdammt nach Seelounge. Ganz klar abgekupfert.
»Freitags und samstags soll es dort Champagner zum Sonnenuntergang geben, und sie hat auch irgendwas von Kaviar und Austern gesagt.«
Das wurde ja immer schlimmer. Onkel Georg übernahm. »Die Hirschbergs werden ihre Position als Nummer eins am See um jeden Preis verteidigen. Aber das wird euch wahrscheinlich klar gewesen sein, nicht wahr? Jedenfalls beabsichtigen sie, mit ihrer Lounge auch das Publikum anzusprechen, das nicht in ihrem Hotel zu Gast ist, und zwar das gleiche wie ihr.«
»Und natürlich können sie sich leisten, es von vorne herein viel nobler aufzuziehen.« Freyas Schultern sanken, und ihr besorgtes Gesicht erinnerte Niklas an das kleine Mädchen von früher. »Mit eimerweise Kaviar und Edelambiente. Wer soll da bitte mithalten? Im Nachhinein erscheint es mir nun klar, warum Jonas mich dauernd gefragt hat, wie es bei uns läuft. Er wollte sicher abchecken, ob das Ganze Potenzial hat, und nun springt seine Familie schnell und risikolos auf den Zug mit auf.«
Lena schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass alle zusammenzuckten. »Sagt mal, was sollen denn die trüben Gesichter? Habt ihr etwa gedacht, eure Geschäftsidee gehört euch alleine? Mensch, Konkurrenz ist normal, und ich finde, man darf den Hirschbergs in diesem Fall keine Bösartigkeit unterstellen. Sondern lediglich Wettbewerbssinn.«
»Komm schon, wir wissen alle, wie die sind«, warf Niklas ein.
»Na und. Wir lassen uns doch vom alten Paul nicht einschüchtern. Dann macht er es euch eben nach. Aber ihr werdet immer das Original bleiben. Es gibt keinen zweiten Fischerfleck , der ist einzigartig.«
Tobias sah es ähnlich, als ihm die Geschwister von den höchst unerfreulichen Gerüchten berichteten.
»Das war nur eine Frage der Zeit, und das Sporthotel wird nicht das Einzige bleiben, das sein Angebot nach oben hin anpasst«, lautete sein Urteil. »Was mich wundert, ist, dass es derartig schnell geht. Aber das spricht für unseren Erfolg. Die Konkurrenz will uns nicht zu weit davonziehen lassen. Betrachten wir das Ganze als Etappensieg, nicht als Rückschlag.«
Er schnitt Gemüse in zarte Streifen. Auf dem Herd köchelte eine Fischsuppe, die ihren aromatischen Duft in der Küche verströmte. Niklas nahm sich einen Löffel und kostete davon.
»Hmmmmm«, machte er genießerisch.
»Du kannst dir ruhig mehr davon nehmen. Sie ist zwar noch nicht ganz fertig, ich muss noch nachwürzen und frische Kräuter dazu geben, aber wenn du Hunger hast …«
Erstaunlicherweise konnte Niklas trotz der zwei Stück Apfelkuchen schon wieder etwas zu Essen vertragen. Allerdings hatte er die am späten Vormittag gegessen und nun war es ja auch schon drei Uhr nachmittags. Mit einer Schöpfkelle füllte er sich einen Suppenteller randvoll. Dazu gab es knusprig frisches Baguette. Niklas erfreute die Umstellung der Speisekarte im Fischerfleck jeden Tag mehr. So gut hatte er im Leben noch nie gegessen. Und er bewunderte Tobias’ Philosophie, alle Lebensmittel bestmöglich zu verwerten. Der Spitzenkoch warf so gut wie nichts weg, sondern hatte immer neue Ideen. Der Sud aus den Fischresten schmeckte köstlich. Sogar ein französischer Gourmetkoch könnte keine bessere Suppe daraus zubereiten.
Tobias wirkte nicht im Mindesten beunruhigt. »Du und deine Schwester, ihr solltet die Sache mit der Konkurrenz lockerer sehen. In München gibt’s an jeder Ecke einen Wettbewerber. Trotzdem haben alle ein gutes Auskommen, die was Vernünftiges bieten. Auch am Walchensee ist das so, davon bin ich überzeugt.«
Das setzte allerdings voraus, dass die Konkurrenz fair spielte, und Niklas wusste aus Erfahrung, dass es bei Familie Hirschberg gerade daran haperte. Er erinnerte sich an ein Sommerfest im Fischerfleck vor einigen Jahren. Sogar Plakate und Flyer hatten sie drucken lassen, und es hatten sich zahlreiche Gäste angesagt. Bis das Sporthotel am selben Tag eine Sonnwendparty mit Tombola veranstaltet hatte. Zu gewinnen gab es zwar nichts Bombastisches, nur Gutscheine für Wellnessanwendungen im hauseigenen Spa und ein paar Teile aus dem Surfshop, aber zusammen mit dem kostenlosen Begrüßungscocktail war das genug, um diese Veranstaltung dem Sommerfest am einfachen Fischerfleck vorzuziehen. Die Sieberts waren auf einem Großteil des vorbereiteten Essens sitzengeblieben und hatten auch in den darauffolgenden Tagen nicht alles verwerten können. Ihr Vorstoß in Richtung Sonderveranstaltungen wurde zu einem Minusgeschäft, und der Vater schloss fortan kategorisch aus, etwas Derartiges zu wiederholen. Im Nachhinein war Niklas der Meinung, das sei der Anfang vom Ende gewesen. Die Energie von Johannes Siebert war verpufft, als hätte er keinerlei Kraft mehr gehabt, sich weiterhin gegen seinen ehemaligen besten Freund Paul zu behaupten. Er hatte da beschlossen, mit einer simplen Brotzeitkarte und reduzierten Öffnungszeiten auszukommen, und kampflos die Segel gestrichen. Niklas war das damals gelegen gekommen, er hatte sich auf die Fischerei konzentrieren wollen, und sein Vater schien auch mit einem kleinen Umsatz auskommen zu können. Wäre Freya da schon hier gewesen, hätte sie das bestimmt nicht akzeptiert, dachte er. Sie hätte uns beiden ordentlich den Kopf gewaschen und uns vorgerechnet, in was für eine finanzielle Misere wir dadurch schlittern. Ausgebootet von den Hirschbergs, die wir sowieso nicht leiden können. Ein wenig mehr Kampfgeist hätte Papa und mir nicht geschadet. Aber das nützt jetzt auch nichts mehr. Passiert ist passiert.
