Die Zeit verflog nur so, und der Freitag kam schneller als erwartet. Die Tage waren mit Arbeit so ausgefüllt, dass Freya kaum zum Verschnaufen kam, und deshalb freute sie sich auf die kleine Auszeit ganz besonders. Es tat gut, sich nach dem Mittagsgeschäft endlich mal in die Sonne zu legen, weil nichts dringend zu erledigen war. Als es ihr zu heiß wurde, sprang sie vom Steg ins Wasser und ließ sich auf einer Luftmatratze treiben. Augen zu und abschalten – das war Entspannung pur.
Später nahm sich Freya Zeit für eine Haarkur und lackierte sich die Nägel.
»Du siehst irgendwie … kultivierter aus als sonst«, neckte Niklas, als sie aus dem Bad kam. »Sauberer. Duftiger. Und definitiv gebräunter.«
»Und du machst einen wesentlich fitteren Eindruck. Ich denke, du bist gesund und kannst ab morgen wieder ganz normal mitarbeiten.«
Er wendete den Blick theatralisch gen Himmel. »Danke! Sie ist zur Vernunft gekommen. Was so ein Bad im See doch bewirkt.«
Im Vorbeigehen knuffte ihn Freya, erleichtert, dass er seine gute Laune wiedergefunden hatte und genesen schien. Sie schlüpfte in ein weißes Sommerkleid und legte sich für später, wenn es kühler würde, eine Jeansjacke um die Schultern. Das frisch geföhnte Haar ließ sie offen über den Rücken fallen. Und da sie an diesem Tag eine ordentliche Sonnenbräune bekommen hatte, reichten ein wenig Wimperntusche und Lipgloss, um strahlend auszusehen. Im Hinausgehen schnappte sich Freya ihre Handtasche, dann rannte sie die Treppe hinunter, weil Niklas bereits nach ihr rief.
Er stand neben Tobias draußen am Auto und tippte mit dem Finger demonstrativ auf seine Uhr. Tobias musterte Freya eindringlich und hielt ihr die Wagentür auf. Als sie an ihm vorbei auf den Sitz schlüpfte, machte es fast den Eindruck, er würde an ihr schnuppern.
»Siehst gut aus«, bemerkte er schnörkellos.
»Danke.«
»Äh, Tobias, das ist meine Schwester. Du musst ihr keine Komplimente machen.«
Ein irritiertes Schnauben entfuhr Freya. Sehr charmant, ihr Bruder.
Sie fuhren auf der Serpentinenstraße zwischen den beiden Seen in Richtung Kochel. Rechter Hand tauchte das Franz-Marc-Museum auf, bei dem man baulich versucht hatte, das Alte mit dem Neuen zu verbinden. Ein modernes kubisches Gebäude aus Stein und Glas, das über einen schlichten Trakt mit einer schmucken Villa verbunden war, beherbergte Bilder des bekannten Malers und seiner zahlreichen Künstlerfreunde, wie etwa Paul Klee. Freya nahm sich vor, dem Museum baldmöglichst einen Besuch abzustatten, da die Geschichte des viel zu früh verstorbenen Künstlers sie interessierte und sie seine Bilder sehr mochte.
Niklas lenkte den Wagen links in die Zufahrtsstraße zum Kraftwerk. Der großzügig dimensionierte Parkplatz war schon fast voll, aber nach kurzem Suchen fanden sie doch noch eine freie Lücke.
Sie stiegen aus, liefen hinüber zum Informationszentrum, vorbei an einem kleinen, traditionellen Holzhaus mit grünen Fensterläden, an dessen Längsseite ein Zigarettenautomat wie eine hässliche Warze prangte. Es schien eine Gaststätte speziell für Biker zu sein mit Grill, Sonnenschirmen und Bierbänken direkt neben der Straße und den geparkten Motorrädern. Die Aussicht beschränkte sich auf Leistungstransformatoren und Schaltanlagen des gegenüberliegenden Umspannwerks und konnte beim besten Willen nicht als malerisch bezeichnet werden.
Wie die anderen Konzertbesucher reihten sich Freya, Niklas und Tobias in die Schlange am Eingang ein und bekamen die obligatorischen Bändchen fürs Handgelenk. Das Informationszentrum mit dem großen überdachten Vorplatz, auf dem das Open-Air-Konzert stattfinden sollte, kannte Freya noch nicht. Es musste ungefähr um die Zeit gebaut worden sein, als sie nach Schweden gegangen war. Aber an das Kraftwerk selbst erinnerte Freya sich gut. Hier in der Gegend wurde es bereits in der Grundschule zum Unterrichtsthema, und einer der ersten Schulausflüge führte immer hierher.
Die Maschinenhalle und das Transformatorenhaus waren architektonisch derart ansprechend gebaut, dass sie Freya damals, als kleines Kind, an eine herrschaftliche Villa erinnert hatten. Auch an diesem Abend war sie wieder von der Ästhetik beeindruckt, die dem Betrachter schlichtweg Freude bereitete. Warum wurde heute nicht mehr so gebaut? Was sprach dagegen, Funktionalität mit Schönheit zu verbinden? Efeu rankte sich die hohen Fassaden hinauf, und an einer Wand hing eine Erinnerungstafel mit den Namen derer, die seinerzeit beim Bau verunglückt waren.
Der große Oskar von Miller, Münchens berühmter Ingenieur, hatte 1918 ein ehrgeiziges Vorhaben entwickelt, um seine bayerische Heimat mit Elektrizität zu versorgen. Er war nicht der Erste, dem das natürlich Gefälle zwischen dem Walchensee und dem Kochelsee aufgefallen war, aber der Erste, der einen gigantischen Plan ausgearbeitet hatte, um es nutzbar zu machen. Wie alle Visionäre musste er sich zuerst gegen Zweifler und Skeptiker durchsetzen, doch 1924, zehn Jahre vor Oskar von Millers Tod, speiste die erste Turbine Energie ins neue Stromnetz ein.
Freya erinnerte sich an den Lärm im Maschinenhaus, alle Schulkinder hatten sich damals die Ohren zugehalten. Die dunkelgrün lackierten Turbinen und Generatoren waren ihr wie gigantische Suppenkessel vorgekommen. Nicht beängstigend, nur faszinierend in ihrer altertümlichen, noch immer voll funktionsfähigen Pracht.
Auch an diesem Abend spähte sie hinauf zum Wasserschloss auf dem Kesselberg, das in der Dämmerung kaum mehr zu erkennen war. Von dort oben stürzte Walchenseewasser aus einem Ausgleichsbecken durch dicke Rohre zweihundert Meter in die Tiefe, bis herunter an den Kochelsee, und trieb die Turbinen des Kraftwerks an. Seit einhundert Jahren. In der Schule hatte Freya damals gefragt, wie wohl der Riesenwaller oben im See es fände, dass mit seinem Wasser so viel angestellt wurde und ob er sich dadurch nicht gestört fühlte. Auch die Klassenkameraden hatte das brennend interessiert, schließlich wollte niemand, dass das Monster erwachte. Leider war die Lehrerin ihnen die Antwort schuldig geblieben.
»Was ist los? Worüber amüsierst du dich?«, fragte Tobias.
Mit einem Kopfschütteln verscheuchte Freya die Erinnerungen. »Ach, ich musste nur gerade an einen Ausflug in der dritten Klasse denken.«
»Ich glaube, wir sind alle mit der Grundschule hier gewesen«, konnte sich auch Tobias erinnern.
Es würde noch etwas dauern, bis das Konzert begann, also besorgte Niklas Getränke. An Foodtrucks wurden Snacks und Erfrischungen verkauft, es herrschte eine lockere Sommerfeststimmung.
»Hast du schon die neue Tierärztin kennengelernt?«, fragte Niklas Tobias beiläufig und ohne erkennbaren Zusammenhang.
»Ja. Ich musste doch neulich den Hund meiner Mutter hinbringen.«
»Und? Sieht sie wirklich so gut aus, wie alle behaupten?«
Freya spürte Tobias’ Blick kurz auf sich, bevor er antwortete. »Am besten, du bildest dir selber ein Urteil, Niklas. Dort drüben steht sie nämlich.« Er deutete auf eine dunkelhaarige Frau, die sich gerade mit einem Becher in der Hand zu ihnen umdrehte und auf Tobias zusteuerte. Vermutlich war sie ein paar Jahre älter als Freya, mit leuchtend rot geschminkten Lippen und langen Wimpern, die bestimmt nicht ganz echt waren.