Tobias hatte vollkommen recht, die Konkurrenz war ihnen dicht auf den Fersen. Aber dieses Mal würden sie nicht klein beigeben. Mit Freya und Tobias an seiner Seite fühlte sich Niklas sicher. Seine Schwester hatte einen guten Geschäftssinn und konnte zudem gut planen und organisieren. Allein wenn er auf den Instagram-Account des Fischerfleck s sah, war er erstaunt, was sie dort auf die Beine stellte. Schnappschüsse von gut gelaunten, feiernden Menschen, Köstlichkeiten aus See und Meer, tolle Landschaftsaufnahmen und dazu Einblicke in das Fischerleben interessierten eine ziemlich große Zahl an Followern. Mittlerweile posteten auch die Gäste von ihrer guten Zeit im Fischerfleck und machten so Werbung für die Sieberts. Ehrlicherweise gestand sich Niklas ein, dass er selbst weder die Lust noch das Knowhow hätte, Instagram regelmäßig mit Bildern zu füttern. Das war so ziemlich das Letzte, wonach ihm der Sinn stand. Aber Freya hatte sich täglich ein Zeitfenster dafür geblockt und zog es einfach durch. Bewundernswert, wie sie das machte. Und Tobias schien seinem Job in München kein bisschen nachzutrauern. Hochmotiviert versorgte er die Gäste mit Spitzengerichten. Am Walchensee gab es keinen zweiten Koch, der sein Niveau hatte. Niklas verspürte eine tiefe Dankbarkeit für das, was sie innerhalb kürzester Zeit zusammen geschafft hatten. Dass die Konkurrenz ihnen nacheiferte, sollte ihn eigentlich mit Stolz erfüllen. Allerdings hatte er in Vergangenheit mehr als einmal miterleben müssen, dass Paul Hirschberg nicht fair spielte. Was Onkel Georg und Tante Erika erzählt hatten, erfüllte Niklas mit einem Gefühl der Unruhe, gerade so, als würde sich über ihren Köpfen ein Unwetter zusammenbrauen.
Wie zu Bestätigung stellte Familie Hirschberg bereits in der folgenden Woche ein riesiges Bauschild am Rande ihres Grundstücks auf. Hirschbergs Strandlounge stand darauf. Darunter gab es ein Bild des geplanten Pavillons samt Champagnerbar. Sogar die Gäste waren dargestellt, wie sie Austern schlürfend in den Sonnenuntergang blickten.
»Seelounge, Strandlounge … Dürfen die das eigentlich einfach nachmachen?«
Niklas kratzte sich am Kopf. Er und Freya hielten mit dem Kombi am Straßenrand, um das Plakat zu studieren.
»Ich denke schon. Es ist nicht dasselbe Wort. Aber Seelounge klingt eh viel besser und jeder weiß, von wem sie ihren Namen geklaut haben. Armselig, wenn man selber derart unkreativ ist und alles nachmachen muss. Was steht da als geplanter Fertigstellungstermin?«
Niklas kniff die Augen zusammen. »Neueröffnung im September«, las er vor.
»Na. Da müssen sie sich ranhalten. Außerdem ist die Sommersaison dann so gut wie vorbei.«
Hinter ihnen hupte ein Lkw, der aufgrund des Gegenverkehrs nicht vorbeifahren konnte. Entschuldigend winkte Niklas in den Rückspiegel und fuhr weiter.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Freya. »Wir haben alles im Griff. Ich überlege mir ein paar feine Extras für unsere Gäste, und bis die Hirschbergs aufsperren, sitzen wir im Fischerfleck so fest im Sattel, dass uns egal sein kann, was die hier veranstalten.«
Niklas wollte sich von ihren Worten aufmuntern lassen, wollte sich besser fühlen. Aber er wurde das flaue Gefühl im Magen einfach nicht los, das ihn seit Tagen belastete.
Er musste den Kopf freibekommen, dringend.