»Hallo, Herr Wolf«, begrüßte sie ihn strahlend lächelnd. »Na, wie geht’s dem Dackel Ihrer Mutter? Rocky heißt er doch, oder? Hat er die Impfung gut verkraftet?«
»Ja, hervorragend. Der Rocky ist hart im Nehmen. Darf ich Ihnen meine Geschäftspartner und Freunde Freya und Niklas Siebert vorstellen?« Tobias machte eine ausladende Handbewegung. »Und das ist Frau Doktor Freitag, sie hat die Tierarztpraxis von Doktor Schraml übernommen«, sagte er erklärend an Niklas und Freya gewandt.
Sie schüttelten Hände, und als Niklas an der Reihe war, sagte die Tierärztin: »Ich heiße Jessica. Doktor Freitag klingt so schrecklich alt und ernst.« Beim Lachen zeigte sie ihre perfekten Zähne. Überhaupt fand Freya, dass die Tierärztin und Tobias mit ihren dunklen Haaren und Augen, den hohen Wangenknochen und dem auffallend guten Aussehen Geschwister hätten sein können. Wobei Frau Doktor bestimmt keine schwesterlichen Gefühle für ihn hegte, so wie sie ihn ansah. Doch dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Niklas.
»Ich habe schon gehört, dass der Fischerfleck absolut angesagt ist. Aber ich wohne erst seit kurzem hier und kenne leider noch niemanden, mit dem ich dorthin ausgehen könnte.«
»Du kannst auch alleine kommen«, antwortete Niklas mit bayerischem Pragmatismus, der seiner Schwester ein Grinsen entlockte.
»Habt ihr denn Haustiere? Dann könnte ich meinen Besuch nämlich mit der Arbeit verbinden. Wenn ich solo und einfach so erscheine, zerreißen sich die lieben Walchenseer sonst bestimmt den Mund. Ich habe das Gefühl, jeder im Ort wird ganz genau beobachtet.« Sie sprach Hochdeutsch.
»Klar haben wir Tiere. Massenweise Fische. Und Freya will einen Hund, aber darüber diskutieren wir noch.«
»Fische. Wie faszinierend. Erzähl mir doch mehr.« Ihre Hand lag auf Niklas’ Unterarm, wanderte jetzt weiter und zog ihn näher zu sich heran, als wollte sie allein und ungestört mit ihm reden.
Hinter Jessicas Rücken verdrehte Freya die Augen. Fische. An einem See. Faszinierend. Im Ernst? Allem Anschein nach war die Tierärztin in Flirtlaune und äußerst interessiert an Niklas. Dezent traten Freya und Tobias ein paar Schritte zur Seite. Eine Portion weibliche Aufmerksamkeit war ihrem Bruder weiß Gott zu gönnen. Seitdem Freya an den Walchensee zurückgekehrt war, hatte er sich, soviel sie wusste, mit keiner Frau getroffen. Zwar hatte Freya mitbekommen, dass hin und wieder jemand für Niklas anrief, aber er wimmelte sie immer ab. Er ließ keine Frau wirklich an sich heran. Auch bei den weiblichen Gästen im Fischerfleck war er sehr beliebt, und Freya vermutete, dass einige nur kamen, um ihn zu sehen. Verständlich – er war herzensgut, konnte durchaus witzig sein und sah noch dazu verflixt gut aus. Aber offenbar beschränkte sich die Bindungsunwilligkeit nicht nur auf Cousine Lena, sondern galt möglicherweise generell für die Sieberts. Freya dachte an Jonas. Ihr anfängliches Interesse an ihm hatte sich kontinuierlich abgekühlt, und nun war sie sich nicht mal mehr sicher, ob sie ihn überhaupt noch leiden konnte. Unter keinen Umständen wollte sie ihr Verhältnis vertiefen. War es bei ihr genauso wie bei Lena und Niklas? Ob ihr Bruder der Tierärztin wohl eine Chance geben würde? Und falls ja – für wie lange?
»Na, da scheint jemand gut anzukommen«, bemerkte Tobias grinsend mit einem Seitenblick auf seinen Freund und sprach damit aus, was auch Freya dachte.
»Wie lange geben wir ihr?«, fragte sie.
»Es ist bald September. Wie ich Niklas kenne, wird sich das noch vor Weihnachten erledigt haben. Alles andere würde mich wundern.«
»Sehe ich genauso.«
»Andererseits scheint Jessica genau zu wissen, was sie will. Vielleicht braucht dein Bruder jemanden, der ein wenig dominanter ist und ihn zu seinem Glück zwingt.«
Freya lachte. »Klingt beängstigend, so wie du das sagst.«
Mittlerweile war es dunkel geworden, aber immer noch warm, und das Gelände mit Scheinwerfern und Fackeln ausgeleuchtet. »Wollen wir schon mal unsere Plätze suchen?« Tobias gab Niklas ein Zeichen, und Freya und er machten sich auf den Weg in Richtung Bühne.
»Es ist schön, hier zu sein. Ich hatte beinahe vergessen, dass es außer dem Fischerfleck noch was anderes gibt.«
»Den Eindruck hatte ich auch. Jeder braucht mal eine Pause, auch wenn dein Engagement extrem bewundernswert ist.«
»Findest du?«
»Vollkommen ohne Erfahrung ein einfaches Gasthaus zu übernehmen und daraus einen Treffpunkt für gehobenes Publikum zu machen, wäre sogar für einen Fachmann eine Herausforderung. Also ja, ganz ehrlich, du schlägst dich hervorragend.«
»Danke.« Sein Lob freute Freya. Besonders weil sich Tobias in der Branche auskannte und nichts sagte, was er nicht auch so meinte. Inzwischen kannte sie ihn gut genug, um das zu wissen.
Sie nahmen ihre Plätze ein und hielten einen für Niklas frei, Freya legte ihre Jeansjacke darauf.
»Besser, du belegst gleich zwei. Vermutlich setzt sich Frau Doktor auch zu uns.«
Sein Tonfall erstaunte Freya. »Magst du sie nicht?«
»Ich kenne sie kaum. Wie gesagt, ich habe sie nur einmal gesehen, als ich den Dackel impfen lassen musste. Sie ist seit ein paar Monaten hier und hat mächtig Zulauf. Plötzlich haben alle Herren in der Gegend kranke Haustiere daheim. Schäkern scheint bei ihr zum Service zu gehören.«
»Nun ja, sie ist wirklich hübsch, und es spricht nichts dagegen, aus seinem Charme Vorteile zu ziehen, denke ich.«
Er drehte sich zu ihr und stützte einen Arm auf der Stuhllehne ab. »Soweit ich weiß, hat sie bisher alle Avancen abgeschmettert. Ihr Flirten beschränkt sich auf die Arbeitszeiten. Aber an deinem Bruder ist sie eindeutig privat interessiert.«
»Ja, das merke sogar ich.«
Er nahm eine ihrer Haarsträhnen zwischen die Finger und spielte damit. »Ich sehe dich selten mit offenen Haaren.«
»Im Restaurant geht das nicht.«
»Aber privat schon.«
Sein Blick machte sie nervös. Anders als die flirtoffensive Jessica Freitag war Tobias nicht zu durchschauen.
Niklas kam zu ihnen, alleine, gerade als die Band die Bühne betrat und das Publikum applaudierte.
»Wo ist deine neue Bekanntschaft?«, fragte Freya.
»Vermutlich an ihrem Platz.«
»Warum hast du sie nicht gebeten, bei uns zu sitzen?«
Erstaunt hoben sich seine Augenbrauen. »Weshalb sollte ich das tun? Wir drei sind zusammen hier, weil wir uns einen schönen Abend verdient haben, dazu brauchen wir niemanden sonst.«
Tobias beugte sich über Freya zu Niklas. »Sie hätte bestimmt nichts dagegen gehabt, neben dir zu sitzen. Wir haben ihr extra einen Platz freigehalten.«
»Wollt ihr mich verkuppeln, Leute? Das lasst mal ganz schnell sein.« Er sprach nur halb im Scherz. »Wenn ich eine Frau kennenlernen will, dann mache ich das auf meine Weise. Und vor allem nicht im Schnelldurchgang. Ich weiß noch nicht mal, ob mir diese Jessica gefällt. Bei dem Tempo, das sie vorlegt, hatte ich noch keine Gelegenheit, darüber nachzudenken.«
Um sie herum erloschen die Scheinwerfer, jetzt war nur noch die Bühne in helles Licht getaucht. Die Musik setzte ein. Freya kannte die Sängerin nicht. Sie hatte vor einigen Jahren eine Casting-Show im Fernsehen gewonnen und war seitdem wohl recht erfolgreich. Ihre Stimme klang voll und samtig. Die Band spielte hervorragend.
Bei den warmen Soulklängen entspannten sich Freyas Schultern, sie lehnte sich bequem zurück und ließ sich ganz auf die Musik ein.
Ab und an konnte sie einen Seitenblick von Tobias spüren. Als Freyas Hand zufällig neben der seinen zu liegen kam, berührten sich ihre Finger. Gerade wurde eine gefühlvolle Ballade gespielt. Freya schluckte, hielt den Blick starr auf die Bühne gerichtet. Tobias griff nicht nach ihrer Hand, schien nicht die Berührung zu suchen, dennoch fühlte sie sich ihm verbunden. Freya merkte, wie die Gefühle in ihr aufwallten. Nach einer Weile hielt sie es nicht mehr aus und drehte sich zu ihm. Sein Profil war perfekt, der gerade Nasenrücken, seine Stirn, der Schwung seiner Lippen. Ganz langsam wendete auch er den Kopf. Freya hätte schnell wieder wegsehen können, aber sie vermochte es nicht. Das Licht der Bühne ließ seine dunklen Augen wie geschmolzene Schokolade schimmern. Als das Publikum applaudierte, waren sie beide noch immer in den Anblick des anderen versunken. Nur mühsam entzog sich Freya der Anziehung, die von Tobias ausging. Sie blinzelte, als würde sie aus einem Traum erwachen und stimmte in den Applaus ein. Die Stelle, an der ihre Haut sich berührt hatte, kribbelte.
Abrupt stand Freya auf und verließ ihre Sitzreihe.
»Sie geht sicher nur aufs Klo«, hörte sie hinter sich Niklas zu Tobias sagen.
Freya lief an den Verkaufsständen, die während des Konzerts nicht besetzt waren, vorbei bis zum verschlossenen Eingang der Maschinenhalle. Sie trat um die Ecke und lehnte sich mit dem Rücken an die raue Steinwand des Gebäudes. Über ihr leuchteten unzählige Sterne am wolkenlosen Nachthimmel.
»Warum läufst du weg?« Tobias war ihr nachgegangen.
»Vor wem sollte ich denn weglaufen? Etwa vor dir?«
Fernab der Scheinwerfer und Fackeln verlieh die Nacht seiner Haut ein mattes Schimmern. Er stand direkt vor ihr.
»Ja, das denke ich.«
»Blödsinn.«
»Sag nicht, du hättest es nicht auch gespürt, was da eben zwischen uns war. Hier drinnen.« Er legte ganz sacht eine Hand auf Freyas Bauch, dorthin, wo sich der Solarplexus befand.
Sie sog die Luft ein.
Die Wärme seiner Finger brannte durch den Stoff ihres Kleides.
»Das ist was anderes, als das, was du in Stockholm hattest und auch als das, was mit Jonas Hirschberg war. Da hat sich dein Puls kein bisschen beschleunigt. Du meinst vielleicht, du könntest alles kontrollieren und Leidenschaft wäre was für die anderen, aber ich glaube, das siehst du falsch, Freya. So bist du nicht.«
Er trat einen Schritt zurück.
Jetzt hätte sie gehen können. »Wir sind Geschäftspartner, Tobias.« Dieser Einwand klang reichlich lahm.
»Darum geht es aber gerade nicht. Sondern hierum.« Mit einer raschen Bewegung zog er Freya an sich und küsste sie. Der Moment, in dem seine Lippen sich auf die ihren senkten, erstickte jeglichen Widerstand, den sie hatte aufbringen wollen. Sie fuhr mit ihren Fingern in sein Haar und erwiderte den Kuss. Was er gesagt hatte, stimmte. Freya sehnte sich nach Aufregung und Leidenschaft, nach Tobias, der diese heftige Reaktion in ihrem Körper auslöste und sie alles um sich herum vergessen ließ. Freya verlor sich im Rausch des Kusses, der auch ihr Herz in den Bann zog. Irgendwann setzte ihr Gehirn wieder ein. Sie schob Tobias von sich und stürzte davon.
»Das wird nie wieder vorkommen«, stieß sie hervor, wie um sich selbst davon zu überzeugen.